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I. Begriff

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Das Völkerrecht wird in weitestgehender Übereinstimmung definiert als die Summe der Rechtsnormen, welche die Beziehungen der Völkerrechtssubjekte untereinander regeln und nicht der inneren Rechtsordnung eines dieser Völkerrechtssubjekte angehören.

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Zu den Völkerrechtssubjekten (s. Rn 1034 ff) zählen in erster Linie die Staaten als die – historisch gesehen – „klassischen“ Völkerrechtssubjekte. Im 20. Jahrhundert ist die Gruppe der internationalen Organisationen hinzugekommen, welche die Staaten mittlerweile an Zahl weit übertreffen. Daneben gibt es eine Gruppe von Völkerrechtssubjekten, die für die Rechtsordnung des Völkerrechts atypisch (sui generis) und nur historisch erklärbar sind. Das sind der Heilige Stuhl, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und der Malteser-Ritter-Orden. Zum Kreis der Völkerrechtssubjekte wird heute immer mehr auch der einzelne Mensch gezählt. Noch weitgehend ungeklärt und umstritten ist demgegenüber die Frage der Völkerrechtssubjektivität juristischer Personen des nationalen Rechts, zB von NGOs oder transnational tätigen Unternehmen.

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Das Völkerrecht ist im Vergleich zu einer nationalen Rechtsordnung strukturell schwächer ausgebildet. Das hängt damit zusammen, dass es keine Zentralinstanzen gibt, die Recht für alle verbindlich setzen und durchsetzen können. Rechtsnormen des Völkerrechts entstehen prinzipiell nur durch Zusammenwirken der Völkerrechtssubjekte. Daher spricht man von einem Recht mit Koordinationscharakter bzw mit einem „genossenschaftlichen oder horizontalen Charakter“ (Geiger, S. 8). Rechtsnormen des Völkerrechts haben ihre Grundlage daher üblicherweise in bilateralen oder multilateralen Verträgen oder im Gewohnheitsrecht, das auf übereinstimmender, von Rechtsüberzeugung getragener Übung basiert. Das bedingt, dass nur die Vertragsparteien oder die an der Entstehung von Gewohnheitsrecht beteiligten Völkerrechtssubjekte an die so geschaffenen Rechtsnormen gebunden sind. Diese gelten (im Gegensatz zum innerstaatlichen Gesetz, das – von Sonderfällen abgesehen – allgemeine Geltung beansprucht) daher nur relativ. Deshalb spricht man von der Relativität des Völkerrechts.

Beispiel:

Auf einem unter griechischer Flagge fahrenden Fährschiff ereignete sich 1971 auf Hoher See eine Brandkatastrophe. Das Schiff wurde nach Italien geschleppt und der griechische Kapitän verhaftet. Griechenland protestierte gegen die Verhaftung unter Hinweis auf Art. 11 des Übereinkommens über die Hohe See vom 29. April 1958, wonach zur Strafverfolgung nur der Flaggenstaat des Schiffes oder der Heimatstaat des Kapitäns (in beiden Fällen also Griechenland) zuständig sei. Allerdings war nur Griechenland, nicht aber Italien Vertragspartei. Daneben existierte auch noch das Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die strafgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen und anderen mit der Führung eines Seeschiffes zusammenhängenden Ereignissen vom 10. Mai 1952. Dieses Übereinkommen enthält eine dem Art. 11 des Übereinkommens über die Hohe See nahezu identische Bestimmung. Diesmal war zwar Italien, nicht aber Griechenland Vertragspartner des Übereinkommens. Beide Staaten waren also an eine identische Regelung gebunden, aber wegen der Relativität des Völkerrechts nicht im gegenseitigen Verhältnis. Keines der beiden Übereinkommen konnte also zur Anwendung kommen (vgl dazu Oeter, in: Encyclopedia², Heleanna Incident).

Seit 1995 sind beide Staaten, Italien und Griechenland, an das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 gebunden, das in Art. 97 eine mit Art. 11 des Übereinkommens über die Hohe See wortgleiche Regelung vorsieht.

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Das Völkerrecht der Gegenwart hat sich zu einer rechtlichen Grundordnung für die internationale Gemeinschaft fortentwickelt. Kennzeichnend für diesen Wandel sind ua die Institutionalisierung der internationalen Beziehungen (zB in Gestalt internationaler Organisationen oder von Vertragsregimen, s. Rn 1188 ff), die sich entwickelnde Völkerrechtssubjektivität des einzelnen Menschen, die Verfestigung fundamentaler Menschenrechte zu unabdingbarem, zwingendem Völkerrecht (ius cogens), die Anerkennung von Pflichten der Staaten gegenüber der internationalen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit (Pflichten erga omnes), die Anerkennung von internationalen Allgemeininteressen (zB Klimaschutz), ein funktionales Verständnis staatlicher Souveränität (wie es zB im Konzept der „responsibility to protect“ zum Ausdruck kommt) sowie der vermehrte und verstärkte Zugriff auf eigentlich rein innerstaatliche Sachverhalte (wie zB auf den Gebieten des Menschenrechts- und des Umweltschutzes oder im Fall eines Bürgerkriegs).

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Diese dynamische Transformation der Völkerrechtsordnung lässt sich allein mit dem Koordinationscharakter des Völkerrechts und seiner daraus folgenden Relativität nur mehr bedingt erklären und beschreiben. Vielmehr spielen Prozesse der Wert- und Normbildung eine Rolle, die mit dem Modell rein konsensualer Rechtserzeugung durch Staaten nur unbefriedigend abgebildet werden können. Ungeachtet dessen hat sich das Völkerrecht von seinen überkommenen Merkmalen aber nicht grundsätzlich gelöst.

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Der mithin prinzipiell fortbestehende Koordinationscharakter des Völkerrechts wird weiterhin bei der Durchsetzung des Rechts besonders deutlich. Es gibt – im Gegensatz zum nationalen Recht – grundsätzlich keine obligatorische Gerichtsbarkeit. Vielmehr bedarf die Zuständigkeit völkerrechtlicher Gerichte, wie zB des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (IGH), der ausdrücklichen Anerkennung durch die Streitparteien.

Beispiel:

Im Rahmen eines Streits zwischen Griechenland und der Türkei über die Ausdehnung des Festlandsockels in der Ägäis rief Griechenland 1976 den IGH an. Beide Staaten hatten in der Genfer Generalakte über die friedliche Streiterledigung von 1928 die Zuständigkeit des IGH (iVm Art. 37 des Status des Internationalen Gerichtshofs [StIGH]) für Streitfälle anerkannt, an welchen sie als Streitpartei beteiligt sind. Griechenland hatte allerdings den – erlaubten – Vorbehalt angemeldet, dass sich die Zuständigkeit nicht auf Streitigkeiten über den territorialen Status Griechenlands beziehe. Auf Grund des Gegenseitigkeitsprinzips des Art. 36 Abs. 2 StIGH gilt dieser Vorbehalt auch zu Gunsten der Türkei. Diese konnte sich also auch darauf berufen, dass sich die Streitigkeit auf den territorialen Status der Türkei bezog und dass daher die Zuständigkeit des IGH für diesen Fall nicht gegeben sei. Da der IGH die Ausdehnung des Festlandsockels als eine Frage des „territorialen Status“ qualifizierte, hat er seine Zuständigkeit verneint (IGH, Aegean Sea Continental Shelf, Judgment, ICJ Reports 1978, S. 3, Rz 48 ff; vgl Oellers-Frahm, in: Encyclopedia, Bd. I, S. 48 ff).

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Da die Rechtsdurchsetzung im Völkerrecht zudem noch daran leidet, dass es grundsätzlich keine Exekutionsorgane gibt, die – vergleichbar den Polizei- oder Vollstreckungsorganen im nationalen Bereich – die Einhaltung von Rechtsnormen und Urteilen erzwingen können, sind die Völkerrechtssubjekte auch heute noch teilweise darauf angewiesen, das Recht selbst durchzusetzen. Man spricht insofern vom dezentralisierten Charakter des Völkerrechts. In der Praxis greifen die Völkerrechtssubjekte dabei zu den Instrumenten der Retorsion (= ein unfreundlicher, aber nicht völkerrechtswidriger Akt: zB die Sperre von Wirtschafts-, Entwicklungs- oder Militärhilfe) oder Repressalie (= ein völkerrechtswidriger Akt als Reaktion auf einen völkerrechtswidrigen Akt der Gegenseite, begrenzt durch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit: zB Einfrieren der iranischen Bankkonten in den USA nach der Geiselnahme amerikanischer Diplomaten in der US-Botschaft in Teheran 1979). Eine Grenze der eigenständigen Rechtsdurchsetzung im Völkerrecht ist nach allgemeiner Meinung ferner das Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 SVN.

Beispiele:

(1) In Art. 51 der Anlage zur Resolution der Generalversammlung der VN Nr 56/83 vom 12. Dezember 2001: „Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen“ (sog. ILC-Artikel über Staatenverantwortlichkeit; Sartorius II, Nr 6) heißt es: „Verhältnismäßigkeit. Gegenmaßnahmen müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem erlittenen Schaden stehen, wobei die Schwere der völkerrechtswidrigen Handlung und die betreffenden Rechte zu berücksichtigen sind.“ Art. 50 ergänzt: „1. Gegenmaßnahmen lassen folgende Verpflichtungen unberührt: a) die in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Verpflichtung, die Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen;“.

(2) In der Erklärung der Generalversammlung der VN über völkerrechtliche Grundsätze für freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Sinne der Charta der Vereinten Nationen (sog. Friendly Relations Declaration) vom 24. Oktober 1970 (Sartorius II, Nr 4) heißt es in Abs. 6 des ersten Grundsatzes: „Die Staaten haben die Pflicht, Vergeltungsmaßnahmen, welche die Anwendung von Gewalt einschließen, zu unterlassen.“

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Darüber hinaus bestehen weitere Grenzen für die eigenständige Rechtsdurchsetzung, zB die Beachtung jedenfalls der grundlegenden Menschenrechte (näher Art. 50 bis Art. 53 ILC-Artikel über Staatenverantwortlichkeit).

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Lösung Fall 1 (Rn 9):

An dem Ölkonzessionsvertrag waren ein Völkerrechtssubjekt und eine juristische Person des britischen Rechts beteiligt. Da letztere an sich kein Völkerrechtssubjekt ist, kann der Vertrag grundsätzlich kein völkerrechtlicher Vertrag sein. Auch eine ausdrückliche Verweisung auf das Völkerrecht enthielt der Vertrag laut Sachverhalt nicht. Daher musste der Schiedsrichter zu dem Ergebnis kommen, dass er seine Entscheidung jedenfalls nicht auf der Basis des Völkerrechts treffen konnte (vgl ILR 1951, S. 144 ff).

§ 1 Begriffsbestimmung › A. Völkerrecht › II. Der Begriff des Völkerrechts im GG und in den Länderverfassungen

Staatsrecht III

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