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2.2 Gefühl, Emotion, Affekt – Definitionsversuche

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Es wurden verschiedene Begrifflichkeiten genannt, die man alle eher dem Bereich des Empfindens, Fühlens oder »Spürens« zuordnen würde als dem des Denkens, z. B. Mitleid, Mut, Liebe, Achtung. In der Tat werden selbst in der Fachliteratur die Begrifflichkeiten uneinheitlich verwendet, so dass ein begrifflicher Wirrwarr herrscht. Begriffe wie »Gefühl, »Emotion«, »Stimmung«, »Erregung«, »Affekt« werden durcheinandergeworfen, so dass man oft nicht wissen kann, was der Verfasser genau meint. Die verschiedenen Begriffe bezeichnen nicht dasselbe; sie versuchen, unterschiedliche Befindlichkeiten zu kennzeichnen, die aufgrund ihres zeitlichen Umfangs, dem Ausmaß ihrer Intensität sowie der Art ihrer Qualität für ganz unterschiedliche innere Zustände stehen.

»Die Frage, was ein Gefühl sei, vor 100 Jahren von W. James (1884) gestellt, ist bis heute aktuell und unbeantwortet. Die Komplexität des Gegenstands, nämlich das Gefühl als Erlebnis, Gefühl als (Ausdrucks-)Verhalten und Gefühl als Kovariat von neurophysiologischen Strukturen und Prozessen erschwert aus nahliegenden Gründen eine tiefgreifende Theorienbildung« (Ewert, 1983, S. 397).

Die Vielfalt der verwendeten sprachlichen Begriffe für emotionale Phänomene zeigt zum einen eine Uneinheitlichkeit im Verständnis von Erlebensweisen und Probleme mit der Eingrenzung und Präzisierung des Emotionskonzepts, zum anderen aber auch, dass es eher eine mangelnde Klarheit in der Konzeptualisierung der Theorien gibt als in grundlegenden Meinungsverschiedenheiten über die zugrunde liegenden Prozesse (Scherer, 1990).

In der empirischen Forschung geht man im Allgemeinen davon aus, dass eine »Stimmung« einen zeitlich dauerhafteren inneren Zustand des Individuums beschreibt (»die Stimmung im Büro ist heute nicht die beste«). Stimmungen sind Gefühlserlebnisse von diffusem Charakter (Ewert, 1983). Inwieweit »Gefühl« und »Emotion« dasselbe meinen, darüber besteht kein allgemeiner Konsens; jedenfalls werden sie als zeitlich deutlich eingegrenzter angesehen als »Stimmung«.

Bindungstheoretiker verwenden den Begriff »Emotion« zur Kennzeichnung biologischer Grundmuster im Sinne Darwins und »Gefühl« als Bezeichnung für das Bewusstwerden von Individuen über innere Zustände, die sie dann kommunizieren (Grossmann & Grossmann, 2008). Psychiatrische Sichtweisen dagegen unterscheiden nicht nach der Bedeutung von Empfinden, sondern nach Dauer und Intensität.

»Gefühle heißen einzelne eigentümliche wurzelhafte Seelenbewegungen. Affekte nennt man augenblickliche komplexe Gefühlsverläufe von großer Intensität und auffallenden körperlichen Begleit- und Folgeerscheinungen. Stimmungen nennt man das Zumutesein oder die innere Verfassung bei länger dauernden Gefühlszuständen, die dem gesamten Seelenleben für die Dauer ihres Bestehens eine eigene Färbung geben« (Jaspers, 1973, S. 91; Hervorh. b. Autor).

Die Hirnforscher Gluck, Mercado und Myers (2010) definieren Emotion als

»… ein Gesamt von drei unterschiedlichen, aber wechselseitig miteinander verbundenen Reaktionsarten: physiologische Reaktionen, manifeste (beobachtbare) Verhaltensweisen und bewusstes Empfinden. Zu den physiologischen Reaktionen, die mit Emotion zusammenhängen, gehören Veränderungen des Herzschlags, erhöhte Transpiration, beschleunigte Atmung und dergleichen. Beispiele für manifeste Verhaltensweisen sind Gesichtsausdruck, Tonfall und Körperhaltung. Mit einer Emotion zusammenhängende bewusste Empfindungen sind z. B. die subjektive Erfahrung von Traurigkeit und Glück« (Gluck, Mercado & Myers, 2010, S. 389).

Darüber, dass ein »Affekt« eine spontane, zeitlich sehr eng begrenzte heftige Gefühlsregung ist, besteht hingegen allgemeiner Konsens. Bischof (2008) unterscheidet »Emotion« von »Affekt«, indem er vor allem die Rolle der kognitiven Kontrolle bei Emotionen betont, die bei Affekten fehle.

»Wenn die Signale des Antriebssystems an den Coping-Apparat durch den Filter der exekutiven Kontrolle gegangen sind, bezeichnen wir das als Emotionen. Fehlt diese Kontrolle oder gelingt es ihnen, sie zu durchbrechen, sprechen wir von Affekten« (Bischof, 2008, S. 387).

Diese definitorische Unterscheidung unterstellt, dass Emotionen und Affekte prinzipiell bewusstseinsfähig sind, ansonsten wäre ja keine Kontrolle möglich. Ebenso wird die Beteiligung einer kontrollierenden Instanz für Emotionen postuliert. Dieser Auffassung zufolge ist ein Affekt also eine heftige emotionale Aufwallung, die nur deshalb existiert, weil sie nicht mehr vom Individuum kontrolliert werden kann, ein überschießender, nicht mehr kontrollierbarer Gefühlsbetrag bzw. eine unkontrollierbare Gefühlsintensität. Als kontrollierende Instanz wird das Ich angesehen, das auch bei Lewins Feldtheorie eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des Affekts spielt.

»Danach beruht der Affekt auf einem Konflikt zwischen Feldkräften in einer Situation, die ein Aus-dem-Felde-Gehen unmöglich macht. Der Übergang vom Normalzustand bis zum Ausbruch geht kontinuierlich mit dem Ansteigen der Spannung, die sich aufgrund von Barrieren nicht ausgleichen kann, vor sich. Die Wandfestigkeit der gespannten Systeme des Ich hält dem wachsenden Druck nicht mehr stand, sodass sich die Spannungsenergie weitgehend über alle Bereiche des Ich ausbreiten kann. Ebenso verwischen sich die Grenzen zwischen dem Ich und dem übrigen Feld. Ergebnis ist das Abfallen der Differenziertheit bis auf einen minimalen Grenzwert« (Bergius, 2014, S. 103; Hervorh. b. Verf.).

Auch Thomae (1983) unterscheidet zwischen Emotion und Affekt. Affektive Prozesse würden negativ bewertet, da sie normative Schranken außer Kraft setzten und quasi ein Zeugnis »vorintellektueller, ungeistiger und willensmäßig unkontrollierter Haltung« (Lersch, 1970, S. 225) darstellten, wie diese Auffassung auch Kant teilte.

»Die Ausschaltung der Orientierung an der Gesamtlage erfolgt einmal unter den Bedingungen extremer ›affektiver‹ Erregung, zum anderen durch situativ bedingte kognitive Verzerrungen. … kommt der Begriff heute noch in der Wortbildung ›Affektivität‹ vor, die synonym mit ›Emotionalität‹ gesehen wird (Kretschmer, Weitbrecht, Bas). Affekt meint seinem im Deutschen heute vorherrschenden Sinne nach ein ›rasch anspringendes, große Intensität erreichendes Gefühl‹. Die Beziehung dieser Motivationsform zu den Problemen der Norm-Orientierung ergibt sich aus der Aussage von I. Kant, wonach Affekte Gefühle seien, welche ›die Schranken der inneren Freiheit im Menschen überschreiten (Anthropologie 61 Anm.)‹« (Thomae, 1983, S. 305; Zitate dort).

Die Auffassung, dass Affekte von minderer psychischer Qualität seien, werden in der psychiatrischen Literatur und im Kern auch der psychoanalytischen Auffassung geteilt. Im Unterschied zu Emotionen wird in Affekten die versagende Kontrolle des Ichs bzw. der Abwehr gesehen. Der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers (1973) greift ein Zitat C. G. Jungs auf, der in der Affektreaktion eine »Emotionsstupidität« gesehen haben will und spricht selbst von einer »Bewusstseinsleere« bzw. von »Bewusstseinstrübungen«.

»Senkungen, Trübungen, Verengungen des Bewußstseins gibt es in mannigfachen Formen als Folge und Begleitung einzelner Erlebnisse. … Bei heftigen Affekten, in Angstzuständen, ferner in tiefen Melancholien, wie in manischen Zuständen ist die Konzentration, die Möglichkeit, sich auf etwas zu besinnen, über etwas nachzudenken, ein Urteil zu gewinnen, sehr erschwert« (Jaspers, 1973, S. 119); Hervorh. b. Autor).

Bei aufregenden Gelegenheiten würde die normalerweise gegebene Kontrolle von Emotionen versagen, alle Fähigkeiten versagten in der Affektreaktion.

Die Rolle der Persönlichkeit, speziell die des Ichs, im Zusammenhang mit Emotionen bzw. Affekten wird weiter unten noch ausführlich zu behandeln sein.

Die außerordentlich vielfältigen Definitionsvorschläge sollten nach Auffassung des Emotionspsychologen Klaus R. Scherer nicht dazu führen, eine allgemein verbindliche Emotionsdefinition vorzulegen. Es reiche aus, von der Vorstellung auszugehen,

»… daß zum Zustandekommen und Ablauf emotionaler Prozesse sowohl subkortikale als auch kortikale Verarbeitungsmechanismen externer oder interner Reizung, neurophysiologische Veränderungsmuster, motorischer Ausdruck, Motivationstendenzen und Gefühlszustände beitragen« (Scherer, 1990, S. 3).

Scherer schlägt ein Modell mit fünf »organismischen Subsystemen« vor, die alle jeweils eigene Funktionen für Adaptation und Verhalten des Organismus hätten:

• Informationsverarbeitungssystem,

• Versorgungssystem,

• Steuerungssystem,

• Aktionssystem,

• Monitorsystem.

»Die hier vorgeschlagene Definition postuliert mithin folgenden Ablauf des Emotionsprozesses: Die Ergebnisse von Informationsverarbeitungsprozessen, kortikal oder subkortikal, führen zu Veränderungen der Zustände aller fünf Subsysteme. Diese Veränderungen führen zu komplexen Wechselwirkungen und damit zu einer Synchronisation der Systemzustände, auch wenn die speziellen Eigenschaften der einzelnen Subsysteme unterschiedliche Verlaufsformen oder Veränderungsprozesse nahelegen. Während der Episoden der so synchronisierten Subsysteme ist mithin die gesamte Verarbeitungskapazität des Organismus auf den speziellen Auslöser gerichtet. Die emotionale Episode endet, wenn die Synchronisation und das gegenseitige Einwirken der Subsysteme aufeinander schwächer werden und die einzelnen Subsysteme wieder ihre speziellen Funktionen übernehmen« (Scherer, 1990, S. 7).

Emotionen und Affekte bei Kindern und Jugendlichen

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