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5. ZWEITE NORDAMERIKA-REISE (1863-1865)
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Ich hatte geglaubt, meine Reiselust sei vorerst gestillt. Doch irgendwie hielt es mich nicht zu Hause. Nachdem ich die Wüste Sahara, Indien und die Sunda-Inseln kennengelernt hatte und in Russland gewesen war, zog es mich wieder in die Prärien Nordamerikas. Auch wollte ich Winnetou wiedersehen.
Frühjahr 1864:
Allerdings herrschte in den Vereinigten Staaten immer noch Bürgerkrieg. Die Eisenbahnverbindungen nach Westen waren deshalb stark eingeschränkt, aber irgendwie klappte es doch und auf Umwegen kam ich endlich in St. Louis an, wo ich sofort Mr. Henry, den Büchsenmacher, aufsuchte. Ihm musste ich von meinen Erlebnissen berichten und vor allem davon, wie sich der Henrystutzen bewährt hatte. Ich blieb einige Tage hier, um mich für den Westen zu rüsten. Danach, es war etwa Mitte Dezember 1863, verließ ich St. Louis und ging hinunter an den Rio Pecos, wo ich Winnetou traf, der mit mir einige befreundete Indianerstämme besuchte und die Prärien durchstreifte. Natürlich hatte er mir wieder Hatatitla anvertraut, der mich trotz mehrjähriger Abwesenheit sofort erkannte. Ich lernte nicht nur einige andere Indianerstämme kennen, sondern traf auch etliche Westmänner, deren Namen ich zwar kannte, die ich aber noch nie gesehen hatte. Wir kamen in Arizona auch in eine Gegend, die vielleicht nur von wenigen Indianern, aber noch nie von einem Weißen betreten worden war. Dort erlegten wir einen Grizzly auf einer Platte über einer Höhle in der Nähe eines Sees in einem tiefen Talkessel; Winnetou bezeichnete die Platte als ‚Fels des Bären‘ und den See als ‚Dunkles Wasser‘.1
Unser gefährlichstes Abenteuer hatten wir zu bestehen, als wir Gott sei Dank ohne unsere beiden Pferde Hatatitla und Iltschi unterwegs waren. Wir kamen von der Sierra Guadalupe herunter und wollten über die öden Staked Plains nach Fort Griffin hinüber. Auf halbem Weg trafen wir mit vier Personen zusammen, die von Fort Davis kamen und hinauf nach Fort Dodge wollten. Die vier Leute waren dem Tod geradezu in die Arme gelaufen. Als wir sie fanden, lagen sie fast verschmachtet im Sand, und ihren Pferden ging es ebenso. Sie baten uns, sie in nördlicher Richtung durch die Wüste zu bringen. Infolgedessen wichen wir von unserem eigenen Weg ab und ritten nach Norden. Als wir eine Trinkstelle erreichten, war sie fast ausgetrocknet. Dürstend ritten wir weiter. Wir ließen uns von unseren Pferden fortschleppen und schon am nächsten Tag konnten sie uns kaum noch tragen. Als die Pferde zu schwach wurden, erstachen wir eins und tranken das Blut. Am nächsten Tag erstachen wir die übrigen. Ihr Blut hatte uns bis dahin am Leben gehalten, doch wir waren alle am Ende unserer Kräfte. Da gellte plötzlich ein Geheul um uns her und wir wurden von vierzehn Komantschen überfallen und gebunden. Wir waren vor Ermattung halb tot. Die Roten fütterten uns und gaben uns zu trinken. Als wir uns so weit erholt hatten, wurden wir fortgeschafft zu einem Baum. Dort sollten wir verbrannt werden. Zuerst kamen unsere vier Begleiter dran. Man band sie an den Stamm fest und brannte dann ein Feuer an. Wir mussten zusehen, wie sie verbrannten. Das Zusehen war schrecklich, aber das Zuhören war noch entsetzlicher. Als man Winnetou und mir die Handfesseln löste, um uns als Nächste gemeinsam an den Baum zu binden, konnten wir uns befreien. Wir entrissen den Roten die Silberbüchse und den Bärentöter und eilten zu den Pferden der Komantschen. Sie waren so verblüfft, dass sie gar nicht daran dachten, auf uns zu schießen. Erst als sie uns verfolgten, schossen wir vier von ihnen nieder, sodass sich die anderen etwas zurückzogen. Dadurch gewannen wir Zeit, uns die besten Pferde auszusuchen und davonzureiten. Jetzt waren wir die Jäger und die Komantschen, die vier unserer Kameraden getötet hatten, die Verfolgten. Wir konnten diese rächen und alle Komantschen bis auf einen erschießen, darunter auch deren Häuptling ‚Starke Hand‘. Wir begruben sie mit allem, was ihnen gehörte. Aber was sie uns geraubt hatten, das nahmen wir ihnen ab, darunter auch meinen Henrystutzen. Mowa-kituh, die ‚Starke Hand‘, musste, weil er Häuptling war, ein würdiges Grab erhalten; das tat Winnetou nicht anders. Es gab im Todestal eine Felsspalte, in die wir ihn gelegt haben, die Waffen in der Hand, den Medizinbeutel umgehängt.2
Wir erlebten noch einige Abenteuer und die Nachrichten davon verbreiteten sich in Windeseile, denn obwohl ich noch ziemlich neu im Westen war, schienen Winnetou und Old Shatterhand in aller Munde zu sein. Wir waren – wie man bei uns zu sagen pflegt – bekannt wie bunte Hunde.
Samstag, 25. Juni 1864:3
Ich befand mich mit Winnetou bei den Navajos. Sie lagerten zwischen den Höhen der Agua Grande genannten Gegend und wollten von da aus nach dem Colorado hinab. Da brachten unsere roten Wachen zwei fremde Indianer, die sie unter sehr verdächtigen Umständen aufgegriffen hatten. Wir mussten wissen, woher die beiden Indianer kamen und ob sie Kundschafter irgendeines Stammes waren. Der Apatsche, ich und ein junger, aber sehr erprobter Krieger ritten fort, um den Aufenthalt der Gegner zu entdecken. Erst am Abend erreichten wir ein Wässerchen, wo sie gestern Rast gemacht hatten. Aus versteckten Farbtöpfchen ersahen wir, dass sie Pah-Utahs waren und sich auf dem Kriegspfad befanden.
Sonntag, 26. Juni 1864:
Es war gegen Mittag, als uns drei Reiter entgegenkamen. Zwei davon kannten wir: Es waren Dick Hammerdull und Pitt Holbers. Der dritte Reiter hieß Fletcher und war immerzu am Fluchen. Wegen seiner Flüche hatte er den Namen Old Cursing-Dry erhalten. Sie erzählten uns, dass ihre Gruppe, als Dick und Pitt auf der Jagd waren, von den Pah-Utahs überfallen wurde und nur Fletcher entkommen konnte. Sie sahen, dass ihre acht Gefährten gefangen und zwei Indianer tot waren. Winnetou nannte Fletcher den Mörder der beiden Indianer. Dieser aber antwortete: „Ich will erblinden und zerschmettert werden, wenn ich der Mörder bin!“ Wir wollten die Gefangenen befreien, unter denen sich auch Fletchers Sohn befand, und mussten dazu die Hilfe der Navajos herbeiholen. Winnetou schickte deshalb den uns begleitenden jungen Krieger mit der Nachricht zu seinem Stamm zurück und beschrieb genau den Ort, wo wir auf sie treffen würden, um die Pah-Utahs in eine Falle zu locken.
Montag, 27. Juni 1864:
Gegen Morgen des anderen Tages kamen wir in der Nähe der Pah-Utahs an. Winnetou ging zur Erkundung. Nach einem Streit schlug ich Fletcher nieder und er wurde gebunden. Dann kam Winnetou zurück. Er hatte erlauscht, dass unter den Toten der Sohn des Häuptlings ‚Großer Mokassin‘ war. Er war, wie einer der Indianer beobachtet hatte, von Fletcher erschossen worden. Man bereitete die Bestattung der Toten vor und wollte anschließend aus Rache die gefangenen Weißen töten. Um die Gefangenen zu befreien, mussten wir die zweihundertsechzig Pah-Utahs von diesen weglocken. Wir nahmen den Häuptling gefangen und zündeten das Grabmal an, worauf alle Pah-Utahs dorthin eilten. Dadurch konnten wir die Gefangenen befreien und zu einem Floß bringen, mit dem Winnetou den Rio San Juan flussabwärts fuhr. Zu viert ritten wir mit dem gefesselten Fletcher zu unserem vereinbarten Ziel.
Dienstag, 28. Juni 1864:
Wir folgten dem Fluss und kamen am Spätnachmittag an die Felswände, zwischen denen der Rio San Juan verschwand. Das war der Cañon, in dem wir die Pah-Utahs fangen wollten. Wir wussten, dass die Navajos bereits angekommen waren, und so konnten wir die Pah-Utahs in den Cañon locken, was auch gelang. Sie saßen in der Falle und konnten weder vorwärts noch zurück. Als sie merkten, dass ein Entkommen aus dem Cañon unmöglich war, waren sie so einsichtig, sich auf Verhandlungen mit uns einzulassen und dafür den Mörder des Häuptlingssohnes ausgeliefert zu bekommen. Da entriss Fletcher dem Häuptling ‚Großer Mokassin‘ die Pistole, die nur mit Pulver geladen war, hielt sie sich an die Schläfe und drückte ab, erhielt dabei aber von diesem einen Stoß, sodass der Schuss abgelenkt wurde und ihm in beide Augen ging. Er war blind. – In der Nacht wurde ich wach und erfuhr, dass Old Cursing-Dry entflohen sei. Sein Sohn war auch verschwunden. Einer der Außenposten hatte zwei Männer gesehen, die miteinander auf dem Pferd saßen. Er hatte sie angerufen und, als sie nicht antworteten, zweimal auf sie geschossen. Kurz darauf kam ein reiterloses Pferd ins Lager gelaufen. Es war das Pferd des jungen Fletcher.
Mittwoch, 29. Juni 1864:
Als der Tag zu grauen begann, machten wir uns auf die Suche. Wir brauchten gar nicht weit zu gehen, bis wir den Sohn liegen sahen, tot und kalt. Die Kugel des Außenpostens war ihm von hinten in die Brust gedrungen. Das Pferd war mit dem Alten weitergelaufen und hatte ihn an einer Felswand, die wohl dreißig Meter tief nach dem Fluss abwärts ging, abgeworfen. Wir holten ihn herauf. Seine Lästerung „Ich will erblinden und zerschmettert werden!“ war wortwörtlich eingetroffen. Als er erfuhr, dass sein Sohn tot sei, brach er sichtlich erschüttert zusammen. Endlich gestand er seine Tat, die beiden Pah-Utah-Indianer erschossen zu haben, und flehte um Gottes Barmherzigkeit. Dann starb er.
Donnerstag, 30. Juni 1864:
Wir hatten uns noch im Laufe des gestrigen Tages von den Navajos und den Pah-Utahs, die gemeinsam die Friedenspfeife geraucht hatten, getrennt und waren nach Norden weitergeritten. Dick Hammerdull und Pitt Holbers schlossen sich uns an. Ihre vier Gefährten aber ritten mit den Navajos zurück. Vor uns lag noch ein weiter Weg vom unteren Grenzgebiet der Territorien Utah und Colorado bis hinauf nach Wyoming.
Donnerstag, 28. Juli 1864:4
Vor drei Jahren war ich droben am Yellowstone von den Sioux-Ogellallah überfallen worden und musste mit drei Indianern kämpfen, um mein Leben zu retten. Nun wollte ich mit Winnetou nochmals hinauf zum Yellowstone, um die Gräber der von mir getöteten Sioux zu besuchen. Unsere kleine Gesellschaft bestand aus vier Personen: Winnetou, dem lustigen Dick Hammerdull, seinem wortkargen Freund Pitt Holbers und mir. Danach hatten wir einen uns befreundeten Stamm der Schoschonen besucht und waren von ihrem Häuptling und einigen hervorragenden Kriegern bis an die Mündung des Gooseberry Creek in den Bighorn River begleitet worden. Hier mussten die Schoschonen umkehren, weil jenseits des Bighorn das Gebiet der Upsarokas, der Krähen-Indianer, begann, mit denen sie in Todfeindschaft lebten. Zuvor hatten sie uns zu einer Bisonjagd im Herbst eingeladen, was wir auch angenommen hatten, vorausgesetzt, dass uns nichts dazwischenkäme. Als sie sich von uns getrennt hatten, setzten wir unseren Ritt in östlicher Richtung fort. Dick Hammerdull und Pitt Holbers wollten über die Bighorn Mountains nach dem Powder River und dann nach den Black Hills. Nördlich der Richtung, in der wir ritten, hatten die uns feindlich gesinnten Upsarokas ihre Jagdgebiete, und bis in die südlich von uns gelegene Rattlesnake Range waren die Sioux-Ogellallah vorgedrungen, unsere alten Gegner, die einen unversöhnlichen Hass gegen uns hegten. Wir befanden uns also zwischen zwei Völkerschaften, mit denen wir jede Begegnung möglichst zu vermeiden hatten. Noch hatten wir uns nicht weit vom Bighorn River entfernt, als wir auf eine Spur von etwa zweihundert Upsaroka-Indianer trafen, die sich auf einem Kriegszug befanden. Die Fährte stammte von gestern früh. Gegen Abend sahen wir zwei Pferdespuren und trafen bald auf eine Indianer-Squaw, die hinter ihren beiden vierzehn- und fünfzehnjährigen Söhnen her war, die heimlich ihrem Vater, dem Häuptling dieses Upsaroka-Stammes, folgen wollten. Nach einiger Zeit erblickten wir ein Lager der Sioux-Ogellallah. Als es dunkel war, beschlichen Winnetou und ich das Lager. Der Unterhäuptling ‚Langer Leib‘ saß mit einem Weißen etwas abseits, neben ihnen lagen die Upsaroka-Buben gefesselt im Gras. Der ältere der beiden sagte zu dem Weißen, dass dieser Folder heiße und seinem Vater einst Pferde gestohlen hätte. Der Weiße öffnete den Fellsack und zeigte ihnen die giftigen Klapperschlangen, die sich darin befanden. Da sprang neben uns die Indianer-Squaw aus den Büschen und warf sich über ihre Kinder. Der Unterhäuptling wollte Späher aussenden, um das Pferd der Squaw zu finden. Wir mussten schnellstens unseren jetzigen Lagerplatz verlassen und nahmen natürlich das Pferd der Squaw mit. Als wir uns nach Mitternacht wieder zum Lager der Sioux schlichen, waren sie nicht mehr da. Sie hatten also ihren Kriegszug fortgesetzt. Wir bestiegen unsere Pferde und ritten ihnen nach.
Freitag, 29. Juli 1864:
Vorsichtig folgten wir der Fährte. Dann entdeckten wir die Sioux. Sie ritten auf eine steile Höhe zu. Beide Anführer ritten allein, und zwar eine bedeutende Strecke hinter den anderen her. Die Squaw und ihre Söhne waren nicht dabei. Wir beschlossen, uns die beiden Anführer zu schnappen. Es gelang Winnetou und mir, sie von den Pferden zu holen und sie zu fesseln. Obwohl sie uns nichts verraten wollten, ahnten wir, dass die Squaw mit ihren beiden Kindern irgendwo beim letzten Lager zurückgelassen worden war. Wir fanden dort das Loch, in das man die drei Indianer zusammen mit den Klapperschlangen geworfen hatte, und waren erstaunt, oben am Rand den älteren Upsaroka-Knaben zu sehen; ebenso zwei skalpierte Sioux-Leichen. Er erzählte uns, dass seine Mutter ihre Handfesseln durchgebissen und dann die Klapperschlangen so lange gewürgt hätte, bis sie tot waren. Nun lag sie im Fieber. Die beiden Sioux hatten sich von der Grube entfernt, sodass es den Knaben gelungen war, den Rand des Lochs zu erklimmen. Als einer der beiden Sioux zurückkam, lehnte er sein Gewehr an einen Baumstamm und blickte in die Grube hinab. Da nahm der Älteste das Gewehr und schoss ihn nieder. Als auch der zweite Sioux zurückkam, wurde er das Opfer des jüngeren Bruders. Sie skalpierten ihre besiegten Gegner. Dadurch wurden die beiden jungen Burschen Krieger ihres Stammes. Wir mussten für die Squaw unbedingt frisches Wundkraut haben. Während wir noch danach suchten, kamen die Upsarokas. Ich schickte den Häuptling in den Wald hinein. Nach einiger Zeit kehrte er zurück. Er trat zu uns mit den Worten: „Old Shatterhand und Winnetou haben bewiesen, dass sie unsere Brüder sind, denn sie haben ihr Leben für meine Squaw und meine Söhne gewagt, und meine Söhne sind durch sie zu Kriegern geworden.“ Der Upsaroka-Häuptling ‚Schwarze Schlange‘ war damit einverstanden, dem gefangenen Unterhäuptling der Sioux, ‚Langer Leib‘, das Leben zu schenken und ihn mit seinen Kriegern ohne Kampf nach Hause ziehen zu lassen. Der Indianer-Agent Folder aber sollte am Marterpfahl sterben. ‚Schwarze Schlange‘ bestand unbedingt darauf, mit ihm in ihr Dorf zu reiten, was wir nicht abschlagen konnten.
Donnerstag, 4. August 1864:
Die Upsaroka boten, als wir ihr Wigwam erreicht hatten, alles Mögliche auf, um uns zu beweisen, dass sie es mit der Pfeife des Friedens ernst und aufrichtig gemeint hatten. Das einzige Ereignis, an dem wir uns nicht beteiligten, war die Hinrichtung Folders am Marterpfahl. Einer der größten Indianerquäler büßte da seine Schandtaten.
Samstag, 6. August 1864:
Die Squaw konnte schon nach einigen Tagen das Zelt verlassen und war nach einer Woche so gesund wie je. Wir verabschiedeten uns von den Upsarokas, deren Gastfreundschaft wir über eine Woche genossen hatten, und setzten unseren unterbrochenen Ritt weiter fort.
Mittwoch, 10. August 1864:5
Wir hatten uns vor einigen Tagen von den Upsarokas verabschiedet und Dick Hammerdull und Pitt Holbers noch eine Strecke weit begleitet, weil beide die Black Hills zum Ziel hatten.
Der Weg von Winnetou und mir war nach Süden gerichtet, dem North Platte River zu, an dessen Ufer wir aufwärtsreiten wollten. Wir waren seit drei Tagen wieder allein unterwegs und befanden uns etwa auf der Höhe des Blutsees, der nicht aus Wasser, sondern aus tiefem Sand bestand und so genannt wurde, weil hier einmal eine Schar Schoschonen von Weißen niedergemetzelt worden war. Hier stießen wir auf eine recht neue Querspur, die auf einen größeren Reitertrupp schließen ließ. Winnetou wollte unbedingt wissen, wer da in unserer unmittelbaren Umgebung ritt, und wir machten uns als Treffpunkt eine markante Tanne aus. Auf dem Weg zu unserem Treffpunkt bemerkte ich, dass zwei Reiter meiner Spur folgten. Ich versteckte mich und erkannte in den beiden den Dicken Jemmy und den Hobble-Frank, obwohl ich sie vorher noch nie gesehen hatte. Sie erzählten mir, dass ihre Kameraden, der Lange Davy, Martin Baumann, der Indianer Wohkadeh und der Neger Bob, in einer Schlucht auf sie warten würden. Zusammen seien sie auf dem Weg nach dem Yellowstone, um den Bärenjäger Baumann, den Vater von Martin Baumann, zu befreien, der mit einigen Gefährten am Devils Head in die Hände der Ogellallah-Indianer gefallen sei, welche planten, ihn am Grab des ‚Bösen Feuers‘ zu töten. Vor einiger Zeit erst war ich mit Winnetou an diesem Grab gewesen. Ich versprach den beiden, mit Winnetou ihren Lagerplatz aufzusuchen, den sie mir eingehend beschrieben hatten. Als sie sich von mir entfernt hatten, um zu ihren Kameraden zu reiten, kam ein Trupp Schoschonen-Indianer an, die ihre Spur entdeckten und verfolgten. Kurz danach tauchte Winnetou an unserem vereinbarten Treffpunkt auf, und auch die Schoschonen kehrten mit zwei Gefangenen zurück: Hobble-Frank und dem Dicken Jemmy. Winnetou hatte den Ort entdeckt, wo die Krieger der Schoschonen ihr Lager aufgeschlagen hatten. Es war ein anderer Stamm als der, den ich mit Winnetou besucht hatte, bevor wir die Upsaroka-Squaw und ihre beiden Söhne retten konnten. Mit Winnetou ritt ich nun zur Schlucht, wo die vier anderen auf ihre beiden Kameraden warteten, die ja nun gefangen waren. Wir erzählten ihnen, was geschehen war, und noch am selben Abend brachen wir in Richtung des Schoschonen-Lagers auf, um die beiden zu befreien. Es gelang uns, einen der Wächter des Lagers unschädlich zu machen und den Häuptling ‚Tapferer Büffel‘ in seinem Zelt zu überwältigen und fortzuschaffen. Ich konnte den ‚Tapferen Büffel‘ überzeugen, dass wir keinerlei feindliche Absichten gegen seinen Stamm hegten. Wir rauchten zusammen die Pfeife des Friedens und er wollte mit seinen Kriegern mit uns ziehen, um den Bärenjäger aus den Händen der Ogellallah-Sioux zu befreien.
Donnerstag, 11. August 1864:
Wie eine lange, dünne Schlange wand sich der Zug der Schoschonen durch die Blue Grass Prairie. Unterwegs sahen wir Zeichen der Ogellallah, die jedoch Wohkadeh galten, der ihnen nachfolgen sollte. Doch Wohkadeh, der eigentlich ein Mandan-Indianer war und als Kind zu den Ogellallah gezwungen wurde, hatte ohne ihr Wissen vor einigen Tagen deren Stamm verlassen, um Martin Baumann zu sagen, dass sein Vater gefangen sei, und nun befand er sich bei uns, um uns zu helfen. Später folgten wir der Spur der Ogellallah nicht mehr, denn ich kannte einen kürzeren Weg, der uns zu dem Grab führte, das am Feuerlochfluss lag. Gegen Abend erreichten wir einen Wasserlauf, an dem wir lagerten. Als wir später am Lagerfeuer saßen und von unseren Erlebnissen sprachen, sah ich im Gebüsch Augen leuchten. Winnetou machte mit seiner Silberbüchse einen Knie- und ich mit dem Henrystutzen einen Hüftschuss in die Büsche. Dort fanden wir zwei tote Indianer, denen wir durch die Stirn geschossen hatten. Danach brachen wir sofort auf und der nächtliche Ritt begann. Die beiden Toten hatten wir auf Ersatzpferde gebunden.
Freitag, 12. August 1864:
So ging es stundenlang fort, und als der Tag endlich zu grauen begann, öffnete sich vor uns ein steiler Pass, der zwischen hohe, dunkel bewaldete Berge hineinführte. Hier hielten wir an und stiegen ab. Die beiden Leichen wurden von den Pferden genommen und auf die Erde gelegt. Wohkadeh glaubte, dass es wahrscheinlich Upsaroka-Indianer seien. Er erzählte uns eine Begebenheit, die sich erst vor einigen Tagen zugetragen hatte, als Ogellallah einige Upsarokas beim Baden überrascht und ihnen ihre Medizin und einige Kleidungsstücke abgenommen hatten. Wahrscheinlich waren sie den Ogellallah nachgeritten, um sich zu rächen und um ihre Medizin wiederzuholen. Wir bestatteten die beiden Toten. Dann fingen wir die restlichen Upsarokas ab, rauchten die Friedenspfeife mit ihnen und ich sagte ihnen, dass sie ihre Medizin zurückbekommen würden, wenn sie mit uns ritten.
Samstag, 20. August 1964:
Wir waren über den Pelican- und den Yellowstonefluss herübergekommen, wollten morgen Vormittag über den Bridge Creek und dann westlich zum Feuerlochfluss reiten. Dort arbeitete der Geiser, der von den Indianern ‚Höllenmaul‘ genannt wird, und in seiner Nähe lag das Häuptlingsgrab. Es waren noch volle drei Tage bis zum Vollmond, und ich war der Überzeugung, dass die Sioux-Ogellallah unmöglich bereits hier sein könnten.
Sonntag, 21. August 1864:
Als wir am Morgen aufbrechen wollten, fehlten fünf Freunde: Martin Baumann, Wohkadeh, Hobble-Frank, der Dicke Jemmy und der Lange Davy. Bob, der Neger, hatte mitbekommen, dass sie den Sioux-Ogellallah entgegenreiten wollten. Ich vereinbarte mit Winnetou, dass er mit den Schoschonen den Ritt fortsetzen und mich am ‚Maul der Hölle‘ erwarten solle. Mit den fünfzehn Upsarokas und mit fünfzehn Schoschonen aber wollte ich die Ausreißer suchen. Gegen Mittag fand ich an einem Basaltfelsen einen Pelzfetzen, den der Dicke Jemmy sicher als Merkmal zurückgelassen hatte. Es war ein langer Ritt, schließlich brach der Abend herein und wir mussten Halt machen.
Montag, 22. August 1864:
Die Spuren der Ogellallah waren heute noch zu lesen. So kam es, dass wir die Höhe erreichten, ohne auf ein Hindernis zu treffen. Hier hörten wir ein eigentümliches, dumpf brausendes Geräusch, das bald von einem schrillen Pfeifen unterbrochen wurde. Jetzt senkte sich das Gelände abwärts. Deshalb stiegen wir ab und gingen zu Fuß, die Tiere hinter uns herführend. Viele Meilen lang und stellenweise zwei und sogar drei Meter breit, enthält es Hunderte von Geisern und heißen Quellen. Nahe am Rande des Schlammvulkans lagerten die Ogellallah. Ganz in der Nähe gab es mehrere zentnerschwere Steine. Dort saßen die Gefangenen. Ich nahm das Fernrohr aus der Satteltasche und richtete es auf die Sioux. Wohkadeh stand bei dem Häuptling, und Martin Baumann wurde herbeigeführt. Ich hatte aufmerksam jede Bewegung der Ogellallah beobachtet und sah, wie Wohkadeh und Martin zum Schlammvulkan geschleppt wurden. Die anderen Gefangenen wurden auf ihre Pferde gehoben und festgeschnallt. Da war höchste Eile geboten. Ich schickte die Schoschonen und die Upsarokas unter den Bäumen dort hinab, wo der Wald bis an den Fluss ging, dort sollten sie übersetzen, jenseits im Galopp hinaufjagen und sich mit lautem Geheul auf die Ogellallah stürzen. Als Bob hörte, dass Martin Baumann wahrscheinlich in den siedenden Schlamm geworfen werden sollte, rannte er los. Ich ergriff meinen weittragenden Bärentöter. Da hob der Häuptling den Arm. Zweimal blitzte der Bärentöter schnell hintereinander auf und die beiden Indianer, die Wohkadeh und Martin in den Krater hinablassen sollten, stürzten tödlich getroffen zu Boden. Dort oben schien große Bestürzung zu herrschen. Von unten sah ich, wie sich Bob auch schon auf sie warf, mit der Keule um sich schlagend wie ein Herkules. Die Ogellallah schienen die heranreitenden Schoschonen und Upsarokas zu sehen und jede Besonnenheit zu verlieren, denn sie stürzten zu ihren Pferden. Die Pferde, auf denen die Gefangenen festgebunden waren, waren nicht mehr aufzuhalten. Ich sah noch, wie der Häuptling sich als Letzter auf sein Pferd schwang. Er drängte sein Pferd an Baumann heran. Ein rascher Griff und er jagte davon, flussaufwärts, Baumanns Pferd und seinen Reiter mit sich fortreißend. Ich konnte erkennen, wie Bob die Fesseln von Martin und Wohkadeh durchschnitt und dann auch die des Hobble-Frank. Frank warf sich vom Pferd, riss einem der beiden von mir erschossenen Sioux den Tomahawk aus dem Gürtel und jagte davon, dem feindlichen Häuptling nach. Ich ritt dem Sioux-Häuptling und unseren Männern hinterher. Frank hatte sich hinter dem Häuptling aufs Pferd geschwungen, doch dann ging dieses mit beiden Reitern in den Fluss.
Der Ogellallah verschwand und Frank mit ihm. Es fand ein erbittertes Ringen unter Wasser statt. Als Frank an der Oberfläche erschien, hatte er den besiegten Feind bei den Haaren gefasst und kam langsam ans Ufer geschwommen. Winnetou hatte mit den Schoschonen und den Upsarokas die Ogellallah in der Schlucht eingeschlossen, wo sich die Gräber der von mir vor drei Jahren getöteten Sioux befanden. Nun begaben wir uns alle dorthin. Durch eine plötzlich eintretende Erderuption gab es einiges Durcheinander, wobei dem Sioux-Häuptling die Flucht gelang. Martin Baumann eilte ihm hinterher und holte ihn bei einem stufenartigen Felsvorsprung ein. Wir sahen die beiden auf Tod und Leben miteinander ringen. In einer Kampfpause verlor der Rote das Gleichgewicht, griff mit beiden Händen in die Luft, glitt aus, stürzte von dem Felsen herab und in das unten gähnende Schlammloch hinein, dessen grauenvoller Rachen ihn sofort verschlang. Das hatten alle gesehen, die sich im Talkessel befanden. Wir mussten mit den Ogellallah verhandeln, denn ihren Tod wollten wir nicht. Das war ein kühner Gang, doch bald kehrten ich und Winnetou zurück, an der Spitze der Ogellallah, die in einer langen Einzelreihe folgten. Die Weißen, die Schoschonen und die Upsarokas kamen überein, mit den Sioux Frieden zu schließen. Alle geraubten Medizinen wurden den Upsarokas zurückgegeben. Nun wurden die beiden von mir erschossenen Sioux herbeigeholt und in der Nähe des Häuptlings begraben. Der Tag wurde mit ernsten Leichenfeierlichkeiten verbracht, und dann verließ man das ungesunde Tal, um den Wald aufzusuchen, wo man sich von den Anstrengungen der letzten Zeit erholen wollte. Als am Abend die Lagerfeuer brannten, saßen Freunde und Feinde versöhnt beieinander, um sich befriedigt über die jüngsten Abenteuer zu unterhalten.
Dienstag, 23. August 1864:
Am Tag darauf trennten wir uns: Die drei Indianerstämme, die Upsarokas, die Schoschonen und die Sioux-Ogellallah, kehrten zu ihren Dörfern zurück. Auch Winnetou verließ uns, um zu seinen Mescalero-Apatschen heimzukehren, die westlich des Llano Estacado an einem Nebenarm des Rio Pecos ihre Pueblos hatten; und wir verabredeten, uns dort am Rande des Llano Estacado wiederzutreffen. Die Reisegruppe, der sich der Bärenjäger Baumann angeschlossen hatte, zog weiter. Wir anderen, Hobble-Frank, Bob, der Dicke Jemmy, der Lange Davy, Wohkadeh und ich, ritten mit Vater und Sohn Baumann zu deren Farm, wo wir einige Zeit bleiben wollten.
Samstag, 10. September 1864:
Heute zog es Jemmy, Davy und mich weiter. Bob wollte nicht länger bleiben, denn er war noch immer auf der Suche nach seiner Mutter und wollte sich uns anschließen. Auch Hobble-Frank ritt mit uns. Nur Wohkadeh, der eine innige Freundschaft mit Martin Baumann geschlossen hat, blieb dort zurück.
Mittwoch, 28. September 1864:6
Unser Weg führte in südliche Richtung. Als wir einige Tagesritte vom Llano Estacado entfernt waren, trennte ich mich von den vieren: zuerst von Frank und Bob und einen Tag später von Jemmy und Davy, die noch an den Washita River wollten. In knapp einer Woche planten wir uns am Rande des Llano Estacado in Helmers’ Home wiederzutreffen. Ich ritt nach Fort Sill, um meinen Munitionsvorrat zu ergänzen, der langsam zur Neige ging. Ich war vor drei Jahren schon einmal in Fort Sill gewesen, als Colonel Olmers noch dort kommandierte. Kurz bevor ich im Fort ankam, war auch sein Nachfolger, Colonel Blaine, abberufen und durch Major Owens ersetzt worden.
Dienstag, 4. Oktober 1864:
Ich hatte mich nicht lange im Fort Sill aufgehalten. Nachdem ich meinen Munitionsvorrat ergänzt und mich auch noch mit einigen anderen Kleinigkeiten versehen hatte, setzte ich meinen Ritt in Richtung Helmers’ Home fort, das ich heute noch zu erreichen gedachte. Es war um die Mittagszeit, als ich dort ankam. Hobble-Frank saß mit zwei Männern, es waren der Wirt John Helmers und der Juggle Fred, der auf eine Reisegruppe wartete, vor dem Haus auf der Bank und sie begrüßten mich herzlich. Indessen kam freudestrahlend der Neger Bob herbei. Nun saßen wir beisammen, um die Ereignisse des gestrigen Tages zu besprechen. Besonders vom Schuss in die Stirn eines Verbrechers durch den geheimnisvollen Bloody-Fox, den Hobble-Frank auf höchstens fünfzehn oder sechzehn Jahre schätzte, wurde mir ausführlich erzählt. Und weiter, dass ein angeblicher Mormonenmissionar, der sich Tobias Preisegott Burton nannte und dem niemand traute, plötzlich verschwunden wäre. Da gesellte sich ein angeblicher Kavallerie-Offizier der US-Streitkräfte zu uns, der vor mir angekommen war und sich bis jetzt auf seinem Zimmer befunden hatte. Er kam mir bekannt vor und ich erinnerte mich, dass er Stewart hieß und in Las Animas wegen eines Überfalls auf einen Bahnzug in Untersuchungshaft gewesen war. Deshalb glaubte ich ihm auch nicht, dass er Kavallerie-Offizier sei, dessen ‚Truppen‘ bei Fort Sill stünden und die dieser Tage hier eintreffen würden. Ich bezeichnete ihn als einen Lügner. Da verschwand er in seinem Zimmer und wir unterhielten uns noch kurze Zeit über diesen Vorfall und kamen dann wieder auf den Llano Estacado zu sprechen, wohin ich wahrscheinlich am nächsten Tag aufbrechen wollte. Von Bob erfuhren wir einige Zeit später, dass sich der angebliche Offizier aus dem Staub gemacht hatte. Ich hielt ihn für einen der ‚Llanogeier‘, die Reisegruppen in dieser Wüste überfielen, ausraubten und ermordeten. Deshalb musste ich unbedingt wissen, wohin er geritten war. Frank und Fred begleiteten mich und wir folgten der Spur des Verdächtigen. Wir kamen in eine Gegend, deren Vegetation immer dünner wurde, und trafen dort auf den Dicken Jemmy und den Langen Davy mit einem jungen Indianer. Es war Eisenherz, der Sohn meines Freundes Tevua-schohe (Feuersturm), des Häuptlings der Komantschen, mit dem ich die Pfeife des Friedens geraucht hatte. ‚Llanogeier‘ hatten ihn gestern ermordet, und die drei waren jetzt hinter den Mördern her. Wir beschlossen, die Verbrecher zu jagen, zumal sie nicht nur eine Auswanderergruppe überfallen wollten, sondern auch den Trupp, den Juggle-Fred durch den Llano führen sollte und der sich stattdessen den Auswanderern angeschlossen hatte. Ich wollte zurückreiten, um Bob zu holen und für Lebensmittel und auch für einen kleinen Wasservorrat zu sorgen. Kaum war ich in Helmers’ Home angelangt, brach ein Tornado herein. John Helmer versorgte mich mit dem nötigen Vorrat, und als der Tornado weggezogen und hart an Helmers’ Home vorübergegangen war, brach ich mit Bob auf.
Mittwoch, 5. Oktober 1864:
Mitternacht war schon einige Zeit vorüber, als ich wieder bei den fünfen eintraf. Der Tornado hatte sie Gott sei Dank verschont. Sie erzählten mir, dass ein Schattenbild am Himmel erschienen sei, in dem sie den Geist des Llano Estacado zu sehen glaubten. Kurz bevor ich ankam, bildete eine fremdartige Lichterscheinung einen gewaltigen Halbkreis am südlichen Himmel. Da, wo der Bogen dieses Halbkreises links auf dem Himmelsrand lag, tauchte jetzt plötzlich die Gestalt eines riesigen Reiters auf. Das Pferd war schwarz, der Reiter weiß. Er hatte die Gestalt eines Büffels. Man sah ganz deutlich den Kopf mit den beiden Hörnern, den Nacken mit der struppigen, halblangen Mähne, die hinterherflatterte. Die Gestalt verschwand so plötzlich, wie sie erschienen war, und der Lichtschein verblasste wieder. Als ich mich noch mit meinen Kameraden unterhielt, wurde er plötzlich wieder heller und lief wie an einer Funken sprühenden Lunte immer weiter nach Westen. Ganz links, da, wo das Bild begann, kam ein Reiter aus dem Dunkel hervor, derselbe von vorhin, mit einem Büffelfell bekleidet, aber in verkehrter Stellung, mit dem Kopf nach unten. Da ließ sich ein zweiter Reiter sehen, der dem ersten nachjagte. Hinter der letzterwähnten Gestalt folgten jetzt noch fünf oder sechs Reiter. Gewiss war der vorderste Reiter der sogenannte Geist des Llano Estacado, der von den anderen verfolgt wurde. Wir mussten ihm zu Hilfe kommen, weshalb wir den Gestalten entgegenritten. Nach etwa zwanzig Minuten sahen wir mehrere dunkle Punkte auf uns zukommen, die sich gegen den feurigen Hintergrund abzeichneten. Wir stiegen von den Pferden und duckten uns in einer Sandmulde. Der erste Reiter trug den Schädel eines weißen Büffels auf dem Kopf, von wo das zottige Fell weit über die Kruppe des Pferdes herunterhing. Sein Gesicht steckte so tief im Schädel, dass es nicht zu erkennen war. Ich rief ihm zu, dass ich Old Shatterhand sei und ihn beschützen wolle. Er bedankte sich, ritt aber weiter. Als die zweite Gestalt herankam, holte ich sie mit dem Lasso aus dem Sattel. Die anderen ‚Llanogeier‘ wurden von meinen Kameraden durch Schüsse auseinandergetrieben. Es war Stewart, der ‚Kavallerie-Offizier‘, den ich gefangen hatte, und Eisenherz erkannte in ihm den Mann, der seinem Vater in den Leib geschossen hatte, woran der Häuptling gestorben war. Eisenherz wollte mit ihm kämpfen, wobei beide nur mit einem Messer bewaffnet auf ihren Pferden davonritten. Nach einiger Zeit kam Eisenherz zurück, das Pferd seines Feindes am Zügel führend. An seinem Gürtel hing ein frischer Skalp. Danach richteten wir uns für ein kurzes Nachtlager ein.
Freitag, 7. Oktober 1864:
Wir waren seit zwei Tagen nach Süden durch den Llano Estacado unterwegs. Wir folgten einer tief in den weichen Sand getretenen Fährte, und zwar der Spur der Wüstengeier, die vor der Karawane herritten, um die Pfähle auszureißen und in falscher Richtung wieder in den Sand zu stecken. Da tauchte vor uns ein Reiter auf, ein einzelner Mann. Es war Bloody-Fox, ein kaum dem Knabenalter entwachsener Jüngling. Er bat uns um schnelle Hilfe für einen Zug von Auswanderern, meist Deutschen, die höchstwahrscheinlich noch heute Nacht von den ‚Geiern‘ überfallen werden sollten. Während wir weiter ritten, erzählte er uns, dass er auf über dreißig ‚Geier‘ gestoßen sei, wovon er zwei erschossen habe. Er gestand mir, dass er der ‚Avenging-ghost‘, der ‚Geist des Llano Estacado‘ sei und uns später mit in sein ‚Geisternest‘ nehmen wolle, das er bisher immer geheim gehalten habe. Eben als die Sonne unterging, erreichten wir die Wagenfährte, der wir nun gerade nach Süden folgten. Als wir ungefähr eine Stunde geritten waren, erblickten wir im Mondlicht eine Wagenburg. Man hatte die Wagen so zusammengeschoben, dass kein Reiter hindurchkonnte. Ein Mann kam herbei und lehnte sich über die Deichsel. Es war Tobias Preisegott Burton, der angebliche Mormonenmissionar. Er floh aus der Wagenburg und wir ließen ihn reiten, denn eine Verfolgung in der Nacht war fast aussichtslos. Der Anführer der Auswanderer, die alle Deutsche waren, erzählte uns, dass sie wahrscheinlich von ihrem Führer, jenem angeblichen Mormonen, in die Irre geleitet worden seien und kein Wasser mehr für sich und die Zugochsen gehabt hätten, weil ihre Wasserfässer angebohrt wurden. Nach kurzer Zeit stand ein Reitertrupp vor der Wagenburg. Zu meinem Erstaunen war es Winnetou mit Vater und Sohn Baumann, die ihn auf seine Einladung hin bei den Mescaleros besucht hatten, sowie vier fremde Männer und zwanzig Komantschen. Die Wagenburg wurde erweitert, und die Komantschen verteilten ihr Fleisch und auch das Wasser, das sie mit sich führten, unter die Auswanderer. Winnetou erzählte mir, dass er, als er mit den beiden Baumanns durch den Llano Estacado geritten war, vier Westmänner und zwei Mexikaner getroffen hatte und die Komantschen zu ihnen gestoßen seien. Die beiden Mexikaner waren geflohen, als sie von den Komantschen als ‚Llanogeier‘ enttarnt wurden. Daraufhin ritt man ihnen nach und stieß dabei auf das Lager der ‚Geier‘, in dem sich aber niemand mehr befand, doch man war deren Spuren gefolgt und hatte nach Einbruch des Abends den Platz, wo die Wüstengeier lagerten, entdeckt. Sie machten einen Bogen um das Lager der ‚Geier‘ und folgten im spärlichen Mondlicht Burtons Spur zurück, bis sie an die Wagenburg kamen. Wir beschlossen, dass Bloody-Fox sofort mit zehn Komantschen zu seinem ‚Geisternest‘ aufbrechen sollte, um die ‚Geier‘, die wir dort hintreiben wollten, in Empfang zu nehmen. Dann herrschte tiefe Ruhe rundumher.
Samstag, 8. Oktober 1964:
So verging die Nacht. Langsam wurde es heller, und nun sahen wir die Pfahlmänner zu Pferd im Galopp herankommen. Über dreißig Schüsse krachten. Die Schar der Angreifer bildete augenblicklich einen wirren Haufen. Tote und Verwundete stürzten von den Pferden. Die herrenlos gewordenen Tiere rannten weiter. Die anderen wurden von ihren Reitern zurückgerissen und jagten fliehend nach Süden. Ihrer waren freilich kaum noch über zehn. Ein Teil der Verfolger, mit Winnetou an der Spitze, ritt ostwärts, um dann nach Süden einzulenken und den Fliehenden den Weg dorthin zu verlegen, damit sie gezwungen seien, zwischen den beiden Kaktusfeldern einzubiegen. Ich eilte mit den anderen im Trab nach Süden, hinter den Wüstenräubern her. Nur Davy und Jemmy ritten eilig nach Südwesten, wo sie eine Kaktusfläche in Brand stecken sollten. Jahrelang hatten die papierdürren Kaktusreste dagelegen. Das gab einen Stoff wie Zunder. Die aufsteigende Hitze erzeugte einen Luftstrom, der immer stärker wurde und sich gar zum Wind erhob. Die Luft war glühend heiß; der Sand schien zu brennen. Droben begannen Blitze durch die Wolken zu zucken. Einzelne Tropfen fielen, dann mehr und immer mehr. Und jetzt regnete es wirklich, stärker, immer stärker, bis es schließlich goss wie bei einem tropischen Gewitter. Ich war überzeugt, dass die Auswanderer alle verfügbaren Gefäße herbeiholten, um sie sich füllen zu lassen, und die fast verschmachteten Ochsen wieder Leben bekamen. Von den gejagten ‚Geiern‘ waren nur noch drei übrig, von denen zwei an Eisenherz vorübermussten. Er erkannte sie, die bei der Ermordung seines Vaters beteiligt gewesen waren. Zwei Schüsse, und sie stürzten von den Pferden. Indessen jagte Bloody-Fox den Anführer Burton vor sich her bis vor die Hütte. Dort brach das Pferd des Räubers zusammen und Burton flog aus dem Sattel. Seine Augen blickten starr und gläsern, er hatte sich den Hals gebrochen. Bloody-Fox aber hatte in dem Toten den Mörder seiner Eltern erkannt. Jetzt kamen auch wir herbeigestürmt, während Fox sein Pferd bestieg und zurückritt, um sein zuvor verlorenes Büffelfell aufzunehmen und es wieder über Kopf und Schulter zu hängen. Alle, außer mir, waren ungemein erstaunt, als sie Bloody-Fox nunmehr in dem weißen Fell erblickten und in ihm den sagenhaften Geist des Llano erkannten. Auch Bob war mit in das ‚Geisternest‘ gekommen. Da kam eine Schwarze auf ihn zu, die ‚Haushälterin‘ von Bloody-Fox, und sprach mit ihm. Dann fielen sich beide in die Arme, denn es stellte sich heraus, dass Bob ihr Sohn war, der als Sklavenkind von Tennessee nach Kentucky verkauft worden war. Hier hatte er endlich seine Mutter Sanna wiedergefunden, die er immer gesucht hatte. Die Geier waren besiegt, und die Auswanderer wurden herbeigeholt. Bloody-Fox war der Held des Tages. Er musste seinen seltsamen Lebenslauf ausführlich erzählen, und er sprach den festen Entschluss aus, für immer hierzubleiben, um den Llano von den ‚Geiern‘ rein zu halten. Sanna und Bob erklärten, ihn nicht verlassen zu wollen.
Sonntag, 16. Oktober 1864:
Die Komantschen und die vier anderen Männer brachen schon nach zwei Tagen auf. Wir anderen aber blieben gut eine Woche als Gast bei Bloody-Fox. Hobble-Frank wollte mit den beiden Baumanns wieder zum Haus des ‚Bärenjägers‘; der Dicke Jemmy und der Lange Davy hatten andere Pläne. Die Auswanderer wollten nach Arizona hinüber. Winnetou und ich würden sie bis an den Rio Pecos begleiten,7 dann wollten wir nochmals hinauf zu den Schoschonen, die uns im Sommer zur Herbstbüffeljagd eingeladen hatten. Als wir uns von Bloody-Fox verabschiedeten, mussten wir ihm versprechen, ihn unbedingt zu besuchen, falls wir wieder in den Llano Estacado kämen.
Dienstag, 29. November 1864:
Bei den Schoschonen waren wir auch mit Amos Sannel, einem alten biederen Pelzjäger zusammen gewesen, der ein ganz seltenes Gewehr aus der Werkstatt von ‚Ralling, Shelbyville, Tenn.‘ besaß. Er hatte in die beiden Backen des Schlosses Blumen ätzen lassen, deren Staubfäden rechts am Lauf ein A und links ein S bildeten.8
Dienstag, 31. Januar 1865:9
Danach war ich mit Winnetou über das Gebirge und trotz der späten Jahreszeit quer durch ganz Wyoming bis nach Fort Niobrara in Nebraska geritten, wo uns der Winter überraschte. In Fort Niobrara wurden wir leider vollständig eingeschneit, und wir sahen uns gezwungen, den ganzen Dezember und Januar in dieser Einsamkeit zu bleiben. Es gab nur zwei Personen, mit denen wir uns zuweilen unterhielten. Das waren die Brüder Burning aus Moberly in Missouri, die in den Black Hills glücklich nach Gold gegraben hatten und sich jetzt mit dem Ertrag ihrer schweren Arbeit auf dem Heimweg befanden. Außerdem hatte sich noch allerhand Volk im Fort zusammengefunden, lauter zweifelhafte Existenzen, mit denen die Burnings nicht verkehrten. Am rohesten betrugen sich zwei Kerls, die Grinder und Slack hießen. Das ständige Wort Grinders war „Ich will gleich erblinden“, während sein Kumpan die Lästerung „Gott soll mich wahnsinnig machen“ im Munde führte. Zu erwähnen sind noch zwei Indianer, die der Schneesturm nach dem Fort getrieben hatte. Sie behaupteten, dem Stamm der Caddo ananzugehören, waren aber wahrscheinlich Ausgestoßene, die nicht einmal Waffen hatten, denn sie waren von den Sioux ausgeraubt worden. Sie wollten nach Kansas hinunter und schnitzten sich Pfeile und Bogen, um nicht unterwegs hungern zu müssen.
Dienstag, 7. Februar 1865:
Anfang Februar trat plötzlich milde Witterung mit Tauwetter und dann Regen ein. Der Schnee verschwand, und wir konnten nun daran denken, unseren Ritt fortzusetzen. Zuerst brachen die beiden Indianer auf, zu Fuß natürlich. Zwei Tage später ritten die Brüder Burning fort, denen am nächsten Tag Grinder und Slack folgten.
Mittwoch, 8. Februar 1865:
Als erfahrene Westmänner warteten wir noch einen Tag, um zu erfahren, ob die milde Witterung beständig sei; dann brachen auch wir auf. In dem weichen Boden sahen wir ganz deutlich die Spuren derer, die Fort Niobrara vor uns verlassen hatten. Sie alle schienen ohne Ausnahme, so wie auch wir, nach Fort Hillock zu wollen.
Sonntag, 12. Februar 1865:
Die Spuren hielten sich beisammen, und wir folgten ihnen über den Loup-Fork hinüber. Von da aus konnte man Fort Hillock nach einem kurzen Tagesritt erreichen. Da es aber jetzt schon über Mittag war, konnten wir nicht vor morgen Vormittag dort eintreffen. Diese Nacht verbrachten wir am Gebüsch eines kleinen Nebenflüsschens des Loup-Fork.
Montag, 13. Februar 1865:
Sobald es im Osten nur einigermaßen zu grauen begann, saßen wir auf und ritten weiter. Wir ritten einem Buschwerk zu, um dessen Ecke die Spuren bogen. Da lagen die Burnings bei der Asche eines ausgegangenen Feuers in einer großen Blutlache. Wir durften uns nicht bei den Leichen aufhalten, sondern wir mussten den Mördern folgen, die ihren Opfern Gold und Gewehre abgenommen hatten und dann mit den zwei erbeuteten Pferden fortgeritten waren. Es konnten nur Grinder und Slack gewesen sein, die diese Bluttat vollbracht hatten. Ihre Fährte führte genau in Richtung auf Fort Hillock zu. Nach vielleicht einer halben Stunde sahen wir, dass die Reiter angehalten hatten. Von dieser Stelle an teilte sich die eine vierpferdige Spur in zwei zweipferdige Fährten. Die Mörder hatten die armen Roten hier eingeholt und ihnen die Pferde geschenkt, um den Verdacht von sich ab und auf sie zu lenken. Darum hatten sie ihre Opfer auch nicht erschossen, sondern erstochen, weil die Caddo-Indianer keine Gewehre, sondern nur Pfeile, Bogen und Messer besaßen. Während wir hierauf weiterjagten, sahen wir am Horizont vor uns eine Reiterschar auftauchen, die uns entgegenkam. Es waren Kavalleristen, die in ihrer Mitte die beiden Caddo-Indianer gefesselt mit sich führten. Ich erläuterte dem kommandierenden Offizier die Situation und erklärte die beiden Indianer für unschuldig. Er schien mir zu glauben, denn er wählte sechs Mann aus, die mit den mitgebrachten Spaten zum Ausheben von Gräbern weiterreiten mussten; dann nahm er uns mit den beiden Gefesselten in die Mitte, um nach dem Fort zurückzukehren. Der Kommandant des Forts erkannte mich sofort, doch ich bat ihn, meinen Namen der Sioux wegen nicht zu nennen. Er hatte mich gesehen, als ich 1861 vor meiner Rückkehr nach St. Louis bei Mutter Thick in Jefferson City eingekehrt war. Als wir mit dem Kommandanten allein waren, erzählte ich ihm ausführlich, was wir den Mord an den beiden Goldgräbern betreffend festgestellt hatten. Als Grinder und Slack eintrafen, wurden sie von den Soldaten in Gewahrsam genommen. Später wurden die Mitglieder des Gerichthofes zusammengerufen, der aus den Offizieren und drei Unteroffizieren bestand. Winnetou und ich hatten als Zeugen beizuwohnen und auch die Caddo-Indianer mussten erscheinen. Es gelang nicht, die Verbrecher zum Eingeständnis ihrer Tat zu bringen. Deshalb wurde vereinbart, dass sie sich mit Winnetou und mir auf einen Messerzweikampf in einem dunkeln Schuppen einlassen würden. Da wurde es ganz plötzlich außerordentlich kalt, so kalt, dass es durch Mark und Bein zu gehen schien, und kurz darauf begann ein hohles, dumpfes Brausen pausenlos über das Dach zu gehen. Es war ein Blizzard, wie der furchtbare Schneesturm im Westen des Mississippi heißt. Der Boden zitterte unter uns; der Schuppen prasselte; er neigte sich nach rechts, nach links, worauf der hintere Teil krachend zusammenbrach. Und jetzt trat die Ruhe ebenso plötzlich ein, wie der Sturm plötzlich gekommen war. Unter den Trümmern der eingestürzten Schuppenhälfte arbeitete sich eine Gestalt hervor, die mit lautem Gebrüll von dannen lief; es war Slack. Grinder lag zwischen zerbrochenen Brettern unter einem Balken, der ihm fast die Brust eindrückte. Ein Brett war mit der scharfen Kante quer über sein Gesicht gefallen und hatte ihm beide Augen ausgeschlagen. Wir suchten nach dem verschwundenen Slack und fanden ihn wahnsinnig an der Plankenumzäunung. Grinder blind und Slack wahnsinnig. Ganz so, wie sie es in ihrem Unglauben und ihrer Frechheit von Gott gefordert hatten!
Dienstag, 14. Februar 1865:
Sonderbarerweise trat nach dem schlimmen Tag wieder mildes Wetter ein, das uns die Fortsetzung unseres Ritts erlaubte. Grinder und Slack blieben als Schwerverletzte auf dem Fort zurück. Der Kommandant versprach uns, den Angehörigen der ermordeten Brüder Burning die acht Beutel Gold mit dem vollen Inhalt zuzustellen.
Montag, 20. Februar 1865:
Die beiden Caddo-Indianer konnten uns begleiten. Wir brachten sie an den vereinigten Platte-Fluss, wo sie von uns schieden, uns ihrer immerwährenden Dankbarkeit dafür versichernd, dass wir sie vom unverdienten Tod des Erhängens gerettet hatten. Mit Winnetou ritt ich weiter, denn wir wollten hinunter zu den Mescalero-Apatschen an den Rio Pecos.
April 1865:
Unser Ritt nach Süden zu den Mescaleros führte uns durch den Llano Estacado, wo wir zuerst in Helmer’s Home Station machten und dann mehrere Tage in der Wüsten-Oase bei Bloody-Fox blieben. Bob und seiner Mutter ging es prächtig und beide waren glücklich, sich gefunden zu haben. Beim Abschied mussten wir versprechen, immer wieder zur Oase zu kommen, wenn wir durch den Llano kämen. Ohne Zwischenfälle erreichten wir das Pueblo am Rio Pecos, wo ich noch einige Zeit bleiben wollte, bevor ich in meine Heimat aufbrach.
Mittwoch, 24. Mai 1865:
Heute am späten Nachmittag bin ich in Galveston angekommen. Der Bürgerkrieg ist zu Ende und die Verhältnisse im ehemaligen konföderierten Staat Texas beginnen sich zu normalisieren. Ursprünglich wollte ich nach New Orleans, weil ich hoffte, von dort aus am ehesten ein Schiff nach Europa zu finden. Doch der Weg hatte mich hinunter an den texanischen Teil des Golfs von Mexiko geführt und so versuchte ich erst einmal hier mein Glück. Mein Pferd hatte ich auf dem Festland in einem Mietsstall untergebracht. Es war nicht mein treuer Hatatitla, sondern ein Falbe, den ich von den Mescaleros mitgebracht hatte. Ich schlenderte auf den Hafen der Stadt zu, von der ich wusste, dass der Seeräuber Lafitte hier ehemals eine Niederlassung hatte, die aber 1821 von Lieutenant Kearny zerstört worden war. Die heutige Stadt Galveston wurde 1837 gegründet und ich schätze sie jetzt auf mehr als zehntausend Einwohner. Sie liegt auf der lang gestreckten Küsteninsel am Eingang in die Bay von Galveston und war bis zum Beginn des Bürgerkrieges die wichtigste Seestadt von Texas. Im Hafen sah ich neben den US-Kriegsschiffen eine flotte Bark am Kai liegen. Mich interessierte dieses Segelschiff, das bestimmt nicht für alle Ewigkeit hier liegen würde, und deshalb begab ich mich dorthin. Als ich über das Fallreep zum Schiff wollte, wurde ich von einem Maat angesprochen. Ich fragte höflich, was das für ein Schiff wäre, worauf er sagte, dass dies ein nordamerikanischer Frachtensegler sei, der dem Kapitän Frick Turnerstick gehöre. Als ich wissen wollte, ob dieser an Bord sei, erhielt ich zur Antwort, er befinde sich bei der militärischen Hafenverwaltung, um eine Auslaufgenehmigung zu erhalten. Das war Musik in meinen Ohren. Ich machte mich auf und traf den Kapitän tatsächlich beim Hafenkommandanten, zu dem ich hingeführt worden war. Natürlich musste ich mich vorher ausweisen und meinen Wunsch vortragen. Ich erfuhr, dass Turnerstick in einer guten Stunde den Hafen verlassen wollte, bevor es zu dunkel wurde. Selbstverständlich würde er mich mitnehmen, wenn ich mich innerhalb dieser Frist auf seinem Schiff einfände. Ich eilte deshalb zurück zum Mietstall, um meinen Lasso und die Sachen zu holen, die ich in meiner Satteltasche untergebracht hatte. Den Falben samt Sattel konnte ich gegen ‚Greenback‘-Dollars, wie man das US-Papiergeld nannte, verkaufen. Kaum war ich an Bord, so wurden auch schon die Anker gelichtet. Da ich der Besatzung im Weg war, durfte ich mir das Auslaufmanöver nicht mit ansehen und musste in meiner Kajüte verschwinden. Für mich war jedenfalls die Hauptsache, dass ich mich auf dem Weg in die Heimat befand.