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6. ERSTE SÜDAMERIKA-REISE (1865)

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Donnerstag, 25. Mai 1865:1

Als ich heute Morgen meine Kajüte verließ, glitt unser Schiff bei strahlendem Sonnenschein durch den Golf von Mexiko. Die Ernüchterung kam etwas später beim Frühstück mit Kapitän Frick Turnerstick: Als ich ihn fragte, welchen Hafen wir in Nordamerika anlaufen würden, antwortete er mir lachend, dass er eben erst New York verlassen hätte, einen kleinen Umweg nach Galveston gemacht habe, um einen Teil seiner Fracht abzuladen und neue aufzunehmen, und wir uns jetzt auf der Fahrt nach Buenos Aires in den La-Plata-Staaten befänden. Mir blieb das Frühstück fast im Halse stecken. Wir hatten gestern Abend beide versäumt, uns gegenseitig zu informieren, wohin wir eigentlich wollten. Nach dem ersten Schock fand ich mich damit ab, dieses Schicksal nicht mehr wenden zu können.

Freitag, 16. Juni 1865:

Kapitän Frick Turnerstick, ein echter friesischer Seebär, hatte lange Jahre im Dienst eines New Yorker Reeders gestanden und deshalb seinen allerdings seltsamen deutschen Namen Drechslerstock in das englische Turnerstick verwandelt. Er hatte sich gar manche amerikanische Gewohnheit angeeignet, war aber im Grunde dennoch ein Deutscher vom reinsten Wasser geblieben. Inzwischen hatte er sich selbständig gemacht und war sein eigener Reeder. Er war in allen Meeren bekannt als ein tüchtiger, kühner, gewandter und erfahrener Schiffsführer, der außerdem die höchst lobenswerte Eigenschaft besaß, dass er sich stets bemühte, seinen Untergebenen mehr ein freundlich besorgter Vater als ein strenger Vorgesetzter zu sein. Darum hatte er stets nur zuverlässige und tüchtige Mannen an Bord, die ihn liebten und achteten.2 – Das alles erfuhr ich im Laufe unserer Fahrt durch die Karibik und in den südlichen Atlantik. Und ich kann sagen, dass wir beide ganz gute Freunde wurden. Turnersticks Bark, die den trefflichen Namen ‚The Wind‘ trug, flog bei kräftiger Brise nur so über das Wasser. Selbst bei Seiten- oder Gegenwind verstand es die Mannschaft, das Schiff auf gutem Kurs zu halten. – Als wir am Kap Polonio vorbei und an Montevideo vorüber in die meerbusenartige Mündung des Rio de la Plata kamen, strich uns von dort ein warmer Spätherbstwind entgegen. Noch im Laufe dieses Tages warfen wir an der Boca de Riachuelo y Ensenada unseren Anker, denn Buenos Aires hat keinen eigentlichen Hafen, sondern nur eine Reede, die überdies häufigen Windstößen ausgesetzt ist. Turnerstick und ich gingen zur Hafenbehörde; er um sein Schiff anzumelden, damit er einen Teil seiner Ladung löschen konnte, und ich, um mich als Durchgangsreisender auszuweisen.

Sonntag, 18. Juni 1865:

Turnerstick bestand darauf, dass ich mir kein neues Quartier suche, sondern die Zeit, bis ich ein Schiff nach Europa fände, auf seiner Bark bliebe. Natürlich nahm ich sein Angebot dankend an.

Buenos Aires war Hauptstadt der Provinz gleichen Namens, die zur Argentinischen Konföderation gehörte, und lag am rechten Ufer des hier über 75 Kilometer breiten, aber seichten La-Plata-Flusses. Die Stadt war recht hübsch gebaut, in regelmäßige Vierecke eingeteilt, hatte breite, sich rechtwinklig schneidende Straßen mit einstöckigen Häusern und wurde durch eine Zitadelle und mehrere Forts verteidigt. Sie war 1535 von Pedro de Mendoza gegründet, doch schon 1539 von Indios zerstört und dann 1580 neu aufgebaut worden. Ab 1630 war sie Bischofssitz, von 1776 bis 1816 Hauptstadt des Vizekönigreichs La Plata, dann der Vereinigten Staaten des Rio de la Plata und seit 1862 die der Argentinischen Konföderation.

Ich hatte mich laufend erkundigt, wann ein Schiff nach Europa in See stechen würde, doch es bestand vorerst keine Aussicht. Turnerstick hatte inzwischen einen Teil seiner Ladung gelöscht und eine kleinere aufgenommen, die für Kapstadt in Südafrika bestimmt war. Seine Restladung musste er um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien bringen. Er fragte mich, ob ich mit ihm fahren wolle, doch ich lehnte ab, da es mich nach Hause zog.

Mittwoch, 21. Juni 1865:

Am Sonntagabend verließ ich die mir inzwischen so vertraute Bark und bezog ein Quartier in der Nähe der Reede. Der Abschied von dem lieben Frick Turnerstick, den ich ins Herz geschlossen hatte, und seiner Mannschaft fiel mir nicht leicht, aber irgendwann musste es ja so weit sein. Als ich am Montagmorgen zur Boca de Riachuelo y Ensenada blickte, war der Platz leer, an dem ‚The Wind‘ geankert hatte. Irgendwie fühlte ich mich jetzt ein bisschen einsam. Meine tägliche Nachfrage nach einem Schiff gen Europa schien vergebens zu sein, obwohl laufend welche hier ein- und ausliefen, doch ihre Ziele lagen alle woanders. In der letzten Nacht, als ich einmal wach wurde und nicht gleich wieder einschlafen konnte, kam mir der Gedanke: Warum eigentlich nach Hause fahren, wo ich doch schon einmal hier in Südamerika war? Ich könnte ja quer durch den Kontinent reisen, die Pampa und die Kordilleren kennenlernen, um dann von Chile aus die Heimat zu erreichen. Im Grunde brauchte ich nur ein gutes Pferd und eine einigermaßen brauchbare Landkarte.

Montag, 25. September 1865:

Es war schon Frühjahr auf dieser südlichen Erdhalbkugel, als ich endlich die Hafenstadt Valparaiso in Chile erreichte. Über dreizehn anstrengende Wochen lagen hinter mir. Am 27. Juni war ich in Buenos Aires aufgebrochen. Es war schon gegen Ende des südamerikanischen Herbstes und ein gewagtes Unterfangen, in den bevorstehenden Winter hineinzureiten, zumal mir das Land vollkommen fremd war. Ein robustes, ausdauerndes Pferd brachte mich hinaus in das weite Hinterland der Hauptstadt, in die Pampa, was in der Indiosprache ungefähr mit ‚baumlose Ebene‘ zu übersetzen ist. Es ist ein fruchtbares Land, meist Weiden, auf denen es riesige Viehherden, Rinder, Pferde und Schafe, gibt. Ich sah oft Gauchos, berittene Hirten, die große Herden durch die Weidegebiete trieben. Sie gehörten meistens zu einer ‚Estanzia‘, einem Herrensitz der Großgrundbesitzer. Die wenigen Kleinstädte, durch die ich kam, zeigten in ihrer Anlage oft ein Viereckmuster mit einer baumumsäumten ‚Plaza‘, mit Kirchen und Verwaltungsgebäuden. Nahe dem Rio Salado wurde die Gegend hügeliger und die ersten Ausläufer der Kordilleren tauchten schon mit weißen Spitzen im Norden auf. Bei Mendoza begannen die sogenannten Trocken-Anden, ein Gebiet, das ursprünglich von Chile her erschlossen worden war und erst 1776 zum Vizekönigreich La Plata kam. Beim Übergang über die Kordilleren war man in der Nähe der höchsten Gipfel, die teilweise bis an die siebentausend Meter reichten. Es war ein anstrengender Ritt mitten im Winter, doch glücklicherweise mussten keine hohen Pässe überwunden werden, denn die Anden sind so von Tälern durchzogen, dass manche Flüsse, die nach Osten fließen, im Westteil des Gebirges entspringen und umgekehrt. Im Großen und Ganzen war es doch eine recht strapaziöse Reise für mich. Ich war zwar ermüdet, aber innerlich sehr zufrieden, als ich mich der Hafenstadt Valparaiso näherte, die an der Valparaiso-Bai des Stillen Ozeans und am Fuß und auf den Abhängen einer kahlen Hügelkette liegt. Gerne hätte ich bei meiner Reise noch einen Abstecher zur Hauptstadt Santiago gemacht, aber das wäre doch ein zu bedeutender Umweg gewesen. Mein treues Pferd, das mich redlich quer durch den Kontinent getragen hatte, konnte ich natürlich auf meinem weiteren Weg nicht mitnehmen. Deshalb suchte ich einen Pferdehändler auf, der mir wesentlich mehr für das Tier bezahlte, als es mich in Argentinien gekostet hatte. Hier in Valparaiso, dem bedeutendsten See- und Handelsplatz an der südamerikanischen Westküste, hoffte ich, eine Fahrgelegenheit nach Europa zu finden, egal ob um Kap Hoorn oder quer durch den Stillen Ozean. Die Hauptsache war, meine finanziellen Mittel reichten aus, die Schiffspassage zu bezahlen.

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