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12. VIERTE NORDAMERIKA-REISE (1868-1869)

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Donnerstag, 26. März 1868:

Als ich mich in Hamburg nach einer Überfahrt in die USA erkundigte, erfuhr ich, dass schon morgen ein Dampfschiff nach New Orleans abgehen werde, und erhielt glücklicherweise noch einen Platz.

Montag, 20. April 1868:

In New Orleans war ich zuletzt im Jahre 1866, als ich den Sohn des Bankiers Ohlert aus New York suchte und dort Old Death kennenlernte. Diesmal wollte ich, bevor ich mich in die ‚dark and bloody grounds‘ begab, den Mississippi hinauf, etwa bis Vicksburg, und von da aus nach Westen. Also fuhr ich mit einem Mississippi-Steamer hinauf bis Baton Rouge, wo ich auf das Dampfboot nach Natchez warten musste. Am Landeplatz saßen zwei Bettler. Ihre Gesichter kamen mir bekannt vor. Dem einen fehlten beide Augen. Der andere hielt mir seinen Hut hin. Als ich ein Silberstück hineinwarf, wusste ich, wen ich vor mir hatte: Es waren Grinder und Slack. Die Mörder der beiden Goldgräber-Brüder hatten nach dem Blizzard auf Fort Hillock doch nicht ihre Strafe gefunden, aber ihre jetzige Lage war jedenfalls noch schlimmer als der Tod.1

Donnerstag, 28. Mai 1868:2

Ich hatte zuletzt mit Winnetou und einer Schar seiner Apatschen in der Sierra Blanca gejagt. Wir wollten dann zu den Navajos hinüber. Es kam aber nicht dazu, denn auf Wunsch Winnetous begleitete ich einen kalifornischen Geldtransport nach Fort Scott. Von Fort Scott solle ich nordwärts zu der westlich vom Missouri gelegenen Gravel-Prärie reiten, wo er wieder mit mir zusammentreffen werde, denn er wolle seinen alten, berühmten Freund Old Firehand besuchen, der sich jetzt in jener Gegend aufhalte. Ich ritt erst über den Kansas und dann über den Nebraska, durch das Gebiet der Sioux. Meiner Berechnung nach musste ich mich jetzt in der Nähe einer Ölniederlassung befinden, die New Venango hieß und in einer jener Schluchten lag, die gewöhnlich von einem Flüsschen durchzogen sind. Schon gab ich es auf, dieses Ziel heute noch zu erreichen, da bemerkte ich seitwärts zwei Reiter, die gerade auf mich zuhielten. Einer der beiden war noch ein Knabe von vielleicht dreizehn Jahren. Er hieß Harry und er erzählte mir, dass er von seinem Bruder komme, der in Omaha wohnte, und sein Begleiter, der Forster hieß, sei nicht nur der Vater seiner Schwägerin, sondern auch der Besitzer der Ölquelle in New Venango. Harry glaubte nicht, dass Winnetou, den er übrigens sehr gut zu kennen schien, mir mein Pferd geschenkt hatte. Nachdem ich im Store eingekauft und auch meinen Munitionsvorrat ergänzt hatte, war es dunkel geworden. Ich erlauschte unabsichtlich ein Gespräch zwischen Forster und Harry, der dem Jungen erklärte, dass er Öl in die Landschaft ablaufen lasse, um es knapper und damit teurer zu machen. Welch ein sträflicher Leichtsinn, denn in diesem Augenblick dröhnte ein Donnerschlag, als sei die Erde mitten unter uns auseinander geborsten. Ich sah da, wo der Bohrturm in Betrieb gewesen war, einen glühenden Feuerstrahl senkrecht in die Höhe steigen. Ich kannte diese furchtbare Erscheinung, denn ich hatte sie im Kanawhatal in ihrer ganzen Schrecklichkeit gesehen.3 Mich weiter um niemand kümmernd, riss ich Harry in meine Arme und saß im nächsten Augenblick mit ihm im Sattel. Und in rasendem Lauf trug uns Hatatitla stromabwärts durch das immer rascher vorwärtsschreitende Feuermeer. Dass wir diesem Inferno über den Fluss entrinnen konnten, grenzte schon an ein Wunder. Als Harry, der bewusstlos geworden war, wieder zu sich kam, nannte er mich einen Feigling, weil ich die anderen aus dem Tal nicht auch noch gerettet hätte. Er riss sich von mir los und in meiner Hand blieb ein Ring zurück. Ich sah ihn nicht mehr und konnte ihm deshalb auch nicht folgen. Ich beschloss, die Nacht hierzubleiben und den Anbruch des Morgens zu erwarten.

Freitag, 29. Mai 1868:

Das Tageslicht milderte den blendenden Schein der Flammen. Außer einem kleinen Häuschen oberhalb des Tales war alles verschwunden. Vor diesem Häuschen standen einige Menschen, bei denen ich Harry gewahrte. Als ich zu ihnen wollte, trat man mir mit Waffen entgegen, bezeichnete mich als Mordbrenner und schoss auf mich, doch ohne zu treffen. Deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als diese Gegend zu verlassen.

Samstag, 30. Mai 1868:

Am nächsten Tag erreichte ich eine Mulde in der Gravel-Prärie, wo ich mich mit Winnetou treffen wollte.

Samstag, 6. Juni 1868:

Ich musste aber eine ganze Woche auf ihn warten. Es tummelten sich da mehrere Trupps von Sioux in der Gegend herum. Als Winnetou kam und ich ihm die Anwesenheit der Roten meldete, war er einverstanden, sogleich weiterzureiten. Ich freute mich sehr darauf, den berühmten Old Firehand endlich kennenzulernen. Der Weg zu ihm war nicht ungefährlich.

Sonntag, 7. Juni 1868:

Das merkten wir schon am nächsten Tag, als wir auf die Fährte von Indianern trafen. Wir vermuteten, dass der Haupttrupp hier in der Nähe lagerte, weshalb ich die Gegend nach den Indianern absuchen wollte, während Winnetou bei den Pferden blieb. Ich kam bald zu deren Lager, wo sich ungefähr hundert Mann befanden, sämtlich mit den Kriegsfarben bemalt. Mir gelang es, zwei Häuptlinge, von denen einer Parranoh vom Stamme der Poncas war, bei ihrem Gespräch zu belauschen, und ich erfuhr, dass sie Fort Niobrara überfallen wollten. Ich hatte genug gehört und zog mich geräuschlos zurück. Doch da warf sich ein riesiger schwarzer Schatten auf mich. Himmel, hatte der Kerl Kraft. Wir rangen stillschweigend miteinander, doch ich konnte mich noch so anstrengen, dieser Mensch schien unbezwingbar. Dabei verlor ich mein Messer und in einer Kampfpause zog ich mich etwas von ihm weg. Als ich mich wieder auf meinen Gegner stürzen wollte, war er verschwunden. Da ich vorher gerade noch seinen Bart berührt hatte, wusste ich, dass es kein Indianer, sondern ein Weißer war. Mein Bowiemesser war fort, mein Gegner hatte es wohl auf der Suche nach seinem eigenen gefunden und an sich genommen. Mit Winnetou ritt ich dann eine große Strecke weit, bis wir unser Nachtlager aufschlugen. Jetzt erzählte ich ihm, was ich erlebt hatte, und war ganz überrascht, als er sagte, dass er mit Parranoh, dem weißen Häuptling der Poncas, noch eine Abrechnung habe. Da er nicht mehr darüber erzählte, fragte ich auch nicht, denn wenn es an der Zeit war, würde er sein Schweigen schon brechen.

Montag, 8. Juni 1868:

Am nächsten Morgen ritten wir zum Fort Niobrara, um die Besatzung vor dem Überfall durch die Poncas zu warnen. Winnetou und ich waren schon einmal vor Jahren hier in diesem Fort gewesen,4 das ich jetzt allein aufsuchte. Der Fortkommandant war ein anderer als damals vor über drei Jahren. Er hatte Besuch, den ich sofort erkannte, obwohl ich ihn noch niemals in meinem Leben gesehen hatte: Es war Old Firehand und er hatte, zu meiner Überraschung, neben seinem eigenen auch mein Bowiemesser in seinem Gürtel stecken. Jetzt brauchte ich mich freilich nicht mehr zu wundern, dass es mir nicht gelungen war, den Mann zu überwältigen, der gestern im Dunkel der Nacht mit mir gekämpft hatte. Ich berichtete dem Kommandanten vom geplanten Überfall der Poncas, doch war er schon von Old Firehand darüber informiert worden. Nachdem ich sagte, dass auch Winnetou in der Gegend sei, hatte der Kommandant keine Bedenken mehr, mit seinen dreißig Mann Besatzung das Fort gegen hundert Indianer zu verteidigen. Und Old Firehand erriet nun, dass ich Old Shatterhand war, war jedoch ganz erstaunt, zu erfahren, dass ich zudem derjenige war, mit dem er gestern Abend gerungen hatte. Nachdem auch Winnetou herbeigeholt worden war, wurde Lagebesprechung gehalten. Obwohl die Indianer ihre Angriffe meist gegen Morgengrauen vornehmen, stand die ganze Besatzung schon von Mitternacht an hinter den Palisaden bereit.

Dienstag, 9. Juni 1868:

Die Morgendämmerung brach endlich mit einem leichten Nebel an. Kurz darauf griffen die Poncas an, wurden jedoch mit einer Feuersalve empfangen. Nach der zweiten Salve brausten zehn Kavalleristen hinaus, die die Roten in die Flucht schlugen. Doch Parranoh zwang sie zur Umkehr, und da Winnetou, Old Firehand und ich ebenfalls auf den Kampfplatz gestürmt waren, wurden wir in Zweikämpfe verwickelt. Jetzt erblickte ich Parranoh im Haufen der Indianer und bemühte mich, an ihn zu kommen. Mir ausweichend, kam er in die Nähe des Apatschen, der sich auf ihn stürzen wollte, doch Old Firehand drängte Winnetou ab und schrie, dass ‚Tim Finnetey‘ ihm gehöre. Vor Schrecken starr stand Parranoh, als er seinen eigentlichen Namen rufen hörte, doch dann stürmte er wie von der Sehne geschnellt davon. Bevor Winnetou und Old Firehand ihm folgen konnten, war ich ihm schon auf den Fersen und bei einem Zusammenprall fuhr ihm mein Messer bis an den Griff in den Leib. Ich nahm kein Zeichen des Lebens mehr an ihm wahr. Da war auch schon Winnetou heran, der ganz gegen seine Gewohnheit Parranoh mit drei Schnitten die Kopfhaut vom Schädel löste. Wie grimmig musste der sonst so menschenfreundliche Apatsche diesen Tim Finnetey hassen, dass er ihm die Kopfhaut nahm. Dann eilten wir zurück und konnten gerade noch den verwundeten Old Firehand aus einer misslichen Lage befreien. Der Kampf war vorüber, und die Besatzung beschäftigte sich bereits damit, die Toten zusammenzutragen und die Verwundeten ins Fort zu schleppen. Später kamen auch noch die Reiter zurück, die die fliehenden Indianer verfolgt hatten.

Mittwoch, 10. Juni 1868:

Am nächsten Tag wurden die roten Indsmen begraben. Vorher hatte man noch die nähere und weitere Umgebung abgesucht und dabei eine überraschende Entdeckung gemacht: Der Platz, wo ich Parranoh zur Strecke gebracht hatte, war leer. Der vereitelte Überfall war durch Eilboten sofort nach Fort Randall gemeldet worden.

Dienstag, 16. Juni 1868:

Nach sechs Tagen traf von dort eine Verstärkung von zwanzig Mann ein. Sie brachten den Befehl ihres Colonels mit, die Gefangenen nach Fort Randall zu schicken, wo sie abgeurteilt werden sollten. Auch jetzt erfuhr ich nichts über die Beziehung von Winnetou und Old Firehand zu Parranoh.

Mittwoch, 24. Juni 1868:

Die Genesung Old Firehands war schneller fortgeschritten, als wir erwartet hatten, und so waren wir nach verhältnismäßig kurzer Zeit aufgebrochen, um durch das Land der kriegerischen Dakotas bis an den Mankizita vorzudringen, an dessen Ufer Old Firehand seine ‚Festung‘ hatte. Als wir am heutigen Abend am Lagerfeuer saßen, bemerkte Old Firehand den Ring an meinem Finger, den Harry mir nach dem Ölbrand in New Venango unfreiwillig zurückgelassen hatte. Ich musste ihm dieses Abenteuer erzählen und er fieberte direkt mit. Er kannte Harry, kannte Emery Forster, der wahrscheinlich bei dem Ölbrand ums Leben gekommen war, und er kannte Harrys Bruder in Omaha. Aber er sagte mir nicht, dass er selbst Harrys Vater war, wie ich aus seiner ganzen Aufregung annehmen musste.

Donnerstag, 25. Juni 1868:

Am nächsten Morgen schlugen wir die Richtung zur Festung ein. Winnetou und Old Firehand schienen enger miteinander verbunden zu sein, als ich bisher annehmen konnte. Doch Winnetou hatte mit mir nie darüber gesprochen. Ich erfuhr jetzt nur, dass Winnetou und Old Firehand vor Jahren dieselbe Frau geliebt hatten, die sich jedoch für den Weißen entschieden hatte und deren beider Sohn Harry war. Mit der hereinbrechenden Dämmerung kamen wir in die Nähe der ‚Festung‘. Hier traf ich zu meiner Überraschung auf meinen alten Lehrmeister Sam Hawkens, der zusammen mit Dick Stone und Will Parker zur Mannschaft Old Firehands gehörte. Durch den engen Zugang des ‚Wassertors‘ gelangte man in Old Firehands ‚Festung‘. Das Felsental schien von oben herab unbezwingbar zu sein. Nachdem ich mich umgesehen hatte, steuerte ich auf eine etwas höher liegende Hütte zu, wo ich unverhofft auf Harry traf, der mich fast feindlich empfing. Abends am Lagerfeuer betrachtete er mich jedoch mit anderen Blicken, wie es mir schien. Später sprach er sich mit mir aus, entschuldigte sich für sein Verhalten in New Venango und wies mir seine eigene Felshöhle als Wohnung an.

Freitag, 26. Juni 1868:

Am Morgen ging ich mit Harry und Sam Hawkens zum Bee Fork, um die aufgestellten Fallen zu prüfen. Durch das Verhalten der Biber wurden wir auf zwei Ponca-Indianer aufmerksam gemacht, die durch die Gegend schlichen. Es schienen Kundschafter auf dem Kriegspfad zu sein. Was wollten diese hier? Waren sie uns wegen ihrer Niederlage bei Fort Niobrara auf den Fersen? Sam Hawkens musste Old Firehand sofort warnen, während Harry und ich uns nach der Hauptschar der Roten umschauen wollten, damit wir deren Stärke genau kennenlernen und unsere Maßnahmen danach richten konnten. Wir mussten wohl eine Stunde lang gehen, bis wir eine andere Spur entdeckten, die in Richtung ‚Festung‘ ging. Als wir dann Brandgeruch wahrnahmen, schlich ich mich allein weiter, um die Poncas zu zählen, doch ich erlebte eine böse Überraschung: In ihrer Mitte saß der weiße Häuptling Parranoh oder Tim Finnetey und von seinem Kopf hing die prächtige Skalplocke herab, während Winnetou sie ihm doch genommen und nicht eine Minute lang aus seinem Gürtel gebracht hatte. War der Schurke denn leibhaftig von den Toten auferstanden? Um nicht entdeckt zu werden, kehrte ich zu Harry zurück und wir verfolgten die zuletzt entdeckte Spur, stießen dabei auf Sam Hawkens, der die beiden Indianer beobachtet hatte. Dann kehrten wir ins Lager zurück. Zusätzlich zur Wache, die die nötigen Vorbereitungen zur Verteidigung treffen musste, verließ ich mit dem Kleeblatt, Old Firehand und Winnetou die ‚Festung‘, um das Lager der Poncas aufzusuchen. Wir waren nicht weit davon entfernt, als wir auf Parranoh und einige seiner Krieger stießen, mit denen es einen heftigen, lautlosen Kampf gab. Ich hatte Parranoh unter mir und konnte ihn unschädlich machen, während die anderen Gegner ebenfalls niedergemacht wurden. Winnetou riet uns, sofort in die ‚Festung‘ zurückzukehren, da wahrscheinlich die anderen Poncas dort einfallen würden. Den bewusstlosen Parranoh aber nahmen wir mit ins Lager. Die Vorbereitungen gegen den zu erwartenden Überfall nahmen den Nachmittag und den Abend voll in Anspruch.

Samstag, 27. Juni 1868:

Es war früh am anderen Tag. Unsere Kundschafter hatten noch einen zweiten Lagerplatz der Roten entdeckt und es waren mehr, als wir angenommen hatten, und so war unsere Lage heikel, denn wir zählten insgesamt nur vierundzwanzig Mann. Deshalb wurden Dick Stone und Will Parker losgeschickt, um Verstärkung von Fort Randall herbeizuholen.

Ich war auf den Felsen gestiegen, wo ich am vorgestrigen Abend Harry wiedergefunden hatte, der mir jetzt nachgekommen war. Er erzählte mir, dass sein Vater, Old Firehand, einst Oberförster in Deutschland gewesen und in den Strudel politischer Gärung geraten sei, weshalb er mit Frau und Sohn nach Amerika flüchtete. Seine Frau starb auf der Überfahrt. Er ging als Jäger in den Westen und ließ seinen Sohn im Osten bei einer Familie zurück. Da führte ihn ein Jagdzug hinauf an den Quicourt, mitten unter die Stämme der Assiniboins, und dort traf er zum ersten Mal mit Winnetou zusammen, der mit Intschu tschuna von Wyoming kam, um sich am oberen Mississippi den heiligen Ton für die Kalumets seines Stammes zu holen. Beide, Old Firehand und Winnetou, verliebten sich in Ribanna, die Tochter des Häuptlings der Assiniboins. Sie zog Old Firehand vor, obgleich er viel älter war. Trotzdem blieben Old Firehand und Winnetou Freunde. Als Winnetou zur Zeit des Frühlings zurückkehrte, fand er Ribanna als Mutter. Harry war erst einige Tage alt. Die Jahre vergingen und Harry wuchs heran. Da nahm ihn sein Vater mit in den Osten zum älteren Sohn. Als sie zurückkamen, hatte Tim Finnetey zusammen mit den Schwarzfuß-Indianern das Lager der Assiniboins, deren Krieger auf der Jagd waren, überfallen und alle Frauen und Kinder, darunter Ribanna mit ihrer kleinen Tochter, verschleppt. Winnetou, der gerade die Assiniboins besuchen wollte, folgte Old Firehand, Harry und den Kriegern auf der Suche nach den Räubern, die hier am Bee Fork gestellt wurden. Es kam zum Kampf, doch die Assiniboins unterlagen und wurden niedergemacht. Harry fand seine Mutter Ribanna und sein kleines Schwesterchen, von Tim Finnetey erschossen, tot auf dem Schlachtfeld. Nach Tagen kamen Winnetou und Old Firehand verwundet zu Harry zurück, der sich in der Nähe des Kampfplatzes versteckt hatte. Und seit dieser Zeit suchten sie Tim Finnetey, der jetzt als Parranoh weißer Häuptling der Poncas war. Während Harry und ich wieder hinunter in den Talkessel stiegen, gingen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf: Harry war jetzt um die dreizehn Jahre alt. Er hatte Winnetou als den jüngsten Bewerber um Ribanna bezeichnet, er sei fast noch ein Knabe gewesen. Das müsste etwa um 1854 gewesen sein. Winnetou wäre damals gerade erst vierzehn Jahre alt gewesen, denn wie ich wusste, war er 1840 geboren. Wir hatten eigentlich nie Geheimnisse voreinander, doch seine große Liebe zu Ribanna verschloss er in seinem Herzen selbst vor mir, seinem Blutsbruder.

Im Lager hatte man einen Pfahl errichtet und Parranoh daran gebunden, um Gericht über ihn zu halten. Man beschloss, ihn dort hinzurichten, wo er Ribanna und ihr Töchterchen ermordet hatte: drunten am Bee Fork, außerhalb der ‚Festung‘. Dass man sich dabei wegen der Anwesenheit der Poncas in nutzlose Gefahr begab und dadurch auch unser Aufenthaltsort verraten wurde, ignorierte man vollkommen. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, dass uns dadurch Unheil entstehen müsse. Natürlich würde ich nicht an der Urteilsvollstreckung teilnehmen. Doch meine Sorge trieb mich hinterher, denn ich hatte Indianerspuren entdeckt, die den unsrigen folgten. An einem freien Platz, wo sicher das Urteil über Parranoh vollstreckt werden sollte, standen unsere Leute und rundum unter den Büschen lagen versteckt die Ponca-Krieger. Hier war keine Zeit mehr zu verlieren. Ich nahm den Henrystutzen an die Wange und drückte ab. Nach kurzer Verblüffung gellte der Kampfruf der Indianer fast hinter jedem Strauch hervor. Bevor Harry seine Pistole auf Parranoh abschießen konnte, wurde er von einem der Poncas daran gehindert, die sofort ihren Häuptling befreiten. Obwohl viele in das Kampfgeschehen verwickelt wurden, gelang den meisten die Flucht. Mit Harry und Sam Hawkens kam ich in der Nähe unseres Lagereingangs an, der von Indianern belagert wurde. Fast gleichzeitig mit uns trafen auch Old Firehand, Winnetou und zwei der Jäger hier ein. Wir rollten nun von hinten die Linie der Belagerer auf, von denen einigen noch die Flucht gelang. Endlich gelangten wir durch das Wassertor in das Innere des Talkessels und waren damit vorerst in Sicherheit. Da Old Firehand bestätigt hatte, dass über die steilen Felswände kein Indianer ins Lager gelangen konnte, musste also der schmale Schluchteingang besonders gut verteidigt werden, falls der Gegner einen Angriff wagen sollte.

Die Nacht lag still und ruhig über dem Tal, doch ich konnte nicht einschlafen. Ich suchte deshalb Hatatitla auf, der im dunklen Hintergrund des Kessels weidete. Durch sein Schnauben aufmerksam geworden, bemerkte ich mehrere Gestalten, die sich von dem dunklen Felsen lösten und herabstiegen. Weil ich kein Gewehr bei mir hatte, konnte ich den Vordermann nicht abschießen. Da fiel vorn am Wassertor ein Schuss, dem bald mehrere folgten. Ein Scheinangriff, um von der Felswand abzulenken. Mit meinem Revolver gab ich Schüsse auf die dunklen Gestalten ab, schwang mich auf meinen Hatatitla und ritt in die Mitte des Lagers. Uns blieben zur Rettung nur die Höhlen um den Talkessel als letzter Zufluchtsort. Doch daran wurden wir gehindert, denn die Indianer waren schneller die Felswand heruntergekommen und mir gefolgt, als ich angenommen hatte. Es war ein wilder, grauenvoller Kampf, wie ihn sich die Einbildungskraft kaum auszumalen vermag. Old Firehand, der wie ein Fels in der Brandung stand, wurde durch einen Schuss Parranohs getroffen und brach dann lautlos zusammen. Ich fühlte einen schmetternden Schlag auf den Kopf und verlor das Bewusstsein.

Sonntag, 28. Juni 1868:

Als ich erwachte, war es dunkel und still um mich. Ich lag in einer der Höhlen und war gefesselt. Gleich darauf bemerkte ich jemanden neben mir, es war Sam Hawkens. Von ihm erfuhr ich, dass außer ihm, Winnetou, Harry und mir alle ausgelöscht seien. Doch Sam besaß noch sein Messer, mit dem wir unsere Fesseln zerschnitten. Als ich den Fellvorhang beiseiteschob, sah ich nicht nur unsere Pferde vor dem Talausgang stehen, sondern auch Parranoh, der gerade die Anweisung gab, Winnetou und Harry an den Marterpfahl zu führen. Nun war Eile geboten. Mit weiten, aber leisen Sprüngen schnellten wir hinter den Indianern her, überwältigten diese und schnitten den beiden Gefangenen die Fesseln durch, bewaffneten uns notdürftig und eilten zu den Pferden. Harry zog ich hinter mir in den Sattel. Wütendes Geheul erfüllte die Luft, Schüsse krachten, Pfeile schwirrten um uns. Ich kann unmöglich sagen, wie ich durch den engen, gewundenen Pass ins Freie kam. Da fiel hinter uns ein Schuss. Als ich mich umblickte, sah ich Parranoh auf seinem Mustang dicht hinter mir. Nach einer kurzen, aber wilden Verfolgungsjagd schoss Winnetou Parranoh aus dem Sattel und im selben Augenblick spaltete der von mir geworfene Tomahawk den Schädel des weißen Häuptlings. Parranoh hatte alle meine Waffen umhängen, die ich jetzt wieder in Besitz nahm. Dann hatten uns die verfolgenden Poncas fast erreicht und wir ritten weiter. Plötzlich flog ein ansehnlicher Reitertrupp vom Waldsaum her zwischen uns und die Verfolger herein, schwenkte gegen die Roten um und stürmte ihnen im gestreckten Galopp entgegen. Es handelte sich um eine Abteilung Dragoner aus Fort Randall. Bei ihnen befanden sich auch Will Parker und Dick Stone. Dann ging es zur ‚Festung‘ zurück. An der Zugangsschlucht aber saß Sam Hawkens und schoss die ankommenden Poncas aus dem Sattel, sodass diese nicht mehr in die Festung eindringen konnten. Im Talkessel angekommen, eilten Harry und Winnetou zur Leiche Old Firehands. Doch zu aller Erstaunen war dieser gar nicht tot, er hatte bloß eine sehr schwere und mit großem Blutverlust verbundene Verwundung. Gegen Mittag stellten sich die Dragoner wieder ein. Sie hatten die Poncas zu Paaren getrieben und dabei keinen Mann eingebüßt.

Mittwoch, 1. Juli 1868:

Um die Pferde ausruhen zu lassen, blieb der Trupp drei Tage im Tal. Während dieser Zeit wurden die Toten beerdigt, dann lud man uns ein, Old Firehand, sobald er die Reise aushalten könne, in das Fort Randall zu bringen, wo er leidliche Pflege und vor allem sachgemäße ärztliche Behandlung finden werde. Wir sagten gern zu.

Donnerstag, 1. Oktober 1868:

Drei Monate später war Old Firehand zwar gerettet, aber immer noch sehr schwach, sodass wir ihn bisher nicht nach Fort Randall hatten schaffen können. Es war vorauszusehen, dass sich Old Firehand selbst nach seiner Genesung noch lange werde schonen müssen. Deshalb hatte er sich entschlossen, sobald er die Reise unternehmen könnte, nach Osten zu seinem älteren Sohn zu gehen und Harry mitzunehmen. Die Fellvorräte, die sich hier angesammelt hatten, konnten nicht für immer hier liegen, sondern mussten verkauft werden. Durch die Soldaten hatten wir erfahren, dass sich drüben am Cedar Creek ein Pedlar (Händler) aufhielt, der alles Mögliche aufkaufte und die Waren auch mit barem Geld bezahlte.

Samstag, 3. Oktober 1868:

Winnetou und ich machten uns deshalb auf den Weg und kamen schon am zweiten Tag an den Cedar Creek. Wo nun den Pedlar finden? Es gab in der Nähe ein Blockhaus, in dem ein weißer Ansiedler wohnte, bei dem wollten wir uns erkundigen. Erst als er tatsächlich wusste, wer wir waren, ließ er uns in seine Hütte, denn er befürchtete, von den Okananda-Sioux überfallen zu werden, die momentan in dieser Gegend ihr Unwesen trieben. Ein Gehilfe des Pedlars sollte heute Abend zurückkommen. An ihn könnten wir uns dann wegen des Verkaufs der Felle wenden. Als dieser eintraf, wurde ich das Gefühl nicht los, dass man ihm nicht ganz trauen könne, zumal er angeblich nicht wusste, wo sich Mr. Braddon, der Pedlar, momentan aufhielt. Da wir nicht in der Hütte schlafen wollten, legten Winnetou und ich uns hinaus zu unseren Pferden. Nachts wurden wir beide wach und sahen, dass einige Gestalten auf das Blockhaus zukrochen. Wir konnten uns eine schnappen. Es war der Häuptling der Okananda-Sioux selbst, für uns ein guter Fang. Durch Verhandlungen erreichten wir, dass die Indianer abzogen, ohne sich am Besitzer der Blockhütte zu vergreifen, der sich ohne ihre Erlaubnis hier niedergelassen hatte. Rollins, der Gehilfe des Pedlars, aber wollte ihnen nachgehen, um zu sehen, ob sie wirklich die Gegend verlassen würden.

Sonntag, 4. Oktober 1868:

Am Morgen ritten wir mit Rollins vom Blockhaus fort, um ihn zu Old Firehand zu führen, wo er sich die Felle ansehen wollte. Unterwegs trafen wir auf drei Fußgänger, die sich auf Stöcke stützten und angaben, von den Okananda-Sioux überfallen worden und jetzt nach Fort Randall unterwegs zu sein. Sie schlossen sich uns an. Und da mein Misstrauen gegen Rollins wieder aufgekommen war und Winnetou zudem die Meinung hegte, die drei angeblich von den Indianern Überfallenen schauspielerten nur, waren wir beide doppelt vorsichtig. Als es dunkel wurde und auch noch zu regnen anfing, lagerten wir nicht draußen auf der Prärie, sondern in einem nahe gelegenen Wäldchen. Winnetou schien plötzlich etwas zu bemerken, denn er setzte zu einem ‚Knieschuss‘ an, legte sein Gewehr dann aber wieder ab und wollte nun die Pferde inspizieren gehen. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis er zurückkam. Zu spät bemerkte ich, dass sich ein völlig Fremder Winnetous Saltillodecke übergehängt hatte. Er schlug mich mit dem Gewehrkolben besinnungslos.

Montag, 5. Oktober 1868:

Als ich wieder zu mir kam, graute bereits der Morgen. Ich war gefesselt. Da vernahm ich eine Stimme, die ich kannte: Es war die Stimme von Santer, dem Mörder von Intschu tschuna und Nscho-tschi, dem Vater und der Schwester Winnetous. Winnetou, den man krummgeschlossen hatte, und ich befanden uns in einer sehr misslichen Lage, denn von Santer hatten wir beide keine Gnade zu erwarten, zumal dieser ja wusste, dass Winnetou immer hinter ihm her sein würde, um seinen Vater und seine Schwester zu rächen. Uns konnte nur eine List helfen, wir mussten Santers Habgier nach Gold und Reichtum wecken, um ihm vielleicht dadurch zu entkommen. Santer war der Pedlar, den wir gesucht hatten, und die drei hilfsbedürftigen Fußgänger waren seine Gehilfen, während Rollins angeblich nicht zu ihm gehörte und gestern Abend entkommen war. Als wir beide dann allein zusammenlagen, sprachen wir heimlich über den Goldschatz, den Winnetou angeblich nur eine Tagesreise von hier versteckt hatte, denn wir ahnten, dass Santer unser Gespräch belauschen würde. Seine Gier nach Reichtum und Gold schien momentan größer zu sein als die, uns zu töten, denn wir würden ihm ja sowieso wieder in die Hände fallen. Dann wurden die drei Helfer von Santer losgeschickt, die Umgegend nach Rollins abzusuchen und ihn zu fangen. Und sie brachten ihn tatsächlich nach einiger Zeit herbei. Santer und Rollins spielten ihre Rollen so, als ob sie gute Bekannte seien, die sich nach langer Zeit wieder einmal sahen. Sie taten schließlich so, als ob Rollins es durch seine Fürsprache fertig brächte, dass wir später mit allem, was wir besaßen, freigelassen werden sollten. Santer ritt mit den anderen fort und Rollins sollte uns am Abend befreien, sodass wir in der Nacht Santer nicht mehr folgen konnten. Als uns Rollins dann die Fesseln abnahm, ritten wir mit ihm in der Dunkelheit in Richtung der ‚Festung‘.

Dienstag, 6. Oktober 1868:

Am Morgen wurde eine kurze Rast gemacht und gegen Mittag wieder. Dann schnappten wir uns Rollins und banden ihn an einen Baum. Später, nach der Überwältigung Santers, wollten wir ihn hier abholen. Wir ritten etwas seitwärts zurück, denn wir wollten nun Santer abfangen, der uns bestimmt auf unserer Spur folgte. Es war noch anderthalb Stunden Tag, und bis dahin musste er uns eingeholt haben. Als wir etwas später in der Ferne einen Reiter sahen, der in die Richtung ritt, aus der wir Santer erwarteten, ahnten wir nichts Gutes. Ich ritt zurück und stellte fest, dass jemand Rollins befreit hatte und dass dieser Jemand, der Fußspur nach, kein anderer als Sam Hawkens gewesen sein konnte. Ich jagte zu Winnetou zurück und wir ritten nun auf unserer alten Fährte so weit, bis wir auf eine Spur von vier Reitern trafen, die mit einem anderen Reiter zusammengetroffen waren und eine andere Richtung eingeschlagen hatten. In der hereinbrechenden Dunkelheit mussten wir die Verfolgung aufgeben und ritten stattdessen zur ‚Festung‘, wo wir ankamen, als der Mond aufging. Da sich der Zustand von Old Firehand etwas verschlechtert hatte, bat mich Winnetou, hierzubleiben und nicht mit ihm Santer zu jagen, denn ich würde hier jetzt notwendiger gebraucht.

Mittwoch, 7. Oktober 1868:

Noch schien der Morgenstern hell, da ritten wir miteinander hinaus in den Wald, und gerade als es tagte, hielten wir an der Stelle, wo wir vor der neuen Fährte Santers umgekehrt waren. Ein Druck seiner Hände für mich, ein lauter, gellender Zuruf an seinen Rappen, und er jagte davon, dass sein langes, herrliches Haar wie eine Mähne hinter ihm herwehte.

Mittwoch, 28. Oktober 1868:

Ich war in das Lager von Old Firehand zurückgekehrt. Einige Tage später erfuhren wir von den Soldaten, die die Verbindung zwischen Fort Randall und der ‚Festung‘ aufrecht hielten, dass einige Jäger und Fallensteller einer Pelzhandelsgesellschaft im Fort angekommen waren und sich dort einige Zeit von den Strapazen der Jagd erholen wollten. Sie wären vermutlich bereit, Old Firehands Bestand aufzukaufen. Daraufhin ritt Sam Hawkens mit Dick Stone und Will Parker hinüber ins Fort, um die Abholung der Felle zu organisieren. Als alles zu Old Firehands Zufriedenheit erledigt war, konnte man an eine Abreise nach Osten denken, zumal sich sein Zustand rasch gebessert hatte. Gemeinsam ritten wir nach Fort Randall, wo wir uns vom ‚Kleeblatt‘ verabschiedeten, das nach Westen zu den Black Hills wollte.

Im Fort ging ich zum Store, um meine Munition zu ergänzen, und fand hier eine Gesellschaft von Männern, die um einen ‚Old Shatterhand‘ saßen und mit Begierde seinen Flunkereien lauschten. Ich fragte ihn, ob er wirklich Old Shatterhand sei, und als er die Frage bejahte, erklärte ich, dass ich der einzige Mann sei, der das Recht besitzt, diesen Namen zu führen. Da er mich hierauf einen Lügner nannte, führte ich den Beweis, dass ich die Wahrheit gesagt hatte: Ich gab ihm die Faust an den Kopf. Wie ich erfuhr, war er ein aus Iowa gebürtiger Fallensteller namens Stoke.5

Ich begleitete Old Firehand und Harry bis nach Omaha, wo sich Firehand bei seinem älteren Sohn erholen wollte. Eigentlich war es meine Absicht, in die Heimat zurückzukehren: doch wohin mit meinem Hatatitla? Da es hier oben bald Winter wurde, gedachte ich mir ein entsprechendes Quartier zu suchen. Mir fiel der Bärenjäger Baumann ein, dem ich ja versprochen hatte, irgendwann bei einer meiner Nordamerika-Reisen einmal wieder vorbeizukommen. Deshalb lenkte ich Hatatitla nach Westen zu.

Ende Februar 1869:

Der Winter brach kurzfristig herein. Ich hatte es gerade noch rechtzeitig zum Haus des Bärenjägers geschafft, das an einem Nebenflüsschen des South Fork of Cheyenne ganz im Osten Wyomings lag. Martin Baumann war seit Kurzem verheiratet. Seine Frau Anna Maria stammte aus einer deutschen Einwandererfamilie, die sich hier in der Nähe niedergelassen hatte. Auch Wohkadeh, der junge Mandan-Indianer, hatte sich inzwischen eine Frau genommen und wohnte jetzt bei den Upsarokas. Hobble-Frank, der sich viel bei den Baumanns sehen ließ, war noch unterwegs. Es würde sicher Frühjahr werden, bis er hier wieder auftauchte.

Montag, 8. März 1869:

Als es Frühjahr wurde, hielt ich es nicht mehr aus. Ich versprach den Baumanns, bald wieder vorbeizukommen; vielleicht wäre bis dahin ja auch der Hobble-Frank eingetroffen. Meinen Hatatitla ließ ich bei ihnen zurück, weil ich ihn etwas schonen wollte, und nahm mir ein anderes Pferd. Unterwegs stieß ich auf einen Trupp Fallensteller, bei denen ich eine Nacht lagerte. Sie wollten in das obere Missouri-Gebiet, kannten aber die Gegend nicht. Ich ließ mich breitschlagen und sagte ihnen als Führer zu, nannte ihnen aber meinen Jagdnamen nicht. Wir hatten erst einige Tage unser Lager im Dakota-Territorium aufgeschlagen, als wir plötzlich im Morgengrauen von Ogellallah-Indianern überfallen wurden, wobei alle Fallensteller niedergemacht und skalpiert wurden. Ich hatte versucht, meinen Kameraden beizustehen, und viele der Angreifer abgewehrt, wobei mancher verwundet wurde oder gar sein Leben lassen musste. Als die Ogellallah erkannten, wer ich war, versuchten sie meiner habhaft zu werden. Gegen so viele Gegner war ich machtlos. Man nahm mich gefangen und schleppte mich ins Dorf der Ogellallah. Dort stellte man mich vor die Wahl, entweder die Tochter des Häuptlings Ma-ti-ru zu heiraten oder am Marterpfahl zu sterben. Natürlich ließ ich mich nicht auf eine solche Zwangsheirat ein. Auch die Tochter des Häuptlings, mit der ich mich heimlich aussprechen konnte, wollte mich nicht zum Mann, denn es gab bereits einen jungen Krieger, den sie gerne geheiratet hätte. Um mir und damit auch sich selbst zu helfen, lockerte sie meine Handfesseln so, dass es nicht auffiel, ich mich aber jederzeit freimachen konnte. In der Nacht darauf, als alles außer den beiden Wächtern vor meinem Zelt schlief, machte ich meine Hände frei, löste die Bande von meinen Füßen, lockerte die hintere Zeltwand und schlich mich unbemerkt zum Zelt des Häuptlings, wo ich meine Waffen wusste. Ich kam unbemerkt in sein Zelt und konnte ihn, während er noch schlief, bewusstlos schlagen. Die beiden Frauen, Mutter und Tochter, musste ich natürlich fesseln und ihnen, der Tochter aber nur zum Schein, einen Knebel in den Mund schieben. Dann fesselte ich auch den Häuptling, suchte meine Waffen und sonstige Sachen zusammen, die man mir abgenommen hatte, und schlich mich unbemerkt wieder aus dem Zelt. An dem Tag, als wir hier ankamen, hatte ich genau gesehen, wohin das Pferd des Häuptlings geschafft wurde, und ich hoffte, es dort noch zu finden. Tatsächlich entdeckte ich es etwas abseits der Herde und konnte auf ihm entfliehen.6

Freitag, 11. Juni 1869:

Als ich wieder bei den Baumanns eintraf, war der Hobble-Frank aufgetaucht und hatte zwei alte Bekannte mitgebracht, nämlich den Dicken Jemmy und den Langen Davy. Eigentlich wollte ich jetzt bald hinunter an den Rio Pecos, um zu sehen, ob Winnetou von der Verfolgung Santers zurück sei, und um meinen Hatatitla bei ihm zu lassen. Doch man bat mich, noch einige Zeit zu bleiben, was ich auch nicht bereute. Wir besuchten Wohkadeh bei den Upsarokas, worüber dieser sich herzlich freute. So ging die Zeit dahin, bis ich es wiederum nicht mehr aushielt. Ich wollte unbedingt nach Süden zu den Apatschen. Hobble-Frank, der Dicke Jemmy und der Lange Davy wollten an den Colorado River. Das war mir lieb, denn nun war ich bis hinunter ins New-Mexico-Territorium nicht ganz allein auf mich gestellt. Wir konnten ein großes Stück miteinander reiten, obwohl es ein Umweg für mich war, bevor ich mich dann von ihnen trennen musste. Ursprünglich hatte ich vor, noch an den Silbersee zu reiten, der nicht allzu weit von unserer Route im Nordosten von Utah lag, denn ich kannte nähere Einzelheiten von einem Goldschatz, den es dort geben sollte. Doch ich kam wieder davon ab, denn was konnte mich das interessieren. Am nächsten Tag sollte der Aufbruch sein.

Mittwoch, 30. Juni 1869:7

Wir waren in Wyoming zum North Platte River geritten und über Fort Laramie nach Cheyenne gekommen, einem Städtchen, das erst 1867 entstanden war und an der Union-Pacific-Eisenbahn-Linie lag. Wir hätten nun ohne Weiteres mit der Bahn weiterfahren können, doch wir zogen einen Ritt durch die Natur vor und erreichten bald darauf das Colorado-Territorium, wo wir die Richtung nach Denver einschlugen. Die ‚Queen City of the Plains‘, wie man Denver auch nannte, war die Hauptstadt dieses Territoriums, etwa 25 Kilometer von den beginnenden Rocky Mountains entfernt. Die Stadt war, obwohl erst 1857 gegründet, schon mächtig im Aufblühen begriffen. Von Denver aus waren wir dann im Westen des Staates Colorado angekommen, da, wo sich nördlich des Gunnison River die Mountains erheben, und hatten, obgleich es noch nicht weit über Mittag war, heute doch schon eine bedeutende Strecke zurückgelegt. Ich rechnete mir aus, dass wir am Abend am Elk Creek übernachten würden. Dann würde für uns die Trennung kommen. Meine drei Begleiter wollten zunächst in die Elk Mountains und dann zu den Book Mountains hinüber, während ich nach Süden abbiegen würde, um zwischen den San Juan Mountains und dem San Luis Park den Rio Grande entlang nach New Mexico in das Gebiet des Rio Pecos zu kommen. Da stießen wir auf einen Trupp Soldaten, die uns vor den Utah-Indianern warnten, welche das Kriegsbeil ausgegraben hatten. Natürlich waren wieder Weiße daran schuld, nämlich eine Gesellschaft von weißen Goldsuchern, die in ein Utah-Lager eingebrochen waren, um Pferde zu rauben, wobei viele Indianer und anschließend bei deren Rachefeldzug alle Räuber bis auf sechs getötet wurden. Nun schien hier in der Gegend der Teufel los zu sein. Wir dankten den Soldaten für die Warnung und ritten weiter. Nach etwa einer halben Stunde erreichten wir ein dicht mit Bäumen und Sträuchern bewachsenes Waldstück, wo wir in einer Lichtung lagerten und unser verspätetes Mittagsmahl hielten. Da kamen auf unserer Spur zwei Weiße angeritten, zwei der Pferdediebe, die ich mit zwei Faustschlägen unschädlich machte. Kaum war das geschehen, wurden wir auch schon von Indianern umzingelt. Es waren Yampa-Utahs mit ihrem Häuptling ‚Großer Wolf‘, die uns als Feinde ansahen, weil sie uns mit den beiden Mördern angetroffen hatten. Durch meine Überredungskunst und durch des Häuptlings Angst vor meinem ‚Zaubergewehr‘, dem Henrystutzen, erreichte ich, dass wir mit ihm und seinen zweihundert Kriegern in das Utah-Lager reiten konnten, um uns dort der Beratung der Ältesten zu unterwerfen. Die beiden Pferdediebe und Mörder aber wurden als Gefangene mitgenommen, um am Marterpfahl zu sterben.

Donnerstag, 1. Juli 1869:

Am nächsten Morgen wurden die zwei weißen Mörder, die sich jedoch in den Augen der Indianer wie ‚Memmen‘ zeigten, von Bluthunden zerrissen. Und einer dieser Bluthunde stürzte sich auch auf mich. Er hätte mich zerfleischt, wenn ich ihn nicht beim Zusammenprall abgefangen und mit meinem bekannten Faustschlag niedergestreckt hätte. Nun begann in indianischer Weise die entscheidende Sitzung über unser Schicksal. Dann kam das Urteil: Obwohl wir als Weiße in den Augen dieser Indianer unser Dasein verwirkt hatten, sollten wir nicht am Marterpfahl sterben, sondern unser Leben in verschiedenen Zweikämpfen verteidigen. Der ‚Große Wolf‘ suchte drei Krieger aus: Der ‚Rote Fisch‘ sollte mit dem klapperdürren Langen Davy um die Wette schwimmen; der ‚Große Fuß‘, dessen Muskeln wie Wülste hervortraten, gegen den Dicken Jemmy mit dem Messer kämpfen; und der ‚Springende Hirsch‘ mit dem Hobble-Frank, der auf einem Bein etwas lahmte, um die Wette rennen. Mit mir würde Häuptling ‚Großer Wolf‘ selbst kämpfen, und zwar mit Messer und Tomahawk. Durch einen Trick, den ich beim Losen anwandte, konnte der Lange Davy bei seinem Wettkampf mit der Strömung schwimmen, während sein Gegner dagegen ankämpfen musste. Es gab ein Heulen, als feststand, dass Davy schneller war als der ‚Rote Fisch‘. Der Dicke Jemmy hebelte seinen viel größeren Gegner über den Rücken aus und hätte den ‚Großen Fuß‘ ohne Weiteres erstechen können. Der Hobble-Frank schickte den bereits fast siegreichen ‚Springenden Hirsch‘ durch eine List auf eine falsche und weitere Strecke und gewann das Rennen. Und auch ich besiegte den ‚Großen Wolf‘, der bewusstlos zu Boden ging, nachdem ich ihm den Griff des Bowiemessers auf die Herzgrube geschlagen hatte. Während sich die Roten um ihren Häuptling scharten, gingen wir zu unserem Zelt, nahmen unsere Waffen und bestiegen die Pferde. Durch die Zelte gedeckt, bemerkte man unser Fortreiten zu spät. Natürlich würde man uns verfolgen, weshalb wir versuchten, auf steiniges Gelände zu kommen, damit unsere Spuren nicht so schnell entdeckt wurden. Noch waren wir nicht weit genug vom Utah-Lager entfernt, da trafen wir gänzlich unverhofft und unerwartet auf zwei alte Freunde, die unsere Zweikämpfe aus der Ferne beobachtet hatten, nämlich auf Winnetou und Old Firehand, die mit etwa vierzig Jägern und Rafters auf dem Weg hinauf zum Silbersee waren, um eine Mine auszubeuten. Bei ihnen befanden sich die Westmänner Gunstick-Uncle, Humply-Bill und Tante Droll mit dem etwa sechzehnjährigen Fred Engel, ein Ingenieur namens Patterson mit seiner Tochter Ellen sowie ein Lord Castlepool aus Old England. Wir vereinbarten, dass wir bis zum Night Cañon weiterreiten sollten, während Winnetou und Old Firehand mit ihren Leuten den uns verfolgenden Utahs nachritten, sodass wir sie in dem Cañon einschließen konnten. Wir erreichten unser Ziel und durchritten den Cañon, der am Ende so eng war, dass ein Mann allein zahlreiche Verfolger in Schach halten konnte. Als die Utahs endlich ankamen und sie auf meine Warnung hin nicht halten blieben, wurden sie von uns eingeschlossen und mussten sich gefangen geben. Nach ihrer Entwaffnung wurde der Weiterritt angetreten. Winnetou und Old Firehand hielten sich mit mir an der Spitze der Schar. Hinter uns ritt der Hobble-Frank neben Tante Droll. Ich hörte aus ihrem Gespräch, wie beide verwundert feststellten, dass sie miteinander verwandt waren und als Kinder zusammen gespielt hatten. Im Laufe unseres Ritts erreichten wir einen größeren und viel breiteren Cañon, in dem wir lagern wollten, weil es langsam Abend wurde. Winnetou, Old Firehand und ich waren bereit, die Roten freizugeben. Mit der Friedenspfeife wurde zwischen den Utahs und uns ein Freundschaftspakt geschlossen. Danach verließen uns die Indianer und ritten in Richtung Night Cañon zurück. Winnetou aber folgte ihnen heimlich, um zu sehen, ob sie wirklich die Gegend verließen, was sie auch taten. Dass sie dann doch umgekehrt waren, merkten wir erst später.

Winnetou, Old Firehand und ich saßen nachher noch ein wenig am Lagerfeuer zusammen. Winnetou erzählte mir nur ganz kurz von der Verfolgung Santers, dessen Spur er schon bald verloren hatte, wodurch er sein Vorhaben aufgeben musste. Ich konnte jetzt erst Old Firehand fragen, wie er seine Verwundung aus dem vergangenen Herbst überstanden habe. In Omaha bei seinem Sohn war er in gute Pflege geraten und seine robuste Natur hatte die Wunden so gut heilen lassen, dass er sich schon im Frühjahr nach Osten gewandt hatte, um einen Ingenieur ausfindig zu machen, der dabei helfen würde, eine ihm bekannte Silbermine auszubeuten. Der Begleiter von Tante Droll, der junge Fred Engel, hatte Anspruch auf einen dort am Silbersee befindlichen Goldschatz. Der Plan dazu befand sich aber jetzt im Besitz eines als ‚Roter Cornel‘ bekannten Schurken, den sie mitsamt seinen Tramps verfolgten. Wahrscheinlich kannten die beiden am See lebenden Tonkawa-Indianer, ‚Großer und Kleiner Bär‘ ebenfalls dieses Eldorado. Auch mir war ja bekannt, dass ein Goldschatz dort zu heben sei.

Wir lagen fast alle noch im ersten Schlaf, als wir von mehreren hundert Indianern angegriffen wurden. Es waren die Utahs, die uns trotz der mit ihrem Häuptling gerauchten Friedenspfeife erneut überfallen hatten. Wir verließen gefesselt unser Lager und mussten lange laufen, bis wir zu einem Sammellager der Utahs kamen. Dort wurden wir an das Lagerfeuer der versammelten Häuptlinge geführt, zu denen sich jetzt auch der ‚Große Wolf‘ setzte, der uns gefangen genommen hatte. Nanap neav, ein uralter Indianer, verhöhnte Winnetou so sehr, dass dieser ihn ansprang, wobei der Häuptling unglücklich stürzte und mit zertrümmerter Hirnschale tot liegenblieb. Dann wurden auch unsere Füße gefesselt und man legte uns unter Bäume, wo wir von mehreren Indianern bewacht wurden. Eine Flucht schien unmöglich. Als die meisten Indianer zu schlafen schienen, bemühte ich mich, meine Fesseln zu lösen, was mir bei einer Hand schon bald gelang. Da schob sich eine Gestalt neben mich und blieb stocksteif neben mir liegen, das konnte nur der Hobble-Frank sein, den ich nebst Tante Droll inzwischen vermisst hatte. Er schob mir langsam etwas zu: meinen Henrystutzen, den ich verloren glaubte. Mit Hilfe seines Messers konnten wir unsere Fesseln durchschneiden. Dann ging meine Weisung leise von Mund zu Mund, dass alle zu den Häuptlingen eilen sollten, sobald ich das Zeichen gab. Der ‚Große Wolf’ hatte sich soeben zu seinen Kriegern begeben. Allein die drei übrigen Häuptlinge saßen noch immer beratend an ihrem Feuer. Einige Sekunden später waren sie entwaffnet und gebunden und wir griffen nach unseren in der Nähe liegenden Gewehren. Wir würden die drei Häuptlinge als Geiseln mit uns nehmen und sie im Tal der Hirsche wieder freilassen, wenn die Utahs auf alle Feindseligkeiten verzichteten, was wiederum mit der Friedenspfeife besiegelt werden sollte.

Freitag, 2. Juli 1869:

Nun wurden unsere Pferde und die der Geiseln gebracht. Das war, als gerade der Tag zu grauen begann. Dann setzten wir uns in Bewegung. Wir kamen durch eine grandiose Landschaft, bis wir das Tal des Grand River erreichten. An einer Furt überquerten wir den Fluss und sahen eine breite Spur, die von Weißen herrühren musste. Winnetou und Old Firehand vermuteten, dass es der Cornel mit den Tramps sei. Wir folgten der Fährte bis zu einer felsigen Stelle, wo wir abbiegen konnten, um auf einem nur uns bekannten, sehr steilen Pfad in das Hirschtal zu gelangen. Die Sonne war schon am Untergehen, als wir in das Tal hinabstiegen, einen riesigen Kessel mit Freiflächen und Bäumen, unter denen mehrere andere Utah-Stämme lagerten. Winnetou, Old Firehand und ich schlichen hinzu und konnten nochmals zwei Häuptlinge, die gerade das Lager verlassen hatten, gefangen nehmen und in unser Lager bringen. Als wir wieder in der Nähe der Roten waren, entdeckten wir die Leichen der Tramps, die in die Hände der Utahs gefallen waren. Kurz darauf erschienen weitere Utahs: Es war der ‚Große Wolf‘ mit seinen Kriegern, die uns verfolgt hatten. Wir drei waren auf Bäume geklettert, um nicht entdeckt zu werden. Während die Utahs noch miteinander sprachen, erschollen vom anderen Ende des Tales mehrere Schreie, dann stürzten sich Navajo-Indianer auf die Utahs und es entwickelte sich ein furchtbarer und blutiger Kampf zwischen den verfeindeten Stämmen, wobei jedoch die Navajos in Unterzahl waren und wieder weichen mussten. Alle Utahs machten sich an die Verfolgung und nur ein Häuptling blieb im Lager zurück. Wir beschlossen, ihn mit uns zu nehmen, doch da kam auch schon der Hobble-Frank, schlug ihn nieder und schleppte ihn mit sich fort. Wir folgten ihm und erlebten, dass er noch einen zweiten Indianer niederschlug. Zusammen begaben wir uns mit den beiden Gefangenen in unser Versteck. Die Utahs kehrten zurück, und zwar als Sieger. Winnetou schlich nochmals hin und erfuhr, dass sie drei Häuptlinge vermissten und noch in der Nacht ihre Toten begraben wollten. Anschließend gedachten sie, anstatt uns einzufangen, erst ihre Häuptlinge zu befreien, von denen sie annahmen, dass sie sich in den Händen der Navajos befänden.

Samstag, 3. Juli 1869:

Am Morgen sahen wir die Utahs abziehen. Wir gingen zu deren Lager, wo sie die Tramps tot und skalpiert zurückgelassen hatten. Beim Cornel fanden wir die geraubte Zeichnung nicht, und wenn sie nicht von den Utahs zurückzuerlangen war, musste man sich auf mein Wissen um das Versteck der sagenhaften Schätze verlassen. Dann ritten wir, geführt von Winnetou, auf einem Schleichweg dem Silbersee zu.

Dienstag, 6. Juli 1869:

Nach einigen Tagen näherten wir uns dem Ziel unseres beschwerlichen Ritts. Als wir in dem Felsenkessel ankamen, wo Old Firehand eine Ader gefunden hatte, zeigte er dem Ingenieur Patterson ein Stück Silber, der sofort die Reinheit dieses Edelmetalls bestätigte. Hier musste ein ungeheurer Reichtum verborgen sein, dessen Fund Old Firehand mit allen teilen wollte, die sich ihm angeschlossen hatten. Doch bevor wir uns weiter damit beschäftigten, mussten wir erst für unsere Sicherheit sorgen, denn die Navajos und hinter ihnen die verfolgenden Utahs konnten recht bald auftauchen. Deshalb ritten wir weiter, denn der Silbersee lag noch zwei Stunden von uns entfernt. Noch hatten wir den Silbersee nicht erreicht, als wir auf Timbabatschen-Indianer trafen. Mit ihnen ritt dann unser gesamter Trupp weiter und bald sah man Wasser schimmern. Der Silbersee war erreicht. In der Mitte des Sees lag eine grüne Insel mit einem seltsamen Luftziegelbau. Auf dem Grasstreifen standen mehrere Hütten, in deren Nähe einige Kanus am Ufer angebunden waren. In und bei den Hütten lagen Indianer. Timbabatschen. Dann kamen auch der ‚Große und der Kleine Bär‘ und begrüßten uns. Auch der Häuptling der Timbabatschen, ‚Langes Ohr‘, kam herbei, ein finsterer Gesell mit langen Beinen und Armen, die ihm etwas Orang-Utan-Ähnliches gaben. Er hatte einst Tante Droll Gewehr und Kugelbeutel gestohlen, die ihm dieser jetzt wieder abnahm, dann aber doch schenkte. Um vor den Utahs sicher zu sein, schickte Old Firehand Frank, Droll, Davy, Jemmy, Bill und Uncle mit fünfzig Indianern hinunter an die schmalste Stelle des Cañons. Bald kam ein Bote von ihnen und unterrichtete uns, dass man weiter hinuntergezogen sei, um den bedrohten Navajos gegen einen vierfach stärkeren Feind zu helfen. Damit wir unsere Geiseln, die gefangenen Utah-Häuptlinge, in Sicherheit wussten, wurden sie auf die Insel im See gebracht und dort in einen kellerartigen Raum geschafft. Ich unterhielt mich mit dem ‚Großen Bären‘ über die Insel, den Schatz, der vermutlich darunter lag, und über die Vorrichtung, mittels derer man den See ablaufen lassen konnte. Dann mussten wir alle hinunter, denn unsere Leute unten am Cañon schienen in arger Bedrängnis zu sein. Wir wehrten den Ansturm der Utahs ab, wobei es eine Menge Tote auf deren Seite gab. Sie erhielten die Erlaubnis, ihre Toten abzuholen, ohne dass wir schießen würden. Dann trafen Winnetou, Old Firehand und ich uns mit vier Utah-Häuptlingen zwischen den Fronten und zeigten ihnen die Wampuns der anderen drei Häuptlinge, von denen sie angenommen hatten, sie befänden sich in den Händen der Navajos. Wir bestanden auf sofortigen Frieden, die Häuptlinge aber wollten zuerst mit ihren Leuten darüber beraten. Es begann zu dämmern und wurde bald Nacht. Old Firehand, der etwa eine Stunde später die Wachen inspizierte, stellte fest, dass ‚Langes Ohr‘ von seinem Posten verschwunden war und die Utahs zum Silbersee führte. Winnetou ging auf Kundschaft und informierte uns, dass die Utahs am Eingang des Cañons ein Loch geöffnet hätten. Da wusste der ‚Große Bär‘, dass sie durch einen Geheimgang zur Insel im Silbersee vordringen wollten. Er erklärte Winnetou, was dieser auf sein Zeichen hin tun sollte. Auf der Insel zündete er ein Feuer an, worauf da drüben ein kurzes, hohles Rollen zu hören war, dann das Zischen des Wassers, und nun ein Krachen, als ob ein Haus einstürze. Auf dem See entstand ein Strudel und das Wasser floss in den Gang, in dem sich die Utahs befanden. Mich überfiel ein Grausen, denn das bedeutete den Tod von weit über hundert Menschen. Wir gingen in den Keller des Hauses und hörten da unten ein Geräusch, und dann sahen wir einen Roten mit einer Fackel auftauchen. Es war das ‚Lange Ohr‘, der einzige Mensch, der sich aus diesem Inferno retten konnte. Statt ihn wegen seines Verrats zu töten, zwang der ‚Große Bär‘ das ‚Lange Ohr‘, das den Timbabatschen gehörende Gebiet an Old Firehand abzutreten.

Mittwoch, 7. Juli 1869:

Als es Tag wurde, ging ich zu den Utahs, die nicht mit in den Gang eingedrungen waren, und sagte ihnen, was geschehen war und dass auch die Navajos mit zweihundert Mann eingetroffen seien. Sie hatten also gar keine Chance mehr, etwas gegen uns zu unternehmen. Mit den von uns gefangenen Häuptlingen wurde ein Friedensvertrag ausgehandelt. Die Gefangenen wurden freigegeben, und alle, Utahs, Navajos und Timbabatschen, verpflichteten sich, den Bleichgesichtern, die im Felsenkessel wohnen und arbeiten wollten, Freundschaft zu erweisen und allen Vorschub zu leisten.

Donnerstag, 8. Juli 1869:

Am nächsten Morgen schlug die Trennungsstunde. Die Utahs zogen nord- und die Navajos südwärts. Auch die Timbabatschen kehrten in ihre Dörfer heim. Das ‚Lange Ohr‘ versprach, wegen des Verkaufs des Felsenkessels Beratung zu halten und dann das Ergebnis mitzuteilen.

Sonntag, 11. Juli 1869:

Er kehrte schon am dritten Tag zurück und berichtete, dass die Versammlung darauf eingegangen sei.

Montag, 19. Juli 1869:

Zunächst ritt Old Firehand mit dem ‚Großen Bären‘ und dem ‚Langen Ohr‘ nach Salt Lake City, wo der Kauf in Ordnung gebracht wurde. Winnetou und ich aber verabschiedeten uns von allen und verließen ebenfalls das Camp.

Montag, 26. Juli 1869:

Wir ritten nach Ogden, wo Winnetou und ich Abschied nahmen, ohne jedoch einen Zeitpunkt für ein weiteres Treffen zu vereinbaren. Ich bestieg die Pacific-Atlantic-Bahn nach Osten, während Winnetou meinen Hatatitla an sich nahm, um den weiten Weg zu den Apatschen anzutreten. Ich wollte mit der Eisenbahn bis Omaha fahren und dann auf einem Flussboot den Missouri hinunter bis nach St. Louis.

Freitag, 30. Juli 1869:

In St. Louis erwartete mich eine traurige Nachricht. Als ich das Haus von Mr. Henry aufsuchte, wurde mir von einer fremden Frau geöffnet. Ihre Familie war erst vor ein paar Wochen hier eingezogen und hatte das Haus von der Stadt gekauft. Was mit dem Vorbesitzer geschehen war, konnte sie mir nicht sagen. Ich ging daraufhin zu jener Familie, die mich damals bei meinem ersten Aufenthalt in den Vereinigten Staaten als Hauslehrer engagiert hatte und von der aus ich damals mit Sam Hawkens als Vermesser bei der Eisenbahn in den Westen gegangen war. Man erzählte mir, dass Mr. Henry vor einigen Monaten überraschend gestorben sei. Niemand habe gewusst, dass er krank war. Als er sich, wie sonst üblich, nicht mehr hatte sehen lassen, seien sie in sein Haus gegangen und hätten ihn tot im Bett gefunden. Er müsse da schon einige Tage gelegen haben. Da er keine Verwandten hatte und auch kein Testament vorhanden war, fiel sein gesamter Besitz in die Hände der Stadt. Was aus seiner Werkstatt geworden war, in der er seinen ‚Henrystutzen‘ gefertigt hatte, wussten sie nicht. Wir besuchten sein Grab auf dem Zentralfriedhof. Auf einem rohen Holzkreuz standen nur sein Name und das Todesjahr. Ein Vaterunser und ein Ave Maria waren der letzte Gruß, den ich ihm nachschicken konnte. Das also war mein Abschied von Mr. Henry, dem ich so viel zu verdanken hatte.

Mittwoch, 11. August 1869:

Ich musste noch einige Tage bei der Familie bleiben. Von hier aus machte ich einen Abstecher nach Moberly in Missouri. Dort erkundigte ich mich nach den Familien der Brüder Burning. Ich sagte nicht, wer ich war, und begnügte mich damit zu erfahren, dass der Kapitän von Fort Hillock den Anverwandten die acht Beutel mit dem vollen Inhalt übermittelt hatte.8

Montag, 16. August 1869:

In New York erkundigte ich mich nach einer Fahrgelegenheit nach Europa, vornehmlich nach Deutschland. Ein Schiff von Hapag Lloyd sollte am Montagmorgen, also heute in aller Frühe abdampfen. Vorher war ich, wie inzwischen schon bei mehreren Aufenthalten in New York, noch bei der deutschsprachigen ‚New Yorker Staatszeitung‘ gewesen, und man war dort froh, wieder einige meiner Reiseerlebnisse drucken zu können. Da ich aber erst kurz vor der Abfahrt mit dem Artikel fertig werden konnte, vereinbarte ich, mein Honorar beim nächsten Aufenthalt in New York abzuholen. Ich hatte die ganze Nacht von Sonntag auf Montag zu schreiben. Dann steckte ich das Manuskript in einen Umschlag und ließ es bei der Redaktion abliefern. Inzwischen aber hatte ich mich zum Hafen fahren lassen, und seit zwei Stunden liegt New York bereits hinter uns. Ich hoffe, in etwa zehn Tagen wieder zu Hause zu sein.

Chronik eines Weltläufers

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