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2. ERSTE ORIENT-REISE (1861-1862)1

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Sonntag, 27. Oktober 1861:

Emery Bothwell und ich hatten uns das Versprechen gegeben, uns wiederzusehen. Die Begegnung sollte in Afrika stattfinden. Dass wir uns für Algier entschieden, geschah nicht ohne Grund, denn hier lebte ein Verwandter von ihm namens Latréaumont, der Leiter eines Handelshauses war. Bei ihm wollten wir uns treffen. Dort erfuhr ich, dass Emery Bothwell die Familie verlassen hatte, um deren Sohn zu suchen. Dieser hatte eine hauseigene Karawane begleitet, die aber von der ‚Gum‘, einer Raubkarawane, überfallen worden war und sich in deren Gewalt befand. Die Wüstenräuber hatten einen Boten geschickt und Lösegeld verlangt, das Latréaumont auch bezahlte, jedoch ohne den Sohn freizubekommen. Als der zweite Bote kam, war Bothwell eben eingetroffen. Er ließ die verlangte Ware abgehen, folgte aber heimlich nach. Vor zwei Wochen kam eine Nachricht, ich solle ihm nach meiner Ankunft sofort nachkommen. Der Bote, der diese Nachricht brachte, würde mich zu ihm bringen. Er hieß Hassan Ben Abulfeda und war ein Araber vom Stamm der Kababisch. Ich beschloss, schon am nächsten Morgen abzureisen. Doch noch am selben Abend traf wieder ein Abgesandter der Wüstenräuber ein, der nochmals Lösegeld verlangte. Ich schlug ihn nieder und bat Latréaumont, ihn der Polizei zu übergeben. Unter den Dienern des Hauses befand sich auch ein Deutscher namens Josef Korndörfer aus dem fränkischen Staffelstein, der mich als Diener in die Wüste begleiten wollte.

Montag, 28. Oktober 1861:

Wie vorher bestimmt, war ich mit Hassan und Korndörfer von Algier abgereist. Wir hatten bis Batna die Steppenpost benützt, mit der wir eine halsbrecherische Fahrt hinter uns hatten. Hier dingte ich einen Beduinen, mich und meine zwei Begleiter auf Pferden über das Auresgebirge zu schaffen.

Dienstag, 29. Oktober 1861:

Schon zwölf Stunden saßen wir im Sattel und ritten zwischen Felswänden und Abgründen, in deren unterster Tiefe das Auge das graugelbe Wasser eines reißenden Bergstroms erblickte. Es war der Wed al Kantara, in dessen Fluten Jules Gérard, der kühne Löwenjäger, seinen Tod gefunden hatte. Dann ging der Ritt weiter nach dem Pass von Kantara, bis wir zur Karawanserei El Kantara kamen, wo wir für die Nacht Einkehr hielten. In dieser Nacht – es war Dienstag auf Mittwoch – schoss ich in der Nähe der Karawanserei zwei Panther, die dem Wirt schon einige Schafe gerissen hatten.

Mittwoch, 30. Oktober 1861:

Nachdem wir am Morgen die Karawanserei verlassen hatten, befanden wir uns bald inmitten der Schluchten und Steinklüfte des Auresgebirges, dessen Längsrichtung wir bis gegen Abend einhielten, um dann über seinen Kamm in die Sahara hinabzusteigen. An seinem Fuß lag das Zeltdorf, das Ziel unserer heutigen Wanderung. Wir erwarben drei Reit- und ebenso viele Packkamele nebst allen Gegenständen und Vorräten, die zur weiteren Reise notwendig waren.

Donnerstag, 31. Oktober 1861:

Am Morgen folgten wir dem Fuß des Gebirges, um die Karawanenstraße aufzusuchen. Es war ein heißer Tag, und wir befanden uns noch immer auf den Ausläufern des Gebirges. Da erblickte ich eine Reihe von Zelten, zwischen denen zahlreiche Pferde und Kamele lagen. Wir kamen zu dem Duar, wo wir erfuhren, dass fast alle Männer auf Löwenjagd seien. Ich ließ mir den Weg zu ihnen zeigen und kam gerade recht, als ein Mann niedergerissen wurde, denn ich erschoss den Löwen und der Mann war gerettet. Als Dank dafür schenkte dieser mir ein Bischarinhedschîn (Kamel), wie es in der ganzen Sahel kein zweites gab, und überreichte mir noch ein eigentümlich geformtes Korallenstück. Seine scharfen, dunklen Augen hatten ein eigentümliches Licht. Ich hätte diesem Mann nie mein Vertrauen schenken können. Um ihn nicht zu erzürnen, musste ich das Tier annehmen. Als ich in der Satteldecke die Buchstaben A.L. eingestickt sah, wusste ich, dass der Besitzer zur Gum, also zu jener Raubkarawane gehörte, die Renaud Latréaumont entführt hatte. Ich verabschiedete mich von den Bewohnern des Duars und ritt mit meinen beiden Begleitern weiter.

Freitag, 22. November 1861:

Seit unserem letzten Abenteuer waren mehrere Wochen vergangen. Wir waren noch immer nur drei Genossen und verfügten über eine hinreichende Anzahl Packkamele, um die Lasten verteilen zu können. Wir konnten sicher sein, das Bab el Ghud, wo wir Emery Bothwell zu treffen hofften, nach drei guten Tagesmärschen zu erreichen. Auf unserem Ritt durch die Sahara sah ich nach und nach drei kleine Sandberge, unter denen die Leichen dreier Araber und ihrer Kamele vergraben waren. Die Toten hatten alle einen Schuss in die Stirn erhalten, und zwar genau über der Nasenwurzel. Das konnte nur Emery Bothwell gewesen sein, denn ich kannte diesen Meisterschuss. Eine Strecke weiter begegneten wir einem Mann, der von Emery Bothwell gesandt worden war, um uns zu suchen. Wir ritten mit ihm.

Samstag, 23. November 1861:

Gegen Mittag trafen wir auf die Spur einer Karawane. Wir nahmen an, dass sich die Karawane verirrt haben müsse, denn hier gab es für mehrere Tagesreisen nicht so viel Wasser, um ein einziges Pferd zu erhalten. Der Tebu, unser neuer Führer, meinte, dass die Karawane bewusst in die Irre geführt worden sei, um sie zu überfallen. Wir beschlossen, der Karawane zu helfen. Endlich erblickten wir sie vor uns zwischen den Dünen. Die Reiter baten uns um Wasser. Ich gab jedem nur so viel zu trinken, dass mein Schlauch für alle reichte. Übrigens bemerkte ich sowohl bei dem Karawanenführer als auch bei dem obersten der Kamelreiter die verräterischen Buchstaben A.L., die mir das Übrige erklärten. Als ich dem Karawanenführer das Korallenstück zeigte, glaubte er, ich sei ein Angehöriger der Gum, und er erklärte mir, dass heute Nacht die Karawane überfallen werden sollte, die er statt zur Oase Ghat in die Richtung zur wasserlosen Bab el Ghut geleitet habe. Und dass die Gum als Zufluchtsort ein Kaßr, eine alte Römerburg, besaß und wie der Weg dorthin führte. Da kamen im raschesten Lauf vier Reiter hinter uns her, und ich erkannte denjenigen, der mir sein Reitkamel geschenkt hatte, und den Boten, der in Algier von uns gefangen genommen worden war. Ihm musste es auf irgendeine Weise geglückt sein, seine Freiheit zu erlangen. Es kam zu einer bewaffneten Auseinandersetzung, in deren Verlauf ich beide erschießen musste und die beiden anderen von meinen Begleitern getötet wurden. Der Karawanenführer und sein Kumpan wurden gefesselt. Dann zog unsere Karawane weiter, obwohl wir wussten, dass die Gum in der Nähe war. Aber auch Emery Bothwell, den sie den Räuberwürger nannten, befand sich im Umkreis der Gum. Inzwischen ertönten in der Nähe Schüsse und ich erkannte an dem Knall des Gewehres, dass es sich um Emerys Kentuckybüchse handelte, womit er weitere Mitglieder der Gum eliminierte. Auch ich konnte drei Mitglieder der Gum erschießen. Dann standen wir, die wir uns in den Staaten das Wort gegeben hatten, uns in Afrika wiederzutreffen, voreinander im Innern der Sahara. Die Begrüßung war kurz, aber herzlich. Ich erzählte ihm in Kürze das Wissenswerte. Ein kurzer Meinungsaustausch brachte uns zu dem Entschluss, die Räuber zwischen zwei Feuer zu nehmen, was auch gelang. Doch dem Hedschân Bei und einigen seiner Männer gelang die Flucht.

Sonntag, 24. November 1861:

Die Zeit bis zum Morgen verging ohne Störung. Dann brachen wir auf. Wüstenreisende finden manchmal eine Stelle, an der es Wasser unter dem Sand gibt. Einen solchen Brunnen fanden wir. Unsere Tiere konnten sich erfrischen. Wir erreichten das Bab el Ghud kurze Zeit nach Einbruch der Dunkelheit.

Montag, 25. November 1861:

Am Morgen suchten wir das Bab el Hadschar auf. Es trug seinen Namen ‚Tor der Steine‘ mit vollem Recht, durch das wir unseren Weg nach El Kaßr suchen mussten, von dem ich annahm, dass dort Renaud Latréaumont gefangen gehalten wurde. Wir kamen an eine Schlucht und gelangten nun in einen Felsenkessel. Oben sahen wir El Kaßr liegen. Emery und ich wollten einen Weg hinauf erkunden und kamen an einen schmalen, tiefen Spalt, wo eine verborgene Treppe zu Höhe führen musste. Wir entdeckten dann eine niedrige, türähnliche Öffnung im Felsen und sahen auch menschliche Schädel und Knochen liegen: die Richtstätte von Hedschân Beis Gefangenen. Oben am Kaßr aber fanden wir den Eingang verschlossen. Wir stiegen wieder abwärts und ich bestieg mein Bischarin, und Josef nahm ein Mehari von Emery. Dann ging es in Eile den Weg zurück, den wir gekommen waren, und wir ritten nun in gerader Richtung auf das Schloss zu. Die Sonne tauchte soeben hinter den westlichen Himmelsrand hinab, als wir den hohen, offenen Eingang erreichten, wo hinter seinen Seitenpfeilern vier Männer hervortraten und uns ihre langen Flinten entgegenstreckten. Obwohl ich das Korallenstück zeigte, traten sie uns feindlich entgegen und wir mussten sie niederschießen. Wir machten noch einen Gefangenen, von dem wir erfuhren, dass nur diese fünf Männer die Bewacher des Kaßr waren. Unsere Leute stiegen nun alle die steinernen Stufen herauf und der Gefangene musste das Steintor öffnen. Als alle oben waren, führte der Gefangene Emery und mich in ein Gewölbe. Darin lag auf dem harten, bloßen Boden, von Stricken festgehalten, eine menschliche Gestalt: Renaud Latréaumont. Ein paar rasche Messerschnitte lösten die Bande. Wir ließen nun unsere Tiere herbeiholen und saßen bis in die späte Nacht hinein über der Erzählung der Leiden und Freuden, die wir hinter uns hatten.

Dienstag, 26. November 1861:

Als ich mich am Morgen erhob und in den Hof trat, sah ich unten über die Ebene eine Reihe von Arabern kommen. Wir brauchten nicht lange zu warten. Sie traten unbesorgt in den Hof und alle Gewehre krachten. Der Hedschân Bei aber war noch nicht oben, er stand noch mit zwei Männern unten bei den Kamelen und winkte diesen, ihm zu folgen. Sie schritten auf den Treppenaufgang zu. Der Bei trat mit seinen beiden Begleitern aus der Pforte in den Hof. Während sich Emery den Bei packte, hatten meine Kugeln seine beiden Begleiter niedergestreckt. Der Pehlewân Bei – der Räuberwürger Emery Bothwell – packte den Hedschân Bei – den Karawanenwürger –, trug ihn zur Mauer und schleuderte den Mörder hinab in die Tiefe, wo die Gebeine der Gemordeten lagen. Die Gum war bis auf den letzten Mann vernichtet.

Freitag, 13. Dezember 1861:

Vierzehn Tage später hatten wir die Serir durchschritten und ein wunderbar liebliches Bild breitete sich vor uns aus. Es war die Oase Ghat, wohin wir die Karawane glücklich brachten. Mit ihr trennte sich nach einem mehrtägigen Aufenthalt auch der Tebu von uns.

Mitte Januar 1862:

Und wieder mehrere Wochen später hielten wir unseren Einzug in Algier, wo wir von der glücklichen Familie Latréaumont mit unendlicher Freude empfangen wurden.

Ende Januar 1862:

Für Latréaumont und die Seinen war der Abschied von uns recht schwer. Der Staffelsteiner wollte mich nicht verlassen. Er ging mit mir und Emery, der mir zu Liebe seinen ursprünglichen Reiseplan änderte, nach Deutschland, um wieder einmal den ‚laufigen‘ Trank seiner Heimat zu kosten.

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