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Moral, Ethik, moralische Erziehung

Moral und Ethik

Ethik als Theorie der Moral

Die Begriffe „Moral“ und „Ethik“ wurden in den bisherigen Überlegungen undifferenziert verwendet. Bezieht man sich auf die sprachgeschichtliche Herkunft der Ausdrücke, so besteht wenig Anlass zu einer begrifflichen Differenzierung. Der Unterschied besteht im Wesentlichen darin, dass „Moral“ der lateinischen Sprache entstammt, während „Ethik“ auf die griechische Sprache verweist.

Trotzdem werden in der ethischen Fachliteratur die beiden Begriffe gegeneinander abgegrenzt, woraus freilich keine verlässliche Konvention entstanden ist. O. Höffe stellt in seinem ›Lexikon der Ethik‹ nach einem kurzen Überblick fest, „später“ habe die Ethik die Bedeutung von „Moralphilosophie“ angenommen, sodass demnach Ethik im Prinzip die Theorie der Moral wäre, wobei freilich der Begriff „Moral“ weitgehend unbestimmt bleibt. Es ist möglich, dass in Ausklammerung der sozialen und politischen Dimension „Moral“ die persönliche Seite des „rechten“ Handelns betrifft (Höffe 1992, 62); es ist aber auch möglich, gerade die gesellschaftliche Seite und vor allem die gesellschaftliche Seite der Moral zu betrachten, wie dies etwa N. Luhmann tut. Ungeachtet dieses Unterschieds definiert auch er Ethik als „Theorie der Moral“ (Luhmann 1990, 4ff.).

In der sprachanalytischen Ethik finden wir ebenfalls diese Unterteilung nach Reflexionsstufen, wobei Moralität in der philosophischen Untersuchung im Wesentlichen auf die „Sprache der Moral“ reduziert wird, die dann von der Ethik nach sprachlogischen Prinzipien analysiert wird (vgl. Hare 1983, 13). Eine ähnliche Unterscheidung mit ähnlicher Bestimmung des Begriffs „moralisch“ finden wir bei W. K. Frankena, der das Wesen der „Ethik oder Moralphilosophie“ (Frankena 1972, 20ff.) als Reflexion über Moral bestimmt, welche sich in den drei Formen der deskriptiv-empirischen Untersuchung, des normativen Denkens und des analytischen, kritischen oder metaethischen Denkens äußere. Frankena selbst will eine normative Theorie entwickeln, die die Frage nach „gut und richtig“ zu beantworten sucht. Auch er hebt den gesellschaftsbezogenen Charakter der Moral hervor, insofern diese eine „Institution des sozialen Lebens“ (ebd., 24) sei.

Die heutige Unterscheidung zwischen Ethik und Moral setzt also den Unterschied zwischen Handeln und Denken voraus: Das Handeln kann durch Normen bestimmt werden, die im Verlauf der kindlichen Sozialisation erworben wurden und befolgt werden, ohne dass man über sie nachdenken müsste. Ethik hingegen stellt ein denkendes und insofern auch distanziertes Verhältnis zu diesen Normen her. Die Unterscheidung setzt ferner den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit voraus, insofern die Wirklichkeit der in einer Gesellschaft und/oder einem Individuum wirksamen Normen und Werte im Nachdenken über sie in einen Möglichkeitsraum gestellt werden, in welchem auch Alternativen sichtbar werden. Und sie setzt schließlich vor allem voraus, dass der Mensch sich auf ganz verschiedenen Reflexionsstufen befinden kann: Auch auf der Handlungsebene verfährt er nicht ohne jede Reflexion, die Reflexion ist hier aber lediglich auf das Gelingen der Handlung ausgerichtet, während weitergehende, höherstufige Reflexionsformen zwar präsent, aber in dieser Phase nicht wirksam sind. In der ethischen Betrachtung wird diese unvermeidliche Reflexionsverschiebung oder -blockade aufgehoben.

Die hier angesprochene Unterscheidung, nach der Ethik die Theorie oder das systematische Nachdenken über Moral ist, ist heute gängig, wenn auch keineswegs unumstritten. Sie findet sich bereits bei Kant, der sich dabei seinerseits schon an Christian Wolff orientieren konnte. Dieser hat den zweiten, dritten und vierten Teil seiner Schrift ›Vernünftige Gedanken von der Menschen Tun und Lassen, zur Beförderung ihrer Glückseligkeit‹ mit dem Titel ›Philosophia Moralis sive Ethica‹ versehen. Es ist nach alldem konsequent, wenn A. Pieper in ihrer lehrbuchartigen ›Einführung in die Ethik‹ kurz und bündig definiert: „Die Ethik als eine Disziplin der Philosophie versteht sich als Wissenschaft vom moralischen Handeln“ (A. Pieper 1994, 17).

Grundsätzlich geht auch die hier vorliegende Untersuchung von dem skizzierten Unterschied aus. Freilich darf man nicht übersehen, dass die Unterscheidungen von Denken und Handeln, von Möglichkeit und Wirklichkeit, von verschiedenen Reflexionsstufen oder auch von Objekt- und Metaebene idealtypische oder analytische Unterscheidungen sind. Ihnen geht die konkrete Wirklichkeit voraus, der gegenüber solche Differenzierungen nachträgliche Abstraktionen darstellen. Schon die Unterscheidung zwischen Denken und Handeln ist eine solche nachträgliche Abstraktion, insofern menschliches Handeln gerade durch planendes Denken charakterisiert ist und allein schon aufgrund des langen Hiatus zwischen Reiz und Reaktion so beschrieben werden kann, dass sie sich über lange Zeiträume erstreckt, in welchen durchaus Phasen des distanzierenden Nachdenkens dominieren können. Falsch wäre es auch, die Differenz zwischen Moral und Ethik als Differenz zwischen laienhafter Praxis und professioneller Wissenschaft zu verstehen. Wenn irgendwo, so sind hier die Übergänge zwischen unwissenschaftlicher Praxis und wissenschaftlicher Theorie fließend. A. Pieper weist mit Recht darauf hin, dass sich vermutlich jeder „in seinem Leben gelegentlich schon mehr oder weniger ausdrücklich ethische Gedanken meist im Zusammenhang mit einer bestimmten Situation“ gemacht hat (ebd., 17). Die Ethik, die sich selbst aus diesen lebenspraktischen Zusammenhängen hinausreflektieren würde, würde nicht nur jede praktische Bedeutung, sondern auch jede gesellschaftliche Relevanz verlieren und dürfte sich nicht beklagen, wenn sich außer einigen Metaethikern niemand mehr für sie interessierte.

Unter Berücksichtigung der idealtypischen Differenz der Begriffe und der real-konkreten Synthese erscheint es legitim, von „moralischen bzw. ethischen Normen“ zu sprechen oder gar von einem „moralisch-ethischen Bewusstsein“ – einem Bewusstsein also, in welches das ständige Nachdenken über moralische Normen und Überzeugungen eingeschlossen ist. Die Eigenart der Ethik als einer theoretischen philosophischen Disziplin besteht dann nicht in der denkenden Problemanalyse überhaupt, sondern in der Konstruktion eines systematischen Zusammenhanges von Theorie und Praxis.

Moral und Erziehung in der pluralistischen Gesellschaft

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