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Werte der Gesellschaft: Gerechtigkeit und Wohlwollen

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Wie schon bei den Selbstentfaltungswerten kann man zumindest bei der Suche nach typischen sozialen Werten wiederum auf die Tradition zurückgreifen. Man kann mit wenigen Ausnahmen die antike Ethik als eine Synthese von Selbstentfaltungs- und Gemeinschaftswerten ansehen. Wenn also in der Gegenwart die ständige Selbstüberbietung der Selbstentfaltungstendenzen bis hin zu einem fast schrankenlosen Individualismus und Hedonismus beklagt und nach Grundlagen für eine alternative Sichtweise gesucht wird (vgl. Brezinka 1986, 13ff.; W. Böhm 1997, 120ff.), so bietet die eigene Geschichte Anknüpfungspunkte genug. Dass der Mensch ein Wesen ist, welches von Natur aus die Gemeinschaft sucht, ist seit Aristoteles geradezu zu einem Topos geworden (Aristoteles, Politikos, 1253 a 3). Diskutiert wird dementsprechend im Prinzip nur selten die Frage, ob soziale Werte dem Menschen angemessen sind, sondern eher die Frage, in welcher anthropologischen, ethischen und psychologischen Beziehung Selbstentfaltungswerte und soziale Werte stehen. Diese Frage wird später unter pädagogischem Aspekt erneut aufgegriffen werden. An dieser Stelle geht es lediglich um die sozialen Werte selbst und ihren Bezug zur pluralistischen Gesellschaft.

Sucht man nach einem Begriff, der als normativer Oberbegriff bzw. Leitbegriff für soziale Verhältnisse und Beziehungen dienen kann, so stößt man auf den Begriff der Gerechtigkeit. Schon bei Platon spielt die Gerechtigkeit als Tugend insofern eine herausragende Rolle, als sie als eine Art Metatugend den Stellenwert der anderen Tugenden bestimmt: Gerecht ist für ihn derjenige, der die verschiedenen Ausrichtungen seiner Seele zu koordinieren weiß, sodass die Vernunft die Leitung übernimmt, ohne Affekte und Begierden zu unterdrücken. Gerechtigkeit als Zustand einer inneren Ausgewogenheit, als die „rechte“ Ordnung der Seele – das ist eine Bestimmung, die ihre Wirkungen im Neuplatonismus über Augustinus, das platonische Mittelalter bis hin zur modernen Konstruktion von Bedürfnishierarchien und Selbstverwirklichungskonzepten gehabt hat. Es ist aber weniger diese Form von Gerechtigkeit gemeint, wenn von sozialen Werten die Rede ist, sondern vielmehr Gerechtigkeit als der Wert, der die Beziehungen der Menschen untereinander regelt. Dass das eine mit dem anderen nicht identisch ist, bemerkt schon Aristoteles, wenn er moniert, Gerechtigkeit sei keine Haltung des Einzelnen gegen sich selbst, sondern eine Haltung gegenüber dem anderen (vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik 1129 b f.). Auf jeden Fall stimmt er Platon darin zu, dass sie eine herausragende Tugend sei, und beruft sich auf Theognis, der gesagt habe, in die Gerechtigkeit sei „jeglicher Vorzug“ eingeschlossen (ebd., 1129 b).

Als weiterer Leitbegriff kann der Begriff des Wohlwollens bzw. des Gemeinwohls dienen, von dem später ausführlicher die Rede sein wird.

Wir müssen an dieser Stelle nicht zwischen Wert, Norm und Tugend unterscheiden. Für Platon ist die Gerechtigkeit eine der vier Kardinaltugenden, und auch Aristoteles betrachtet sie als ethische Tugend. Gerechtigkeit kann, wie an früherer Stelle bereits bemerkt wurde, sowohl Wert als auch Tugend sein; hier geht es weniger um die innere Haltung des Einzelnen als vielmehr um den Wert, der grundlegend die Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft regeln soll.

Moral und Erziehung in der pluralistischen Gesellschaft

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