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Einleitung

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Dass es mit der Moral in unserer Gesellschaft nicht zum Besten stehe, kann man allenthalben hören. Zuweilen bewegen sich die Klagen darüber auf Stammtischniveau – so etwa dann, wenn pauschal über die Anspruchshaltung, die fehlende Leistungsbereitschaft oder die sittliche Verwahrlosung der „jungen Generation“ geklagt wird. Oft aber liegen Verdikten über entsprechende Fehlentwicklungen auch durchaus seriöse Analysen oder Beobachtungen zugrunde, die sich vielfach mit allgemein verbreiteten Erfahrungen decken und die Ursachen hierfür nicht in einer zufällig gehäuft auftretenden Böswilligkeit oder geistigen Verwahrlosung von Individuen oder Individuengruppen suchen, sondern in bestimmten Risiken, die mit der Struktur der modernen Zivilisation oder gar mit der „conditio humana“ oder mit der Kombination von beidem gegeben sind. Die christliche Theologie lehrt uns, der Mensch sei von Geburt an mit der „Erbsünde“ belastet und falle schon deshalb immer wieder in sündiges Verhalten zurück; eine philosophische Entsprechung zu dieser Betrachtung liefert Kant mit seiner Analyse der menschlichen Natur und der resignativ klingenden Bemerkung, aus einem Wesen, welches aus so krummem Holz geschnitzt sei wie der Mensch, könne letztlich nichts ganz Gerades werden (vgl. Kant, Idee 1983, 41), und A. Gehlen hat, auf solchen und anderen Einsichten aufbauend, im gerade abgelaufenen Jahrhundert den Menschen als ein gefährdetes Wesen bezeichnet mit einer „konstitutionellen Chance, zu verunglücken“ (Gehlen, Der Mensch 1986, 32).

Es scheint nun so, dass die unbestreitbaren Defizite, die der Mensch in allen uns bekannten Bereichen besitzt, in der Gegenwart eine besonders problematische Wirkung entfalten und dass dies strukturelle Gründe hat. Der Mensch, der in dem von ihm selbst immer wieder inszenierten und gespielten „Drama der Freiheit“ besonders anfällig für das Böse ist (vgl. Safranski 1997), verträgt offenbar kein unbeschränktes Maß an Handlungsmöglichkeiten und überhaupt an Lebensmöglichkeiten. Wird dieses Maß überschritten, so treten verschiedene, teils miteinander unverträgliche, teils komplementäre Folgen ein: Im äußeren Handlungsraum werden Prozesse in Gang gesetzt, die eine Art Eigendynamik entfalten und in ihrer Wirkungskomplexität vom Menschen nicht mehr überblickbar und deshalb auch nicht mehr beherrschbar sind. Im Bereich der Technik finden wir hierfür Beispiele genug. Im inneren Orientierungsraum sieht sich der Einzelne einer Vielfalt von Deutungsmustern und Sinnangeboten ausgesetzt, auf die er oft mit Verwirrung und Orientierungslosigkeit, oft aber auch mit spontaner, besinnungsloser Proselytenhaltung reagiert. Ganz ähnlich kann die Situation übrigens im äußeren Orientierungsraum sein, wenn etwa das Individuum als Konsument einer schier unübersehbaren Vielfalt von Waren- und Freizeitangeboten gegenübersteht.

Besondere Probleme für die sozialen Beziehungen der Menschen untereinander aber entstehen offenbar dann, wenn auch im Bereich von Moral oder Sittlichkeit die Vielzahl von Verhaltensmöglichkeiten nicht mehr durch allgemein anerkannte Vorgaben gebunden ist, und dies ist in den westlichen, pluralistisch geprägten Gesellschaften vielen Analysen zufolge zumindest eine bedrohliche Tendenz. S. Uhl stellt hierzu unter Berufung auf die sozialwissenschaftliche Forschung fest, nur bei einer Minderheit habe der „Wertwandel“ zu einer „neuen Wertrangordnung von einiger Stabilität und Ausgewogenheit geführt … Bei ziemlich vielen Menschen ist es statt dessen zu uneinheitlichen, widersprüchlichen und je nach Situation schwankenden Wertorientierungen gekommen“ (Uhl 1996, 12). Die Folge hiervon können Apathie, Sprunghaftigkeit, Widersprüchlichkeit im Verhalten, Anpassungsmentalität, gesellschaftliche Abstinenz oder fehlende Authentizität (vgl. Raths/Harmin/Simon 1976, 19f.), aber natürlich auch moralisch-soziale Verwahrlosung und aggressives bis hin zu gewalttätigem Verhalten gegenüber der sozialen Mitwelt sein.

Die vielfachen Diskussionen um diesen Komplex zeigen zumindest zwei deutliche Tendenzen: Zum einen wird, wie bereits erwähnt, immer wieder die Struktur der pluralistischen Gesellschaft mit den genannten Phänomenen in Verbindung gebracht; zum anderen wird dem Bereich der Erziehung zumindest deklamatorisch ein erhöhter Stellenwert zuerkannt.

Die Struktur der pluralistischen Gesellschaft und die mit ihr verbundene ethische Problematik werden später ausführlicher zur Sprache kommen. Aber bereits an dieser Stelle lässt sich sagen, dass ein rechtlich vorgesehener und abgesicherter Pluralismus innerhalb eines gewissen Rahmens auf jeden Fall auch einen moralischen Pluralismus mit sich bringt, da in einer pluralistischen Gesellschaft der Staat darauf verzichten muss, seinen Bürgern Konzepte des guten Lebens und des moralischen Umgangs miteinander zu verordnen, und sogar jedes Individuum, jede soziale Gruppe und auch jede Institution an dem Versuch hindern muss, sich selbst als moralische Zwangsautorität für alle zu etablieren. Daraus folgen nicht zwangsläufig die heute oft beklagte moralische Beliebigkeit und Anarchie, aber als Möglichkeit scheinen diese in der Struktur einer solchen Gesellschaft ständig präsent zu sein.

Dass diese Möglichkeit in unseren Tagen offenbar virulente Realität wird, liegt daran, dass in die Sphäre privater, durch Verordnungen aller Art nicht regulierbarer Lebensorientierung immer öfter nicht nur weltanschaulich-religiöse Lebenskonzepte einbezogen werden, sondern auch Bereiche, die bislang als Bestandteile des „common sense“ galten und privater Beliebigkeit entzogen waren. Dass man z.B. Versprechen halten soll, ist ein altes moralisches Prinzip, das zwar auch früher oft nicht befolgt wurde, aber als Norm doch anerkannt war. Dass diese Norm zu den Grundregeln des Zusammenlebens zählt und insoweit eben nicht der moralischen Beliebigkeit anheim fällt, ist evident und bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Begründung. Zwar wird die Geltung dieser Norm auch heute theoretisch kaum bestritten; jedoch leben wir in einem öffentlichen Klima, in welchem tendenziell jeder jedem misstraut und kaum noch damit rechnet, dass jemand seine Versprechen einfach deshalb hält, weil er sie eben abgegeben hat. Von Politiker/-innen etwa erwartet man kaum noch, dass sie ihre Wahlversprechen sinngetreu einhalten – entsprechende Beanstandungen sind meistens nur Bestandteile politischer Taktik; von der Werbung, die uns täglich den Einzug ins „Gelobte Land“ verheißt, gilt dies erst recht, und selbst bei einem drohenden Zerbrechen privater zwischenmenschlicher Beziehungen fällt der Hinweis, dass sich die Partner schließlich etwas versprochen haben, wohl noch am leichtesten ins Gewicht. Kritisch wird der Zustand also nicht schon dann, wenn Gruppen und Individuen ihre je eigenen moralischen Überzeugungen haben, sondern wenn diese Pluralisierung schließlich das Netz gemeinsamer Grundregeln des Zusammenlebens zerreißt – etwa so wie es W. Strombach unter Berufung auf W. Welsch als postmodernes „Radikalwerden von Pluralität“ beschreibt, „die es zwar vorher … auch schon gab, aber nicht in dieser Unbedingtheit. Sie wird nicht mehr getragen und entschärft … durch die Basis einer gemeinsamen Übereinstimmung“ (Strombach 1995, 13).

Es hat somit den Anschein, dass die moralisch problematischen Seiten der menschlichen Natur, die an dieser Stelle nicht weiter zu diskutieren sind, in der pluralistischen Gesellschaft einen besonders günstigen Nährboden finden. Durch keine rigiden Vorgaben und Verbote gehindert, realisiert der Mensch ohne Rücksicht auf das Wohl des Ganzen aus dem Möglichkeitsraum, den er vorfindet oder auch selbst schafft, eben diejenigen, die seinen eigenen Interessen am ehesten entsprechen. Alles, was dieser Verwirklichung im Wege steht, wird als Hindernis wahrgenommen und entweder umgangen oder „bewältigt“ (vgl. Steinvorth 1994, 24ff. und bes. Kap.14).

Was nun die Konzentration auf die Erziehung als zweite deutlich werdende Tendenz der heutigen Diskussion angeht, so liegt die Verbindung ebenso nahe. Nur radikale Vertreter der Postmoderne können bestreiten, dass eine Gesellschaft ohne gemeinsame moralische Grundorientierungen nicht lebensfähig ist. Wenn nun der Bestand an solchen Orientierungen gefährdet ist, so erscheint es besonders wichtig, dafür Sorge zu tragen, dass wenigstens in der Erziehung moralische Maßstäbe vermittelt werden. Man setzt die Hoffnung dann auf die nachfolgende Generation, der man die moralische Kraft vermitteln will, die die Gesellschaft als ganze nicht mehr aufbringt, und man lädt der Schule gern die ganze Verantwortung für das Gelingen auf. Umso größer ist die Enttäuschung, wenn dieser Verschiebungsprozess nicht so recht funktioniert. Man schimpft dann leicht über die Schule, über die profil- und erziehungsunwilligen Lehrer/-innen, und nicht zuletzt über die Jugend selbst, die nur noch an Freizeit, „fun“ und sich selbst interessiert sei, wobei leicht übersehen wird, dass sich die Gesellschaft als ganze in der Jugend, die ja ein Teil von ihr ist, besonders deutlich widerspiegelt. Individuelle Defizite können zwar auch bei Kindern und Jugendlichen keineswegs immer als Folge gesellschaftlicher Einflüsse betrachtet werden; die kollektiven Defizite jedoch, die man heute bei „der“ Jugend feststellt, sind durchweg ein Spiegel gesellschaftlicher Zustände und Fehlentwicklungen. Das gilt z. B. für die von Th. Lickona vorgelegte gesellschaftliche Zustandsbeschreibung, die steigende Jugendkriminalität, steigenden Drogenkonsum, steigende Gewaltbereitschaft und als Ursache und gleichzeitig Folge dieses Prozesses ein Absinken moralischer Basiskenntnisse (Lickona 1991, 3ff.) konstatiert. Diese Entwicklung dürfte tendenziell in allen westlichen Gesellschaften anzutreffen sein.

Bei der Diskussion dieser Entwicklung gilt es nun, verschiedene Missverständnisse zu vermeiden. Zunächst darf man von der Erziehung und insbesondere von der schulischen Erziehung nicht die grundlegende Reform der Gesellschaft erwarten. Das hieße, aus anderer Perspektive, mit anderen Inhalten und einer anderen Zielrichtung den Fehler der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre zu wiederholen, als schon einmal von einer grundlegenden Neugestaltung des Erziehungswesens durch radikalemanzipatorische Ansätze bis hin zur antiautoritären Bewegung eine Basisreform der gesellschaftlichen Verhältnisse erhofft wurde. Das war seinerzeit eine unsinnige Überforderung der Institution „Schule“, und das wäre es auch heute. Die schulische Erziehung hat sich mit den beschriebenen Entwicklungen auseinander zu setzen, sie muss darauf reagieren, sie muss nach pädagogischen Handlungsmöglichkeiten innerhalb des Systems fragen und sie mag dadurch auch zu dessen Reform beitragen, so wie jede wichtige gesellschaftliche Entwicklung dies tut. Die Reflexion des Systems „Schule“ kann innerhalb des vorgegebenen Rahmens auch zu einer kritischen Selbstanalyse führen und eine Weiterentwicklung fordern. Mehr aber darf man von ihr nicht verlangen und nicht erwarten.

Ein weiteres mögliches Missverständnis ergibt sich aus der Kritik selbst. Sie erreicht zuweilen eine Schärfe, die den Eindruck erweckt, als sei alles, was die neuere westliche Kultur an Einsichten und gesellschaftlichen Entwicklungen hervorgebracht habe, unter moralischem Aspekt von Grund auf falsch und radikal abzulehnen. Wenn etwa A. MacIntyre in seiner Analyse des Verlusts der Tugenden gleich zu Beginn schreibt, es seien nur noch sprachliche „Scheinbilder der Moral“ in unserem Besitz, was auf einen bisher gar nicht erkannten katastrophalen Verlust der Moral hinweise (vgl. MacIntyre 1987, 15ff.), und alle wesentlichen Entwicklungen in diesem Bereich dem Emotivismus zuordnet, also der Theorie, ethisch-moralische Urteile seien letztlich nur Ausdruck von argumentativ nicht miteinander zu vermittelnden Gefühlslagen (vgl. MacInytyre 1987, Kap.2 bis 9), so ist von vornherein klar, dass die Zerstörungskraft dieser Kritik die Gesellschaft als ganze trifft. Wie trotz dieser Fundamentalkritik die von MacIntyre als positives Gegenbild entfaltete aristotelische Tradition der Tugendethik „in einer Weise neu formuliert werden“ kann, „die die Verständlichkeit und Rationalität unserer moralischen und sozialen Haltungen und Verpflichtungen wiederherstellt“ (ebd., 345), ist nicht erkennbar. Der Hinweis auf die Bedeutung „lokaler Formen von Gemeinschaft, in denen die Zivilisation und das intellektuelle und moralische Leben über das finstere Zeitalter hinaus aufrechterhalten werden können“ (ebd.), und die Hoffnung auf einen neuen, „völlig anderen heiligen Benedikt“ (ebd., 350) wirken eher ratlos.

MacIntyre weist auf diese Möglichkeiten im Anschluss an eine umfassende Kritik des „liberalen, individualistischen Standpunktes“ (ebd., 345) hin, der nicht mit dem Konzept des Pluralismus identisch ist, aber doch wichtige Berührungspunkte mit letzterem hat. Es ist ja nicht zu übersehen, dass das von der Aufklärung normativ entwickelte Prinzip freiheitlichtoleranter Selbstbestimmung sich in der politisch-gesellschaftlichen Praxis eben nicht so entfaltet hat, wie sich das viele seiner Vertreter vorgestellt hatten. Es ist eine eigenartige Symbiose eingegangen mit der Trägheit des Einzelnen, seinem Unterhaltungsbedürfnis, seinen Egoismen, seinen individuellen Neigungen und Glücksansprüchen, seiner Verführbarkeit, und natürlich auch mit neuen Zwängen, die nicht immer als solche empfunden werden. Es besteht insoweit schon Anlass, von einer „Gesellschaft der Ichlinge“ oder sogar von einer „autistischen Gesellschaft“ zu sprechen (vgl. Lempp 1996, 69–86; kritisch H. Keupp 2000, 6ff.).

Auf der anderen Seite ist aber auch festzuhalten, dass der Stellenwert der Individualität leitmotivartig in der europäischen Geistesgeschichte immer wieder und nicht erst in der Neuzeit auftaucht. Hegel stellt nicht ohne Grund fest, dass für das Christentum das „Individuum als solches einen unendlichen Wert“ gewonnen habe (Hegel 1959, § 482). In der christlichen Philosophie lässt sich dies leicht an der Entwicklung des Personbegriffs weiterverfolgen, der bereits von Boethius definitorisch mit dem Begriff der Individualität gekoppelt wird und seitdem über die Scholastik, Leibniz, Kant in dieser Richtung weiterentwickelt worden ist. Die moderne Philosophie hat sich trotz mancher Korrekturbemühungen dieser Tradition angeschlossen, wobei der von Descartes gesetzte Akzent auf dem Bewusstsein des denkenden Ichs immer stärker das Verständnis von individueller Personalität bestimmt hat – eine Entwicklung, die in anderer Hinsicht sicher nicht unproblematisch ist (vgl. Honnefelder 1993, 254ff.).

Es ist wichtig, sich diese Tradition klar zu machen, um sich des Rahmens zu vergewissern, in dem die immer wieder erhobenen Klagen über die Auswüchse des modernen Egoismus und Individualismus ihren Ort haben. Die Individualität der menschlichen Person bestimmt in der europäischen Geschichte mehr und mehr das Selbstverständnis des Menschen, und trotz aller berechtigten Kritik an den damit zusammenhängenden Fehlentwicklungen sollte unstrittig sein, dass der Gedanke einer individuellen menschlichen Würde zum Besten gehört, was unsere Kultur hervorgebracht hat. Die pluralistische Gesellschaft selbst verdankt ihre Entstehung dieser Geschichte und hat nicht zufällig die personale Würde unter einen besonderen rechtlichen Schutz gestellt.

Es geht also in diesem Buch nicht darum, Möglichkeiten der moralischen Erziehung für einen grundsätzlich alternativen gesellschaftlichen Kontext zu entwickeln, sondern in differenzierender Betrachtung zunächst die Problematik zu entfalten, die sich von den Grundlagen der pluralistischen Gesellschaft aus für die moralische Erziehung ergibt, und Antworten aufzuzeigen, die sich ebenfalls in diesem grundsätzlichen Rahmen anbieten. Dabei geht es zunächst um die ethischen Fragen, die sich von den Prinzipien der pluralistischen Gesellschaft her stellen (1. Kapitel), im Anschluss daran um die aus der Perspektive der philosophischen Ethik sich ergebenden moralpädagogischen Antworten (2. Kapitel). Diese beziehen sich auf Ziele und Inhalte (1), aber auch auf die Erziehungswirklichkeit und besonders markante Erziehungskonzepte (2), die in den letzten Jahrzehnten erprobt und diskutiert wurden. In diesen Zusammenhang gehört auch die Diskussion von institutionellen Möglichkeiten einer schulischen Realisierung moralpädagogischer Ansätze in bestimmten Fächern sowie einiger Konzepte zur Neugestaltung der Schule. Das Schwergewicht der Darstellung wird auf der Schule als Erziehungsinstanz liegen, wenngleich die allgemeine Problematik, die grundlegenden Erziehungsziele und oft auch die Erziehungsmethoden natürlich nicht auf die Schule beschränkt sind, sondern auch für andere gesellschaftliche Bereiche – nicht zuletzt auch für die häusliche Erziehung – gelten.

Fragen der moralischen Erziehung haben sich seit jeher in einem interdisziplinären Kontext bewegt. Als Bezugsdisziplinen kommen neben der Pädagogik vor allem die Theologie, die Soziologie, die Psychologie und die Philosophie in Betracht. Einsichten und Betrachtungsweisen dieser Disziplinen werden auch in dieser Untersuchung ständig präsent sein. Von den Bezugsdisziplinen außerhalb der Pädagogik wird dabei die Philosophie die dominierende Rolle spielen. Man kann zwar nicht behaupten, dass diese Akzentuierung dem allgemeinen heutigen Theoriebewusstsein folgt, jedoch gibt es immerhin einige wichtige Stimmen, die für diese grundsätzliche Entscheidung sprechen. So kritisiert K. E. Nipkow in seiner umfassenden Analyse der „Moralpädagogik im Pluralismus“, dass „als Folge der philosophisch-ethischen und moralpädagogischen Problemblindheit“ die Kategorien des Ethischen fatalerweise in denen des „Sozialen“ bzw. „Ästhetischen“ eingegangen seien (Nipkow 1998, I, 147). Im englischsprachigen Raum findet man im moralpädagogischen Kontext des Öfteren eine explizit philosophische Orientierung, so etwa bei John Wilson, der auf die oft beklagte Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln hinweist und dies zurückführt auf einen Mangel an philosophischem Wissen „über das, was moralische Tugend ausmacht, über ihre Bedeutung für das menschliche Leben, über die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn man sie zu einem Teil unseres Lebens machen will“ (Wilson 1990, 88, übers. vom Verf.). Und kein Geringerer als Lawrence Kohlberg vertritt die Auffassung, dass die Erziehung insgesamt als „practice of philosophy“ anzusehen sei (Kohlberg 1981, XIV), und fordert ausdrücklich eine gründliche Beschäftigung der Lehrer mit den entsprechenden philosophischen Fragen (vgl. ebd. 1 ff., 29 ff., 188 f.). Eine ähnliche Position finden wir bei dem Schweizer Pädagogen A. Hügli, der meint, „Pädagogik sei im Grunde nichts anderes als ‚pädagogische Ethik‘“ (Hügli 1999, 141) und eine vertiefte philosophische Bildung im Rahmen des Lehramtsstudiums fordert (ebd., 188 f.). Die Wirklichkeit bleibt derzeit freilich weit hinter diesem Postulat zurück.

Moral und Erziehung in der pluralistischen Gesellschaft

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