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Das Unkraut
ОглавлениеHenrici unterbrach seine Schreibtischarbeit, um im Garten das vernachlässigte Beet, das er im Frühjahr zu bepflanzen dachte, zu jäten. Er kauerte, die kleine Hacke in der rechten Hand, mit gekrümmtem Rücken wie ein grosses G über dem unerwünschten Grünzeug, das es, möglichst mit allen sich verästelnden oder pfahlartig in die Tiefe stechenden Wurzeln auszureissen galt, eine Arbeit, der etwas abzugewinnen ihm ebenso viel Mühe bereitete wie sie selbst, bis ihm einfiel, Unkraut sei doch eigentlich das Kraut, das keines ist und sozusagen gegen alles wirklich Krautige, es überwuchernd, wächst. Das liess ihn, warum auch immer, an seinen Schreibtisch denken. Konnte man nicht die vielen Arten von Unkraut als Laute oder Buchstaben auffassen, mit denen die Natur ihre Schwatzhaftigkeit auslebte und sich über die blumigen Figuren künstlich angelegter Gärten lustig machte? Aber das hiess auch, dass man den mit Unkraut beschriebenen Flecken Erde, den man jätete, las, indem man das Gewächsalphabet aus ihm entfernte und ihm Zeichen um Zeichen seines Textes entriss. Die Möglichkeit, Jäten als beseitigendes Lesen zu begreifen, beflügelte Henricis Eifer, und als er nach zwei Stunden seine steifen Glieder streckte und die Gestalt eines I zurückzugewinnen suchte, blickte er voller Befriedigung auf das leere Blatt, das er hergestellt hatte, und kehrte an seinen Schreibtisch zurück.