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TROLLI

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Diesmal kam Birta als erste auf die Idee, die Frauen zum Sammeln von Pilzen und Beeren zusammenzurufen. Die Morgensonne hatte Björkendal erweckt und die ersten Leute zeigten sich zwischen den Hütten, da ging Birta von Hütte zu Hütte und fragte, wer mitkommen möchte.

Da Birta mit der großen Hilda befreundet war, ging sie natürlich als erstes zu ihr und Hilda sagte auch sofort zu.

Das freundliche, spätsommerliche Wetter war wie geschaffen für das Sammeln von Beeren und Pilzen und so hatten die beiden Freundinnen in kurzer Zeit, eine große Gruppe von Frauen und Mädchen gefunden, die mit in den Wald wollten.

Fast alle hatte zwei Sammelkörbe bei sich. Kurze Zeit später fanden sich auch noch die Mädchen Stina und Lipurta bei der Gruppe ein, die vor Hildas Hütte wartete.

Als Klein Hilda gefragt wurde, ob sie nicht auch mitkommen wollte, zog sie die Stirn kraus und maulte: „Ööö, nein, ich habe keine Lust auf Beerensuche, und mein Bein tut auch weh, weil ich grade wieder wachse.“

Die Mutter strich ihr über den Kopf und sagte: „Na gut, dann wachse mal in Ruhe weiter und übe noch etwas stricken. Du kannst aber auch noch etwas Getreide für die Grütze mahlen. Vergiss nicht das Stricken, denn er Winter kommt bestimmt bald. Wir brauchen alle noch ein paar warme Strümpfe und du machst ja von uns allen die meisten Strümpfe kaputt. Stimmt’s, meine kleine Strumpfhilda.“

Hilda schaute ihre Mutter strafend an. „Uuh, du sollst das nicht immer sagen. Ich heiße nicht Strumpfhilda.“ Aus dem Hintergrund kam wie zur Bestätigung von Hildas Ungemach Skyggis Rabenstimme: „Arr, arr.“ Dann flatterte er etwas und setzte sich, wie um ihr beizustehen, auf ihre Schulter.

„Ich hab dich trotzdem lieb“, sagte die Mutter. „Dann bleib eben hier und lass dir von Skyggi beim stricken helfen, aber mache keine Dummheiten.“

Als die Frauen abmarschbereit waren, klatschte Birta in die Hände und rief: „Kommt Mädels, lasst uns die Köstlichkeiten des Waldas einsammeln! Ich denke, dass es ein wunderschöner Tag wird und wir alle volle Körbe nach Hause bringen werden.“

In der Luft lag noch sommerliche Wärme, obwohl es in der letzten Zeit öfter geregnet hatte, aber dadurch wuchsen jetzt, die herrlichsten Pilze und Beeren in den Wäldern.

Für die meisten der Frauen war es eine willkommene Abwechslung zur Feld- und Hausarbeit. Im Wald konnten sie nach Herzenslust schwatzen, singen und lachen. Außerdem gab es dann in den nächsten Tagen leckeres Essen.

Kaum war das Stimmengewirr vor der Hütte verstummt, da nahm sich Hilda wirklich ihr Strickzeug vor und begann, an dem Strumpf weiterzustricken, den sie schon vor Tagen angefangen hatte. „Vielleicht kriege ich diese doofen Dinger ja doch einmal fertig“, murmelte sie vor sich hin und begann mit verbissenem Gesicht ihre Strickarbeit zu vollenden.

Skyggi war gelangweilt auf den Tisch gehopst und suchte dort nach Speiseresten. Als er nichts fand setzte er sich an den Tischrand, hielt den Kopf schief und äugte neugierig nach Hildas Händen.

Nach einer ganzen Weile anstrengender Strickerei, stöhnte Hilda auf: „Puh, ist das langweilig.“ Sie mühte sich noch einige Zeit mit wachsender Unlust, Masche für Masche am Strumpf zu stricken, aber dann packte sie das Strickzeug zur Seite und überlegte, was sie mit dem Tag anfangen könnte.

Als ob Skyggi darauf gewartet hätte, packte er blitzschnell die Stricknadeln mit dem Schnabel und flatterte damit auf dem Tisch hin und her.

„Skyggi, oooh nein! Du alte, doofe Krähe, lass los!“, schimpfte Hilda und griff nach ihrem angefangenen Strumpf, der grade dabei war, durch Skyggis Mithilfe, wieder zu einem welligen Wollfaden zu werden.

„Skyggi, irgendwie muss ich dir noch beibringen, wie du ein anständiger Rabe wirst. Wie stehe ich denn vor Falki da, wenn ich dich nicht erziehen kann? Soll ich dich heute festbinden? Ich will doch raus.“

Hilda überlegte, was sie mit dem Raben anfangen könnte. „Ach was soll ich nur mit dir machen?“, schimpfte sie. „Machst du hier drinnen alleine Unfug? Soll ich dich raus lassen?“ Sie gab Skyggi noch ein paar Leckereien und ließ ihn dann zur Tür hinausflattern.

Hilda stand unschlüssig in der Tür und schaute in den leicht bewölkten Himmel. Sie überlegte jetzt angestrengt was sie nun wirklich mit dem Tag anfangen sollte. Ihre besten Freunde waren alle woanders; Falki war bei Steinar in der Schmiede, Alfger mit den Männern zum Fischfang, die großen Mädchen waren auch im Wald und im Dorf mit den kleinen Kindern spielen, dazu hatte sie schon gar keine Lust.

„Na gut“, entschied sie endlich, „dann gehe ich eben auch in den Wald und sammle mit.“

Sie nahm sich ihren Umhängekorb, steckte etwas Brot, ein paar Nüsse und einen Apfel ein. An der Tür ließ sie noch einmal ihren Blick durch die Hütte schweifen, nahm sich noch einen weiteren Sammelkorb und ging los.

Skyggi würde bestimmt zu Sölvi fliegen, weil die beiden sich mochten, da brauchte sie sich keine Sorgen um den Raben machen.

„Hm, hatten die Frauen eigentlich gesagt, wo sie heute sammeln wollten?“, fragte sie sich selbst. So ein Pech, Mutter Hilda hatte nichts gesagt und so ging sie auf gut Glück los.

Bestimmt lag es daran, dass sie diese Gegend besonders mochte, denn fast von alleine trugen sie ihre Beine in die Richtung zu den Dreien, wo sie das Rabenei hergeholt hatten.

Weil es in den letzten Tagen öfter geregnet hatte, war der Waldboden noch ziemlich weich und die Rentierflechten, die bei Trockenheit unter den Füßen laut knirschten, waren nun wie weiche Wolle unter ihren Schritten.

Dort wo die Sonne den Waldboden erreichte, stieg dampfend Feuchtigkeit auf. So mochte sie den Wald ganz besonders und sie dachte kurz an Alviturs Geschichten, die von heimlichen Waldwesen handelten.

Es gefiel ihr, bei dieser Stimmung durch den Wald zu laufen und sie begann leise vor sich hin zu summen. Die Luft war mild und ihre Füße flink. Schon nach kurzer Zeit war Hilda in der Nähe der besagten Felsen.

Nicht weit davon, fand sie auch eine verlockende Stelle, an der Blaubeeren und Preiselbeeren massenhaft wuchsen. Als erstes musste sie sich eine ganze Hand voll Blaubeeren in den Mund stecken, dann hockte sie sich hin und begann die Beeren in ihren Korb zu sammeln.

Hilda fühlte sich richtig gut und sang leise vor sich hin. Das Beerensammeln ging hier so einfach und es gefiel ihr bedeutend besser, als das langweilige Stricken. Obwohl Hilda sich immer wieder eine Handvoll Blaubeeren in den Mund schob, füllte sich ihr Korb langsam. Die Sonne schien gerade wieder durch eine große Wolkenlücke und mit jedem Sonnenstrahl fühlte sich Hilda noch besser.

Als sie wieder auf allen Vieren herumkrabbelte, um Beeren zu sammeln, nahm sie einen etwas sonderbaren Geruch war. Sie schnüffelte in alle Richtungen und plötzlich erinnerte sie dieser an Etwas, aber es fiel ihr nicht sofort ein, an was. Es roch ziemlich intensiv nach dickem Moos, aber das war ja normal, hier im Wald. Sie schnüffelte weiter und fand: Es roch auch nach Pferd. Hilda schaute sich mehrfach um, aber sie entdeckte nichts, was ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie dachte dann auch nicht länger nach und sammelte weiter die saftigen Beeren.

Als sie einen Korb schon fast voll hatte, dachte sie, dass es toll wäre, den anderen Korb mit Pilzen zu füllen. Sie überlegte kurz, wo Pilze wachsen könnten und schlug dann die Richtung, nach Norden, in die Bergwälder ein. Sie wusste, dass dort um diese Jahreszeit Pilze wuchsen. „Vielleicht treffe ich ja dort auch die anderen Frauen“, dachte sie bei sich.

Ihre Augen suchten eine ganze Weile den Waldboden nach Pilzen ab, aber noch hatte sie keine lohnenswerte Pilzstelle gefunden, nur hier und da mal einen einzelnen Pilz. Irgendwann erreichte sie eine kleine, enge Schlucht, die aber so verlief, dass sie jetzt voll im Sonnenlicht lag.

„Na, da war doch meine Nase richtig“, frohlockte sie und staunte über die riesige Ansammlung von rothütigen Pilze.

„Hmmm, na Pilze, wie heißt ihr den?“, stellte sie sich selbst die Frage und ahmte dabei Fifillas Ton nach. Lachend gab sich Hilda auch gleich selbst die Antwort, nachdem sie kurz nachgedacht hatte: „Ja, ihr seid Apfeltäublinge, und die schmecken gut.“

Voller Freude auf die lohnende Entdeckung, kroch Hilda auf allen Vieren über den Waldboden und sammelte die Täublinge ein. Sie merkte in ihrem Eifer nicht, dass sie sich einem tiefen Loch im Waldboden näherte, das von Blaubeerbüschen verdeckt war.

„Ha, du bist aber schön“, sagte sie zu einem prachtvollen Pilz und reckte sich, um ihn zu greifen, doch sie war dem Rand der Erdspalte schon zu nahe und verlor den Halt. Hilda stürzte kopfüber in das verdeckte Loch. Der Fall schien ihr unendlich zu dauern, dann wurde es dunkel um sie.

Als Hilda ziemlich benommen wieder zu sich kam, sah sie, dass sie auf dem Boden eines sehr tiefen Loches lag. Rings um sie herum war ihre gesamte Ausbeute an Pilzen und Beeren verstreut.

Ihr war schwindelig im Kopf und vom Sturz taten ihr alle Knochen weh. Sie setzte sich langsam auf und schaute sich um.

„Auuu, mein Kopf. Oooch, das wird ’ne dicke Beule“, jammerte sie und schaute sich dann ihre abgeschürften Knie und Hände an, die ziemlich doll brannten.

Eine ganze Weile saß Hilda so da, ohne überhaupt etwas zu denken, doch dann rappelte sie sich auf und begann die Beeren und Pilze wieder einzusammeln. Als ihre Ernte wieder vollständig eingesammelt war, betrachtete die Wände, die um sie herum steil aufragten und ihr wurde bewusst, dass sie nicht so einfach aus diesem Loch herausklettern konnte. Als sie nämlich einen ihrer Körbe auf den Rand des Loches abstellen wollte, merkte sie, dass sie ihn nicht einmal durch Springen erreichen würde.

Hilda schob ihr Kinn vor und sagte entschlossen: „Dann muss ich eben versuchen, zu klettern und meine Körbe hier unten lassen. Schade um die schönen Beeren und Pilze, da war meine ganze Mühe umsonst.“

Hilda suchte Halt an der steilen Wand und griff nach ein paar Würzelchen, die zahlreich aus den Spalten im Fels herausguckten. Hilda war stark für ein Mädchen und sie schaffte es, sich ziemlich weit hoch zu ziehen, doch dann; ratsch, rissen die Wurzeln ab und Hilda saß wieder unten.

Alle folgenden Versuche endeten ähnlich und ihre Fingernägel brachen auch vom ständigen Abrutschen am harten Fels ab. Als ihre Hände von den erfolglosen Kletterversuchen heftig schmerzten, wurde sie sich der ausweglosen Situation bewusst. Sie stieß ein wütendes Keuchen aus und setzte sich, mit grimmigem Gesicht, auf den Boden.

„Hier hört mich doch nicht mal jemand, wenn ich schreie“, dachte sie verzweifelt.

In tiefem Grübeln versunken, begriff sie langsam ihre Hilflosigkeit und die Tränen traten ihr in die Augen. Verzweifelt legte sie den Kopf auf ihre Knie und begann zu weinen.

Irgendwann verschwand auch noch die Sonne hinter dicken Wolken und es begann zu nieseln. Ganz fein fiel der Regen und Hilda wurde nass.

Ein paar Mal noch stand sie auf und schrie sich die Lunge aus dem Hals. Sie rief alle Namen die ihr grade einfielen und: „Hier bin ich, hiiiiiier …!“, aber niemand hörte sie. Die Wildnis um sie herum schien überhaupt leer zu sein, denn nicht mal Vögel waren zu hören.

Immer wieder rief sie, immer wieder, bis sie sich, unendlich verzweifelt, hinsetzte und weinte.

Die Zeit schlich nur so dahin und trotz ihrer nassen Kleidung, döste sie, irgendwann erschöpft, ein. Hilda schlief so fest, dass sie zu träumen begann. Alles Mögliche purzelte ihr durch den Kopf, auch dieser seltsamen Geruch fiel ihr wieder ein, der ihr unterwegs aufgefallen war und doch irgendwie bekannt vorkam. Im Traum begann sie wieder danach schnüffeln und wurde langsam davon wach.

Halb im Traum, halb Wirklichkeit, formten ihre Lippen das Wort: „Trolli“, dann spürte sie in sich ein intensives Kribbeln und sie wurde vollends wach. Sie fühlte plötzlich wieder das Gleiche, dass sie damals spürte, als sie das Rabenei holten, aber sie konnte es nicht richtig einordnen. Es war so anders, als alle bisherigen Gefühle und dann wusste sie schlagartig, dass sie gerade ein anderes Wesen erspürte, dass hier in der Nähe war. Hilda hörte ein Geräusch über sich und hob den Kopf.

Inzwischen war es dämmerig geworden, aber sie konnte ganz deutlich einen Zottelkopf am oberen Rand der Grube sehen und sein eigentümliche Geruch, drang ihr ganz deutlich in die Nase.

Der Zottelkopf beugte sich etwas zu ihr herunter und große Augen schauten sie fragend an.

Hildas Herz begann vor Erregung, wild zu klopfen, hoch bis in den Hals. Sie spürte den Troll und auch dass er nichts Böses im Sinn hatte. Es war fast so, als ob sie hörte, dass er ihr gut war und nur helfen wollte.

„Trolli, bis du das?“, sprach sie ihn an. Hoffnung kam in ihr auf und sie rief: „Trolli, ich bin es, die Hilda. Ich habe dir damals unseren Brei gegeben. Ich bin Hilda. Erinnerst du dich? Hilda, die dir Essen gab.“

Der Troll brummelte etwas und dann formten seine Lippen das Wort „Iiidaaa.“

„Hilda, nicht Ida“, rief sie zurück.

Der Troll schaute weiter von oben, mit seinen großen Augen, auf sie herab und wiederholte: „Iiidaa.“

„Na gut, dann bin ich eben Ida. Trolli, hilf mir! Ich komme hier alleine nicht mehr raus!“

„Iiidaa“, tönte es wieder von oben, dann verschwand der Kopf plötzlich.

Hilda brüllte nun aus Leibes Kräften: „Nein! Trolli, bleib hier! Bitte, geh nicht weg! Trolli, komm zurück!“

Nichts rührte sich, da fing sie wieder an zu weinen und setzte sich verzweifelt hin. Bittere Tränen tropften auf ihre Knie.

Etwas entfernt, hörte sie plötzlich ein Schaben und Rascheln. Sie hob den Kopf und lauschte. Ganz schnell waren die Tränen versiegt. Nun hörte sie lautes Knacken, das Brechen von Ästen, dann das Krachen von dickerem Holz.

Sie wusste sofort, das war der Troll. „Er ist also noch hier und will mir helfen“, ging es ihr erfreut durch den Kopf. Hilda stand auf und schaute ungeduldig nach oben und dann sah sie wieder den Kopf über den Grubenrand schauen. Er brummelte etwas in seiner Trollsprache und Hilda wusste jetzt, dass er ihr helfen würde.

Die Rettung kam wirklich und ein kleiner Baum wurde über den Grubenrand geschoben. Der Troll brummelte wieder etwas, dann schob er den Stamm immer tiefer, bis er auf dem Boden aufsetzte.

Mit Freuden stellte Hilda fest, dass am Stamm die Äste, zwar abgebrochen waren, aber so, dass man auf den Aststümpfen, wie auf einer Leiter, nach oben klettern konnte.

Der Troll beugte sich weiter vor und wie eine Aufforderung klang es diesmal: „Ida“, aus seinem Mund. Er brummelte noch etwas und zeigte eindeutig auf den Baum, der nun fest auf dem Boden stand.

Hilda sprang vor Freude in die Luft und rief: „Trolli, mein Retter, danke!“, dann griff sie ihre Sammelkörbe. Einen Korb hängte sie sich um, den anderen nahm sie zwischen die Zähne und kletterte am Stamm empor, den der Troll oben festhielt.

Inzwischen war es Nacht geworden und es nieselte immer noch. Wegen der dicken Wolken war der Mond nur schemenhaft zu sehen und der Troll erschien ihr wie ein Schatten, der nur wenig größer war als sie selbst.

Es war kälter geworden und in ihrer nassen Kleidung begann Hilda zu zittern.

Bevor sie noch irgendetwas überlegen konnte, griff eine große, feste und behaarte Hand nach ihrer und zog sie mit sich fort.

Hilda war erst überrascht, aber da sie immer noch die Freundlichkeit spürte, folgte sie ohne zu zögern. Sie wusste, dass Trolli, wie sie ihn nun nannte, ihr nichts Böses antun würde. Mit diesem neuen Gespür, diesem neuen Sinn, merkte sie es ganz deutlich und hatte sofort Vertrauen zu ihrem zotteligen Retter.

Hoffentlich führt er mich in die richtige Richtung, ich sehe ja nicht mal den Boden, dachte sie und stolperte laufend über die Äste. Doch der Troll hielt sie fest und Hilda überließ sich willig seiner Führung.

Es regnete immer stärker und Hilda wurde nass bis auf die Haut. Eine kleine Wolkenlücke und das hellere Mondlicht zeigten ihr, dass sie jetzt wieder in der Nähe der drei Felsen waren, also war ihr Weg richtig. Die Silhouette der Felsen zeichnete sich undeutlich vor dem Nachthimmel ab.

Hilda wurde es lausekalt und sie zitterte immer stärker. Der Troll zog sie plötzlich näher an die Felsen heran. Hilda wunderte sich erst, doch dann merkte sie, dass er sich sehr gut auskennen musste, denn er schob sie in eine Felsöffnung, die sie hier nicht kannte.

Sie fand sich plötzlich in einer kleinen Höhle wieder, die hinter dichtem Gestrüpp verborgen war.

Trolli schob Hilda ganz hinein und drückte sie auf den Boden. Als sie saß, bemerkte sie auch, dass der Boden kein harter Fels war, sondern dass alles mit Reisig und Moos ausgepolstert war, so dass sie weich saß.

„Das wird wohl Trollis Lager sein“, stellte sie fest und wurde plötzlich hundemüde. Als der Troll sich neben sie hinsetzte, konnte sie nicht anders, als sich an ihn anzulehnen. Sie merkte noch, wie er einen Arm um sie legte und schlief augenblicklich ein.

Als Hilda langsam erwachte, dachte sie im Halbschlaf: „Puuh, mein Bett riecht aber merkwürdig“, dann wurde ihr bewusst, das ihr Bett Trollis Pelz war und sie immer noch in seinen Armen ruhte. Jetzt wurde sie schlagartig wach, richtete sich auf und sah, im Dämmerlicht, genau in die großen Augen ihres Retters.

Er schaute fragend auf Hilda und sie spürte, da war etwas, das ganz tief in ihre Seele ging. Sie spürte Wärme und seine Umarmung. Es war sonderbar, aber sie fühlte sich sonst nur in den Armen ihrer Mutter so sicher, wie jetzt hier. Hilda genoss dieses Gefühl und lehnte sich wieder an den Troll, bis sie feststellte, dass sie Hunger hatte.

Sie war froh, als sie daran dachte, wie der Troll sie gerettet und dann die ganze Nacht bei ihr gesessen hatte, um sie zu wärmen. Das Gefühl ihrer Dankbarkeit wurde so drängend, dass sie den Troll umarmen musste, ihn noch einmal fest drückte und dann flüsterte: „Trolli, mein guter Trolli.“

Der Troll murmelte etwas, das sie nicht verstand und dann wieder: „Ida.“

Nun wusste sie wirklich, dass er sie meinte. Er konnte ihren Namen nicht anders aussprechen. Mit Ida meinte er Hilda.

„Na gut“, flüsterte sie, „dann nennst du mich eben Ida, das geht auch.“ Sie tippte ihn mit dem Zeigefinger an die Brust und sagte: „Trolli“, dann auf ihre Brust, „Ida.“

Sie sah, wie Trolli seinen Mund verzog und dann wieder brummte: „Ida.“

Hilda war froh. All die Geschichten von Trollen stimmen wohl nur zur Hälfte; es gab sie, aber sie waren nicht böse. Trolli war kein Ungeheuer. Er war einfach nur gut zu ihr und hatte sie aus einer schlimmen Situation befreit. Wer weiß, ohne seine Hilfe würde sie bestimmt immer noch in diesem Loch sitzen und zittern. Bestimmt hätten ihre Leute sie irgendwann gefunden, aber erst heute und sie hätte die ganze Nacht in dem Loch sitzen und frieren müssen.

Sie umarmte den Troll noch einmal und drängelte sich dann an ihm vorbei aus der Höhle.

Vogelgezwitscher empfing sie und milde Helligkeit, in einem schattenhaften Wald, der im Morgenlicht dampfte, unwirklich und märchenhaft aussah. Der Regen hatte aufgehört und die Luft roch wunderbar frisch. Es war auch nicht mehr so kalt wie in diesem Erdloch. Hildas Sachen waren durch Trollis Wärme getrocknet und sie konnte jetzt nach Hause gehen.

Irgendwie wollte sie ihm danken und drehte sich zum Troll um. „Trolli, ich muss nach Hause gehen. Meine Leute machen sich bestimmt Sorgen um mich und meine Mutter wird ganz traurig sein. Trolli, ich werde dich nie vergessen. Du bist ein Freund.“

Dann suchte Hilda ihre Körbe und fand sie auch in der Höhle, aber sie waren leer. Trolli schob sich grade noch einen Pilz in den Mund und grummelte etwas, das ganz nach Zufriedenheit klang.

„Na gut, dann gehe ich eben ohne Pilze und Beeren nach Hause. Du hast sie dir wirklich verdient und ich hoffe, sie haben dir auch geschmeckt.“

Der Troll saß da und schaute sie nur aus großen Augen an. Hilda ging wieder einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn noch einmal. Nach einem dankbaren Blick in seine großen, dunklen Augen, nahm sie ihre leeren Körbe und verließ ihren neuen Freund.

Hilda lief ein paar Schritte, dann drehte sie sich noch einmal um und winkte ihm. Der Troll hob auch leicht einen Arm und brummte noch einmal: „Ida.“

„Nun aber rasch nach Hause“, dachte sie und lief mit schnellen Schritten los. Als sie sich noch einmal umdrehte, war der Platz vor dem Gebüsch leer, Trolli war weg.

Hier kannte sich Hilda wieder gut aus und nahm den direkten Weg nach Björkendal. Zwischendurch rannte sie, sprang über große Steine und helle Freude war in ihr. Sie hatte zwar ihre gesamte Ausbeute an Beeren und Pilzen verloren, aber sie hatte dafür einen ganz besonderen und geheimnisvollen Freund gefunden.

Sie konnte es selbst kaum glauben, was ihr da geschehen war. Sie hatte etwas sehr merkwürdiges erlebt, einen richtigen Troll, etwas das die Leute im Dorf nur aus den alten Geschichten kannten.

Als sie ein Stück des Weges zurückgelegt hatte, hörte sie plötzlich entfernte Rufe durch den Wald schallen.

„Hildaaaa“, klang es aus mehreren Kehlen. Am deutlichsten hörte sie Falkis Stimme heraus und ihre gute Laune sank schlagartig. Sie freute sich zwar auf ihre Leute, aber sie hatte auch ein schlechtes Gewissen.

Dann hörte sie es gleich von mehreren Seiten, das Knacken von Zweigen kam immer näher und Hilda schrie aus voller Lunge: „Hier bin ich. Ich lebe, mir geht es gut.“

Einen kurzen Augenblick war Stille, dann brachen Zweige, gefolgt von einem Preschen durch das Unterholz und wenig später stand Falki stand vor ihr.

„Hilda, Schwesterchen.“ Er umarmte sie stürmisch und drückte sie ganz fest, dann waren auch schon die anderen heran, Alfger, Lipurta, Birta, Bjarki und sogar Sölvi.

Außer Lipurta atmeten alle heftig. Sie war es auch die als Erste Worte fand und sagte: „Geht mal in aller Ruhe nach Hause, ich sag’ den anderen im Dorf Bescheid, dass wir Hilda gefunden haben“ – und schon rannte sie los, leichtfüßig wie ein Wolf.

Dann sah sie Alfgers besorgtes Gesicht. „Seit gestern Abend suchen wir dich, und wir haben sogar mir Fackeln gesucht, aber man konnte trotzdem nichts sehen. Die Nacht war zu dunkel und wir haben dann heute Morgen erst richtig angefangen, in zwei Gruppen, nach dir zu suchen.“

Birta nahm Hilda in den Arm und drückte sie liebevoll und sichtlich erleichtert. „Deine Mutter wird froh sein, dass wir dich gefunden haben. Sie ist in der anderen Gruppe. Obwohl sie weiß, dass du dich hier gut auskennst und dir immer zu helfen weißt, hat sie sich doch fürchterliche Sorgen gemacht. Na ja, nun wird ja alles wieder gut.“

Falki sah Hildas leere Körbe und sagte grinsend: „Aber sehr erfolgreich war dein Beerensammeln wohl nicht; sind ja leer deine Körbe. Hast wohl auf einer Wiese gelegen und nur vom großen Krieger Alfger geträumt?“

„Nein“, sagte Hilda und ihre Augen wanderten automatisch zu Alfger, der sich im Hintergrund hielt, „meine Körbe war gestern Abend…“

Dann brach sie erschrocken ab. Randvoll, wollte sie sagen, aber dann hätte sie vielleicht erklären müssen, wo ihre Beeren und Pilze geblieben waren. Das wollte sie jetzt doch lieber nicht, denn ihre Geschichte von einem Troll würde ihr doch keiner glauben, also musste sie jetzt schweigen.

Alle um sie herum schnatterten durcheinander: „Was ist dir denn passiert? Bist du verletzt? Bist du die ganze Nacht umhergeirrt?“ Und so weiter.

Hilda wusste gar nicht mehr, was sie sagen sollte und ihre gute Laune verflog ziemlich rasch, mit jedem Schritt mehr und mehr. Ihre Gedanken waren wieder bei Trolli und bei den Geschichten, die Alvitur über Trolle erzählt hatte. Was sie erlebt hatte, das war doch so anders und sie war sich nun ganz sicher, dass sie ihr Erlebnis mit dem Troll für sich behalten musste.

„Hm, aber meinen Freunden möchte ich das schon gerne erzählen“, ging es ihr durch den Kopf. „Nur Falki und Alfger werde ich alles erzählen, aber die müssen vorher schwören, dass sie es für sich behalten würden.“ Hilda lächelte in sich hinein und wurde langsam wieder zuversichtlicher.

Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu dem Erlebten zurück, zurück zu Trolli und sie merkte erst nach einiger Zeit, dass Alfger und Falki neben ihr gingen, als Alfger ständig versuchte, ihr den Arm um die Schulter zu legen.

Das Schnattern der anderen Mädchen und Frauen drang kaum noch an ihr Ohr, so sehr war sie mit ihren Gedanken noch bei dem Erlebnis dieser Nacht.

Ganz unvermittelt sagte sie zu den beiden Jungen an ihrer Seite: „Wenn sich die Aufregung gelegt hat, nachher, nach dem Essen, dann muss ich euch ein Geheimnis erzählen. Ihr müsst mir aber schwören, dass ihr niemandem ein Wort verratet.“

Falki nickte mit einem etwas ungläubigen Blick, aber sie wusste, dass er dichthalten würde. Alfger blieb stehen, hielt sie am Arm und hob die rechte Hand: „Bei Odin und meiner Mutter, ich schwöre, dass niemand ein Wort von mir erfährt.“ Dann schmatzte er ihr, ganz schnell, noch bevor sie reagieren konnte, einen Kuss auf die Wange.

Einige Zeit später, nachdem sich die Aufregung im Dorf über Hildas Verschwinden gelegt hatte und nachdem alle Dorfbewohner ihr erstes Essen hinter sich hatten, gab Hilda ihrem Brunder ein Zeichen.

Sie liefen mit verschwörerischer Mine zu Alfgers Hütte und wollten grade an die Tür klopfen, da guckte Alfger um die Ecke. Er hatte auf sie gewartet.

„Da seid ihr ja endlich. Kommt, ich weiß, wo wir ungestört sind.“

Alfger führte sie zum Fjord. Auf dem Strand lag ein kleines Fischerboot, umgekippt, weil es auf seine Reparatur wartete.

„Los, kriecht hier runter. Hier sind wir ungestört“ – und Alfger griff Hildas Hand und zog sie mit sich, unter das Boot.

Als sie zu dritt unter dem Boot saßen und Alfger ungeduldig drängte, dass Hilda endlich erzählen sollte, näherten sich Schritte, die immer näher kamen und schließlich genau vor ihrem Versteck Halt machten.

„Von wegen Geheimnis“, sagte Falki resigniert, da bückte sich auch schon die Gestalt und Sölvis Stimme fragte: „Wollte ihr wirklich ohne mich über diese Nacht reden? Ich hab doch schon auf dem Nachhauseweg mitbekommen, dass es da ein großen Geheimnis gibt.“

„Gut Sölvi, dann bleib hier, aber schwöre vorher, dass du niemandem etwas von dem sagst, was ich euch jetzt erzähle.“

Sölvi schaute Hilda an, hob die Hand und sagte etwas stockend: „Ich schwöre, bei Odin und allem, was ich liebe, dass mein Mund stumm bleiben wird.“ Dabei sah er Hilda tief in die Augen.

Hilda schlug die Augen nieder. „Ich weiß, dass ich dir trauen kann.“

Sie holte tief Luft und begann: „Falki und Alfger hatten mit mir zusammen einen Troll gesehen. Das war damals, als wir wegen des Rabenei’s unterwegs waren. Es war ein junger Troll und er war nur auf unser Essen scharf. Ich gab ihm von unserem Brei und schwupp war damit verschwunden.“

Sölvi guckte Alfger und Falki, mit großen Augen, fragend an. Als er sah, dass die beiden nickten, schluckte er nur und sagt: „Uii, ich verstehe. Red’ weiter.“

„Ich hatte gestern in der Nähe der drei Felsen nach Pilzen und Beeren gesucht und mir gedacht, dass ich die anderen Frauen dort irgendwo treffen würde. Von dort bin ich dann weiter, nach Norden gegangen und in dieser kleinen Schlucht gelandet. Da wuchsen so viele Pilze, dass man sich die schönsten aussuchen konnte. Als ich einen besonders schönen Pilz greifen wollte, fiel ich in ein tiefes Loch.

Ihr könnt mir glauben, es tat fürchterlich weh und dann fing es auch noch an zu regnen und ich kam nicht mehr aus Grube heraus.“

Die drei Jungen hingen voller Spannung an Hildas Mund und Alfger berührte sanft ihre Schulter.

„Alvitur hatte mal von den Bergen erzählt und dabei das Wort Zwergenlöcher erwähnt“, flüsterte Sölvi dazwischen und machte dabei ein geheimnisvolles Gesicht.

„Und weiter?“, fragte Falki.

„Nach einer ganzen Weile, es war schon nachts, war dann der Troll plötzlich oben am Rand des Loches. Er schaute mich an und ich spürte tief in mir, dass er nur helfen wollte. Ich spürte wirklich etwas in mir, was ich noch nie so gespürt habe. Nein, doch ich hatte das schon einmal gespürt, damals als wir das Ei holen wollten und Trolli sich uns näherte. Es war so merkwürdig, aber ich fühlte den Troll und dass er mit helfen wollte, ganz tief in mir.“

Nach einer kleinen Pause, die Alfger nutzte, Hildas Hand zu ergreifen, fuhr sie fort: „Trolli, so nenne ich ihn, kann sogar sprechen! Er sagt immer Ida zu mir. Dann hatte er einen kleinen Baum angeschleppt und die Äste so abgebrochen, dass ich daran hochklettern konnte, wie an einer Leiter. Das hättet ihr auch nicht besser machen können. Ich konnte sogar meine beiden vollen Körbe aus der Grube retten. Es war Nacht und stockfinster, aber Trolli führte mich ganz sicher zu den Dreien.“

Die drei Jungen saßen mit offenen Mündern da und wagten kaum zu atmen.

„Hört mal, hinter den Brombeerbüschen ist dort eine kleine Höhle, die keiner von uns bisher entdeckt hat. Dorthin hat mich der Troll gezogen. Dann hat er mich in diese Höhle geschoben und wir haben die ganze Nacht da drin gesessen.“

„Und du hattest keine Angst?“, fragte Sölvi.

„Nein, überhaupt nicht. Ich sagte doch, ich fühlte, dass er nur gut zu mir sein wollte. Er war wie ein Beschützer und ich kam mir so sicher vor; komisch, so sicher, wie in Mutters Arm. Die Höhle war sogar mit Gras und Moos ausgepolstert. Trolli wärmte mich und ich konnte die ganze Nacht in seinem Arm schlafen. Das war alles.“

Hilda entspannte sich und musterte die drei Jungen, die mit ungläubigen Gesichtern und großen Augen da saßen.

Alfger fand als erster die Sprache wieder: „Und er hat dir wirklich nichts getan?“

Falki grinste und spöttelte: „Hihi, du bist jetzt abgemeldet. Hilda hat einen neuen Freund.“

Dafür erntete er einen strengen Blick von Alfger, dann war ein Moment lang Schweigen, in ihrem Versteck.

„Ich habe dir geschworen, mit niemandem darüber zu reden, aber du solltest doch mit Alvitur irgendwann darüber sprechen“, meinte Sölvi schließlich und nickte dazu.

„Es wäre auch Quatsch, dein Erlebnis den Leuten im Dorf zu erzählen. Die würden doch sowieso nur lachen und es nicht glauben. Lasst es unser Geheimnis bleiben, an mir soll es nicht liegen“ – und Sölvi hielt seine Hand in die Mitte zwischen die anderen.

Hilda sah in Sölvis Augen und begriff. Sie legte ihre Hand auf Sölvis Hand und nickte. Ohne Zögern folgten Alfgers und dann Falkis Hand.

„So soll es sein“, sagte sie.

Zwei gegen Ragnarøk

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