Читать книгу Zwei gegen Ragnarøk - Hans-Jürgen Hennig - Страница 9
STRUMPFHILDA
ОглавлениеHilda war dabei, ihre Zöpfe zu flechten. Sie reckte dabei ihr Gesicht der wärmenden Sonne entgegen und summte vor sich hin. Zöpfe flechten fand sie zwar langweilig, aber dabei konnte sie wunderbar den Frühling genießen. So gut, wie jetzt, hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Sie spürte die Sonne auf der Haut und der Duft von frischem Grün machte, dass es ihr in Händen und Füßen kribbelte. Von ihrem erhöhten Sitz aus sah sie, dass es den anderen Menschen im Dorf wohl ähnlich ging; ihre Gesichter wirkten fröhlicher, als in dem ewigen Dämmerlicht des Langhauses. Hilda sprang vom Zaun und im Nu hatte sie sich zwei Hände voll Blumen von der Wiese gepflückt, Löwenzahnblüten und Gänseblümchen. Die Gänseblümchen mochte sie besonders, weil man sie auch essen konnte und außerdem sagte man auch, dass es die Blumen der Freya sind.
Fifilla, die Kräuterfrau, hatte ihr auch erzählt, dass am Tage ihrer Geburt besonders viele Gänseblümchen geblüht hatten und sie das als ein Zeichen der Götter ansah. Sie hob die Hände und zählte an ihren Fingern; zehn Jahre war das her. Hilda hatte immer noch keinen Einfall, was sie heute wirklich machen wollte, so ging sie langsam den Weg hinunter, zum Fjord. Unterwegs pflückte sie immer mehr Blumen und begann, sich einen Kranz daraus zu flechten. Sie liebte es, am Ufer des Fjordes herumzustromern, weil es immer etwas zu entdecken gab und so schlich sie sich in den Schatten eines großen Holunderbusches, der weit ab von Arbeitsplätzen der Bootsbauer stand. Sie begann aufmerksam den Uferstreifen abzusuchen, um irgendwo ein Nest, oder Tiere zu entdecken.
Gespannt schaute sie nach dem Möwennest, das sie schon vor ein paar Tagen hier entdeckt hatte und jetzt sah sie, dass fünf Eier darin langen. Ein rotbeiniger Strandläufer rannte flink über die Steine und Hilda musste kichern, als sie seine Beine sah.
„Hihi, ich hab ja auch rote Strümpfe an“, dachte sie. Als sie aber ihre Füße sah, schaute sie plötzlich entsetzt drein, denn aus ihren schönen roten Strümpfen schaute am rechten Fuß die große Zehe heraus. Nun betrachtete sie ihre bestrumpften Füße genauer und innerlich fühlte sie schon, wie sie immer kleiner wurde; Mutters Worte hörte sie schon jetzt: „Meine liebe kleine Strumpfhilda …“ Unter den Füßen sah es noch schlimmer aus; Loch an Loch. Wie so oft lief sie auf Strümpfen durch das Dorf.
Jetzt war ihre Frühlingsfreude fast dahin und mit gesenktem Kopf machte sie sich auf den Heimweg. Die Mutter würde ihr wohl wieder die Ohren lang ziehen.
Wieder im Dorf, roch Hilda überall die Kochfeuer, frisches Holz und sah, wie die Leute emsig zwischen dem Langhaus und ihren Hütten hin und her liefen. Selbst die Dorfhunde scheinen vom Frühling neu beseelt zu sein und sprangen zwischen den Menschen herum, um ihre Aufmerksamkeit oder einen guten Happen zu erhaschen.
Auf ihrem Weg nach Hause musste sie an einigen anderen Hütten vorbei, und vor einer saß Sven, der Fischer und rief: „Hallo, Strumpfhilda!“
Weil Hildas Laune wegen der Löcher in den Strümpfen schon ziemlich gedrückt war, zog sie einen Flunsch und rief zornig zurück: „Ich bin Hilda und nicht Strumpfhilda!“
Einen Augenblick später stand sie aber vor Steinars Schmiede und ihre gute Laune kehrte zurück. Neugierig schaute sie nach, ob sie ihren Bruder hier irgendwo entdecken konnte. Falki stand oft still in einer Ecke der Schmiede und schaute einfach nur zu, wie Steinar das Eisen bearbeitete. Steinar hatte immer beide Hände voll zu tun, selbst im Winter war er einer der Wenigen, die kaum zur Ruhe kamen. Falki war aber nicht hier und so ging sie langsam nach Hause. Auf dem Weg wurden ihre Schritte immer zögernder. So lange sie auch das Zusammentreffen mit der Mutter hinausschieben wollte, irgendwann musste sie ihr ja doch die löchrigen Strümpfe zeigen. Die Mutter würde wieder an ihren Zöpfen ziehen und mit ihr schimpfen, weil sie ständig ohne Schuhe umher lief.
Als Hilda die Hütte erreicht hatte, tat sie so als ob alles ganz normal wäre und schlich sich an der Mutter vorbei. Sie suchte im Halbdunkel der Hütte nah ihren Schuhen und wollte sie schnell überziehen, bevor die Mutter ihre zerlöcherten Strümpfe sehen konnte.
„Hilda, lauf mal schnell zu Steinar und bringe ihm das hier“, rief da ihre Mutter.
„Ja, Mama, was ist das?“
„Strümpfe für Steinar.“
„Kann Birta, seine Frau, nicht selber stricken?“
„Doch kann sie das, aber die arme Frau ist damit geplagt, dass ihre Augen nicht mehr so gut sehen können und da sieht das Gestrickte dann auch nicht so gut aus. Bei manchen Leuten werden die Augen mit den Jahren immer schlechter, bis sie den Löffel in der Hand nicht mehr sehen, wenn sie ihren Brei essen.“
„Haha“, lachte Hilda. „Mama, zum Essen braucht man doch die Augen nicht. Ich kann doch auch mit geschlossenen Augen meinen Brei essen.“
„Jaja, ich weiß, darum sieht dein Mund nach dem Essen auch immer so fein beschmiert aus, und nun lauf, bringe die Strümpfe zu Steinar, aber ziehe deine Strümpfe vorher aus, oder deine Schuhe an, meine kleine Strumpfhilda.“
„Bäää, Mama, sag du nicht auch noch Strumpfhilda zu mir. Die anderen und auch die Jungen im Dorf sagen das immer, aber ich mag das nicht. Sie hänseln mich damit immer, besonders der dicke Arnor.“
Mutter Hilda runzelt gespielt die Augenbrauen. „Töchterchen, du bist zehn Jahre alt, da solltest du schon wissen, dass es Schuhe gibt, damit die Strümpfe nicht ständig Löcher haben. Nun mach schon, meine Kleine“ – und sie strich ihr liebevoll über das Haar.
Hilda rannte mit ihrem Bündel unter dem Arm, zur Schmiede. Als sie anlangte, musste sie erst einmal an der Tür stehen bleiben um Steinar zu bewundern. Er war der größte Mann in Björkendal und hat riesige Muskelpakete an den Armen.
„Woher hat der soviel Kraft, den ganzen Tag auf die Eisenstangen einzuschlagen?“, fragte sich Hilda.
Jeder im Dorf besaß Dinge, die aus Steinars Schmiede. Rußgeschwärzt und schwitzend stand er an der Feuermulde und betätigt die Blasebälge. Das Feuer faucht jedes mal auf wenn er an am Blasebalg zog und die Kohlen sprühten helle Funken. Steinar bemerkte Hilda und wandte ihr den Kopf zu.
„Guten Tag Hilda. Na, bist du wieder auf Strümpfen?“
Hilda grinste frech und zeigte stolz, dass sie Schuhe an hatte. „Grrrr, Steinar, musst du mich auch noch ärgern? Nein, ich habe heute Schuhe an.“
Dann schenkte sie Steinar eines ihr süßestes Lächeln. Nachdem sie genug geschaut hat, baute sie sich vor Steinar auf und hielt im das Bündel hin.
„Hier, die hat meine Mutter für dich gemacht.“ Sie rückte ganz dicht an Steinar heran, blickt ihm streng in die Augen und fragte: „Kriege ich was dafür?“
Steinar brummt: „Hmmmm, was soll ich dir dafür geben, ein Stück Eisen, zum lutschen?“ Dann schaut er mit gespielter Strenge tief in die Hildas Augen. „Naaaaa, willst du?“
Hilda reckte keck ihre Nase zu ihm hoch und sagt: „Ja, wenn du mir sagst, welches Eisen am besten schmeckt, nehme ich davon ein Stange!“
„Haha, du bist gut“, lacht Steinar und schmunzelt über sein schwarzes Gesicht. Geh’ mal ruhig nach Hause und grüße deine Mutter Hilda von mir. Die Frauen machen das schon unter sich aus. Dann haben sie einen Grund für ein Schwätzchen. Du kannst aber auch schnell zu Birta ins Haus gehen. Sag ihr, dass ich dich geschickt habe. Sie hat bestimmt etwas für dich.“
„Na, gut“, meinte Hilda und wollte gleich davon hopsen, da rief Steiner ihr hinterher: „Hilda warte mal. Kannst du auch etwas für mich tun? Kriegst auch einen Honigkuchen.“
Da wurden ihre Augen größer. „Na klar mach ich was für dich. Was denn?“
„Wenn du deinen Bruder Falki siehst, sage ihm doch bitte, dass ich ihn gerne hier hätte. Ich brauch dringend Jemanden, der den Blasebalg bedient. Arnor ist ja nicht hier, weil er mir den Fischern draußen ist.“
Da stand Birta mit einem mal in der Schmiede. Sie hatte alles mit angehört hatte und gab Hilda ein Stück von dem Honigkuchen, mit den Worten: „Den habe ich heute grade frisch gebacken. Ich spreche nachher mit deiner Mutter. Na, lauf schon.“
„Hmm, danke“, sagte Hilda und verließ, mit ihrem Kuchenstück in der Hand, die Schmiede im Hüpferschritt. Unvermittelt machte sie aber wieder kehrt und frag Birta: „Sag mal Birta, warum sitzen deine Gänse so still, sonst schnattern die doch immer?“
Birta lacht. „Weißt du nicht, dass sie ihre Eier ausbrüten, aus denen dann die kleinen Gössel kommen?“
„Hmm, doch“, machte Hilda „stimmt, die Möwen und die andern Vögel im Fjord machen das ja jetzt auch grade“, und weil sie wusste dass der Gänserich ziemlich arg zwicken konnte, verzichtete sie lieber darauf, sich die Eier anzusehen.
Sie dreht sich zu den beiden noch mal um, rief: „Danke!“ – und rannte davon, Falki zu suchen.
Unterwegs gingen ihr merkwürdige Gedanken durch den Kopf: „Gössel, brüten …, Vogelmutter … Ich will auch etwas ausbrüten, ich will auch ein Nest haben.“
Diese Gedanken setzten sich in ihrem Kopf so fest, wie ein Specht in einer Baumhöhle. Irgendwann fand sie auch Falki, der sich mit Alfger zusammen im Schwertkampf übte. Sie richtete ihm Steinars Wunsch aus und Falki machte sich sofort auf den Weg zur Schmiede, aber Hilda hielt ihn fest.
„Falki, lass dein Schwert hier, dann kann ich Alfger etwas verkloppen.“
Falki gab ihr sein Holzschwert, mit den Worten: „Ich drück dir die Daumen, Alfger ist heute ziemlich heftig!“
Sölvi, der am Rand saß, weil er grade keinen Partner hatte, rief Hilda zu: „Kannst auch mir mir kämpfen, Alfger hat genug, der schwitzt ja schon.“
Abends wartete Hilda ungeduldig auf Falki, weil sie unbedingt mit ihm über ihre Idee reden wollte. Falki kam wirklich erst spät aus der Schmiede und wie Steinar, sah auch er zum gruseln schwarz aus; nur noch das Weiß der Augen leuchte in seinem Gesicht. Als Mutter Hilda ihn hinausschickt, zum Waschtrog, maulte er: „Soll ich erst wütend mit dem Magen knurren, wie ein alter Bär, damit ihr mit meinem Hunger Mitleid habt?“
Mutter Hilda legt noch etwas nach und sagt mit gespieltem Ernst: „Du bekommst schon noch etwas zum Essen, aber erst, wenn du noch einen Eimer frisches Wasser geholt hast.“
Vater Ernir grinste über das ganze Gesicht; so gefiel ihm sein Sohn. Aber laut sagte er: „Soll dir erst die Bärentatze auf dem Hintern klopfen, damit der Dreck abfällt?“
Da lachen alle und Falki lief grinsend, sein Gesicht zu waschen und noch frisches Wasser zu holen. Als sie beim Essen saßen, redeten sie darüber, wie jeder so den Tag verbracht hatte und Falki erzählte dabei, wie interessant die Arbeit in der Schmiede war. Nach einer Weile schüttelte Mutter Hilda verwundert den Kopf, als sie sah, welche Unmengen von Brot, Trockenfisch und gekochten Äpfeln sich Falki in den Mund stopfte. Sie lehnte sich an Ernirs Schulter und lächelte glücklich. „Ich kann mir keine bessere Familie wünschen.“
„Hihi, auch wenn ich so oft Löcher in den Strümpfen habe?“, kicherte Hilda und Falki nickte dazu mit vollem Mund.
Als sich später alle zum Schlafen hingelegt hatten, rutschte Hilda ganz dicht an Falki heran und flüsterte ihm ins Ohr: „Falki, ich habe da eine Idee.“
Falki brummelte nur: „Mmm, pfff.“
„Falki, ich möchte auch brüten, so wie die Vögel.“
Falki, der schon fast im Traumland war, war plötzlich wieder hellwach und setzte sich auf. „Was, du willst brüten?“
„Psst, ja brüten“, flüstert Hilda, weil ich ja die Gänse gesehen habe, bei Steinar und das war so schön. Und auch überall im Fjord brüten die Vögel. Das ist doch bestimmt ganz einfach. Die sitzen nur so da, auf ihren Nestern und dann kommen die kleinen Küken aus den Eiern. Ich glaube, das kann ich auch.
Falki flüsterte zurück: „Soll ich dir von Steinars Gänsen ein Ei klauen? Und wo willst du denn brüten, auch auf der Wiese?“
Dann lacht Falki belustigt. „Na klar sollst du brüten, haha und eine ganze Schar Enten oder Gänse wird dir dann, durchs Dorf, hinterherlaufen.“
„Nein, keine Enten“, flüstert Hilda, „ich möchte schon etwas anderes ausbrüten, und es sollen auch nicht so viele Küken sein, also ein Ei reicht schon.“
„Schwesterchen, lass mich jetzt schlafen“, murmelt Falki nun schon wieder schläfrig.
„Das Ziehen am Blasebalg hat mich wirklich müde gemacht. Ich spüre meine Arme kaum noch. Morgen rede ich mit Alfger und dann lassen wir uns einfallen, was für ein Ei wir für dich beschaffen. Schlaf jetzt, Schwesterchen.“
„Gute Nacht, Falki.“
Einen Augenblick später stieß sie Falki noch einmal an und raunt ihm ins Ohr: „Falki, ich weiß, was ich für einen Vogel ausbrüten möchte. Ich möchte ein Rabenei haben. Ja, ich will einen kleinen Raben ausbrüten. Du willst ja mit Alfger reden; holt ihr mir dann eine Rabenei?“
Hilda lauschte, aber an Falkis Atemzügen merkte sie, dass er schon schlief.