Читать книгу Zwei gegen Ragnarøk - Hans-Jürgen Hennig - Страница 7
BJÖRKENDAL
ОглавлениеFünf Jahre waren seit seiner Heimkehr ins Land gegangen und Alvitur stand auf einer kleinen Erhebung, westlich der Häuser von Björkendal, neben ihm Kylikki und Leif, sein alter Weggefährte.
Leif legte ihm die Hand auf die Schulter und folgte seinem Blick. „Alter Freund, schau, wie du Björkendal verändert hast. Es gibt wieder Hoffnung für unser Dorf.“
Alvitur nickte und schaute auf die blühenden Apfelbäume. Seit er sie vor fünf Jahren, gemeinsam mit ein paar Freunden gepflanzt hatte, waren sie kräftig gewachsen und blühten nun zum ersten Mal in so einer Pracht, dass man sie wirklich als Apfelhain bezeichnen konnte.
Kylikki schaute auch mit einem Lächeln auf die blühenden Bäume; sie war davon so beeindruckt, dass sie flüsterte: „Djarfur, du hast ein Wunder vollbracht. Weißt du, dass du ungefähr für jeden, der Björkendal damals verlassen hatte, ein Bäumchen mitgebracht hast? Es ist wunderschön geworden, unser Björkendal.“
„Kylikki, ich bin Alvitur. Mit Saida ist damals auch Djarfur gestorben.“
„Dann sage aber auch Fifilla zu mir, wie mich alle anderen hier nennen. Kylikki ist auch damals gestorben, als der Mann, den sie liebte, sie einfach verlassen hatte, um sich in der weiten Welt herumzutreiben.“
Über Alviturs Gesicht flog ein leichtes Lächeln und er nahm ihre Hände in seine. „Fifilla, es ist so viel Zeit vergangen seit damals und ich habe für all das, was ich falsch gemacht habe, bitter bezahlt. Lass uns Freunde sein und sei zuversichtlich, dass hier bald wieder glückliche Menschen und fröhliche Kinder leben werden.“
Fifilla schaute ihm mit einem schmerzlichen Lächeln ins Gesicht und berührte die Stelle wo einst sein zweites Auge gewesen war. „Ja, so soll es sein.“ Dann drehte sie sich rasch um und lief zurück ins Dorf.
Leif fragte: „Was hat sie? Gibt es ein Problem zwischen euch beiden?“
„Nein, mein Freund, jetzt nicht mehr, aber ich habe ihr einmal sehr wehgetan, und es tut mir heute so unendlich leid, aber wäre ich bei ihr geblieben, dann wären wir nicht die, die wir jetzt sind und diese Apfelbäume gäbe es dann auch nicht.
Kylikki, oder Fifilla, sie ist in jedem Fall eine wunderbare Frau und auch überaus klug. Aber ich weiß jetzt, dass ich mit ihr immer rechnen und auf sie zählen kann.“
Alviturs Blick wurde nachdenklich und er schaute Leif ins Gesicht. „Ich glaube aber, dass sie im Moment auch etwas traurig ist, weil ihr Teemu wieder verschwunden ist. Damals, als er noch ein Kind war, verließ er seine Familie heimlich, um uns zu folgen. Irgendwann verließ er auch uns und verschwand. Nun kam er zwei Jahre nach uns zurück und verschwindet nach kurzer Zeit gleich wieder.“
Leif wackelte leicht mit dem Kopf. „Ich glaube Teemu ist den Verlockungen dieser neuen Welt, hinter dem Dänenwall10, erlegen. Dass ihn so ein Mädchen wie Einurd hier nicht binden konnte, ist schon merkwürdig. Jetzt, wo Björkendal sich auf wunderbare Weise verändert hat, hätte er doch hier sehr nützlich sein können. Alvitur, mir geht da aber noch so ein Gedanke im Kopf herum: Ich erinnere mich, dass Teemu viel von seinem Volk geredet hat, kurz bevor er wieder verschwand; vielleicht ist er dorthin zurück.“
„Leif, mein Freund, dass Teemu einfach verschwunden ist, hat Einurd richtig krank gemacht, dass ich sie manchmal kaum wieder erkenne. Ich glaube, sie hat ihn wirklich geliebt. Diesen Burschen würde ich gerne zwischen meine Finger bekommen. Erst macht er ihr ein Kind, obwohl sie eigentlich selbst fast noch zu jung war und dann verdrückt er sich heimlich.“
Leif nickt. „Ja, er ist schon eine merkwürdige Gestalt, aber Einurd packt das schon, bei so einem Vater.“
Leif deutete mit einer Hand auf die vielen blühenden Apfelbäume. „Alvitur, was machen wir jetzt mit so vielen Äpfeln? Irgendwann werde sie reif sein und ich bin nicht so begeistert davon, tagelang nur Äpfel essen zu müssen, oder meinst du, dass wir damit gut handeln können?“
Alvitur lächelte. „Leif, du vergisst aber schnell. Erinnere dich, als wir damals bei den Franken waren, dort wo ich die Bäume geschenkt bekam, was hattest du dort am liebsten getrunken?“
Leif zeigte mit einem verstehenden Lächeln, dass er sich erinnerte. „Aaah. Ja, stimmt. Meinst du, dass wir das hier auch machen können? Ich meine, weißt du wie das mit dem Apfelwein funktioniert?“
Nun zwinkerte Alvitur ihm zu und zeigte ein Gesicht, das nicht alltäglich war. Wissen, Glück, Befriedigung und Stolz, all das zeigte sein Lächeln in diesem Augenblick.
„Leif, du warst dabei, als mir die Leute den Namen Alvitur gaben, und selbstverständlich weiß ich noch, wie der Apfelwein gemacht wird. Ich habe doch genau zugesehen, wie sie ihn dort herstellten und alles ist hier drin.“ Alvitur tippte sich an seinen Kopf.
„Wir brauchen nur noch einen guten Töpfer, der uns die Gärkrüge herstellen kann, die wir dazu benötigen. Wir haben zwar hier Leute im Dorf, die sich gut selbst versorgen können, aber wenn wir soviel Wein machen würden, dass sich der Handel damit lohnte, dann könnte das für Björkendal ein richtiger Segen werden.“
Leif nickte nachdenklich. „Ja, du hast sicher Recht und ich beneide dich etwas um deinen Weitblick, aber dann sollten wir auch dafür sorgen, dass wir bald wieder ein gutes und schnelles Boot für Handelsfahrten haben.“
„Ja, mein Freund, das brauchen wir unbedingt und wir haben noch viel mehr zu tun, aber es ist gut, dich an meiner Seite zu wissen. Leif, ich muss so oft an die Welt denken, die wir zusammen kennen gelernt haben. Wenn diese Welt bis hierher vordringt, ist es aus mit unseren Göttern und unserem Leben, wie es die Menschen hier seit langen Zeiten leben konnten.“
„Alvitur, ich weiß, was du meinst, aber bei Haithabu ist doch dieser Wall, das Danewerk. Meinst du nicht, dass er uns schützen wird?“
„Ach Leif, ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass er uns vor dieser anderen Welt nicht mehr lange beschützen wird. Komm, lass uns zurückgehen, ich habe Hunger.“
Kaum dass die beiden in Alviturs Hütte angekommen waren, stürzte Fifilla aufgeregt herein.
„Wir bekommen ein Kind, Nachwuchs für Björkendal. Die Hilda liegt in den Wehen.“
Mitleidig lächelnd fügte sie hinzu: „Und Ernir, ihr Mann, sieht schon ganz blass aus. Kommst du mit?“
Alvitur nickte. „Fifilla, warum holst du mich eigentlich zu dieser Geburt, machst du das nicht sonst alleine, mit den anderen Frauen?“
Fifilla nickte etwas nachdenklich. „Du hast schon Recht, aber ich hatte so einen merkwürdigen Traum, in dem mit Stimmen sagten, das die Geburt heute besonders bedeutungsvoll sei. Es war wirklich merkwürdig, denn ich habe kein Wort verstanden, nur irgendwie war es dann in meinem Kopf und es drängte mich, dich zu dieser Geburt auch zu holen.“
Alvitur grübelte etwas, dann wischte er die aufkommenden Gedanken beiseite, die Fifillas Worte, merkwürdiger Traum, ausgelöst hatten und schaute sich suchend in seiner Hütte um. „Gut, ich muss nur noch ein paar Sachen zusammensuchen. Leif, dann wird es wohl nichts mit unserem gemeinsamen Essen, eine so wichtige Geburt geht vor.“
Als sie auf dem Weg zur Hütte von Ernir und Hilda waren, zog ihm Fifilla plötzlich am Ärmel und deutete mit überraschtem Gesicht auf die kleinen Rasenflächen, die zwischen den Häusern lagen und mit leicht erregter Stimme fragte sie: „Alvi, schau, fällt dir denn hier nichts auf?“
Alvitur schaute und zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht was du meinst. Was ist an den Gänseblümchen so Besonderes?“
Fifilla rüttelte ihm nun am Kragen. „Alvitur, bitte, schau doch mal richtig hin. Waren hier gestern so viele Gänseblümchen?“
Da stutzte Alvitur doch und macht ein überraschtes Gesicht.
„Ja, meine Liebe, du hast Recht. Es sind ja wirklich tausende … einfach so über Nacht. Meinst du, dass hier Freya hier ihre Hand im Spiel hatte?“
Er hatte kaum ausgesprochen, das zog Fifilla schon wieder heftig an seinem Ärmel.
„Alvitur, hier hat nicht nur Freya ihre Hand im Spiel. Schau dort!“ – und sie deutete, ganz aufgeregt, auf die Giebelbalken von Ernirs Hütte.
Jetzt blieb Alvitur überrascht stehen und flüsterte: „Fifilla, deine Worte sind wahr“ – und mit heiserer Stimme ergänzte er: „Ich glaube, dass ich am ganzen Körper Gänsehaut habe.“
Er sah hoch zu den beiden Raben und als ob sie ihn zuriefen, sich zu beeilen, krächzten sie: „Arr, arr!“
Alvitur drückte ganz fest Fifillas Hand und flüsterte: „Fifilla, das sind keine gewöhnlichen Raben. Sieh, wie groß sie sind, das sind Odins Raben.
Freya und Odin, sie sind hier, sie sind anwesend und das heißt, dass hier ein besonderes Kind geboren wird. Dann haben sie dir diesen merkwürdigen Traum geschickt. Komm, meine gute Fifilla und lass es uns vollenden. Noch nie habe ich die Götter so deutlich gespürt, wie jetzt.“
Die Geburt verlief trotz der göttlichen Vorzeichen ganz normal, nur der junge Vater, Ernir, hatte Mühe seinen kleinen Sohn ruhig zu halten, der ganz aufgeregt schien und alles sehen wollte. Ernir war offensichtlich etwas überfordert, aber Fifilla hatte viel Geduld mit ihm und riet ihm endlich, zu Birta zu gehen, der Frau von ihrem Schmied. Ernir harrte aber am Lager seiner Frau aus und streichelte unentwegt ihre Hand.
Als Fifilla ihn nach dem Namen seiner eben geborenen Tochter fragte, antwortete er, als ob es das Normalste der Welt wäre, dass sie auch Hilda heißen sollte, so wie ihre Mutter.
Wieder zurück in seiner Hütte, dachte Alvitur, zusammen mit Fifilla, lange darüber nach, welches Geheimnis sich wohl hinter dem großen Interesse der Götter, an der Geburt eines kleinen Mädchens, verborgen sein könnte. Irgendwann, nach längerem, gemeinsamen Grübeln, meinte Alvitur: „Mir fällt nichts wirklich Schlüssiges ein, aber ich habe mich eben an diesen merkwürdigen Traum auf der Nebelinsel erinnert.“
Fifilla schaute ihn aufmerksam an. „Sag, was hast du damals geträumt, etwas Schreckliches?“
Alviturs Gesicht spiegelten die düsteren Erinnerungen wieder, als er antwortete: „Leif hatte damals fast den gleichen Traum; uns waren die Nornen erschienen und sie haben mir eine Weissagung zugeraunt, eine sehr merkwürdige, in Reimen und Leif wurde fast verrückt in dieser Nacht.“
Er kramte kurz in seiner Kiste und legte ein Stück Birkenrinde auf den Tisch, das mit Runenschrift beschrieben war. Die Erinnerung an dasaufgeschriebene Erlebnis ließ seine Stimme kratzig klingen, als er las:
»Djarfur, Djarfur, sei Alvitur,
zeige zweien einen Weg,
unendlich Zeit, ihr Privileg.
Für die Götter 1000 Jahre,
begleiten sie drei Augenpaare.
Der Erste ihnen Zeit bemisst,
damit ihn Fenriswolf nicht frisst.
Kraft schöpfen aus dem eig’nen Blut.
Es stirbt zu viel ohn’ der zwei Mut.
Mit gleichem Namen sei ein Kind,
das sie zu ihrem Ende find’«
Trotz gemeinsamen Grübelns, entdeckten sie keinen wirklich verbindenden Sinn zur heutigen Geburt, außer dass Djarfur nun wirklich Alvitur hieß.
„Fifilla, ich sehe noch keinen wirklichen Zusammenhang und doch bin ich mir Sicher, dass es da einen gibt. Wenn dir dazu irgendetwas einfallen sollte, sag es mir.“
Sonst schien ihnen, aus der heutigen Sicht nichts, von Bedeutung zu sein, außer dass er von einem Händler aus Hjemma, heute früh, erfahren hatte, dass Olaf Tryggvason König von Norwegen geworden war.
Zu Fifilla sagte er: „Leif und ich, wir kennen diesen Hund. Der Tryggvason ist früher, mit Leuten wie uns auf Wikingfahrt gegangen und jetzt ist er dabei unsere Götter zu verraten.“
„Wie meinst du das? Warum sollte er das tun?“, fragte Fifilla.
„Ich denke, dass ihm klar geworden ist, dass er mit dem neuen Gott und den Kirchenfürsten an seiner Seite, noch mehr Macht erlangen kann. Damals hat er seine Zukunft noch aus Krähenknochen gelesenen und jetzt tauft er die Leute mit dem Schwert, im Namen des neuen Gottes. Aber zum Glück liegen wir hier weit ab von ihm, und ich glaube kaum, dass er hier so bald auftauchen wird. Der weiß ja, zum Glück, nicht einmal, dass es unser Björkendal überhaupt gibt.“
Wochen später, als sich an den Apfelbäumen schon viele winzige Äpfelchen andeuteten und der Sommer noch einmal seine schönste Seite zeigte, ging Alvitur mit dem jungen Leifur durch den Apfelhain. In Alviturs Kopf kreisten viele Gedanken um die Zukunft Björkendals und er wusste, dass es nicht so leicht werden würde, alle Leute für seine Pläne zu gewinnen.
Leifur war ihr Töpfer, hatte geschickte Hände und Alvitur hatte ein paar hervorragende Krüge bei ihm gesehen, die ihn auf eine gute Idee brachten.
„Alvitur, warum hast mich hierher geführt? Ich kenne doch die Apfelbäume, oder willst du ein Geheimnis mit mir bereden?“
„Du triffst den Nagel auf den Kopf“, meinte Alvitur nun in einem etwas geheimnisvollen Ton. „Ja, es ist etwas sehr Wichtiges und es sollte möglichst noch unter uns bleiben, denn ich habe etwas vor, das unserem Dorf viel Gutes bringen kann und du sollst mir dabei helfen.“
Leifur war nun wirklich gespannt, was Alvitur mit ihm vorhatte und er schaute neugierig.
„Ich habe bei dir sehr gute Krüge gesehen, die du getöpfert hast. Kannst du auch Krüge herstellen, die viel größer sind und ich meine, wirklich richtig große Krüge?“
Leifur nickte. „Kann ich, aber dazu brauche ich auch sehr viel Ton. Wenn du dafür sorgst, dass ich genügend Ton bekomme, dann könnte ich dir Krüge machen, wo ein halber Ochse reinpassen würde.“
„Hmm“, machte Alvitur, „irgendwie werden wir das mit dem Ton schon hinbekommen, aber ich meine wirklich große Krüge, wo ein Fjerding11 reinpasst.“
Leifur grübelte und kratzte sich den Kopf. „Hm, das ist wirklich nicht einfach, da muss ich mir erst noch etwas bauen, eine größere Töpferscheibe. Kannst du Egill, sagen, dass er mir dabei helfen soll? Aber wozu denn so viele große Krüge?“
Alvitur griff in einen Apfelbaum und bog einen Zweig herunter. Er deutete lächelnd auf die kleinen Äpfelchen am Zweig. „Schau, diese kleinen Dinger sind ein Schatz, wenn wir sie richtig nutzen.“
„Äpfel, ein Schatz?“, fragte Leifur ungläubig.
„Damit wir diesen Schatz nutzen können, brauchen wir viele von diesen großen Krügen“, fuhr Alvitur fort.
„Wenn ihr mich nun schon zum Dorfältesten gewählt habt, dann will ich auch etwas für unser Dorf tun. Sag allen, dass wir am Tag nach dem nächsten Vollmond ein Thing abhalten werden, auf dem Platz unter der großen Eiche. Wir werden dann auch über die Äpfel reden, aber vor allem darüber, wie wir hier in Zukunft leben wollen.“
Der Ruf zum Thing, beschäftigte die Björkendaler schon seit Tagen und immer wenn sich zwei irgendwo begegneten, tauschten sie Gedanken darüber aus. Seit vielen Jahren war in Björkendal kein Thing mehr abgehalten worden und nun warteten alle mit Spannung darauf. Egill meinte, das letzte Thing habe stattgefunden, als sie damals beschlossen hatten, wie Erik der Rote, neues Land zu suchen und viele danach aus Björkendal weggegangen sind. Das aber war bestimmt schon mehr als fünfzehn Jahre her.
Am Tage des Things lag Spannung in der Luft und als die Sonne hinter den Bergen verschwand, standen alle Männer von Björkendal unter der großen Eiche versammelt. Sie waren voller Erwartung gekommen, denn für die meisten von ihnen, war es das erste Thing, an dem sie als Männer teilnahmen. Alvitur hatte sie erwartet und ein großen Holzhaufen aufgeschichtet und als die Spannung das Geraune ersterben ließ, winkte er Steinar heran und bat ihn das Feuer zu entzünden. Alle Augen ruhten jetzt auf Alvitur, dem Mann, dem sie vertrauten, der für sie Klugheit, Gerechtigkeit und Güte zu gleichen Teilen verkörperte.
Alvitur eröffnete die Versammlung mit den Worten: „Männer, schaut euch um, schaut euch gegenseitig an und dann sagt mir, was ihr hier seht!“
Ernir fragte etwas unsicher: „Was sollen wir den anderes sehen, als einen kleinen Haufen von Männern?“
Egill rief hinterher: „Aber wir waren hier mal ein großer Haufen von Männern!“
„Genau das meine ich, ihr habt es richtig erkannt, auf das ich euch aufmerksam machen wollte“ bestätigte Alvitur. „Wir sind nur noch eine Handvoll Männer, anders als es hier früher einmal war. Ich denke, es ist an der Zeit, über unsere Heimat ernsthaft nachzudenken. Sind wir in so einer kleinen Gemeinschaft noch lebensfähig, oder sollten wir auch über das Meer fahren und unsere Leute suchen, die damals Björkendal verließen?“ Alvitur trat einen Schritt zurück und zeigte ihnen so an, dass sie jetzt reden sollten.
Die meisten Männer waren das Thing nicht gewohnt und nur die älteren unter ihnen hatte es schon erlebt.
Einen Moment lang war Stille und mancher schaute unsicher drein, bis Ernir sich meldete. Er trat vor und rief: „Ja, Alvitur, du hast Recht, wir sollten alle über unser Leben hier nachdenken, und ich sage gleich vorweg, dass ich hier leben will, zusammen mit meiner Frau und mit meinem Sohn … äh und mit meiner Tochter. Ja, jetzt habe ich ja zwei Kinder.“
Die anderen Männer lachten.
„Sie sollen hier aufwachsen, und so schlecht sieht es ja hier auch nicht aus. Ich meine, die Handvoll Männer, die wir sind. Ich denke, dass ich nicht der Einzige bin, der weiß, wie Kinder gemacht werden und schon sind wir mehr, als eine Handvoll.“
Alle lachten und Steinar rief: „Hehe, Birta und ich, wir wissen auch, wie das geht. Wir haben doch schon unseren Arnor gemacht!“
„Dann schaut mal meine Frau an, wie rund sie ist, dann wisst ihr, dass wir das auch können“, rief Leifur in die Lachsalve der Männer hinein.
Alvitur hob lächelnd einen Arm und alle schwiegen augenblicklich. „So ungefähr stimmt die Richtung, in die wir denken sollten. Kinder sind nun mal unsere Zukunft und das Größte, was es im Leben gibt, aber damit sie auch später noch so leben können, wie wir es hier seit langen Zeiten konnten, müssen wir einiges verändern. Ich sage euch kurz, in welche Richtung ich sehr lange nachgedacht habe. Einige von euch hatten damals die vielen Bäumchen belächelt, die ich mitbrachte, nun seht selbst, was daraus geworden ist, und Alvitur deutete mit seinem Arm in Richtung des Apfelhaines. In diesem Herbst können wir die erste richtige Apfelernte einbringen und wir werden etwas daraus machen, das uns an der ganzen Küste, bis nach Haithabu bekannt machen wird.“
Als die Männer ungläubig murmelten, rief Alvitur: „Fragt Leif, der wird euch bestätigen, welchen Nutzen ein guter Apfelwein bringen kann.“
Alvitur machte eine kleine Pause und freute sich, wie sich die Gemüter der Männer bei dem Wort Apfelwein erhitzten und ein heftiges Geraune einsetzte.
„He, ihr plappert alle durcheinander“, rief Leif, „aber ich denke, der Apfelwein ist etwas, womit man erfolgreich handeln könnte. Ich glaube, dass Alvitur den Wein gemeint hat.“
Nun fiel ihm Ernir ins Wort. „Handeln ist wichtig, und ich kann das auch wirklich gut, aber schaut doch nur, was wir hier für Boote haben. Wenn wir kein richtiges, großes Boot haben, lohnt das Handeln kaum, oder wollen wir mit unseren kleinen, morschen Kähnen, als Flotte, die Küste entlang rudern, bis Haithabu?“
Lachsalven, Worte und Ideen flogen hin und her und Alvitur sah, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Er war sich plötzlich sicher, dass er auf diese Männer zählen konnte. Sie stimmten letztendlich darüber ab, ein richtig großes Boot, eine Knorr12, für den Handel zu bauen und auch darüber dass die folgende Apfelernte zu Wein gemacht werden sollte. Leifur erhielt den Auftrag, für den Anfang zehn große Krüge zu töpfern und Egill wurde die Aufgabe übertragen, alles für den Bootbau zu organisieren.
Als das Feuer fast heruntergebrannt war und nur noch einen milden, warmen Schein verbreitete, zeigte Alvitur auf einen Krug, der im Schatten der Eiche stand.
„Männer, was meint ihr, was dieser Krug enthält?“
„Met, oder Bier“, rief Sigudur, „ja, einen kräftigen Schluck saufen, das wäre jetzt gut!“
Alvitur lachte. „Na du bist gut, du möchtest wohl gerne so viel trinken, dass du deine drei Schafe nachher doppelt siehst und dann glaubst, dass du sechs hast.“
Sigudur schnaufte laut: „He, he, wir haben elf Schafe und nicht drei!“
Alvitur fuhr lachend fort: „Zum Saufen, für alle, reicht wohl so ein Krug nicht, aber das können wir ändern, wenn ihr alle mitmacht. Das hier ist ein Rest, von dem köstlichen Wein, den ich von den Franken mitgebracht habe. Wenn jeder nur einen Schluck trinkt, werdet ihr eine Vorstellung davon haben, was köstlich ist und sehr bald wird er für uns alle reichen.“
Dann entfernte Alvitur, den Wachsverschluss des Kruges und hielt ihn Steinar hin.
„Aber nur einen Schluck, sonst reicht es nicht. Trinkt einen Schluck auf unsere Zukunft.“
Als der Krug seine Runde gemacht hatte, schüttelte Alvitur ihn und lächelte. „Ihr habt wirklich sparsam getrunken“ – und er hielt den Männern den Krug erneut hin.
„Ihr schaut alle wie ein Huhn, das der Blitz getroffen hat, schmeckt euch das nicht?“, fragte Leif. „He, da wo wir uns jahrelang herumgetrieben haben, waren die Leute alle wild auf dieses Gebräu.“
Ernir schmatzte mir den Lippen und schlug seinen Bruder Feykir, auf die Schulter. „Köstlich, mindestens so gut, wie Met. Wir werden damit handeln, dafür werden wir sorgen, so wahr ich Ernir bin.“
Mehr als ein Jahr großer Anstrengungen war vergangen und die Björkendaler hatten es geschafft, in gemeinsamer Arbeit eine richtige Knorr zu bauen. Als das fertige Boot bei einer kleinen Zeremonie zu Wasser gelassen wurde, jubelten alle und Alvitur konnte nicht genug Egills Kunst, als Bootsbauer loben. Ohne Egills Erfahrung hätten sie das niemals geschafft und Björkendal wäre weiterhin ein unbedeutendes, kleines Dörfchen, am nördlichen Rand der Welt, geblieben. Jetzt fieberten alle der ersten Fahrt entgegen und die sollte natürlich beginnen, wenn ihr neuer Schatz, der frische Wein in Leifurs Gärkrügen reift war. In der Zwischenzeit hätte Leifur auch genügend Transportkrüge hergestellt, so dass dem Handel nichts mehr im Wege stand. Die Auswahl der Leute, die mitfahren sollten, fiel schwer, aber nach einigen Tagen waren sie sich doch einig; Hervar, Ernir, Feykir und Leif, sollten mit Alvitur auf die erste Fahrt gehen.
In den folgenden Tagen suchten fast alle Björkendaler fieberhaft die Dinge zusammen, die irgendwie für den Handeln geeignet schienen. Viel hatte Björkendal noch nicht zu bieten, außer ein paar Schafsfellen, Fellen von Ragnars Jagdbeute, Trockenfisch und ein paar besonders schöne Krügen von Leifurs neuer Töpferscheibe. Man beschloss, nach der diesjährigen Apfelernte zu fahren, denn dann waren die wichtigsten Arbeiten ihrer Gemeinschaft erledigt.
Zwei Monde vor der Wintersonnenwende war es so weit und Alviturs Mannschaft stand bereit. Abende vorher beratschlagten sie im Langhaus, welche Orte sie anfahren wollten und sie einigten sich schließlich darauf, neben Haithabu auch auf Roskilde, Jelling und Uppokra13 anzufahren.
„Wir dürfen uns aber keine falschen Hoffnungen machen“, meinte Alvitur, als er in die erwartungsvollen Gesichter seiner Mannschaft blickte. Glaubt nicht, dass wir von dieser Fahrt mit großen Reichtümern zurückkehren werden. Für uns ist nur Eines wichtig, wir müssen in möglichst vielen Orten etwas von unserem Wein anbieten. Wenn uns das gelingt, werden wir auf lange Sicht Handelspartner haben. Von unseren Bäumen werden wir in ein paar Jahren noch beträchtlich mehr Äpfel ernten können, so dass wir dann auch mit unserem Wein in größeren Mengen handeln könnten. Ihr werdet dann auch sehen, dass die Äpfel mehr sind als sie scheinen. Selbst unsere Frauen werden entdecken, dass man mit ihnen auch unsere Speisen bereichern kann. Ernir, ich denke, du solltest den Handel mit unserem Wein übernehmen, du bist ja inzwischen ein richtiger Liebhaber dieses Gebräus geworden.“
Als sie am letzten Abend vor der Fahrt wieder zusammen saßen, meldetet sich Leif zu Wort: „Leute, ich war mit Djarfur, nun ja, mit Alvitur lange genug unterwegs und habe eine Menge Erinnerungen daran, was auf so einer Reise alles passieren kann. Wir wollen ja nicht nur zum nächsten Ort, nach Hjemma. Ich will sagen, macht euch auf alles gefasst und nehmt eure Waffen mit.“
Alvitur nickte und ergänzte: „Leif, du warst mir immer ein zuverlässiger Weggefährte, und jetzt hast du mir das Wort aus dem Munde genommen. Ich wollte nur niemandem vorher Angst machen, deshalb hatte ich das noch nicht erwähnt.“
Endlich war die Knorr auf See und Egill hatte in den ersten Tagen alle Hände voll zu tun, die Mannschaft in ihre Handhabung einzuweisen, so dass sie auch bei Sturm jeden Handgriff beherrschen würden. Immer wieder übten sie und Alvitur achtete streng darauf, dass sie es auch mit der nötigen Ernsthaftigkeit taten. Wer nicht mit den Manövern des Schiffes beschäftigt war, übte sich unter Alviturs Anleitung mit den Waffen und so vergingen die Tage auf See, wie im Fluge. Obwohl um diese Jahreszeit die See oft sehr rau werden konnte, hatten sie großes Glück; der Wind blies aus der gewünschten Richtung und sie fuhren ohne gegen übliche Herbststürme ankämpfen zu müssen.
„Hört mal alle her!“, rief Alvitur eines Tages, „wir erreichen bald unser erstes Ziel, Uppåkra. Ich habe bewusst diesen kleinen Umweg gewählt. Gehört habt ihr sicher alle schon von diesem Ort und ich bin sicher, dass ihr staunen werdet. Ich denke, dass es gut wäre, unseren Göttern zu danken und Odin ein kleines Opfer darzubringen, damit er weiterhin sein Augenmerk auf unseren zukünftigen Handel legt.“
Als die Sonne den Zenit überschritten hatte, sahen sie die Bootsstege von Uppåkra und legten kurze Zeit später an.
Ernir hängte sich sein Schwert um, setzte einen Lederhelm auf und wartete am Steg auf die anderen. Alvitur lächelte, als er ihn so warten sah.
„Du hast dir Leifs Bedenken zu Herzen genommen, aber hier werden wir keine böse Überraschung erleben. Es ist aber trotzdem gut so, komm mit.“
Alvitur trug einen kleinen, in ein Tuch gehüllten Krug, mit sich. Ernir und Feykir lachten. Sie machten laufend Bemerkungen darüber, wer den Krug als Opfer austrinken würde. Dann blieben sie ganz plötzlich stehen und staunten. Dort stand ein Haus, wie sie es, in seiner Art, noch nie gesehen hatten.
Nun war es Alvitur, der lächelte. „Ich sagte euch ja: Ihr werdet staunen. Ja, das ist Odins Tempel. Bei den Christen, südlich vom Dänenwall, haben sie noch viel größere Häuser für ihren Gott und nennen sie Kirchen.“
Die Leute, die durch den Ort liefen beäugten die Händler etwas argwöhnisch, aber Alvitur meinte nur: „Macht euch keine Sorgen. Das hier sind friedfertige Schweden. Wir werden auch hier übernachten und vielleicht können wir morgen sogar etwas handeln. Jetzt lasst uns hineingehen.“
Ernir, Hervar und Feykir bekamen vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Beschnitzte Stühle und Dachgiebel, Köpfe an Booten hatten sie ja alle schon gesehen, aber was sie hier erblickten, übertraf ihre Erwartungen gewaltig. Im milden Dämmerlicht des Tempels sahen sie, jeder Säule, die das Dach trug, war von oben bis unten beschnitzt und in einer Kunstfertigkeit, wie sie es noch nie gesehen hatten.
„Ich sagte es euch ja“, flüsterte Alvitur und Ernir antwortete ebenso flüsternd: „Ja, ja, aber das hast du nicht gesagt, dass uns vor Staunen die Augen herausfallen werden“ – und Ernir befühlte andächtig einen großen Wolf, der sie aus einer Säule heraus ansah.
In einer Ecke waren Figuren aufgebaut, eine große, die Odin darstellen sollte und um ihn herum weitere; die anderen Götter. Dicht neben ihm standen Thor und Freya. An der Wand, ins Holz geschnitzt, waren Odins Raben, Hugin und Munin zu erkennen und darunter seine Wölfe, Geri und Freki.
Alvitur winkte seine Leute heran. „Kommt, stellt euch zu mir und lasst uns Odin bitten unseren Handel zu beschützen. Er nahm das Tuch vom Krug und entfernte den Verschluss. Mit fester Stimme rief Alvitur: „Odin, Freya und Thor, wir stehen hier vor euch, als freie Männer, die für ihr Dorf einen neuen Weg beschreiten wollen und jetzt bitten wir euch: Helft uns, diesen Weg auch erfolgreich zu gehen. Odin, gib uns von deiner Weisheit, Thor gib uns von deinem Mut, Freya, gib uns von deiner Güte und lasst uns diesen Weg ehrenhaft gehen, zum Nutzen von Björkendal. Seht auf uns und steht uns bei, wenn wir in Bedrängnis geraten, so werden auch wir an eurer Seite stehen, immer, für alle Zeit.“
Alvitur nahm sein kleines Trinkhorn vom Gürtel und goss etwas Wein hinein. Auf jeder der Figuren ließ er ein paar Tropfen Wein fallen. Er hielt kurz inne, dann rief er laut, dass es durch den gesamten Tempel schallte: „Odin, ich bitte dich, nimm unser Opfer an!“ Er trank selbst einen kleinen Schluck von dem Wein und reichte dann das Horn an Ernir weiter.
Leif drängte sich an Alvitur und flüsterte: „Mein Freund, das hörte sich ja fast wie ein Schwur an“ – und noch etwas: „Egal ob die Götter zu uns stehen, alle die wir hier mit dir sind, werden ganz sicher immer an deiner Seite stehen. Wir wissen, dass du uns einen guten Weg aufgezeigt hast, den besten, den wir wählen konnten.“
Die Männer waren sich der Feierlichkeit dieses Momentes bewusst. Sie schauten einander in die Augen und nickten Alvitur zu. Mit fester Stimme bestätigte Ernir ihren stillen Bund: „So sei es.“
Ohne nennenswerte Tauschgeschäfte fuhren sie am nächsten Tag, in Richtung Haithabu weiter. Unterwegs trat Ernir an Alvitur heran und sagte: „Alvitur, ich bin mir ziemlich sicher, dass du noch etwas anderes im Kopf hattest, als Odin nur unseren Handel anzuvertrauen.“ Als Alvitur leicht nickte, ergänzte er: „Wir vertrauen dir alle, aber ich bitte dich, wenn wir dir auf dem neuen Weg folgen, sag uns auch immer wohin er führt.“
„Hmm“, machte Alvitur, „ja, du hast Recht, aber so ganz sicher bin ich mir über unseren Weg noch nicht. Ich kann noch nicht weit genug sehen, mein Freund.“
Sie waren die ganze Nacht hindurch gefahren, weil der Wind günstig stand und hatten so den größten Teil der Strecke zurückgelegt. Kurz vor dem Morgengrauen mussten sie jedoch auf offener See halten, weil sie Haithabu nur nach Sicht anlaufen konnten. Zu groß war die Gefahr, in der Dunkelheit irgendwo zu stranden. Mit den ersten Sonnenstrahlen hatten sie endlich genügend Sicht und konnten in den Hafen einfahren. An einem freien Ankerplatz, zwischen vielen anderen Booten, machten sie die Knorr fest.
Alvitur rief die Männer zusammen und ordnete an: „Wir werden erst gemeinsam etwas essen und dann sehen wir uns in der Stadt um. Lasst uns gemeinsam Haithabu erkunden. Seid aufmerksam und versucht euch möglichst viel zu merken. Ihr werdet feststellen, dass hier nicht nur Dänen und Schweden Handel treiben, sondern auch Leute aus Ländern, deren Namen ihr noch nie gehört habt. Damit hier euer erster Handel keine zu große Enttäuschung wird, werde ich im Hintergrund bei euch sein. Es wird auch Zeit, dass wir ein paar Zeichen verabreden, mit denen ich euch andeuten kann, ob ihr mit dem Preis hoch- oder runtergehen solltet. Versteht ihr, wie ich das meine?“ Als die Gefährten verstehend nickten, sprach Alvitur weiter: „Ich bin wirklich nicht scharf darauf, hier zu handeln, aber ich möchte euch gerne für den Anfang vor bösen Enttäuschungen bewahren. Leif weiß auch, dass es windige Hunde unter den Händlern gibt, die versuchen werden, euch übers Ohr zu hauen, wenn ihr ihre Schliche nicht kennt.“
Die Männer lauschten gespannt. „Es kann auch sein, dass ihr mit Etwas in Berührung kommt, das es bei uns nicht gibt, das ihr bisher vielleicht nur gehört habt; ich meine Leute, die mit Menschen handeln, mit Sklaven.“
Ernir schnaufte entrüstet: „Das sollte mal einer versuchen, mich zu verkaufen, der wird zufrieden sein, wenn ich ihn anschließend verkaufe. Ha, ha!“
„Ernir, so einfach ist das hier nicht. Diese Händler sind meistens Dänen, die irgendwo einen kleinen Krieg geführt haben und dann ihre Gefangenen gegen Dinge eintauschen, die sie brauchen, oder gegen Münzen verkaufen. Sie haben hier starken Rückhalt, weil es hier eben so üblich ist und es sind auch meistens kampferfahrene Leute, mit denen man sich besser nicht anlegt. Wichtig für euch ist noch, dass hier fast nur mit Silber als Zahlungsmittel gehandelt wird. Ihr solltet wirklich Augen und Ohren offen halten. So wie unser Handel mit den Leuten aus Hjemma läuft, so geht das hier kaum. Wir werden am besten eine kleine Menge Felle und vielleicht auch einen Krug Wein mitnehmen und ich werde den ersten Handel machen. Ihr solltet alles genauestens beobachten und es euch einprägen. Glaubt mir und seid erst einmal misstrauisch, denn es gibt wirkliche Schweinehunde hier. Mir tut es ja auch leid, wenn man später feststellt, dass man misstrauisch gegen einen ehrenhaften und ehrlichen Mann war, den man gerne als einen Freund willkommen heißen würde. Aber es ist besser so, als wenn deine ganze Ladung verloren geht, weil du nicht aufgepasst hast.“
Die Männer kratzten sich nachdenklich die Köpfe und nickten. „Das sollen wir uns wirklich antun?“, stöhnte Hervar.
Feykir stieß den Freund aufmunternd an. „Komm, Kopf hoch, wir werden eben in der ersten Zeit immer zu zweit losziehen und so ganz dumm sind wir ja auch nicht. Etwas Menschenkenntnis ist also gefragt, den Leuten in die Augen und auf die Finger sehen.“
Alvitur lachte. „Feykir, ich sehe, du hast mich verstanden.“
Als sie endlich gegen Mittag den Anlegeplatz verließen, sahen sie aus wie eine kleine Gruppe von Kriegern, die ihrem Fürsten folgten. Alle hatten Alviturs Ratschlag befolgt und sich gut bewaffnet. Jeder von ihnen hatte seinen Lederhelm auf dem Kopf, der auf Hochglanz poliert war und ein Schwert an der Seite.
Alvitur ging zwar ohne Helm und ohne Rüstung, aber er sah auch so beeindruckend aus. In seiner hellblauen Tunika, dunkelblauen Hosen und seinem prächtiges Schwert an der Seite, vermittelte er den Eindruck eines Fürsten mit seinem Gefolge. Sein Schwert war schon durch die leicht gebogene, exotische Form beeindruckend, dass man seinen Besitzer für einen weit gereisten, oder reichen Mann halten musste, aber genau das bezweckte Alvitur auch.
Sich in der unendlich groß erscheinenden Stadt zurecht zu finden, war selbst für Leif und Alvitur nicht leicht, denn seitdem sie sich das letzte Mal hier aufgehalten hatten, waren auch schon wieder viele Jahre vergangen und Haithabu hatte sich verändert.
Ernir murmelte einmal: „Ich glaube, so weit kann ich gar nicht zählen, wie hier Häuser stehen.“
Endlich hatte sie eine Gasse gefunden, die für sie interessant schien. Ihnen fiel auf, dass alle Hütten zugleich auch Werkstätten waren. Es gab mehrere Schmieden, Töpfer, Lederhandwerker, Silberschmiede und sogar Glasmacher zu sehen. Ihnen gingen die Augen über, als sie vor einer Silberschmiede standen, auf deren Tischen die wunderschönsten Schmuckstücke ausgebreitet lagen. Die Männer blieben stehen und bestaunten den ausgelegten Schmuck, die Halsketten, Fibeln und die verschiedensten Ringe. Der Händler und sein Gehilfe, ein riesiger Kerl mit langem Bart und einem beeindruckendem Schwert am Gürtel, machten misstrauische Augen, als Ernir nach einer Kette aus Bernstein griff und sie betrachtete.
Als sich Alvitur dann mit einem freundlichen Lächeln neben Ernir stellte und den Händler mit einem Kopfnicken begrüßte, entspannte sich die Situation und der Kerl mit dem Schwert trat wieder einen Schritt zurück. Alvitur zog Ernir unauffällig am Ärmel weiter und an der nächsten Hausecke hielt er seine Leute an. „Eines hatte ich vergessen, euch zu sagen: Das ist hier nicht so, wie bei uns zu Hause. Bevor ihr nach irgendeinem Gegenstand greift, sprecht den Händler freundlich an, nickt ihm zu, macht ihm ein Kompliment und zeigt ihm, dass ihr ihm freundlich gesonnen seid und Interesse an seinen Waren habt.“
Ernir machte ein beschämtes Gesicht und meinte: „Ja, das war wohl nicht ganz richtig, das hätte ich zu Hause auch nicht so gemacht, aber diese Kette hatte mich richtig magisch angezogen.“ Dann sah er auf seine Fußspitzen und ergänzte ganz leise: „Diese Steine hätten so wunderschön zu Hildas roter Haarpracht gepasst.“
Da keuchte plötzlich Feykir heran und stieß empört hervor: „Kommt mal, schnell, zur nächsten Hausecke. Alvitur, ich glaube, dort stehen solche, vor denen du uns gewarnt hattest. Es sieht so aus, als ob sie wirklich dort Menschen verkaufen!“
Alvitur hielt die Männer fest und warnte: „Bleibt ruhig und sprecht sie nicht an. Wir gehen einfach an ihnen vorbei, ohne etwas zu tun. Schaut aber unauffällig und genau hin.“
Dann sahen sie es alle: Auf einem größeren Platz, zwischen den Häusern, stand ein langer Querbalken, auf einem hölzernen Podest und er schien ihnen das Symbol menschlichen Elends zu sein. An dem Balken waren drei bemitleidenswerte Menschen, in zerrissener Kleidung festgemacht. Ihre eisernen Halsringe waren mit Ketten an dem Balken befestigt. Die Pein, die aus den Gesichtern der Sklaven sprach, ging den Männern, um Alvitur, tief in die Seele. Am Ende des Podestes standen drei ziemlich aggressiv dreinschauende Krieger. Die Narben, die ihre Gesichter zeichneten, zeigten eindeutig, dass hier kampferprobte Männer standen, die keinen Spaß verstehen würden. Die Björkendaler bissen die Zähne zusammen und gingen mit einem inneren Aufschrei an ihnen vorüber. Diese Knechtung der Würde, die sie hier sahen, würgte ihre freiheitsgewohnten Seelen.
Als sie fast schon vorbei waren, verhielt Alvitur seine Schritte und griff Ernir und Hervar an den Ärmeln. Zwischen den Zähnen zischte er: „Dreht euch zu mir und schaut auf die große Kochstelle dort drüben“, und seine Hand wies die bezeichnete Richtung. Die Männer blieben stehen und schauten auch in die angedeutete Richtung, als gäbe es nichts Interessanteres zu sehen.
Alvitur raunte: „Wenn ihr euch mal unauffällig umschaut, werdet ihr einen kleinen Jungen sehen, der zwischen den Füßen dieser Männer sitzt. Macht das aber ganz unauffällig.“
Mit einem verachtendem Unterton, sprach Alvitur weiter: „Mir war eben zum Kotzen, als ich sah, wie der eine Kerl dieses Kind mit dem Fuß einfach zur Seite geschubst hatte, wie einen Sack voller Dreck. Unter den Leuten die da angekettet stehen, sind bestimmt seine Eltern.“
Ernir bemerkte, wie Alvitur heftig atmete und seine Hand den Schwertgriff umklammert hielt. Die Männer schauten sich schockiert an. Nur Alvitur und Leif hatten auf ihren langen Reisen schon Sklaverei gesehen und ähnliches erlebt. Für die anderen schien das Gesehene unfassbar. Sie waren immer freie Männer gewesen und konnten sich nicht vorstellen, der Besitz eines anderen Menschen zu sein.
Unvermittelt zerrte Alvitur seine Leute an den Ärmeln und forderte sie ziemlich barsch auf: „Kommt aufs Schiff, wir müssen reden.“
Die traurigen Gestalten mit den eisernen Halsringen bewegten ihre Gemüter, und das machte sie auf dem gesamten Rückweg bedrückt.
Wieder auf dem Schiff, setzte Ernir sich auf eine Ruderbank, stützte den Kopf in die Arme und grübelte. Er stellte sich sofort vor, wie ihr Dorf überfallen würde und dann seine Kinder, wie hier, zum Verkauf standen.
Jeder versuchte wohl auf seine Art mit ähnlichen Gedanken fertig zu werden, bis Hervar fragte: „Alvitur, was tun wir jetzt? Wollen wir uns die Dänen vornehmen und die Sklaven befreien?“
„Ach Hervar, nur zu gerne würde ich das tun, aber so einfach geht das nicht. Die sind hier geduldete Händler und für alle Leute hier sind sie die rechtmäßigen Besitzer ihrer Sklaven. Bestimmt sitzt hier irgendwo auch noch der Rest ihrer Mannschaft. Mit so einer wilden Horde können wir uns nicht anlegen. Schon die drei dort sind ganz sicher sehr starke Gegner und wenn wir die angreifen, dürften wir uns hier nie wieder blicken lassen.“
Nach einem kleinen Moment des Nachdenkens, fügte er hinzu: „Wenn wir etwas tun wollen, dann sollten wir diesen kleinen Jungen befreien, aber das können wir nur mit Verstand und List machen. Was meint ihr, wollen wir das versuchen?“
Alvitur sah seine Leute der Reihe nach an und alle nickten ohne zu zögern.
Leif gab zu bedenken: „Wir müssen herausfinden, ob seine Eltern wirklich unter denen sind, die dort standen, oder ob sie hier verkauft wurden und danach sollten wir erst etwas entscheiden.“
„Leif, deine Worte sind klug“, bemerkte Alvitur, „aber lasst uns erst essen. Ich muss noch etwas nachdenken.“
Beim Essen saßen die Männer in sich gekehrt und nachdenklich zusammen und kein rechtes Gespräch wollte aufkommen. Endlich brach Feykir das Schweigen.
„Sag mal Alvitur, die Kochstelle die du uns so umständlich gezeigt hast, kochen die dort für alle?“
Alvitur schreckte sichtbar aus seinen Gedanken auf und nickte dann. „Ja, dort kannst du auch essen, aber du musst dafür bezahlen. Überall in den Städten, südlich vom Dänenwall, gibt es solche Gasthäuser. Wenn es sich nicht geändert hat, nehmen sie meistens Hacksilber14, also kleingehackte Münzen und anderes Silber, als Bezahlung. Wir müssen uns also hier etwas Silber eintauschen, wenn wir in so einem Wirtshaus essen wollen. Aber auch vieles andere kann man für Hacksilber eintauschen, auch deine Bernsteinkette, Ernir. Noch etwas. Das größere Haus, hinter der Kochstelle, ist für Übernachtungen gedacht. Dort kann man die Nacht verbringen.“ Nachdem er grinsend mit dem Kopf gewackelt hatte, ergänzte er: „Gegen Bezahlung brauchst du dort auch nicht alleine schlafen.“
Nun grinsten die Männer alle; ja, auch davon hatten sie schon gehört.
„Hört zu, ich habe mir was einfallen lassen.“ Dann erläuterte Alvitur seinen Plan, wie sie den Jungen befreien konnten.
„Aber bevor wir uns um das Kind kümmern, lasst uns noch etwas erledigen, das in unsere Gemüter vielleicht wieder etwas Licht bringt. Dass wir die Kochstelle und das Haus dahinter entdeckt haben, ist gut. Wir werden zuerst dorthin gehen und einen Krug von unserem Wein mitnehmen. Wenn wir Glück haben, können wir dafür etwas Silber einhandeln. Was denkt ihr?“
Die Gesichter hellten sich auf. Sollte sich jetzt zeigen, dass Alviturs Traum, von Björkendals Schatz, wahr wurde? Alle stimmten sofort zu.
Ernir fragte: „Sollen wir einen großen Fjerdingkrug nehmen oder einen kleinen mit einer Aske15 Inhalt?“
„Wir wollen kein Risiko eingehen. Nehmen wir lieber für den Anfang den Askekrug mit. Aber ich glaube, unser Wein wird denen dort schon gefallen.“
Feykir und Ernir stellten den Krug in ein Tragenetz und deuteten Alvitur an, dass sie marschbereit seien. Auf dem Platz vor der Herberge empfing sie eine Geräuschkulisse, die sie an ihre Feste im Langhaus erinnerten: Stimmengewirr, das Klappern von Trinkbechern, Gegröle einzelner Männer, und ihren Augen bot sich ein so buntes Gewirr aus fremdartig gekleideten Menschen, dass ihre Blicke nicht zur Ruhe kamen. Alvitur ließ seinen Männern erst einmal Zeit, diese wundersame Szene in ihren Köpfen zu verarbeiten und unterhielt sich leise mit Leif.
„Leif, dein Vorschlag ist gut. Männer, kommt, wir setzen uns dort an einen Tisch. Von da habt ihr einen guten Überblick und könnt alles in Ruhe betrachten.“
Voller Aufregung und Erwartung ließen sich die Männer an einem großen Tisch, am Rande des Geschehens, nieder. Alvitur saß an der Stirnseite des Tisches, Hervar und Ernir rechts von ihm und Leif mit Feykir zu seiner linken. Wieder machte er den Eindruck eines Adligen, der mit seiner Leibgarde unterwegs war. Es dauerte nicht lange, da kamen ein kräftiger, untersetzter Mann und eine junge Frau an ihren Tisch. Mit kleinen, listigen Augen musterte er erst Alvitur, dann ging sein Blick flink, aber eindringlich, über die Männer.
Er richtete seine Worte direkt an Alvitur. „Ich habe dich hier noch nie gesehen. Bist du auf der Durchreise, oder willst du hier Handel treiben?“
Alvitur richtete sich auf und musterte in aller Ruhe den Fragesteller. Mit seinem einäugigen, aber befehlsgewohntem, Gesicht spielte er die Rolle eines Stammesfürsten vortrefflich und eindrucksvoll. Den Männern wurde wieder bewusst, dass sie einen wirklich hervorragenden Mann zu ihrem geistigen Oberhaupt gewählt hatten, auf den sie stolz sein konnten. Alvitur war ein Fürst, dem Aussehen und seinen Gesten nach. Seine hellblaue Kopfbinde, die die leere Augenhöhle verdeckte, unterstrich diesen Eindruck effektvoll.
„Sag mir erst einmal deinen Namen, damit ich weiß, mit wem ich es hier zu tun habe.“
Der angesprochene Mann zuckte leicht zurück. „Selbstverständlich, ich bin Nils und ich betreibe hier diese Herberge. Herr, wenn du etwas wünscht, kann ich dir zu Diensten sein. Ich biete dir Essen und auch die Möglichkeit, mit deinen Männern hier die Nacht zu verbringen.“
Alvitur nickte nur andeutungsweise und fragte dann in einem befehlsgewohnten Ton, den seine Männer kaum kannten: „Was kannst du uns denn für eine Speise anbieten?“
Nils antwortete sofort: „Ein Kohlsuppe, wie jeden Tag und auch vom gebratenen Ochsen. Als Getränk kann ich euch Bier anbieten, Dünnbier und gutes Starkbier.“
So, als ob er ihm eine Gnade gewährte, erwiderte Alvitur: „Dann bringe für mich und meine Männer gutes Bier und vom gebratenen Ochsen.“
Der Betreiber der Herberge war kaum drei Schritte weg, da konnte Hervar nicht mehr an sich halten, prustete los und wollte schon mit der Faust auf den Tisch schlagen, doch Alvitur hielt ihm die Hand in der Luft fest.
„Beherrsche dich, mein Freund. Lass uns diese Rollen spielen, bis wir genügend Wissen gesammelt haben.“
Aber alle am Tisch sahen, dass Alvitur ebenfalls grinste.
Als das gewünschte Essen vor ihnen und vor jedem ein Krug mit Bier standen, sprach Alvitur dem Herbergswirt wieder an: „Nils, einer meiner Männer möchte hier vielleicht einen Handel mit einem exotischen Getränk betreiben, vielleicht bist du auch daran interessiert?“
Sofort gingen die Augenbrauen des Mannes nach oben und man merkte deutlich, wie es in seinem Kopf zu arbeiten begann, bis sein Blick interessiert an dem verschlossenen Krug haften blieb.
Alvitur lächelte. „Ja, in diesem Krug ist das Getränk, von dem ich sprach. Es ist nur eine Kostprobe und wenn du dich für einen Handel entscheidest, kann dir mein Händler bedeutend mehr liefern“ – und er nickte Ernir zu, den Krug zu öffnen.
Ernir spielte seine Rolle gut und öffnete den Krug, mit dienstbeflissenem Gesicht, etwas umständlich, fast andächtig. Er nestelte ein Trinkhorn vom seinem Gürtel und goss etwas Wein hinein. Alvitur nickte wieder und Ernir reichte dem Wirt das Trinkhorn. Fünf Augenpaare beobachteten nun, wie der Mann ihren Wein trank.
„Oh, das ist wirklich etwas, was es hier nur sehr selten zu trinken gibt.“
Am Trinkverhalten des Wirtes sah Alvitur, dass dieser Mann wusste, wie man Wein trank. Er goss ihn nicht in sich hinein, wie es die Leute hier mit dem Bier machten, sondern trank ihn in kleinen Schlucken und schmatzte dabei unentwegt mit den Lippen. Alvitur merkte deutlich, das ihm ihr Wein gefiel und das bestimmte seine weitere Taktik.
„Eine Hand voll Hacksilber und der Krug gehört dir“, sagte er so, als ob er eigentlich Wichtigeres zu tun hätte, als über diese Geschäft zu reden.
Unter dem Tisch stieß Alvitur Ernir mit dem Fuß an und Ernir wiederholte sofort: „Ja, guter Mann, eine Handvoll Hacksilber, dann kannst du meinen Krug mit dem Wein haben.“
„He, wo kommt ihr denn her? Eine Handvoll Silber, ihr könnt höchsten eine Mark Silber16 dafür bekommen. Für eine Mark Silber bekomme ich hier nämlich eine ganze Kuh“, stöhnte der Mann auf und fasste sich an den Kopf.
Alvitur schaltete schnell und rettete die Situation: „Wir sind manchmal Spaßvögel, nehmt es uns nicht übel. Wir übertreiben gelegentlich gerne. Selbstverständlich meinen wir eine Mark Silber. Wiege es ab und du kannst den Krug haben. Die Kuh kaufen wir dann später von diesem Silber.“
Alvitur lehnte sich zurück und lächelte überheblich. Erst schien der Wirt verunsichert, dann sagte er aber: „Wartet, ich gehe eine Waage holen und wir machen das Geschäft.“ Nach diesen Worten drehte er sich um und verschwand auf flinken Füßen. „Ernir, du bist jetzt der Weinhändler und lasse durchblicken, dass er auch größere Krüge von einem Fjerding Inhalt haben kann“, bemerkte Alvitur hinter vorgehaltener Hand.
Nebenbei ließen sich die Männer den gebratenen Ochsen schmecken und tranken mit Genuss das ungewohnt, gute Bier.
Nach einem kurzen Augenblick erschien Nils wieder, mit einer kleinen Waage und einem Säckchen in der Hand. Ernir schob seinen Bierkrug über den Tisch, zum Zeichen, dass er jetzt den Handel tätigte und schaute gespannt auf die Hände des Wirtes. Der legte das Gewicht einer Mark in die Waagschale und ließ dann nach und nach soviel von dem Hacksilber in die andere Schale fallen, bis beide Schalen im Gleichgewicht pendelten.
Ernir hielt seinerseits ein Beutelchen auf und sagte mit einem geringschätzigen Gesicht: „Na ja, viel ist es nicht, aber wenn du Interesse hättest, könnten wir jedes Jahr um diese Zeit einen weit größeren Handel abschließen. Genug Leute sitzen hier ja herum, die diesen wunderbaren Wein gerne trinken würden. Falls du dich entschließen würdest, könnte ich dir auch morgen noch einen größeren Krug mit einem Fjerding Inhalt verkaufen.“
Die Blicke des Mannes pendelten zwischen Ernir und Alvitur hin und her.
Als Alvitur leicht nickte, meinte er: „Ja, wenn das möglich ist, kommt morgen wieder vorbei. Ich kaufe euch den großen Krug auch ab und das Essen jetzt, nehmt es als Zeichen meiner Gastfreundschaft.“
Ernir griff seinen Bierkrug und sagte: „Nils, dann trinken wir auf unser gutes Geschäft und hab Dank für deine Gastfreundschaft. Wir werden unseren Freunden von deiner Großzügigkeit berichten.“
„Ich danke auch euch“, sprach der Wirt, nahm den Krug Wein vom Tisch und ging mit einem befriedigten Gesichtsausdruck ins Haus.
„So ein Geschäft lasse ich mir gefallen“, platzte Hervar heraus. „Wenn es jedes Mal ein Essen als Zeichen der Gastfreundschaft gibt, werde ich wohl als Händler hier noch fett werden.“
„Ja, meine Freunde, wir haben einen Grund zum Feiern. Unser Traum ist etwas näher gerückt. Jetzt wissen wir dass Björkendal einen wirklichen Schatz hat, nämlich unseren Apfelwein. Dass der Nils sofort auch den größeren Krug kaufen will, spricht wirklich für unseren Wein.“
Alvitur sah deutlich erleichtert aus, als er sich entspannt zurücklehnte und seine Augenbinde zurechtzupfte.
Nach einer Weile des friedlichen Genusses, meinte Alvitur: „Freunde, jetzt kommt der ernstere und gefährlichere Teil des Tages. Wir wollten uns doch um den kleinen Jungen kümmern, oder wollt ihr den ganzen Abend lang lieber unseren Erfolg genießen?“
„Nein, wir waren ja alle dafür den Kleinen zu befreien. Am liebsten würde ich gleich aufspringen und diese Kerle verprügeln“, sprudelte Ernir aufgebracht hervor.“
„Dann trinkt euer Bier aus uns lasst es uns erledigen“, mahnte Alvitur, „aber erst beraten wir unser Vorgehen.“
Wie abgesprochen teilten sich die Männer auf. Alvitur und Hervar näherten sie dem Sklavenplatz und sahen, dass von den drei Sklaven nur noch ein Mann an dem Balken stand.
„Egal“, zischte Alvitur, wir müssen herausbekommen, wohin das Kind gehört. Danach richtet sich unser weiteres Vorgehen.“
Mit Erleichterung stellen sie fest, dass auch nur noch einer der Sklavenhändler über seinen Besitz wachte und Alvitur steuerte direkt auf ihn zu.
„Sei gegrüßt, tapferer Mann. Heute hatte ich im Vorbeigehen gesehen, dass du hier gute Ware stehen hattest, aber du hast sie wohl nicht mehr?“
Der Angesprochene setzte ein freundlicheres Gesicht auf und antwortete in einem dänischen Dialekt: „Da kommst du zu spät. Ja, es war gute Ware und das Pärchen habe ich auch verkauft. Ha, die haben einen guten Preis gebracht und meine Freunde sitzen bestimmt schon und feiern.“ Er zeigte auf den angeketteten Mann. „Den da könnt ihr noch haben, wenn du mir dein Schwert dafür gibt’s. He, das ist ein Sonderangebot.“
Alviturs legte seine Hand auf den Schwertgriff und schaute den Kerl belustigt an. „Glaubst du, dass ich für so eine Klappergestalt dieses prächtige Schwert hergebe, mit dem ich schon so viele nach Walhall geschickt habe? Und außerdem ist diese Prachtstück bedeutend mehr wert. Aber sag mal, dieses Balg dort, gehörte das nicht zu dem Paar, das ihr verkauft habt?“
In diesem Moment liefen zwei Männer vorbei, die ein paar Schritte weiter stehen blieben und sich heftig zu streiten begannen. Es waren Leif und Feykir, die ihre Rollen wirklich gut spielten. Sie sollten für Ablenkung sorgen, damit sich der Kerl nicht richtig konzentrieren konnte. Nun kam auch noch Ernir von der anderen Seite her und grölte, so laut er konnte, ein Lied über die schönen Walküren in Walhall. Dieses Szenario zeigte Wirkung und der Kopf des Sklavenhändlers ging hin und her.
„Hä? Ach so ja, dieses taube und stumme Drecksstück dort? Nein, dessen Eltern sind tot, aber keiner will das Balg haben. Der ist doch zu nichts zu gebrauchen, aber in die Hand hat es mich gebissen, wie ein Köter.“
Was wollt ihr denn mit diesem kleinen Köter anfangen, wenn er zu nichts zu gebrauchen ist?“, fragte Alvitur in einem höhnischen Ton.
„Entweder fressen wir ihn zum Frühstück, oder wir schmeißen ihn morgen ins Wasser, wenn ihn keiner kaufen will.“
Ganz unmerklich schob Alvitur seinen Dolch am Gürtel weiter vor, so dass er gut zu sehen war und spielte daran herum.
„Von wo kommt ihr denn?“, fragte er. „Ich sah heute auch deine Freunde hier stehen, richtige Kämpfer.“
„Ach, guter Mann, woher wir kommen – jeder von uns aus einer anderen Ecke der Welt, aber unsere Ware hatten wir dieses mal in der Nähe von Dublin eingefangen, in Irland. Da fahren wir auch wieder hin. Ist ‘ne ertragreiche Gegend dort“, und sein Gesicht verzog sich zu einer hämischen Grimasse.
„Sag mal, weißt du den Genuss von gutem Wein zu schätzen? Vielleicht überlässt du mir ja die klapprige Gestalt dort für einen guten Schluck. Ich rede von einem großen Krug mit köstlichem Wein.“
Leif hatte sich unbemerkt zu Seite bewegt und tauchte, mit seiner grauen Kleidung, im Halbschatten zwischen den Häusern unter. Jetzt stritten Hervar und Feykir wieder lautstark miteinander und Ernir grölte, nun auf der anderen Seite des Platzes, immer noch sein Lied.
Im Schatten der Hütten huschte Leif an das Kind heran und zerschnitt blitzschnell dessen Fesseln. Er legte ihm den Finger auf den Mund und fragte ganz leise: „Kannst du mich verstehen?“
Der Kleine, mit seinem dreckigen Gesicht, hatte sofort begriffen und nickte. Leif bekam feuchte Augen, als er in die großen, verängstigten Kinderaugen blickte. Er hielt immer noch seinen Finger auf dem Mund des Kindes und zeigte ihm mit der anderen Hand den Weg den es nehmen sollte.
„Wenn ich dem dort auf die Schulter schlage, läufst du dort entlang“ – und schon war Leif wieder im Schatten verschwunden.
Alvitur konnte sich natürlich nicht mit den Händler einigen, aber das hatte er ja auch nie vorgehabt.
„Komm mein Freund“, sagte Leif, der nun wieder neben Alvitur stand, „da musst du dir wohl woanders einen neuen Diener kaufen. Lass uns gehen“ – und er schlug Alvitur auf die Schulter.
Wie verabredet, verschwand der kleine Junge wieselflink, im Schatten, zwischen den Hütten.
Ernirs Gegröle hatte aufgehört und Alvitur richtet noch ein paar umständliche Abschiedsworte an dem Sklavenhändler, dann wandte er sich auch zum Gehen. Ein schadenfrohes Grinsen lag auf seinem Gesicht, als er den Händler noch einmal ansprach: „Haben deine Freunde diesen kleinen Köter geholt? Ich sehe ihn gar nicht mehr.“ Der Kerl fuhr blitzschnell herum und suchte mit den Augen die Umgebung ab.
Alvitur hatte den Zeitpunkt so gewählt, dass sie ihr Unternehmen in der Dämmerung starteten. Nun war es schon fast dunkel und der Händler musste sich entscheiden, entweder den noch vorhandenen Sklaven zu bewachen oder den kleinen Jungen zu suchen. Er brüllte wir ein angeschossener Bär herum, aber das half auch nichts mehr und Alvitur spielte mit einem boshaften Grinsen noch den guten Freund. „He, mach dir doch nichts daraus. Er war doch sowieso zu nichts nützlich. Da habt ihr eine Sorge und einen Fressbeutel weniger.“
„Du hast Recht, aber meine Freunde werden mir ganz schön in den Hintern treten. Na und zu fressen hat der von uns sowieso nichts bekommen.“
Alvitur fragte noch: „Sag mal, wenn ich mal wieder hier bin, finde ich euch mit eurem Angebot auch wieder hier?“
„Ja, aber jetzt hau ich hier auch ab und setzte mich zu meinen Freunden. Muss nur dieses Klappergestell noch wegbringen“ – und der deutete mit dem Kopf auf den armen Mann am Balken.
Alvitur grinste befriedigt und zog Leif mit sich.
Sie hatten ihren Rückweg genau festgelegt und ein paar Hütten weiter trafen sie auf Ernir, der den kleinen Jungen auf dem Arm hielt.
Das Kind saß in Ernirs Armen und aß Fladenbrot mit Bissen, wie ein ausgehungerter Krieger.
Ernirs Gesicht zuckte, als er sich entrüstete: „Diese Hunde. Sind das überhaupt noch Menschen, das sie so mit einem Kind umgehen?“
„Kommt, wir schlafen auf dem Boot“, befahl Alvitur mit belegter Stimme und nahm Ernir das Kind aus dem Arm.
Der Kleine legte seine Arme um Alviturs Hals, schaute ihn mit großen, fragenden Augen an und flüsterte mit dünnem Stimmchen: „Bist du mein Vater?“