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Im Wechselbad der Weiblichkeit

Diese Lockrufe abwehrend, lehnte ich mich gerne und widerstandslos die lange Zeit schon gegen einen Körper, der seine Weiblichkeit nicht vor mir zurückhielt, die Augen unbeirrt verschlossen haltend und meine Gedanken abschweifen lassend von den weiterhin mein Ohr umsäuselnden Schalmeientönen einer mit größter Angestrengtheit weichgespülten Männerstimme, wie gerne lehnte ich mich gegen diesen unbekannten weiblichen Körper, der meine Schwächen zu verstehen schien und mir einen Tag über den anderen neu Halt gab, so dass ich gehindert wurde, mich ganz in meine Ohnmacht fallen zu lassen. Wenn auch beim Abstützen meines Körpers die mich umsorgende Frau meinen Kopf nicht vollends an ihre Brüste zog, so spürte ich doch Wärme und Weichheit und alle Verlockungen und Versprechungen, weil diese Frau, die ich noch nicht ein Mal erblickt hatte, sich vermutlich sehr geneigt fühlte, in meinem gestrandeten Körper mit ihrem Leib Lebensregungen wieder zu erwecken, ihr schmeichelndes Pulsieren in meine Starre eindringen zu machen, um meinen Lebenswillen zu verlocken in flüsternde Düfte und erregende Schwingungen, die sich meiner bemächtigten und denen ich mich allzu willfährig mit fest verschlossenen Augen ergab. Irritierend, dass dieselbe Frau immer einen über den anderen Tag mich auslieferte an unvereinbare Gegensätzlichkeiten. Lockte sie mich den einen Tag mit all den Versuchungen, die eine zärtliche fühlende Hand auszuströmen vermag, untermalt von tröstender Frauenstimme und gesteigert durch begehrliche Schwingungen ihres Leibes, so ließ sie mich am nächsten Tag pure Distanz verspüren, im abgewendeten und beherrschten Stimmton, in übertriebener Sachlichkeit, mit der nun im Gegensatz zum Vortag ihre Finger mich berührten, notgedrungen, weil sie mich Ohnmachtskranken pflegen und waschen musste und meine trocken aufgesprungenen Lippen mit Wasser benetzen. Unnötig entschieden hielt sie dann ihren Körper in größtmöglicher Distanz zu mir, und ihre Haut, distanziert und abweisend, ließ jede Empfindsamkeit für mich vermissen. Um so mehr genoss ich am folgenden Tag, dass ich mich wieder fallen lassen durfte in die Versuchungen, die ihr so überaus weiblicher Körper rückhaltlos an mir Wehrlosem erprobte, offensichtlich mit einer Lust, die sich unbeobachtet und unkontrolliert verströmte. In den Momenten höchster Anziehung spürte ich ein mahnendes und sich steigerndes Klopfen meines Eheringes. Es war mir, als entwichen, wie der Geist einst aus der entkorkten Flasche, aus der perlmuttenen Öffnung des winzig kleinen Meeresschneckenhauses mahnend geflüsterte Worte der Frau, mit der ich in die tiefer werdende Seine watend das ewige Treueversprechen ausgetauscht hatte, Worte, in ihrem Flüsterton unüberhörbar, mich zu erinnern, dass ich zu ihr eilen musste, mich unter keinem Vorwand bei einer anderen Frau verliegen durfte, mochte die Lockende an meiner Bettseite in diesem Moment auch noch so anziehend auf mich einwirken. Mit fest verschlossenen Augen mich in unbekanntem Raum den Attraktionen eines fremden und doch übernahen Frauenkörpers hingebend, erneuerten sich in mir Bilder und Erinnerungen an die Frau, die den gleichen Ring trug wie ich und die, sei es in Zorn oder in Trauer, irgendwo auf meine Rückkehr wartete. Ihr zartes Lächeln und ihre tröstliche Hand, die so oft schon streichelnd meine Wange ermuntert hatte, waren hinter meinen verschlossenen Augen nicht weniger lebendig wie die Hebungen und Senkungen der Brüste, an die eine von mir noch nie gesehene Frauenhand mich fühlbar zärtlich schob, vermutlich immer dann, wenn sie sich sehr sicher war, dass niemand eintreten würde, der Zeuge dieser nicht verabredeten, vielleicht sogar strikt verbotenen Annäherung hätte werden können. Machten die ungeraden Tage mich immer entschiedener, sobald ich wieder laufen könnte, mich auf die Suche zu begeben nach der Frau, die sehnsuchtsvoll oder gedankenverloren meinen Muschelring an ihrer linken Hand drehen mochte irgendwo unter einem der Dächer von Paris vermutlich und sehnsüchtig darauf wartete, dass wir wieder einen Sinnes durch dies feindliche All schweben würden, so machte an den geraden Tagen die Distanziertheit der Frau dicht bei meinem Krankenbett mich zweifeln, ob mein Untergang im Meer mich nicht für immer weg aus dem Leben der Frau geschleudert haben musste, meiner Frau Catherine, die einst den Ring mit mir getauscht hatte. Wir beide aufeinander zu schreitend über den aus entgegengesetzten Richtungen auf diese Stelle zulaufenden Quai d` Orleans. Dann sehr entschieden von unseren Brautführern zum letzten Male vereinzelt und getrennt parallel geführt auf zwei schräge Rampen, die sich, lediglich durch eine seinewärts immer flacher werdende Mauer auseinander gehalten, gemächlich abwärtsfallend in das bräunliche Gewässer der Seine gleiten lassen, da wo das Wasser ruhiger zwischen den beiden Inseln dümpelt. Wir beide jeder für sich, doch dicht schon nebeneinander, abwärts schreitend, wie es sich für eine Braut mit langer Schleppe schickt. Du gefolgt nur vom Trauzeugen Caliban, der Deine Schleppe löste, wenn sie sich verhakte an verborgenen spitzigen Kanten der Pflastersteine aus Granit. Du kamst, wie hätte es anders sein können, von Camille Claudels letzter Arbeits- und Wohnstätte, dem Haus Nr. 19 Quai de Bourbone, und hattest, was Du mir erst ein Jahr später erzähltest, ich aber zur gleichen Zeit wusste, unter ihrem Balkon Dir sehnlichst gewünscht, einen Mann in wenigen Augenblicken in der Seine zu heiraten, mit dem Du mehr Glück haben würdest als Camille mit ihrem Bildhauer. Was ich am Hochzeitstag nicht ahnen konnte, hast Du mir an unserem ersten Hochzeitstag verraten, dass im Jahre 1963 in Deinen Kreisen man nämlich nicht mehr heiratete, Du Dich verteidigen musstest, warum Du Dir als älteres Mädchen, immerhin schon achtundzwanzig, das antun würdest, bürgerlichen Kitsch. »Heiraten? Nein ist das out, so was von out!« Wie viele Deiner nahen und fernen Freunde aus der Schauspielerei hatten Dich äußerst wohlwollend und diskret für lesbisch gehalten und Wetten abgeschlossen, wer wohl deine Liebste sein könnte. Und dann das. »Nein, wie schrecklich! Hast du das gehört, das mit Catherine?« Keiner dieser Gegner unserer Hochzeit hätte wissen dürfen, dass Du noch nie mit einem Mann geschlafen hattest, weil Du auf mich gewartete hattest, so wie ich auf Dich, auch ich ohne jede Vorübung. Barfuß - darauf hätte keiner von uns verzichtet - barfuß, dann in das Wasser der gemächlich tiefer werdenden Seine eintretend, barfuß. Hinausgezogen Dein Schleier von der Strömung, das Seinewasser weiß bedeckend, gemächlich vom Wasser angezogen, hinausgezogen und langsam versinkend, sein Weiß überdehnt langsam verschmuddelnd, dann unvermittelt verschluckt. In Sichtweite, aber über uns aus der Erhöhung der Pont Saint-Louis auf uns niederschauend Freunde und neugierige Fremde - »Was gibt´s denn da zu sehen?« Ihren Beifall huldvoll aus der Brückenferne auf uns niederprasseln lassend, tauschten wir die Eheringe. Als Trauzeugen nahebei nur Caliban, aus Deiner neuesten Inszenierung „Der Sturm“, der so dankbar war, unter Deiner Regie zum ersten Mal auferstanden zu sein in seiner wirklichen Bedeutung, nicht mehr nur verachtenswerter Kannibale, sondern Urkräfte spendende Natur, zügellos und ungezügelt allerdings, nicht für jeden Zuschauer leicht zu ertragen.

In dem Moment, als wir uns wechselseitig den von einer Babymuschel gekrönten Ring auf den Ringfinger der linken Hand schoben, vergaßen wir die Trauzeugen, das Publikum auf der Brücke, die verspielten Weißwolken im Himmel über Paris, versenkten unsere Blicke ineinander, ich dankbar, dass wir uns überhaupt gefunden hatten, dankbar, uns füreinander aus allen Fesselungen befreit zu haben. Dann, als wir unsere Blicke lösten, unsere Schultern - wir nahezu gleich groß – gegeneinander lehnend, damit die Jubelnden von der Brücke unser Paarsein photographieren konnten, warfen wir unsere Blicke nicht brückenhoch, nicht in das innere Auge der Fotoapparate, nicht himmelwärts, ließen wir, als stünden wir mutterseelenallein, unter der Brücke hindurch unsere Blicke davon fliegen zum Haus Nr. 9 im Quai aux Fleurs, wo im Jahre 1117 Heloise und der zwanzig Jahre ältere Abaelard sich in leidenschaftlicher Liebe vereint hatten. Genau wie sie hatte keiner von uns sich bis zu diesem Augenblick einem anderen Menschen ganz hingegeben. Wir hatten uns füreinander aufgespart, denn wie Heloise und Abaelard hatten wir, jeder für sich und unabgesprochen, geglaubt, dass es auf dem weiten Erdenrund nur einen Menschen gibt, dem wir angehören sollen. Wie diese beiden, wenn auch nicht heimlich und verbotener Weise, wollten auch wir uns lieben, das aller erste Mal uns wechselseitig schenken, ohne jede Vorbereitung, ohne Erfahrungen mit Partnern, ohne Training, ohne Plan, aber in unbestimmter, aufregender, ungestümer Erwartung, was passieren würde, wenn wir uns entkleidet hätten und nach so langem Abwarten ganz eins würden und uns ineinander verlieren würden im allerhellsten Licht der Morgensonne, um von diesem Augenblick an, treu miteinander und ausschließlich und einzig und allein unsere Leiber sich schamfrei in unvorhersehbare Liebesverwicklungen verspielen zu lassen. Wir beide vielleicht in ähnlicher Erregung, jedoch verunsichert von unterschiedlichen Irritationen, ich, ob er mir auch im richtigen Augenblick stehen würde mein Freund Penis aus den so schön gekräuselten Haargebüschen heraus, Du bereit, wenn es sehr schmerzen würde mein Eindringen, Dich trotzdem daran als Liebesgeste und Lust zu erfreuen. Wie viele Freunde, sehr nahe und fernere, hatten uns schon verlacht, dass wir nur unseren beiden Körpern auf dieser Erdenwelt erlauben wollten, sich begehrend miteinander zu verwirbeln, zu verschlingen, zu umschlingen. Skeptisch, manchmal sogar vorwurfsvoll kritisiert, als könnten wir Wichtiges versäumen, wenn wir niemals von einander lassen wollten, selbst von guten Freunden belächelt: »Wer, um Gottes Willen fährt denn ein Leben lang nur mit einem Automodell durch die Welt?« Wir fühlten uns stark, ziemlich alleine, aber stark in unserem Widerstand gegen den damals alle Welt beherrschenden Sponti-Spruch: »Wer zwei Mal mit der selben pennt, gehört schon zum Establishment!« Wir flüsterten uns ins Ohr, die Füße nass und kalt vom Seinewasser, dass wir einander treu sein wollten bis zum Tod. Gemeinsam wollten wir uns auf den Pfad begeben, der sich Zug um Zug für uns auftun würde, wenn wir angelockt von dem Schönen ihm hinterher eilen würden, das so scheu immer auf der Flucht ist in dieser Welt, auf der Flucht vor Raffgier, Herrschaftssucht, Ichfixiertheit, Bosheit, Dummheit. »Nur wer die edle Gesinnung liebt, hat sich dem Dauernden verbunden und bleibt treu.« Diesen Satz aus Platons Gastmahl hatten wir der handschriftlich hingekritzelten Einladung zu unserem Hochzeitsgang in die Seine vorangestellt. Bedingungslos wollten wir dem Schönen nachstreben, Hand in Hand und auch im Liebestaumel. Du aber berührtest, bevor Du Deinen Ring zum Zeichen Deiner Treue mir auf den Ringfinger entschieden schobst, meine linke Hand und batest mich mit Blick auf das Haus Nr. 9 im Quais aux Fleurs Dir nachzusprechen: »Ich, --- in wenigen Sekunden Dein Mann, --- verspreche Dir hoch und heilig, --- dass selbst, wenn ich --- meiner Gaunerbande erneut in die Hände fallen sollte --- und die Rachsüchtigen mir --- wie angedroht die Eier abschneiden sollten, --- mich also kastrierend so bestrafen, wie einst der arme Abaelard abgestraft wurde --- für seine Liebesnächte bestraft wurde, --- dass ich selbst nach solch einer schmerzhaften Entmannung --- mich als Dein Ehemann --- nicht schämen werde --- und Dich, Catherine, --- so schnell wie möglich suchen --- und aufsuchen werde, --- um mich von Dir trösten zu lassen. --- Niemals --- werde ich zehn Jahre --- nichts von mir hören lassen, --- wie Abaelard es leider --- der geliebten Heloise antat.« Während ich Dir dieses Versprechen nachsprach, musste ich aus Deinem Brautstrauß die zarten Blätter der Tauben-Scabiosa auszupfen und bläulich-lila nieder segeln lassen auf die sanfte Strömung des Seine Wassers, aufgerührt bräunlich, sich für unsere Zeremonie unmerklich ins Grünliche wandelnd. Es war Deine Idee gewesen, mir diesen Schwur abzunehmen. Wir hatten das nicht abgesprochen, nicht geprobt. Dieses Versprechen gab ich Dir leichten Herzens, da wir beide keineswegs befürchteten, die Räuberbande, der ich mit Deiner Hilfe entkommen war, könne mich wiedererkennen und erneut festsetzen und abstrafen. Zu sehr hattest Du mein Aussehen verändert. Als ich, an unbekanntem Ort in unbekanntem Krankenbett von kaltem Weihwasser als allererstes das Verlangen spürte, mein Eheversprechen wahr zu machen und so schnell es gelingen würde, zu Dir zurückzukehren, zu Dir Catherine Steinreich, fiel mir der Blick ein, unser gemeinsamer und von niemandem erkannter Blick im Augenblick der Ehe-Schließung, der Blick zum Haus von Heloise und Abaelard zum Quai aux Fleurs. Hatten nicht auch sie nach zehnjähriger Trennung sich wieder gesehen und immer neu beeinflusst? Und ich, so lange konnte ich noch nicht verloren sein, verschwunden aus unserem Leben.

Dann aber beängstigender Zweifel. Würdest Du überhaupt wollen? Hattest nicht Du mich in manchen Gesprächen, meist, wenn wir im Dunkeln leise tuschelnd uns einander nah machten, als dürften uns nicht einmal die Geister der Nacht belauschen, darüber aufgeklärt, dass Frauen den Schlangen gleich, die wegen ihres Wachstums die zu eng gewordene Haut abstreifen müssen, dass Frauen, eben auch innerlich wachsend und reifend im Gegensatz zum Mann, der sich in den einmal besetzten Positionen lebenslänglich wie in einer Ritterrüstung verschanzt, ungefähr alle sieben Jahre ihr Selbstbild und ihre Zielsetzungen ändern? Zum Nachteil für den Partner der sich häutenden Frau wären diese oft fundamentalen Änderungen leider nicht wie bei der Schlange an trüb und milchig werdenden Augen erkennbar. Du gabst mir ungefragt Beispiele von Frauen, die mit 21 Jahren für einen Mann schwärmten und sich ihm rückhaltlos hingaben, den sie bereits mit 28 Jahren als zu sehr zurückgeblieben und zu beschränkt empfanden. Mit 35 Jahren setzten viele Frauen sich Ziele, die sie mit 28 nicht einmal geahnt hätten. Spätestens in diesem Alter fragten sie sich, was wohl ein Kind aus ihnen machen würde und ersehnten diese lebende Überraschung unbedingt, jedenfalls mehrheitlich. Und im 42. Jahr… Doch daran, was Du zu diesem neuen Wendepunkt im Leben der Frauen behauptet hattest, will ich mich lieber nicht erinnern, denn das würde auch mich schon bald in aller Härte treffen, falls es überhaupt gelingen würde, dass ich auf welch wunderliche Weise auch immer erneut einen Kontakt zu Dir würde herstellen können. Ahnte diese Frau in meinem Krankenzimmer, in welche Wechselbäder sie mich einen Tag über den anderen stürzte? Sollte das Therapie sein, sollte ich ins Leben zurückgeholt werden, dadurch dass ich den einen Tag mich geliebt und übernah, den anderen Tag gehasst und weggestoßen fühlen musste?

Als ein Anderer leben

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