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Atlan

Ich hielt die STERNSCHNUPPE erst einmal auf Distanz. Was hier wirklich geschah, war mir reichlich unklar. Auch der Extrasinn räumte ein, dass ihm der rechte Durchblick fehlte. Mrothyr und Chipol diskutierten heftig. Jeder von ihnen hatte die »Berührung EVOLOS« anders erlebt.

Die LJAKJAR und die GLIMMERTON gaben bei den vorzüglichen Ortungssystemen der STERNSCHNUPPE ein ausgezeichnetes Echo ab. Das Ziel der beiden Raumschiffe war unklar. Ich hatte meine Zweifel, was die überheblichen Worte Dharys' betraf. Chipol teilte diese Meinung mit mir.

Ich war nachdenklich geworden.

In Alkordoom hatte es auf dem Planeten Puurk begonnen. Die Kosmokraten hatten mir einen Auftrag verpasst, ohne mich zu fragen, ob er mir angenehm war. Sie hatten eine Hintertür offen gelassen, die Fluchtmöglichkeit zurück in mein Orakeldasein. Inzwischen war ich immer mehr davon überzeugt, dass es sich dabei nur um eine Finte gehandelt hatte, die mich in Sicherheit wiegen sollte.

Mit der Botschaft und mit Puurk in Alkordoom hatte es begonnen. Und wo war ich jetzt? Alkordoom – Manam-Turu. Juwel – Erleuchteter. Die unverständliche und unbegreifliche »Gefahr« EVOLO. Eine logische Kette? Ja und Nein. Ich kannte die Kosmokraten nicht, obwohl ich sehr wahrscheinlich 186 Jahre bei ihnen gewesen war. Beweisen konnte ich das nicht. Aber annehmen musste ich es. Für die Terraner war ich 200 Jahre »jenseits der Materiequellen« gewesen. 14 Jahre davon hatten sich aufgeklärt, die Zeit in der Namenlosen Zone, in der ich von Anti-ES abgefangen und gegängelt worden war. Selbst damals hatten die Kosmokraten nicht eingegriffen. Sie hatten mir ein paar Helfer geschickt. Oder nicht? War Kik ein Zufallsprodukt gewesen? Und Sanny? Ich wusste es nicht.

Ich wusste aber, dass die Kosmokraten ein dunkles Spiel trieben. Die Figur, die sie nach ihrem Gutdünken auf dem Schachbrett verschoben, war ich! Und das passte mir nicht.

Ich würde vielleicht später noch einmal in die Bresche springen und für die Kosmokraten kämpfen. Jetzt wollte ich erst einmal für mich kämpfen. Meine Wertvorstellungen waren mehr als 10.000 Jahre alt. Das musste doch genügen. Oder?

Die Finte mit dem Stichwort »Varnhagher-Ghynnst« hatte ich in Alkordoom nie ausprobiert, obwohl ich oft genug daran gedacht hatte. Ich machte Fehler, und ich wusste, dass ich auch weiterhin Fehler machen würde, aber einen derart billigen Ausweg liebte ich auch nicht.

In Manam-Turu hatte es sich bewiesen, dass »Varnhagher-Ghynnst« nur ein Trick gewesen war. Eine Masche, mit der ich die erste Etappe zur Bewältigung des Problems EVOLO überwinden sollte. War es einfach so gewesen, dass die Kosmokraten mir diesen »Ausweg« entzogen hatten? Oder hatte er nie existiert? Ich wusste es nicht. Es war auch egal, wie die Wahrheit lautete. Das Spiel war schäbig gewesen, und es war es noch!

Ich wollte erst einmal ich sein. Den Weg nach Varnhagher-Ghynnst würde ich auch ohne die Hilfe der Kosmokraten finden. Oder untergehen!

Noch brauchte mich Chipol. Noch wollte ich wissen, welches Geheimnis sich hinter EVOLO verbarg. Und das wollte ich ohne einen fadenscheinigen Auftrag ergründen!

Viel hatte ich in Manam-Turu nicht erreicht. Das musste ich mir eingestehen. Ich wusste bis heute nicht, wie der Erleuchtete war oder was EVOLO sein sollte. Ich wusste, dass er jetzt aktiv war. Ich hatte seinen Hauch gespürt. Ich wusste aber nicht, warum die Kosmokraten Angst vor ihm hatten.

Oder war diese Angst nur gespielt? Hatten die Mächtigen jenseits der Materiequellen nichts anderes zu tun, als ein paar Einzelwesen anzuheuern, die für sie die Kastanien aus dem Feuer holten?

Es gab keine schlüssige Antwort auf diese Frage.

Es gab aber eine andere Antwort auf eine andere Frage. Die Frage lautete: Atlan, der Abhängige, oder Atlan.

Ich war für Atlan, denn gelinde gesagt, passte es mir nicht, für jemanden meinen Kopf hinzuhalten, der sich nicht zeigte, der mein Gedächtnis löschte, wie es ihm behagte, der Zusagen machte und nicht hielt, der unnahbarer war als der Erleuchtete oder EVOLO!

Von den beiden letzteren spürte ich zumindest etwas. Von den Kosmokraten spürte ich nichts. Sollten sie sich erst einmal beweisen und den Schleier zerfetzen, den sie über sich ausgebreitet hatten!

Ich wollte für meine Ziele da sein! Auch jetzt noch! Ohne jede Einschränkung. Aber nicht auf dem Floß der Unbekannten, die angeblich jenseits der innerlich auch unbekannten Materiequellen existierten. Oder nicht existierten. Vielleicht waren sie nur eine Ausgeburt der Phantasie des wahren Lebens, Geschöpfe der Willkür der Gedanken ...

Chipols Lachen war mehr wert als ein fadenscheiniger Auftrag.

Mrothyrs Faust war stärker als eine verlogene Zusage.

Und Sarah? Und Anima?

Oder Barleona? Oder Tyari?

Ich hatte es satt, dass irgend jemand mit mir Schindluder trieb.

Ich sehnte mich nach Fartuloon. Er gab mir Halt. Als Colemayn hatte ich ihn nicht erkennen können. Unsere Begegnung war zu kurz gewesen. Da waren noch so viele Fragen offen, die mich brennend interessierten.

Unsere zweite Begegnung im Jahr 2842, die selbst der Extrasinn aus unbegreiflichen Gründen unterschlagen hatte.

Seine Prophezeiung war eingetreten, dass wir uns unter anderem Namen in der Zukunft begegnen würden. Aber warum gerade in Alkordoom und dann in Manam-Turu? Warum, zum Teufel! Was war der alte Bauchaufschneider denn für ein Typ?

Damals war er Ottac gewesen. Ich hatte keine Zeit gehabt, ihn auf diese früheren Ereignisse anzusprechen, denn ich war selbst überwältigt worden.

»Reservegeist«, sagte die STERNSCHNUPPE.

Er konnte seine Gestalt wandeln. Das war klar. Colemayns Äußeres hatte wenig mit dem Dickbauch Fartuloon gemeinsam, den ich aus meiner Jugend kannte. Und auch nichts mit Ottac.

Irgend etwas war damals, etwa im April 2842, mit Fartuloon geschehen. Ich empfand es als notwendig und richtig, wenn er mir darüber Auskunft geben würde.

Aber Fartuloon war wieder verschwunden. Der Omirgos-Kristall hatte ihn verschluckt. Er hatte mich aber wissen lassen, dass dies nicht unsere letzte Begegnung gewesen war.

»Reservegeist aktiviert«, sagte die STERNSCHNUPPE.

Die Daila hatten die Situation inzwischen ganz gut im Griff. Sicher, sie würden auch mit Hilfe ihrer Mutanten noch so manchen Kampf ausstehen müssen, um das Neue Konzil in die Schranken zu weisen. Es war nicht sicher, ob ihnen das gelingen würde. Die Hyptons hatten bestimmt noch ein paar Trümpfe in der Hinterhand. Ich kannte dieses machtsüchtige Pack, das selbst handlungsunfähig war, aber perfekt handeln ließ.

Eine gute Parallele zu den Kosmokraten, meinte der Logiksektor. Sie handeln auch so.

Der Extrasinn hatte Recht.

Natürlich habe ich Recht. Aber du solltest nicht nur über deinen inneren Abschied von den Kosmokraten nachdenken, sondern auch auf das hören, was die STERNSCHNUPPE sagt.

Dharys und Hellenker waren 1,62 Lichtjahre voraus. Der Ligride flog ein merkwürdiges Ausweichmanöver, kehrte dann aber wieder zur LJAKJAR zurück. Der Daila flog mit Unterlichtgeschwindigkeit. Er schien entweder viel Zeit zu haben, oder es handelte sich nur um eine kurze Entfernung.

»Ich habe jetzt Hunger«, meinte Chipol.

»Letzter Hinweis«, sagte die STERNSCHNUPPE.

Kosmokraten, Varnhagher-Ghynnst, Orakel, Puurk, Alkordoom, Juwel, Facetten, Colemayn, Fartuloon, alles verflog in einer Sekunde.

Nur eins blieb. Ich spürte es.

Die Worte der STERNSCHNUPPE waren noch rätselhaft, aber jetzt sagte das Schiff gar nichts mehr. Ich versuchte, die Bemerkungen in mich aufzunehmen und zu verstehen.

Zu spät, erklärte der Extrasinn.

Ich vernahm aus mir heraus – ohne Extrasinn –, warum es zu spät war. Die STERNSCHNUPPE beschleunigte und schloss zu Dharys und dem Ligriden auf. Sie handelte ohne meine Zustimmung.

Schrott der Kosmokraten!, dachte ich wütend.

»Nein«, antwortete die STERNSCHNUPPE, die damit bewies, dass sie meine Gedanken trotz der Mentalstabilität erfassen konnte. »Akt des Starken. Ich bin der Starke!«

»Wer bist du?«, schrie ich.

»EVOLO!«

*

Ich brauchte einen Moment, um diese Erkenntnisse zu verdauen. Der Extrasinn hüllte sich in scheinbar freundliches Schweigen, das ich als Feigheit interpretierte. Es half alles nichts. Chipol und Mrothyr reagierten wie ich.

Normal!

Die beiden waren sich darüber im Klaren, was geschehen war. Sie wussten aber auch, dass sie selbst nicht betroffen waren. Ich auch nicht. EVOLO hatte sich die (vermutlich) positronische Intelligenz unseres Raumschiffs unterjocht.

EVOLO war also nach wie vor da!

Es war mein Fehler, denn ich hatte auf der Verfolgung Dharys' bestanden. Was, bei allen Höllengeistern der Materiesenken, hätte ich anderes tun sollen?

»Ich zeig dir etwas«, sagte die STERNSCHNUPPE.

»Was?«, brüllten Chipol, Mrothyr und ich gleichzeitig. Diese Übereinstimmung war ein schlagender Beweis für unsere verdammt miese Verfassung.

Auf dem Hauptschirm erschien ein Teppich aus bunten Flecken.

»Das ist EVOLO«, erklärte die STERNSCHNUPPE mit verträumter Stimme.

Ein winziges und sehr blasses Licht wurde größer und größer.

»Das ist Dharys.« Die STERNSCHNUPPE deutete mit einem Lichtgriffel auf diesen Punkt.

Ein kaum sichtbarer Fleck drängte sich in die Mitte des Bildschirms. Er flackerte. Er hatte ein vages Echo.

»Das bin ICH!« Die STERNSCHNUPPE strahlte Zufriedenheit aus. »Und das wird gelöscht!«

Der Lichtgriffel wies auf das blasse Echo, das auch prompt verschwand.

Der Reservegeist ist tot!, wisperte der Logiksektor.

Ich verstand das nicht. Mir war nur klar, dass ich mich auf das Schiff nicht mehr verlassen konnte. Es war in der Macht EVOLOS.

Welche Mittel und Möglichkeiten gab es gegen dieses mir ganz und gar unbekannte Ding?

»Keine!« Die STERNSCHNUPPE lachte freundlich. »Wir kehren heim zum Erzeuger. Wir bringen ein Geschenk mit, über das er sich freuen wird. Das Geschenk besteht aus Atlan, Chipol und Mrothyr. Wir werden eins sein, der Elter und ich.«

Da sprach EVOLO!

Was war EVOLO?

Er hörte sich so kindlich naiv an, aber auch wie ein Kind, dem man eine Atombombe zum Spielen gegeben hatte. Unbeschwert und gefährlich. Herrlich und schrecklich.

»Wir sind kurz vor Vergatsynn«, plauderte die STERNSCHNUPPE in einem Ton weiter, der zu einem Kind gepasst hätte, das darauf wartet, dass seine Mutter es vom Kindergarten abholt.

»Ich spüre ihn bereits, den Erzeuger. Er ist nicht der Schöpfer der Idee. Er ist der Macher. Er ist mein Heim. Er wird mir Schmetterlinge und bunte Bälle schenken, weil ich brav heimgekehrt bin. Versteht ihr das, ihr Scheinerwachsenen?«

Ich zuckte in mir erschrocken zusammen. Die Worte EVOLOS, hier durch die unterjochte STERNSCHNUPPE verkündet, klangen ganz anders, als ich mir einen Mächtigen vorgestellt hatte. Sie waren weich, nach Liebe suchend, freundlich, nett.

Der Schrecken EVOLO begann in mir zu verblassen.

Vollidiot!, peitschte der Extrasinn in meine Gedanken. Irrer!

Ich zuckte noch einmal zusammen.

»Ich spüre die Nähe des Erleuchteten, des Vollstreckers der Idee, die Verga-Ray gehabt hat.« EVOLO sprach über die STERNSCHNUPPE, weil die STERNSCHNUPPE ein Teil EVOLOS war. EVOLO jubelte.

»Ich bin lieb. Ich komme nach Hause!«

Die STERNSCHNUPPE konnte bestimmt nicht alles darstellen oder wiedergeben. Aber das, was sie Chipol, Mrothyr und mir zeigte, reichte aus.

Die Psionische Peitsche!

Die strafende Hand des Herrn gegenüber seinem Zögling!

Der Erleuchtete schlug zu.

Er entlud seine ganze Wut über den Eigensinn EVOLOS an diesem.

(Und er sah nicht, dass er selbst der Verursacher war).

Die Psionische Peitsche ließ EVOLO sich verkrümmen. Er beugte sich. Und die STERNSCHNUPPE auch.

Ich bekam nur noch Bruchstücke mit. Da war Vergatsynn, ein Planet, unscheinbar und harmlos. Klein und doch bedeutend. Der Ort des Erleuchteten. EVOLO rannte mit blinder Liebe in die Arme seines Schöpfers.

Und der schlug mit der Peitsche zurück!

EVOLOS Heimweh schrie aus den Worten der STERNSCHNUPPE. Ich konnte mit diesem unbegreiflichen Wesen mitfühlen. EVOLO war ratlos und verwirrt, total verwirrt. Er begriff nichts.

Er hatte Sehnsucht nach dem Schöpfer. Er wollte seinen Ursprung kennen lernen. Er wollte lieb sein.

Die STERNSCHNUPPE spie die Worte aus.

EVOLO hatte Heimweh, nicht nur sein Heimweh, auch das der Daila-Mutanten, die ihm aus den Lichtern der Glückssteine geholfen hatten zu erkennen, dass die Heimat und der Ursprung bedeutend waren.

EVOLO weinte.

EVOLO bettelte.

Er wollte die psionische Knute nicht, mit der der Erleuchtete ihn begrüßte.

Chipol weinte.

Mrothyr krümmte sich.

Und ich stand hilflos da.

»Ich habe Heimweh«, kreischte EVOLOS Stimme aus der STERNSCHNUPPE. »Ich bin zu dir gekommen, um meinen Ursprung zu verstehen, Erleuchteter. Bitte nimm mich an!«

Da war eine andere Stimme. Ich erkannte sie nicht sogleich. Aber die Worte zeigten, wer es war.

»Unterwirf dich!«

Noch einmal: »Unterwirf dich, EVOLO!«

»Tu etwas!« Das war Dharys.

Ich torkelte irgendwie herum. Ich hörte Worte und sah Bilder. EVOLO sah ich nicht. Fartuloon sah ich nicht. Chipol sah ich, schreckensbleich. Mrothyr sah ich, verbissen und energisch, aber auch hilflos.

»Du bist mein!«, schrie der Erleuchtete. Er schrie es so laut, dass es selbst meine tauben Ohren hörten.

»Wer bin ich?«, fragte EVOLO ganz lieb und nett. »Ich bin doch da. Ich habe Geschenke mitgebracht. Für dich, Elter.«

»Du sollst mich nicht ›Elter‹ nennen. Ich bin der Erleuchtete. Ich habe Macht über dich. Du bist das exzellente Geschöpf, das die jenseits unserer Welt das Fürchten lehren wird.«

»Ich fürchte mich vor dir. Du, Erzeuger, Elter, Erleuchteter, machst mir Angst. Es ist nicht gut, wenn man mir Angst macht. Ich kann mich auch wehren. Aber bei dir will ich das nicht.«

»GEHORCHE!«

Es schwappte etwas von den Gefühlen EVOLOS in mich hinein. Es weckte Mitleid. Ich empfand den Trotz eines Kindes und den eines Erwachsenen.

EVOLO sah das wohl auch so.

Er wehrte sich!

Der Kampf entbrannte.

Ein widersinniger Kampf.

Das Geschöpf gegen seinen Erzeuger.

Ein psionischer Kampf.

Die STERNSCHNUPPE schrie. Ihre Bilder und Worte tanzten.

Der Reservegeist der STERNSCHNUPPE!

Ich musste mich krümmen und einsehen, dass ich dieser Situation nicht gewachsen war.

Und EVOLO wunderte sich noch immer, weil sein Schöpfer ihn nicht mochte. Der Erleuchtete gab ihm keine Perlen, keine Schmetterlinge, keine bunten Bälle.

Er setzte EVOLO unter Druck.

Und Druck erzeugte bekanntlich Gegendruck.

Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2)

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