Читать книгу Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2) - Hans Kneifel - Страница 23
4.
ОглавлениеAn Bord der STERNENLEUCHTEN hatte es schon immer viel zu tun gegeben, aber erst recht seit dem Defekt im Konverter. Torressam genoss die ohnehin spärlich bemessene Freizeit deshalb besonders. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Beine angewinkelt und den rudimentären Echsenschwanz durch die weiten Maschen baumeln lassend, lag er in seiner Hängematte und döste. Die Kabine war in düster oranges Licht getaucht, das dem überdimensionalen Farbdruck, der gleichwohl Wände wie Decke zierte, eine ansonsten nicht vorhandene Tiefe verlieh. Das Abbild einer Wüstenwelt mit wahllos verstreut stehenden steinernen Obelisken inmitten hoher, sichelförmiger Wanderdünen wirkte auf Torressam entspannend wie kein zweites. In der Nähe dieser Aufnahme glaubte er stets den heißen Sand zwischen den Schuppen zu spüren, glaubte den Wüstenwind wahrzunehmen und den strengen Geruch, den dieser bei bestimmten Wetterlagen von den Bergen herübertrug.
Plötzlich stutzte Torressam. Die Riechöffnungen an den Seiten seines kantigen Schädels schmeckten den stärker werdenden Rauch, als weile er tatsächlich in der Wüste. Derart intensiv war das Empfinden seit langem nicht mehr gewesen.
Der Geruch wurde stärker, begleitet von einem verhaltenen Knistern. Feuerschein durchbrach die orangefarbene Idylle.
Es brannte.
Mit einem Satz schwang das Echsenwesen sich aus der Hängematte. Obwohl kaum feuergefährliches Material vorhanden war, züngelten unmittelbar neben dem Schott und am Durchgang zur Nasszelle, die Torressam aber nur für die Beseitigung seiner Stoffwechselschlacken benutzte, Flammen auf. Rasch griffen sie um sich.
Torressam zögerte nicht. Der Luftzug, als er die Kabine verließ, fachte das Feuer zwar weiter an, Augenblicke später kehrte er jedoch mit einem der in allen Korridoren befindlichen Löschgeräte zurück.
An Bord der STERNENLEUCHTEN hatte es schon öfter durch Kurzschlüsse ausgelöste Brände gegeben, aber bisher nie in den Kabinen der Besatzung. Zudem hinterließen die Flammen diesmal nicht die geringste Spur. Vergeblich tastete Torressam über den Boden; der Plastbelag war unversehrt.
Wäre nicht der halb geleerte Löscher gewesen, er hätte wohl geglaubt, einem Trugbild aufgesessen zu sein.
Zögernd trat Torressam vor den Monitor der Bordsprechanlage. Obwohl er das Gefühl hatte, dass er sich nur blamieren würde, stellte er die Verbindung zur Zentrale her.
*
Der Distanzalarm wurde plötzlich und ohne jede Vorwarnung ausgelöst und beschränkte sich, wie Musan'J'irkis mit einem schnellen Blick feststellen konnte, ausschließlich auf die Zentrale. Was immer in unmittelbarer Nähe der STERNENLEUCHTEN den Linearraum verlassen hatte, es befand sich demnach noch nicht in Angriffsposition.
Eine gehörige Portion Misstrauen und Vorsicht war seit einiger Zeit angebracht. Wiederholt hatte Musan'J'irkis nicht nur von Piratenüberfällen, sondern auch vom Auftauchen fremder, scheibenförmiger Raumschiffe mit nach unten abstehenden Leitwerken und im Zusammenhang mit diesen von unerklärlichen Zwischenfällen gehört.
»Ortung?«, wollte er wissen.
»Nichts«, erhielt er zur Antwort. Kein Wunder, dass er gereizt reagierte:
»Was soll das heißen? Der Alarm wurde schließlich nicht ohne Grund ausgelöst.«
»Weder Hyper- noch Normalortung zeichnen. Der Raum ist im Umkreis von einigen Lichtminuten völlig leer – nicht einmal das Bruchstück eines Asteroiden schwirrt da draußen umher.«
Das schrille Heulen zehrte an den Nerven. Mit fliegenden Fingern löste der Kommandant die Abdeckung des grell markierten Schalters und drückte ihn tief in seine Fassung.
Doch nichts geschah. Im Gegenteil. Von Sekunde zu Sekunde wurde der Alarm lauter.
Musan'J'irkis nahm die Faust zu Hilfe. Mit dem einzigen Erfolg, dass das Heulen in einen langgezogenen Ton überging, der praktisch den Beginn eines Angriffs bedeutete.
»Verfluchte Technik!«
Er führte etliche Schaltungen durch, in deren Folge mehrere Monitore aufleuchteten. Die Konsole vor ihm vereinte 30 der kleinen Bildschirme.
Die Ortungsdaten wurden dem Kommandanten überspielt. Auffallend viel ionisierter Wasserstoff kennzeichnete diesen Sektor. Noch bevor Musan'J'irkis die wenigen Werte aufnehmen konnte, begann der Spuk:
Zwei Bildschirme implodierten ohne jede äußere Einwirkung. Während die Splitter sich wie von unsichtbaren Händen geformt zu Kugeln zusammenballten, begannen ganze Reihen von Warnanzeigen aufzuflackern.
Vakuumeinbruch in Rumpf 4 ...
Ausfall der Schirmfeldgeneratoren im gesamten Bugbereich. Dadurch bedingt Temperatursturz in den Außensektoren ...
Energieausfall auf dem Hauptdeck ...
»Schadensmeldung überprüfen!«, brüllte Musan'J'irkis. Was er zu sehen bekam, ließ ihn an seinem Verstand zweifeln. In demselben rasanten Tempo, in dem es begonnen hatte, ging es weiter. Demnach würde die STERNENLEUCHTEN in Kürze nur noch ein totes Wrack sein.
Die Umwälzanlage ausgefallen ... Lecks in den hydroponischen Tanks ... Feuer im äußeren Laderaum in Rumpf 2 ...
Die Warnanzeigen kamen derart wahllos durcheinander, dass nicht einmal ein Kurzschluss oder ein Fehler in der Elektronik dafür verantwortlich sein konnte. Der Kommandant hatte Ähnliches nie zuvor erlebt.
Als der Schirm der Bordsprechanlage aufleuchtete, ahnte Musan'J'irkis schon, dass das nichts Gutes bedeutete. Er zögerte, den Anruf anzunehmen.
Torressam war am anderen Ende der Leitung. Was er aufgeregt zu berichten wusste, bestätigte den schlimmsten Verdacht des Kommandanten.
Was immer mit der STERNENLEUCHTEN geschah, die Ursache dafür konnte nicht allein technisches Versagen sein. Das Echsenwesen sprach es deutlich aus: Der Frachter war zum Spielball unerklärlicher Einflüsse geworden.
*
Chrrtl hatte seinen Dienst beendet und befand sich auf dem Weg in seine von Pflanzen aller Art überwucherte Kabine. Er war erschöpft und übermüdet, zugleich aber auch zufrieden. Immerhin hatte er die STERNENLEUCHTEN wieder auf Vordermann gebracht. Dabei war er zum ersten Mal kurz davor gewesen, zu verzweifeln.
Der Fremde an Bord brachte Unheil. Chrrtl hatte es von Anfang an gespürt. Auch wenn die Ngomis es nicht wahrhaben wollten, gaben die Ereignisse ihm nicht Recht?
Chrrtl schüttelte sich, als er an das schlammverschmierte Gesicht des Fremden dachte. In alten Schriften hatte er Bilder gesehen, auf denen Dämonen ähnlich dargestellt gewesen waren.
Chrrtl stieß eine Reihe krächzender Laute aus, die eine Abwehr des Bösen bewirken sollten.
Im nächsten Moment erstarrte er. Keine zwei Meter vor ihm brach der Bodenbelag auf. Das Plastikmaterial wölbte sich in faustgroßen Blasen empor, als hätte der darunterliegende Stahl zu wuchern begonnen. Innerhalb weniger Augenblicke übersäte eine Vielzahl dieser Gebilde wie Geschwüre den Boden. Aufplatzend hinterließen sie hässliche Narben.
Das war endgültig zuviel. Kreischend warf Chrrtl sich herum und floh, hetzte die nächste Treppe hinauf, die ihm als einziger Fluchtweg erschien, und stolperte einen nur spärlich erhellten Korridor entlang. Dass mehrere der in die Decke eingelassenen Leuchtplatten zersplittert waren, bemerkte er nicht einmal, wohl aber, dass er sich, ohne es zu wollen, Toldens Unterkunft näherte. Irritiert hielt er inne; unter seinen Füßen knirschte Glas.
Klirrend zersprang eine weitere Leuchtplatte. Nur der Fremde konnte daran schuld sein.
Eine unsichtbare Faust stieß Chrrtl an die Wand zurück. Er bekam kaum mehr Luft, als er sich mit aller Kraft dagegenstemmte und langsam einen Fuß vor den anderen setzte. Obwohl der Korridor leer und verlassen vor ihm lag, war es ihm, als müsse er einen zähen Brei durchwaten. Sobald er eine andere Richtung als die zu Toldens Kabine einschlagen wollte, wurde ein Weiterkommen sogar unmöglich.
Chrrtls Furcht steigerte sich bis hin zur Panik, als er endlich vor dem Schott stand. Längst war er nicht mehr in der Lage, klar und folgerichtig zu denken.
Das Schott glitt vor ihm auf. Verwundert stellte Chrrtl fest, dass er selbst den Öffnungsmechanismus betätigt hatte. Ihm erschien es, als falle der Bann des Bösen in dem Moment von ihm ab, in dem der Daila sich überrascht umwandte.
Für einen flüchtigen Augenblick ruhten ihre Blicke ineinander, dann schrie das Vogelwesen gellend auf. Es sah das pulsierende Leuchten, das Tolden in der Hand hielt, sah die zerschmolzenen Überreste der Kühlbox, die geschwärzte Wand darüber, und warf sich herum, stürmte blindlings davon. Egal wohin, nur weg von dem schaurigen Anblick, der sich hier bot.
*
Es dauerte lange, bis aus ihm überhaupt ein vernünftiges Wort herauszubekommen war. Chrrtl stand ganz offensichtlich unter Schockeinwirkung. Er war in die Zentrale getaumelt, als sei der Leibhaftige hinter ihm her.
Noch immer spielten einzelne Aggregate und Kontrollanzeigen verrückt, doch hatte sich die anfängliche Aufregung gelegt. Musan'J'irkis war es gelungen, einen ungewöhnlichen hohen Strahlungspegel anzumessen, der für den Defekt der Elektronik und die anderen Vorkommnisse verantwortlich sein mochte. Aber gerade als er die Schutzschirme aktivieren wollte, war Chrrtl erschienen.
Zwei Ngomis kümmerten sich um das Vogelwesen, konnten allerdings nicht viel unternehmen, da sie seinem Metabolismus einigermaßen hilflos gegenüberstanden. Chrrtl war in seine Muttersprache verfallen, eine schier endlose Folge von kreischenden und zischenden Lauten, und nur hin und wieder stieß er halbwegs verständliche Worte hervor.
»Er redet von Dämonen«, stellte der Funker fest.
Musan'J'irkis nickte bedächtig.
»Wahrscheinlich macht er Tolden für die Vorfälle verantwortlich. Immerhin waren sich die beiden von Anfang an spinnefeind.«
»Und?«
»Was und?«, gab der Kommandant gereizt zurück.
»Vielleicht hat Chrrtl Recht.«
»Was willst du von mir hören? Dass dieser Daila wirklich ein ... Dämon ist? Ich weiß, dass manche seines Volkes besondere geistige Kräfte entwickeln, dass sie nur mit ihrem Willen Entfernungen überwinden oder die Gesetze der Schwerkraft ...«
»Der Daila hat Torressam gerettet. Hast du das schon vergessen? Falls er tatsächlich besondere Fähigkeiten besitzt, dann wohl solche der Vorahnung.«
»Dir sollte die Sicherheit der STERNENLEUCHTEN mehr am Herzen liegen, Musan.«
»Dann lass mich endlich in Ruhe arbeiten«, fuhr der Kommandant den Funker an.
Zwar eilig, doch keineswegs überhastet, führte er eine Reihe von Schaltungen durch. Die Schutzschirme bauten sich auf. Lückenlos, wie die Anzeigen bewiesen.
Trotzdem veränderte sich nichts.
Dass Musan'J'irkis' scheinbare Ruhe nur äußerlich war, zeigte sich, als er nach wie vor die fremdartige Strahlung anmaß. Denn plötzlich verlor er sich in wüsten Flüchen und Verwünschungen.
»Die Quelle allen Unheils befindet sich an Bord«, behauptete jemand. »Wir wissen, wo.«
*
Auch ohne besondere Gaben war zu ahnen, dass sich einiges zusammenbraute. Spätestens nachdem Tolden Chrrtls vor Angst und Entsetzen verzerrtes Gesicht gesehen hatte, wusste er, dass sich nichts an ihrem Verhältnis zueinander gebessert hatte.
Und an allem war der Glücksstein schuld, der noch immer pulsierte.
Der Stein, der wochenlang alle Psi-Kräfte neutralisierte, hatte diese offenbar gespeichert und gab sie nun in geballter Form wieder ab. Vielleicht war ein bestimmter Sättigungsgrad erreicht worden. Tolden wusste es nicht, er war allein auf Vermutungen angewiesen, die ebenso falsch sein konnten. Auf jeden Fall war er sich seiner neuen Fähigkeiten durchaus bewusst. Aber sowohl die Telekinese wie auch die Beschleunigung der atomaren Bewegung, die dazu führte, dass an den unmöglichsten Stellen Feuer ausbrach, ließen sich noch nicht kontrollieren, geschweige denn gezielt einsetzen.
Tolden ahnte, dass er in seiner Unbeholfenheit mehr anstellte als die Verwüstungen in seiner Kabine und innerhalb des davor liegenden Korridors. Er konnte nur hoffen, dass das alles lediglich kurze Zeit anhielt, denn irgendwie würde er der Besatzung der STERNENLEUCHTEN eine Erklärung geben müssen.
Der Zwiespalt, in dem er sich befand, wurde zunehmend größer. Einerseits brauchte er den Glücksstein und war nicht bereit, ihn aufzugeben, wollte er nach Aklard gelangen, andererseits begann er sich zu fragen, ob es nicht doch besser wäre, den Kristall in den Abfallvernichter zu werfen und irgendwo von Grund auf ein neues Leben anzufangen. Mit dem Abschied von Cirgro hatte er ohnehin alles aufgegeben, was bisher sein Dasein bestimmte.
Stimmen wurden laut. Tolden stutzte. Dem Lärm nach zu schließen, marschierte draußen die halbe Mannschaft des Frachters auf. Sie waren bestimmt nicht gekommen, um mit ihm auf gute Freundschaft anzustoßen.
»Wir haben genug von dir, Tolden. Wir wollen, dass du von Bord verschwindest.«
Beipflichtende Rufe erklangen. Der Daila konnte sich vorstellen, dass die Ngomis sich gegenseitig anstachelten. Und vermutlich war Chrrtl der Rädelsführer.
»Du bist für alles verantwortlich. Gib es zu!«
Verschwindet!, dachte Tolden. Ich will weiter nichts als in Ruhe gelassen werden.
Schmerzensschreie erklangen draußen. Dann trat Stille ein. Dem Daila wurde klar, dass seine telekinetischen Fähigkeiten die Ngomis vermutlich gehörig durcheinandergewirbelt hatten.
Die Gewissheit, dass sie ihm nichts anhaben konnten, beruhigte ihn ein wenig.
Zögernd öffnete er das Schott. Der Korridor schien leer zu sein. Zumindest rührte sich nichts mehr.
Tolden hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Auf jeden Fall stellte der augenblickliche Zustand keine Lösung dar. Da die STERNENLEUCHTEN noch etliche Tage unterwegs sein würde, musste ein Kompromiss gefunden werden.
Fauchend schlug ein Thermostrahl neben ihm in die Wand; Glut verspritzte nach allen Seiten. Der Schütze stand keine zehn Meter entfernt in einem halbgeöffneten Raum. Instinktiv sprang Tolden zurück, und ein zweiter, scharf gebündelter Glutstrahl verfehlte ihn nur um wenige Zentimeter.
Bevor die Meute heran war, ließ der Daila das Schott zugleiten. Er wusste, dass er in der Falle saß. Die Besatzung der STERNENLEUCHTEN gab endgültig ihm die Schuld an allen Vorfällen. Die Männer und Frauen fragten nicht nach dem Grund, für sie zählte nur, was sie mit eigenen Augen sahen, und das war mehr als genug. Im Grunde genommen brauchten sie nur abzuwarten und ihn auszuhungern. Einige Tage, dachte Tolden besorgt, dann gibt es keine Wahl mehr für mich, dann muss ich sie angreifen, wenn ich mich selbst retten will.
Noch gehorchten ihm seine neuen Fähigkeiten nur unvollkommen, und vieles, was geschah, war mehr oder weniger zufallsbedingt. Tolden bemühte sich, den Öffnungsmechanismus zu zerstören, doch war er anscheinend zu aufgeregt, um sich richtig zu konzentrieren. Draußen beratschlagten die Ngomis – jeden Moment konnten sie das Schott öffnen. Tolden zögerte nicht länger. Er nahm den Glücksstein und schleuderte ihn gegen die Schaltplatte. Ein verhaltenes Zischen ertönte, als der Kristall sich durch die Abdeckung hindurchfraß und Schaltkreise und Relais zerschmolz.
Von selbst, wie von einer magnetischen Kraft angezogen, kehrte der Glücksstein dann zu dem Daila zurück. Es mussten Toldens Psi-Kräfte sein, die diese Affinität bewirkten.
Er ließ sich auf das Bett sinken und vergrub das Gesicht in den Handflächen. Ihm war übel. Eine eigenartige Leere breitete sich in ihm aus. Was immer er tat, es würde sich letztlich gegen ihn selbst richten. Dabei wollte er nichts anderes, als in Ruhe gelassen zu werden.
Fauchende, zischende Geräusche erklangen vom Schott her. Die Besatzung versuchte, den Zugang aufzuschweißen. Schon entstand auf der Innenseite ein winziger, heller Glutfleck, der sich rasch ausweitete. Verflüssigte Metalllegierung tropfte zu Boden.
Wenige Minuten noch, dann würde der Mob die Kabine stürmen. Gebannt starrte Tolden auf die Schnittlinie, die soeben zum zweiten Mal annähernd rechtwinklig abbog und sich zitternd weiterfraß.
Der Glücksstein pulsierte heftiger. Da seine Hitze nachgelassen hatte, hängte der Daila ihn sich wieder um den Hals.
Sie sollen mich endlich in Ruhe lassen!, durchzuckte es ihn. Sie sollen verschwinden!
Ein Knirschen durchlief das Schott. Es wölbte sich konkav auf, begann zugleich an seinen Verankerungen zu zerren und löste sich innerhalb von Augenblicken, begleitet von ohrenbetäubendem Krachen, aus der Wand.
Schrille Schreckensschreie wurden laut. Die Männer und Frauen der Besatzung versuchten zu fliehen, als der schwere Metallflügel langsam nach außen kippte.
»Da seht ihr es!«, kreischte Chrrtl. »Er steht mit allen bösen Mächten im Bund.«
Mehrmals löste das Vogelwesen seinen Thermostrahler aus, ohne in der Erregung jedoch zu treffen. Die Schüsse setzten die Kabineneinrichtung in Brand. Nur zum Teil wurde der sich entwickelnde dichte Qualm von der Umwälzanlage abgesaugt, die verbleibenden Schwaden erschwerten Tolden das Atmen.
Er musste raus, um den Angreifern zuvorzukommen, dann besaß er womöglich noch eine Chance. Als Chrrtl erneut die Waffe hob, warf Tolden sich nach vorne. Er konzentrierte sich auf den Strahler, dessen Lauf daraufhin in die Höhe ruckte. Der nächste Schuss fraß sich fauchend in die Decke und verursachte einen wahren Funkenregen.
Tolden achtete nicht darauf. Er hatte seinen Widersacher erreicht und schlug ihm die Strahler aus der Hand. Chrrtl war zu überrascht, um sich ernsthaft zur Wehr zu setzen.
Sekundenbruchteile später traf Tolden ein dumpfer Schlag in den Rücken. Die Beine versagten ihm den Dienst. Er stürzte, blieb verkrümmt liegen. Von der Hüfte an abwärts wurde sein Körper gefühllos.
Lähmstrahlen!, durchzuckte es ihn. Er war den Ngomis blindlings in die Falle gegangen.
Aber noch konnte er die Arme bewegen, und er griff nach der Waffe, die in seiner Reichweite lag und riss sie hoch. Bevor er jedoch den Auslöser berührte, traf ihn ein neuerlicher Schockstrahl. Sein Arm wurde starr, die Finger verkrampften sich; das Gefühl der Taubheit ergriff nun auch von seinem Oberkörper Besitz. Es half nichts, dass Tolden seine Unvorsichtigkeit verfluchte.
»Was ist das?« Chrrtl deutete auf den pulsierenden Glücksstein. »Womöglich hält dieses Ding ihn am Leben.«
Ehe jemand einschreiten konnte, hatte das Vogelwesen sich gebückt und gierig die Hand ausgestreckt. Nun, da der Daila hilflos war, schien jede Furcht von ihm abgefallen zu sein.
In dem Moment, in dem Chrrtl den Stein berührte, schien eine unsichtbare Faust ihn zu treffen. Meterweit wurde er durch den Gang geschleudert und riss mehrere Ngomis mit sich.
*
Unfähig, nur den kleinen Finger zu rühren, doch im vollen Besitz seiner Sinne, erlebte Tolden mit, dass die beiden Echsenwesen ihn in einen anderen Raum schleppten. Chrrtl hätte ihn wohl am liebsten sofort umgebracht, doch Musan'J'irkis wusste das zu verhindern.
»Der Daila kann uns nicht mehr gefährlich werden«, sagte er. »Wir setzen ihn auf der nächsten erreichbaren Welt aus. Seinetwegen beschmutze ich mir nicht die Hände.«
Sie ließen ihn allein. Nur eine Wache blieb zurück. Wiederholt bemerkte Tolden die furchtsamen Blicke des Mannes.
Träge rann die Zeit dahin.
Stunden mochten vergehen.
Anfangs spürte Tolden nichts, später machte sich allmählich ein unangenehmes Prickeln bemerkbar.
Von Minute zu Minute wurde er erregter. Mit etwas Mühe konnte er bereits wieder die Fingerspitzen bewegen. Die Lähmung war im Begriff, von ihm abzufallen. Wenn er es geschickt anstellte, musste es ihm möglich sein, die Wache zu überrumpeln.
Tolden atmete freier. Schon schaffte er es, die Armmuskeln anzuspannen.
In dem Moment schoss der Wächter. Toldens Hoffnungen zerplatzten wie eine bunte Seifenblase, als erneut die quälende Taubheit von ihm Besitz ergriff. Er war hilfloser als ein kleines Kind. Anfangs, während der ersten Tage an Bord, hatte er sich nur über Chrrtls Aberglauben geärgert, später war er zornig geworden, und nun war er nahe daran, die STERNENLEUCHTEN und ihre gesamte Besatzung zu verfluchen.
Wieder lagen endlos lange Stunden vor ihm, und vor allem die Ungewissheit über seine Zukunft machte ihm zu schaffen.
Irgendwann wurde der Wächter von einem anderen Ngomi abgelöst. Die automatisch reduzierte Beleuchtung deutete darauf hin, dass nach Bordzeit die allgemeine Ruhepause begann.
Der neue Wächter ging kein Risiko ein. Tolden verspürte gerade die ersten Anzeichen, dass die Lähmung wieder von ihm wich, als der andere den Schocker erneut auf ihn abfeuerte.
Die STERNENLEUCHTEN trat in den Linearraum über und raste mit tausendfacher Lichtgeschwindigkeit einem unbekannten Ziel entgegen. Für den Daila änderte sich aber nichts.
Dann war die Nacht vorüber.
Musan'J'irkis und die beiden Echsenwesen kamen.
»Du verlässt uns jetzt«, sagte der Kommandant. »Ich werde wohl nie erfahren, was du wirklich bist, doch so ist es besser für alle.«
Sie legten ihn auf eine mitgebrachte Antigravplatte. Obwohl Tolden nur die Decke über sich erkennen konnte, war er überzeugt davon, dass sie ihn zum nächsten Hangar transportierten.
Eine enge Luke nahm ihn auf. Das dahinter herrschende Halbdunkel machte es unmöglich, mehr zu erkennen. Nur die anschwellende Geräuschkulisse verriet Tolden, dass er sich in einem startklaren Beiboot befand.
Der Antrieb begann zu wimmern.
Wohin werden sie mich bringen?, fragte er sich. Wohl kaum auf eine bewohnte Welt.
In seinem jetzigen Zustand schienen sogar seine Psi-Fähigkeiten erloschen zu sein. Angestrengt versuchte Tolden, den Start zu verhindern. Es gelang ihm nicht.
Dann bemühte er sich, sich die Sternenkarten ins Gedächtnis zu rufen. Falls der Kurs des Frachters nicht geändert worden war, gab es nur wenige Sonnensysteme, die sie in der kurzen Zeit erreicht haben konnten.
Schon traten die Bremsdüsen in Aktion. Da wohl nur wenige Minuten verstrichen waren, schien die STERNENLEUCHTEN sich in einem Orbit um den unbekannten Planeten zu befinden. Tolden schloss daraus, dass diese Welt tatsächlich unbewohnt war.
Die Landung fiel einigermaßen unsanft aus; das Beiboot war irgendwo inmitten eines leicht hügeligen Geländes niedergegangen.
Tolden machte sich auf alles gefasst. Doch eines hatte er nicht erwartet – nämlich die grelle Lichtflut, die über ihm zusammenschlug, als die Luke von außen geöffnet wurde. Der Schein der hochstehenden Sonne blendete ihn, und nur wegen der anhaltenden Lähmung verspürte er keine Schmerzen.
Jemand zerrte ihn aus der Luke.
»Es tut mir leid, Tolden ...«
Die dumpfe, kehlige Stimme kannte er. Sie musste Torressam gehören. Tatsächlich erhielt er gleich darauf die Bestätigung dafür.
»Glaube nicht, dass ich undankbar bin, immerhin hast du mir das Leben gerettet. Aber alles, was ich für dich tun kann, ist, dir einige Nahrungskonserven mitzugeben. Dein Gepäck ist ohnehin da; Musan'J'irkis hat nichts Wertvolles darin gefunden.«
Tolden wollte etwas erwidern, er konnte es nicht. Der Schatten eines weit ausladenden Baumes fiel auf ihn.
»Ich habe nie an die Existenz von Dämonen oder Raumgeistern geglaubt wie Chrrtl und die anderen«, sagte Torressam, und es klang ganz so, als wolle er sich entschuldigen. »Das ist leeres Geschwätz. Aber ich brauche die Arbeit auf der STERNENLEUCHTEN, um wenigstens am Leben zu bleiben. Auf meiner Heimatwelt regiert seit Jahren der Hunger, seit wir in unserer Verblendung auf der Suche nach wirtschaftlichem Reichtum die Böden unfruchtbar gemacht und die Gewässer mit giftigen Stoffen verunreinigt haben. Viele von uns sind heute Heimatlose wie die Daila. Deshalb kann ich dich verstehen.«
Hastige Schritte entfernten sich. Kurz darauf startete das Beiboot.
Dann waren nur noch das leise Säuseln des Windes und das Rascheln der Blätter über ihm. Die Luft war lau. Sie roch nach Moder und Fäulnis. Ungeduldig wartete Tolden darauf, dass die Lähmung endlich von ihm abfiel.