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5.

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Um ein beträchtliches Stück weitergewandert, stand die Sonne nun unterhalb des Baumwipfels und blendete erneut. Doch inzwischen machte es Tolden wenig aus. Immerhin schaffte er es schon, sich auf die Seite zu wälzen.

In seinen Schläfen pochte das Blut wie nach einer durchzechten Nacht. Auch das würde vorübergehen.

Er biss die Zähne zusammen und stemmte sich auf die Knie hoch.

Vor ihm erstreckte sich eine weite, buschbestandene Hügellandschaft. Der Horizont verschwand im flirrenden Dunst des sinkenden Tages. Der Himmel war blau, die Gräser grün, das Erdreich grau und braun. Eigentlich eine banale Feststellung. Solche Welten gab es zu Hunderten.

Torressam hatte nicht gelogen. Toldens Rucksack stand da, und daneben eine Kiste mit Konserven. Viel war es nicht, aber immerhin besser, als gar nichts, und um die ersten Tage in dieser neuen Umgebung zu überleben, würde es ausreichen.

Die Dämmerung brach rasch herein. Tolden blieb gerade noch Zeit genug, es sich in einer wenige Meter über dem Boden liegenden, weit ausladenden Astgabel häuslich einzurichten. Das Klettern fiel ihm schwer und strengte ihn über Gebühr an, doch irgendwie schaffte er es, an dem knorrigen Stamm hochzukommen. Vor der blutrot versinkenden Sonne zeichnete sich die Silhouette eines fernen Gebirgszugs ab.

Bevor es endgültig Nacht wurde, öffnete Tolden eine der Konserven. Der automatische Erhitzungsprozess währte mehrere Minuten, doch wurde der Daila geschmacklich für die Wartezeit entschädigt. Die geleerte Dose warf er fort.

Der Himmel hatte sich bewölkt. Nur wenige Sterne standen dicht über dem Horizont. Monde waren nicht zu sehen. Ihr Schein hätte das nicht sonderlich dichte Laubdach wohl mühelos durchdrungen.

Diese erste Nacht auf der fremden Welt ließ keine Müdigkeit aufkommen. Tolden lauschte den vielfältigen Geräuschen, die von allen Seiten her auf ihn einstürmten. Das Quaken, Zirpen und Raunen wurde zunehmend lauter ... bis es irgendwann schlagartig abbrach.

Tolden richtete sich unwillkürlich auf. Seine Rechte tastete nach dem Messer aus seinem Gepäck, das inzwischen in seinem Gürtel steckte.

Ein langgezogener, schriller Schrei verhallte mit dem Wind. Vergeblich versuchte der Daila mehr zu erkennen.

Der Schrei wiederholte sich. Eine Antwort kam aus unmittelbarer Nähe. Tolden zuckte jäh zusammen; das Messer glitt wie von selbst in seine Hand. Mit der anderen fasste er nach dem Glücksstein. Besaß er die unverständlich starken Psi-Kräfte noch, die zu seiner Misere beigetragen hatten?

Täuschte er sich, oder war da tatsächlich eine Bewegung in der Finsternis? Keine dreißig Meter entfernt. Zwei faustgroße Augen starrten ihn sekundenlang an, bevor sie ebenso blitzschnell wieder verschwanden, wie sie erschienen waren. Schon kurz darauf war Tolden versucht, die Erscheinung seinen überreizten Nerven zuzuschreiben.

Welcher der Sterne über ihm war Suuma, die Sonne, um die Aklard kreiste? Er seufzte ergeben. Alles war anders gekommen, als er es sich erhofft hatte.

Irgendwann, Mitternacht mochte längst vorüber sein, forderten dann doch die Müdigkeit und Erschöpfung ihr Recht. Tolden fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf, aus dem er erst wieder erwachte, als es mit Beginn der heraufziehenden Morgendämmerung unangenehm kühl wurde.

Einzelne Sonnenstrahlen tasteten über den Himmel. Ein Vogelschwarm erhob sich kreischend und zog schwerfällig in der Nähe des Baumes vorbei. Die lanzettförmigen, lederhäutigen Blätter rollten sich auf und reckten sich dem Licht entgegen.

Tolden versprach sich nicht viel von dem neuen Tag. Niemand würde kommen und ihn hier abholen. Trotzdem öffnete er eine weitere Konserve, bevor er den Baum verließ.

Das erste, was er sah, waren die klauenartigen Abdrücke im vom Tau feuchten Moos. Vier Zehen, jede eine Handspanne lang, hatten sich tief eingegraben. Also war er keiner Halluzination zum Opfer gefallen.

Zwei Meter weiter fand er den nächsten Abdruck, und dann noch einmal so weit entfernt einen dritten. Eine beachtliche Schrittlänge, die auf ein größeres Tier hindeutete. Tolden ließ sich davon nicht abschrecken; was blieb ihm auch anderes übrig? Er packte die Konserven in seinen Rucksack, wobei er auf den Block mit den Notizen von Bord der STERNENLEUCHTEN stieß. Wahrscheinlich hatte es wenig Sinn, die Aufzeichnungen weiterzuführen; trotzdem begann er zu schreiben:

Der erste richtige Tag auf der fremden Welt

Was ich auch tue, das eine erscheint mir so sinnvoll oder unnütz wie das andere. Immer wieder muss ich an Cirgro denken und ziehe unbewusst Vergleiche. Obwohl ich Aklard um eine Vielzahl von Lichtjahren nähergekommen bin, liegt meine Heimatwelt nun weiter entfernt als je zuvor. Das hängt aber nicht allein damit zusammen, dass ich wieder über Psi-Kräfte verfüge. Wenn ich sie erst richtig beherrsche, können mir meine neuen Fähigkeiten zumindest hier nützlich sein.

Ob ich auch wieder eine Präkognition haben werde? Wie gerne wüsste ich, was die Zukunft noch für mich bereithält. Oder mache ich etwas falsch? Der Glücksstein pulsiert leicht. Über Wochen hinweg hat er mich von meinen Mutantenfähigkeiten befreit und mich glauben lassen, ich könnte so normal werden wie die Daila, die stets auf Aklard leben durften. Offenbar habe ich mich selbst betrogen. Da ist etwas, was ich nicht deuten kann – aber es hat mit dem Stein zu tun. Ich fühle es. Ob es anderen Daila ebenso ergeht?

Der Rucksack ist voll und schwer und drückt kaum weniger als meine Zweifel, während ich nach Westen aufbreche. Anfangs komme ich gut voran, doch dann wird der Boden morastiger. Gleichzeitig erkenne ich, woher der dumpfe Modergeruch kommt, der schwer über dem Land liegt. Zäher, fauliger Schlamm, so weit ich sehen kann. Blubbernd steigen Gasblasen an die Oberfläche.

Ich muss an Chrrtl denken und seinen Dämonentick. Ist es eine Ironie des Schicksals, dass ich ausgerechnet auf dieser Schlammwelt abgesetzt wurde? Oder hatte das Vogelwesen dabei seine Hände im Spiel?

Zweiter Tag

Die Nacht habe ich auf einer felsigen Anhöhe verbracht, die einer Insel gleich aus dem Schlamm aufragt. Es ist kalt. Der Morgennebel lässt meine Kleidung klamm werden und die Glieder steif, und der Atem hängt als dichte weiße Wolke vor dem Gesicht. Selbst das Papier ist zäh und nimmt die Tinte kaum an.

Eigentlich ohne mein Zutun (zumindest habe ich mich nicht bewusst darauf konzentriert) flammt ein Feuer auf. Die Felsen brennen – wie ich später erkenne, jedoch ohne sich selbst zu verzehren. Die Wärme tut gut, und als ich wieder aufbreche, genügt ein kurzer gedanklicher Befehl, um die Glut erlöschen zu lassen. Lerne ich allmählich, meine neuen Kräfte zu beherrschen?

Abermals stoße ich auf die Spuren der großen Tiere. Während ich schlief, müssen sie den Hügel umrundet haben. Kann ich daraus, dass sie mich nicht angegriffen haben, auf ihre Friedfertigkeit schließen?

Vierter Tag

Die Schlammwüste nimmt kein Ende. Zu allem Überfluss hat es gestern zu regnen begonnen. So wie ich inzwischen aussehe, würde Chrrtl endgültig überzeugt sein, einen Dämon vor sich zu haben.

Marschieren, essen und schlafen, das ist mein Tagesablauf. Ich bin müde, die Muskeln schmerzen. Zudem scheine ich dem Gebirge kaum näherzukommen. Und morgen werde ich die letzte Konserve öffnen. Den nächsten Eintrag ins Tagebuch mache ich erst, wenn sich etwas nennenswert verändert hat.

Zehnter Tag

Oder ist es schon der elfte? Die Eintönigkeit macht mir allmählich zu schaffen. Ich ernähre mich inzwischen von Wurzeln und Beeren. Zum Glück werden die Pflanzen zahlreicher, je weiter ich nach Westen komme. Die Ausläufer der Berge kann ich bis morgen Abend erreicht haben.

Nachdem ich jeden Morgen die Klauenabdrücke näher an meinem Lagerplatz fand, bekam ich heute zum ersten Mal auch die Tiere zu Gesicht. Trotzdem fällt es mir schwer, sie zu beschreiben. Sie gehen aufrecht auf zwei kräftig entwickelten Hinterbeinen, das heißt, sie gehen nicht, sie hüpfen, was ihre enorme Schrittlänge erklärt. Ansonsten sind sie kaum größer als zwei Meter, besitzen einen kantigen, länglich geformten Schädel mit übergroßen Ohren und seitlich sitzenden Facettenaugen. Soweit ich es erkennen konnte, sind ihre vorderen Gliedmaßen zu kurzen Greifarmen verkümmert. Ich werde sie »Schlammspringer« nennen. Diese Bezeichnung erscheint mir am treffendsten.

Sie scheinen mich zu belauern. Aber das ist mir egal. Inzwischen habe ich gelernt, meine Psi-Kräfte gezielt einzusetzen. Und der Lernprozess dauert an.

Was ich jetzt schreibe, bringe ich zu Papier, um es mir »von der Seele zu reden«. Da es ohnehin niemand lesen wird, brauche ich nicht zu befürchten, für verrückt erklärt zu werden. Ich habe den Eindruck, dass eine eigenartige Aura meinen Glücksstein umgibt. Vielleicht sind es paraphysische Energien, die er von irgendwoher bezieht, wie er anfangs meine Fähigkeiten in sich aufnahm. Aber was und woher? Und vor allem: warum? Ich glaube, ich drehe mich im Kreis. Womöglich wäre es besser, nicht an Dinge zu rühren, die ich doch nicht verstehen kann.

Dreizehnter Tag

Alles ist mir egal, als ich das Wasser sehe. Seit vorgestern habe ich keine Flüssigkeit mehr zu mir genommen. Ich fühle mich wie ausgedörrt, die Zunge klebt aufgeschwollen am Gaumen. Hoch spritzt das kristallklare Wasser des Gebirgsbachs auf, als ich mich einfach fallen lasse. Ich trinke, bis mir fast übel wird. Mein Spiegelbild ist wahrhaft zum Fürchten. Und meine Kombination steht vor Dreck, als ich sie ausziehe. Zwei volle Stunden vergehen, bis ich mich wieder halbwegs menschenwürdig fühle.

Von den Schlammfeldern habe ich vorerst die Nase voll. Ich brauche Ruhe, um mich zu besinnen. Mag sein, dass mir dann manches weniger widerwärtig erscheint.

Vor mir öffnet sich ein weites Tal, in dem sich mächtige, glattgeschliffene Felsblöcke mit knorrigen Bäumen abwechseln. Nicht einmal 200 Meter sind es von einer Seite zur anderen, was mich vermuten lässt, dass ich im Bett eines vor Urzeiten reißenden Stromes stehe. Höhlenöffnungen gähnen in den zum Teil steil aufragenden Bergwänden. Viele sind ohne Hilfsmittel unerreichbar, aber einige könnten mir recht gut als Unterkunft dienen.

Bis die Sonne sich dem Abend nähert, habe ich bereits Quartier bezogen. Eine ganze Sippschaft harmloser Pflanzenfresser musste jedoch weichen. Gerade weil sie sich in der Höhle eingenistet hatten, die ich mir ebenfalls ausgesucht habe, bleibe ich. Ihre Anwesenheit ist der beste Beweis, dass hier keine Gefahr droht.

Seit Tagen werde ich das Gefühl nicht los, dass die Schlammspringer mir folgen. Jetzt sehe ich sie wieder. Auf dem harten, felsigen Untergrund haben ihre Bewegungen etwas Tollpatschiges an sich. Immer mehr Tiere versammeln sich. Sie scheinen zu warten. Worauf, das weiß ich nicht.

Vierzehnter Tag

Ich könnte diese Viecher verfluchen. Der Höllenlärm, den sie die ganze Nacht hindurch verursachten, ließ mich kein Auge zutun. Die Schlammspringer scheinen die beherrschende Lebensform des Planeten zu sein. Mit den ersten Strahlen der Morgensonne, die durch das Tal geistern, verschwinden sie. Endlich habe ich Ruhe, schlafe aber dennoch erst Stunden später ein. Den Höhleneingang ziert inzwischen eine fast mannshohe Mauer aus Geröll, die ungebetene Eindringlinge von einem Besuch abhalten soll.

Ein dröhnendes Poltern und Krachen schreckt mich auf. Im Nu bin ich auf den Beinen. Die Mauer ist eingestürzt – aber offenbar von alleine. Vielleicht war das Gewicht zu groß.

Den länger werdenden Schatten nach zu schließen, ist es inzwischen später Nachmittag. Noch bleibt alles ruhig, doch ich bin überzeugt davon, dass die Schlammspringer wiederkommen werden. Ich muss zum Bach und Wasser holen. Zum Glück habe ich einige leere Konservendosen aufgehoben.

Der Abstieg ist nicht schwer. Nur weil ich mich immer wieder suchend umsehe, komme ich ins Stolpern. Dann bin ich am Bach. Es kommt mir vor, als hätte ich nie etwas Besseres getrunken als das klare Wasser. So schnell schraubt man seine Ansprüche zurück. Aber das ist wohl bezeichnend für jedes zivilisierte Wesen.

Ein Rascheln lässt mich aufmerken. Keine zwei Schritt entfernt rutscht eine armdicke Ranke ins Wasser. Bevor ich mir darüber klarwerden kann, ob die Pflanze vorhin schon da war, schnellen weitere Strünke auf mich zu. Nur wenige davon treffen, doch sie winden sich blitzschnell um Arme und Beine. Das Messer im Gürtel ist für mich plötzlich unerreichbar.

Als die ersten Schlammspringer hinter den Felsen zum Vorschein kommen, weiß ich, dass ich ihnen das zu verdanken habe. Vorsichtig nähern sie sich. In ihren Facettenaugen ist keine Regung auszumachen.

Auf jeden Fall muss ich meine Meinung über sie revidieren. Diese Geschöpfe stehen auf der Stufe zwischen Tier und Intelligenz. Allein schon die Art, wie sie mich neugierig begaffen, wie sie mich betasten und sofort kreischend zurückschrecken, hat etwas Menschliches an sich.

»Was soll der Unfug?«

Der Klang meiner Stimme treibt sie auseinander. Natürlich darf ich nicht damit rechnen, dass sie mich verstehen. Aber schon sind sie wieder da, zerren an meiner Kleidung, werfen die Konservendosen um ... Ein Aufschrei; eines dieser Geschöpfe hat sich am Blech geschnitten. Sie geben mir die Schuld daran, beginnen wie besessen auf mich einzuschlagen und zu treten. Zumindest vorerst dürfte dies das Ende jeder möglichen Verständigung bedeuten. Ich schreie, versuche sie abzuschrecken, scheine sie damit aber nur noch mehr anzustacheln. Mir bleibt keine andere Wahl, als mich telekinetisch zur Wehr zu setzen.

Augenblicke später sind die Schlammspringer in alle Richtungen verschwunden. Man könnte meinen, der Erdboden habe sie verschluckt. Als ich mich dann meiner pflanzlichen Fesseln entledige, sehe ich einige von ihnen aber schon wieder näherkommen. Doch sie lassen mich in Ruhe. Vorerst jedenfalls. Immerhin muss ich damit rechnen, dass sie es wieder versuchen werden, sobald sie ihren Schreck überwunden haben. In aller Eile fülle ich die Dosen neu und steige zur Höhle hinauf.

Als die Nacht anbricht, brennen zwei kleine Feuer vor dem Eingang. Ich hoffe, dass ich die Schlammspringer damit fernhalten kann.

Diesmal ist der Himmel klar und sternenübersät. Mühsam versuche ich, Sternbilder zu erkennen, die ich vor langer Zeit in der Schule gelernt habe – Bilder, wie sie von Aklard aus zu sehen sind.

Eigentlich habe ich selbst nicht daran geglaubt. Aber es gibt da einige Konstellationen, die einmalig sind. Was letztlich bedeutet, dass ich wohl nur ein Dutzend Lichtjahre von meiner Heimatwelt entfernt bin. Ist es da ein Wunder, dass mein Ärger wächst? Ich wollte Gewissheit, nun habe ich sie und bin unzufriedener als zuvor. Ich glaube, tausend Lichtjahre von Aklard entfernt würde ich mich wohler fühlen.

Eine Sternschnuppe fällt.

Augenblicke später sehe ich das fahle Aufleuchten erneut. Die Augen zusammengekniffen, versuche ich mehr zu erkennen. Für ein Wetterleuchten ist die Erscheinung zu eng begrenzt.

Minuten angestrengten Beobachtens vergehen. Scheinbar aus dem Nichts heraus entstehen winzige Lichtpunkte, wachsen zur Größe von Sternen an oder gar darüber hinaus und verblassen dann ebenso plötzlich wie sie sich zeigten.

Hoch über dieser Welt tobt ein Kampf um Leben und Tod. Dass es so ist, dessen bin ich mir endgültig sicher, als eine gigantische Explosion das halbe Firmament blutrot färbt.

Inzwischen kann ich auch Schüsse aus Laser- und Thermogeschützen ausmachen. Das bedeutet, dass die kämpfenden Parteien näherkommen. Fasziniert starre ich zum Himmel hinauf. Gerne würde ich wissen, welche Gegner sich da oben gegenüberstehen.

*

Nach all den Aufregungen und den überwiegend zähen Verhandlungen während der letzten Wochen, bei denen man nur Stück für Stück vorangekommen war, sehnte er sich nach ein wenig Ruhe. Zugleich wusste er aber auch, dass er diese Ruhe nicht haben würde. Selbst die Zeit an Bord des Raumschiffes nutzte er, um Berichte zu diktieren und Analysen zu verfassen. Nur manchmal, wenn er allein war, was selten genug vorkam, verwünschte er seine diplomatische Mission.

In wenigen Tagen würde die aus fünf Schiffen bestehende Flotte das Suuma-System erreichen. Dann hieß es wieder, mit doppelzüngiger Moral zu arbeiten, die Ligriden als Okkupanten Aklards bei der Stange und vor allem bei guter Laune zu halten und gleichzeitig eine eigene Politik zu betreiben, die letztlich die Befreiung des dailanischen Herrschaftsgebiets vom Neuen Konzil zur Folge haben sollte.

Aksuum seufzte ergeben und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Als Mitglied des Obersten Rates von Aklard musste er seine persönlichen Wünsche und Bedürfnisse hintanstellen. Gerade in unruhigen Zeiten wie diesen.

»Genug für heute«, sagte er aus einem plötzlichen Entschluss heraus. Erst als ihn der verwunderte Blick seines Sekretärs traf, wurde ihm bewusst, was er eigentlich gesagt hatte. Ein beträchtlicher Stapel von Urkunden harrte noch der Bearbeitung.

»Darf ich bemerken, Oberster Rat ...«

Mit einer heftigen Handbewegung schnitt Aksuum dem Sekretär das Wort ab.

»Ich fühle mich nicht wohl. Das ist alles. Wir machen morgen weiter.«

»Natürlich.« Der andere hatte die unausgesprochene Aufforderung verstanden, sich zurückzuziehen.

Für eine Weile blätterte Aksuum noch in den Akten und lauschte Teilen einer während der Verhandlungen heimlich gefertigten Tonaufzeichnung. Schließlich schob er alles zur Seite und erhob sich. Er stellte eine Verbindung zur Zentrale der SONNE VON AKLARD her.

»Alles ruhig, Geriag?«

»Wir kommen gut voran. Wenn es so bleibt, werden wir in wenig mehr als zwei Tagen Aklard erreichen.«

»Das wollte ich eigentlich nicht hören.«

»Ich weiß«, nickte der Kommandant. »Anzeichen gegnerischer Aktivitäten sind jedoch nicht zu beobachten.«

»Danke.« Aksuum schaltete ab. Zufrieden war er allerdings nicht. Ein seit Tagen stärker werdendes ungutes Gefühl quälte ihn. Er hielt es für nahezu ausgeschlossen, dass den Ligriden seine Mission entgangen war. Und wenn sie davon wussten, würden sie wohl alles daransetzen, um einen Erfolg zu vereiteln.

Über kurz oder lang würden sie zuschlagen, dessen war Aksuum sicher. Sie konnten nicht tatenlos zusehen, wie zwischen Aklard und Verbannten Verträge geschlossen wurden, die letztlich auf eine Befreiung der Mutterwelt durch die Mutanten hinausliefen.

Den Kopf zwischen die Schultern gezogen und den Oberkörper leicht vornübergebeugt, verließ Aksuum das Büro. Nicht, dass ein körperliches Gebrechen ihn dazu gezwungen hätte, er überragte nur die meisten Daila um gut Haupteslänge. Und während seiner Kontakte zu den Rebellen in den Bergen hatte er sich, um weniger aufzufallen, diese Gangart zugelegt.

Zielstrebig suchte er die Messe auf. Die vollpositronische Getränkeausgabe hatte seine Wünsche längst gespeichert. Schließlich trank er stets dasselbe.

Augenblicke später heulte der Alarm durch das Schiff. Das Glas abstellen und im Laufschritt die Messe verlassen, war für den Daila eines. Dass sich dabei die Hälfte des Getränks über seinen Anzug ergoss, störte ihn herzlich wenig.

Niemand schien zu wissen, was vorgefallen war. Soldaten hasteten auf ihre Gefechtsstationen, aber die, die Aksuum anhielt, konnten keine Auskunft geben.

Das Heulen erklang bereits in kürzeren Intervallen, während das Mitglied des Obersten Rates im Antigravschacht nach oben schwebte. Das bedeutete, dass ein Angriff auf die Flotte unmittelbar bevorstand. Aksuum gab sich diesbezüglich keinen falschen Hoffnungen hin.

Er stürmte in die Zentrale. Sie war gefechtsmäßig abgedunkelt. Von dem großen Panoramabildschirm und einer Vielzahl kleiner Schirme funkelten die Sterne herab. Und zwischen ihnen, von den Optiken so nahe herangeholt, als befänden sie sich nur wenige Kilometer entfernt – Raumschiffe.

»Ligriden!«, stieß Aksuum bitter hervor. »Wie viele Einheiten?«

»Sieben«, sagte der Kommandant. »Wir mussten auf Ausweichkurs gehen.«

»Funkkontakt?«

»Sie reagieren überhaupt nicht auf unsere Versuche, eine Verständigung herbeizuführen.«

»Sie wollen mich«, stellte Aksuum tonlos fest. »Die Frage ist nur, ob tot oder lebendig.«

Geriag, der Kommandant, nickte schwer. »Sie werden dich nicht bekommen.« Sein Tonfall klang verschwörerisch. »Dafür sorge ich.«

Ohne jede Vorwarnung eröffneten die Ligriden das Feuer. Gleißend brachen sich ihre Thermostrahlen in den Abwehrfeldern der SONNE VON AKLARD. Die Helligkeit sprang blendend von den Bildschirmen herab.

Bis auf einige leichtere Erschütterungen, die von den Absorbern nicht mehr aufgefangen wurden, war nichts zu spüren.

»Das war nur ein Test, um unsere Stärke herauszufinden«, behauptete Geriag. »Am besten, wir kümmern uns nicht darum.«

»Was hast du vor?«, wollte Aksuum wissen. Nicht ohne Grund führte Geriag das Oberkommando über die kleine Flotte. Gerade wegen seines fortgeschrittenen Alters besaß er die nötige Erfahrung, um in Situationen wie dieser einen kühlen Kopf zu bewahren. Er schaltete eine Computerskizze auf seinen Hauptschirm. Die gesamten Ortungsdaten wurden für dieses Bild verarbeitet.

Es war nicht leicht, die Vielzahl von Schattierungen und Symbolen zu deuten. Aber wenn man sich, wie Aksuum, schon einmal ausführlich damit befasst hatte, konnte man relativ rasch das Geschehen aus erster Hand verfolgen.

Die fünf dailanischen Einheiten waren zu langsam, und zudem stand der Gegner zu nahe, als dass ein gefahrloser Übertritt in den Linearraum möglich gewesen wäre. Die Ligriden hatten für ihren Überfall den denkbar günstigsten Zeitpunkt ausgewählt. Was letztlich bedeutete, dass sie nicht erst seit Minuten über die Bewegungen der Daila informiert waren.

Die SONNE VON AKLARD und die anderen Schiffe standen am Rand eines Zweiplanetensystems. Falls es gelang, in den Ortungsschatten der Sonnenkorona zu entkommen, würden die Ligriden zumindest fürs erste das Nachsehen haben.

Eine zweite Salve ließ das Schiff erzittern. Die Belastung der Schirmfelder stieg auf über 90 Prozent. Um Geriags Mundwinkel zuckte es verhalten.

»Torpedos fertig?«

»Zielerfassung läuft!«, erhielt er zur Antwort.

»Dann raus mit den Dingern! Dreierintervall!«

Die Torpedos rasten dem nächsten gegnerischen Schiff entgegen. Einige verglühten im Abwehrfeuer der Ligriden, dann blähte sich der Glutball der ersten Explosion auf, in den die nachfolgenden Torpedos hineinstießen.

»Wir haben ihn«, kam ein jubelnder Ausruf von den Ortungen. »Seine Schirme sind am Zusammenbrechen.«

Doch Sekunden später bestand der dailanische Verband nur mehr aus vier Einheiten.

»Verdammt!« Wut und Enttäuschung spiegelten sich in Geriags Gesicht. »Wir müssen auf größere Distanz zueinander.« Schlag auf Schlag kamen nun seine Befehle. Die anderen Schiffe sollten die Ligriden an sich binden oder sie zumindest so weit ablenken, dass der SONNE VON AKLARD die Flucht ermöglicht wurde.

»Was soll der Unsinn?«, fuhr Aksuum auf. »Niemand hat gesagt, dass ich eine Sonderbehandlung brauche.«

»Doch«, erwiderte der Kommandant.

»Du weißt, dass ich deine Befehle jederzeit widerrufen kann«, sagte Aksuum gefährlich leise. »Weshalb sollte ich die Besatzungen dreier Schiffe opfern, nur um selbst davonzukommen?«

»Weil der gesamte Oberste Rat mich mit ausführlichen Instruktionen versehen hat. Offenbar hat man schon vor unserer Abreise geahnt, was ...« Seine Worte gingen im ausbrechenden Chaos unter.

Die SONNE VON AKLARD war schwer getroffen worden. Bildschirme implodierten, aus einzelnen Schaltbänken brachen Flammen hervor, und Serien von Kurzschlüssen tauchten die Zentrale in ein gespenstisch flackerndes Licht. Es roch nach Rauch, verschmorten Isolationen und brennenden Kunststoffen. Im Hintergrund zuckten Überschlagsblitze durch den Raum.

Die künstliche Schwerkraft spielte verrückt. Der Boden schien sich aufzubäumen. Aksuum stürzte und rutschte quer durch die Zentrale, bis er an der Verankerung eines Sessels Halt fand. Um ihn her herrschte eine Hektik, wie er sie nie zuvor erlebt hatte. Keine Spur mehr von der Disziplin, die sonst an Bord üblich war. Alle schrien durcheinander, versuchten, das Wimmern der Energieerzeuger, das dumpfe Dröhnen ferner Explosionen und Kreischen überbeanspruchten Materials zu übertönen. Ein Wunder, dass überhaupt jemand etwas verstand.

Auf den wenigen Schirmen, die noch Bilder lieferten, erkannte Aksuum die Schiffe der Ligriden deutlicher als zuvor. Sie hatten der SONNE VON AKLARD den Fangschuss gegeben und jagten nun die anderen Einheiten. Der Ausgang des ungleichen Kampfes war abzugehen.

Kräftige Hände packten ihn und zerrten ihn hoch.

»Komm schon!«, brüllte Geriag neben ihm. »Du musst fort von hier!«

»Wohin?«

»Die Ligriden dürfen dich nicht erwischen.«

»Unsinn.« Unwillig schüttelte Aksuum den Kommandanten ab. »Wir haben keine Chance mehr.«

»Die SONNE VON AKLARD wird explodieren, das ist richtig. Aber bis dahin bist du von Bord.« Abermals packte Geriag den Obersten Rat und zerrte ihn mit sich. Aksuum sträubte sich mit Händen und Füßen dagegen.

»Ich gehe erst, wenn alle in Sicherheit sind.«

»Meine Befehle lauten anders.« Geriag wurde wütend.

»Ich pfeife auf deine Anweisungen.« Aus der Drehung heraus stieß Aksuum mit dem Ellenbogen zu. Der unerwartete Hieb trieb dem Kommandanten die Luft aus den Lungen.

Aksuum hastete zum Kommandostand zurück. Soweit die Anzeigen noch funktionierten, zeigten sie, dass es an vielen Stellen im Schiff brannte. Die SONNE VON AKLARD war verloren. Sobald die Brände die Munitionslager oder die Triebwerke erreichten, würde nicht sehr viel übrig bleiben. Bestenfalls konnte die Besatzung den Zeitpunkt der Katastrophe hinauszögern.

»Es ist vorbei«, schrie Geriag, der, die Arme vor den Leib gepresst, herantaumelte. »Die Hälfte meiner Leute konnte sich noch retten. Aber inzwischen sind die Hangars mit den Beibooten entweder zerstört oder abgeschnitten.«

»Dann haben wir nichts mehr zu verlieren.« Aksuums Ruhe schien unerschütterlich zu sein. Seine Finger flogen förmlich über die Sensorschalter. Symbole der Feuerleitkontrolle erschienen auf dem Monitor vor ihm. Knapp ein Drittel der Geschütze, die jeweils über eine eigene Energieversorgung verfügten, war noch einsatzfähig.

»Bist du verrückt?«, entfuhr es dem Kommandanten.

Aksuum wandte nur flüchtig den Kopf. »Selbst ein Erdwühler, der angeschlagen ist, setzt sich zur Wehr.«

»Du wirst die Ligriden erneut auf uns aufmerksam machen.«

»Und wenn schon.« Aksuum entfernte die Abdeckungen der Geschützschalter. Auf die unterstützende Wirkung der Torpedos musste er verzichten, da diese in den Abschussrohren verklemmt waren.

»Die Ligriden sind heimtückisch. Ich nehme so viele von ihnen mit, wie ich kriegen kann.«

»Das wirst du nicht tun!«, sagte Geriag betont.

»Wer ...?« Aksuum schwieg. Entgeistert starrte er in die flimmernde Abstrahlmündung der Waffe, die auf ihn gerichtet war. Der Kommandant hatte sie unter seiner Kombination verborgen gehabt.

»Du lässt deine Hände von den Schaltern und stehst auf.« Geriag unterstrich die Forderung durch eine unmissverständliche Bewegung mit der Waffe.

»Ich denke nicht daran«, erwiderte Aksuum unbeeindruckt. »Bist du verrückt geworden?«

»O nein, gewiss nicht.« Geriags Finger legte sich auf den Auslöser.

»Ich habe dich als Freund schätzen gelernt«, sagte Aksuum. »Was ist mit dir?«

Ein Glutstrahl brach aus der Waffe hervor, fraß sich unmittelbar neben dem Obersten Rat in die Konsole und zerstörte Dutzende wichtiger Schaltkreise. Aksuum schien erst jetzt zu begreifen, dass der Kommandant es ernst meinte. Überraschung und Unglaube sprachen aus seinem Blick.

»Du steckst mit den Ligriden unter einer Decke?«

Geriag schwieg.

»Das ist es also«, fuhr Aksuum tonlos fort. »Wie viele Verräter haben wir noch in unseren Reihen? Ich hielt dich für meinen Freund, aber du ... du bist ein ...« Er spie aus, traf Geriag ins Gesicht. Eine schlimmere Beleidigung konnte es kaum geben.

Doch der Kommandant wischte sich nur mit dem Ärmel den Speichel ab. Seine Miene blieb unbewegt, und der Strahler zielte nach wie vor auf Aksuums Brust.

»Unsere Flotte hat mehr als hundert Mutanten an Bord – Verbannte, die auf höchsten Wunsch nach Aklard zurückkehren. Willst du das alles zerstören, Geriag, willst du erneut Misstrauen säen und ...?« Aus dem Stand heraus schnellte Aksuum sich auf den Kommandanten, bevor dieser reagieren konnte. Seine Hände umklammerten die Waffe und zerrten den Lauf nach oben. Geriag hätte noch feuern können; aber offenbar hatte er nicht mit einem solchen Angriff gerechnet.

Verbissen rangen sie miteinander. Aksuum schaffte es, dem Gegner den Strahler zu entwinden. Ein heftiger Stoß beförderte die Waffe aus beider Reichweite.

Dichte Rauchschwaden trieben über dem Boden dahin. Von irgendwoher erklangen die Geräusche einer Serie von Explosionen. Sie waren das letzte, was Aksuum wahrnahm. Geriag schlug plötzlich mit einer Wildheit und Verbissenheit zu, die ihm niemand zugetraut hätte.

Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2)

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