Читать книгу Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2) - Hans Kneifel - Страница 35
6.
ОглавлениеLorad zog sich in die Stille und Abgeschiedenheit seines Schlafraums zurück. Er musste allein sein. Für ihn als Kriegsherr galt der unverrückbare Ehrenkodex des ligridischen Volkes ganz besonders. Nichts durfte er tun, das diesen Regeln und dem Gesetz widersprach. Er zog die kostbare Kapuze tief ins Gesicht und kauerte sich in Meditationshaltung auf der Matte. Traditionen würden ihn davor schützen, das Falsche zu tun.
Aber es ging um die Ehre der Ligriden!
Lorad hatte während der vergangenen Tage bei jedem einzelnen Satz der Hyptons genau zugehört. Nach Ende der Konferenz hörte er die Bänder ab und analysierte jedes Zögern, jedes falsche Wort und jede Antwort der Konzilspartner, die ihm aufgefallen war. Die Liste war lang und eindrucksvoll.
Lorad war mehr als vorsichtig. Seine Überzeugung musste nicht richtig sein, aber das Verhalten der Hyptons konnte auf keinen Fall als korrekt bezeichnet werden. Vielleicht logen sie nicht, aber sie verschwiegen etwas Entscheidendes. Immer wieder kontrollierte er, tief in die verschiedenen Aspekte der Auseinandersetzung versunken, das Verhalten der Hyptons.
Reagierte er falsch, schickte er viele Ligriden in den Tod.
Diese Verantwortung wollte er sich nicht aufladen. Aber jene unbekannte dritte Macht, vor der selbst die Hyptons Angst zu haben schienen, war mit Sicherheit von gewaltiger Größe und Bedeutung.
Es dauerte Stunden, bis Lorad sicher war, was er zu tun hatte, und wie es anzufangen war.
Er, der Hochgeborene, füllte den Platz aus, der ihm von der Familientradition zugewiesen worden war. Er, Kriegsherr Lorad, musste ausgleichend und ohne militärische Aktionen handeln können. Die Maximen des Gward diktierten sein Vorgehen. Die sanfte Form der Ligridenreligion verlangte, dass der Geist über den Körper regierte, dass abwägende Vorsicht besser war als entschlossenes Handeln, und plötzlich lag das Ziel seiner Bestrebungen völlig klar vor seinem inneren Auge.
Lorad stand in einer einzigen Bewegung auf, zog die Kapuze straff und öffnete erleichtert beide Lidsysteme. Er ging entschlossen zurück in seinen Arbeitsraum, setzte sich vor die Kommandopulte und zog das Mikrophon zu sich heran und sagte:
»Anschlüsse Hartnay, Utamag, Londways und Falcamir.«
Klickend schalteten sich vier Bildschirme ein. Vier Diener des Gward hatten die Antworttasten gedrückt. Lorad bat sie in sein Arbeitszimmer, und als sie seinen Gesichtsausdruck deuteten, kamen sie.
Er wartete, bis sie saßen und der zeremonielle Blütensud serviert wurde. Der Geruch des teeartigen Getränks erfüllte den Raum. Die Männer schwiegen und warteten, bis Lorad endlich das Wort ergriff.
»Die Stunde ist ungewöhnlich«, sagte er leise und machte die Geste der absoluten Vertrautheit. »Der Anlass rechtfertigt meinen dringlichen Wunsch. Das, was hier besprochen wird, ist geheim, solange wir keine Gewissheit besitzen. Da wir zur Ausführung aber noch eine Handvoll verschwiegener, gut ausgebildeter Männer brauchen, wird unser Kreis etwas größer werden. Es geht um die Hyptons.«
»Unsere Partner?«
»Unsere Partner haben auf der Konferenz von uns, den Ligriden, folgendes verlangt«, begann Lorad tiefernst.
»Weiterkämpfen?«, fragte Hartnay.
»Ohne jede Hilfe weiterkämpfen und unsere Kräfte auf die wichtigsten Gegner konzentrieren! Dabei wurde mir etwas Erstaunliches bewusst. Es ist für mich so gut wie sicher, dass es weitere Konzilsvölker gibt.«
Er machte eine Pause und wartete, bis seine Freunde diese neue Wahrheit in allen ihren Konsequenzen verstanden hatten. Sie schwiegen ebenfalls und zogen ihre Schlussfolgerungen.
»Konzilsvölker?«, murmelte Falcamir unruhig.
»Zumindest gibt es ein drittes Konzilsvolk«, erklärte Lorad. »Aber ich betone schon jetzt:
Ich habe keine Beweise.
Ein Volk steht mit dem Konzil in Verbindung. Auch dieses Volk wollten die Partner nicht in diesen Kampf mit einbeziehen. Die Hyptons wollen mit Sicherheit nicht, dass diese ihre Freunde in den Kampf um Manam-Turu verwickelt werden.«
»Jetzt verstehe ich dich, Lorad«, sagte Londways leise. »Die Hyptons waren es, die unser Ziel aussuchten. Sie erklärten Manam-Turu zum Ziel unserer Invasion.«
In kleinen Schlucken tranken die fünf Männer den zeremoniellen Tee. Sie waren gewohnt, seit dem Zeitpunkt ihrer Entscheidung für Gward schweigend und tief nachzudenken.
»Und damals waren wir noch weit davon entfernt, die Kontrolle über unsere eigene Heimatgalaxis zu besitzen«, fügte Hartnay mit Bedächtigkeit hinzu.
»Obwohl es eine Milchstraße gibt, die weitaus näher an unserer Heimatgalaxis liegt.«
»Wir haben gehandelt wie unter dem Zwang einer gewaltigen Vision, die keine anderen Gedanken und Vorstellungen mehr übrigließ«, stellte Falcamir im Ton großer, von der Gward-Philosophie diktierten Sicherheit fest.
»So stellt es sich dar!«, bekräftigte Lorad.
Die fünf Ligriden ähnelten einander. Sie waren etwa gleich groß und gleich alt. Viele Erfahrungen und die Erlebnisse eines langen Kampfes hatten sie geprägt, viel stärker, als es die Philosophie gekonnt hätte. Bedächtigkeit und Klugheit zeichneten sie aus, und langsam sickerten die Erkenntnisse in ihre Gedanken ein. Es war ungeheuerlich ... wenn es sich so verhielt.
»Ich wiederhole: Es gibt keinen einzigen Beweis!«
»Ich habe verstanden. Holen wir uns Beweise für ein falsches Spiel der Hyptons«, brachte Londways seine Überlegungen ruhig zum Ausdruck.
»Die Hyptons wollen verhindern«, setzte Lorad seine Erklärungen weiter fort, »dass ihre unbekannten Freunde etwas von Manam-Turu erfahren. Nichts von uns, nicht, dass die Fledermauswesen uns helfen, nichts von dieser Galaxis, ehe hier nicht eine Entscheidung gefallen ist. Natürlich zugunsten des Neuen Konzils aus unseren beiden Völkern.«
»So muss ich es auch sehen«, brummte Utamag mit dunkler Stimme.
»Es ist unser gutes Recht, empört über diesen Verrat zu sein«, sagte der Wortführer. »Wenn es stimmt, so wurden wir hintergangen und ausgenutzt. Wenn die Hyptons es nicht für nötig halten, uns die Wahrheit zu sagen, dann haben wir jeden denkbaren – und berechtigten – Grund zum Misstrauen.«
»Und auch jeden Grund, uns zu vergewissern.«
»Richtig.«
Mehr und mehr erinnerten sich die ligridischen Kriegsherren und Leitenden Verantwortlichen an weitere Seltsamkeiten der Vergangenheit.
Jene Galaxis, die sich als erstes Ziel einer Expansion geradezu angeboten hätte, war von den Hyptons sozusagen mit einem Bann belegt worden. Sie erklärten die Milchstraße als tabu, obwohl es in der ersten Zeit weitaus geringere logistische Probleme gegeben hätte.
»Die Diener des Gwyn dürfen wir nicht einweihen, Lorad!«, sagte Utamag, als sei er über diese Möglichkeit erschrocken.
»Auf keinen Fall. Hört euch aber unter euren Vertrauten um. Vielleicht hat der eine oder andere eine Beobachtung gemacht, die unsere Erkenntnis erhärtet.«
»Oder«, unterbrach Falcamir scharf, »das Gegenteil beweist.«
»Gerechterweise und um sicher zu sein, müssen wir auch solche Entdeckungen berücksichtigen. Mein Plan ist, einige Raumschiffe in jene Tabu-Galaxis zu schicken.«
»Auch das ist ein Risiko. Äußerst gewagtes Vorhaben!«, knurrte Hartnay.
»Das ist uns allen bewusst. Noch eilt es nicht. Aber in einer Handvoll Tagen sollten wir handlungsbereit sein. Überdies brauchen wir Zeit zum Überlegen.«
»Gward-Entscheidungen sind stets durchdacht.«
»Das war bisher unsere Tradition.«
Die Szene entwickelte eine besondere Tiefe und Dringlichkeit. War der Verdacht unbegründet, und führten die aus diesem Grund getroffenen Entscheidungen zum Fiasko, verloren fünf Männer von einer Sekunde zur anderen ihren Status. Wenn sie überlebten, konnten sie sich glücklich schätzen. Ihr Ende würde ein Posten der niedrigsten Stufe auf einem höllischen Planeten sein, irgendeine Art von Strafhaft oder ein ligridenunwürdiges Leben. Und für jeden Untergebenen, der unnötig gestorben war, würden sie zahlen müssen; nicht in Geld oder Geldeswert, sondern mit dem Bewusstsein, Schande und Versagen auf sich geladen zu haben.
Ein halbdunkler Raum, die fast leeren Blütensud-Gefäße, wenige Lichter, von denen etliche bedeutungsvolle Bilder an den Wänden angestrahlt wurden, dazu die schweigsamen Gestalten, die sich wenig bewegten und ihre Gesichter unter den Kapuzen verbargen – die Wichtigkeit und Diskretion dieser Unterhaltung wurde durch jede Einzelheit unterstrichen.
»Ich brauche nicht zu wiederholen, was mein starker Verdacht ist«, sagte Lorad schließlich. »Felur denkt vielleicht dasselbe. Aber seine Einstellung gestattet ihm keine Zweifel. Also sorgt dafür, dass es niemand von den Gwyn-Dienern erfährt.
Wenn sie es selbst herausfinden – um so besser.«
»Einverstanden.«
»Je länger ich darüber nachdenke, Freund Lorad, desto sicherer bin auch ich. Vielleicht hast du mit der Galaxis in unserer Nachbarschaft nicht einmal Recht. Es gibt aber etwas, das uns die Hyptons verschweigen.«
»Einen Augenblick.«
Lorad hatte vorgesorgt. Er entließ seine Freunde nicht ohne einen intensiven Zwang zum weiteren Überlegen. Aus allen seinen Beobachtungen hatte er eine Liste zusammengestellt. Ein Knopfdruck warf einen Schnellschreiber an und produzierte fünf Niederschriften.
Er verteilte die eng beschriebenen Kunststofffolien und wiederholte zum zweiten Mal:
»Ich habe keinen Beweis. Ich wäre froh, wenn wir herausfinden, dass ich Unrecht habe. Aber es ist lebensnotwendig für die Selbstachtung eines jeden Ligriden, dass wir absolute Gewissheit bekommen.«
Er schwieg und seufzte tief.
»Verlasst mich jetzt. Ich habe noch zu arbeiten, und ich bin todmüde. Jedes Treffen mit Hyptons macht aus mir einen Gward-Diener, der unsicher zittert, alles in Frage stellt und sich an die Pfeiler der inneren Überzeugung klammert.«
Falcamirs gutmütiges Lachen richtete ihn wieder ein wenig auf.
»Diesen Vorteil haben wir immerhin. Der Trost der Gwyn-Philosophie. Die Kraft kommt aus dem Denken, nicht aus dem Handeln.«
»Dass er nicht gehandelt hätte«, setzte Utamag scherzend hinzu, »können wir ihm schwerlich anlasten.«
Sie standen auf, führten schweigend die Bewegungen des stillen Abschiedes aus und verließen den Raum. Tief in Gedanken versunken sah Lorad zu, wie der Robot das leere Geschirr und die restlichen Utensilien der Zeremonie wegräumte und die Tischplatten säuberte.
Lorad stand auf, und ehe er sich in den Schlafraum zurückzog, vernichtete er seine Kopie der Aufzeichnungen.
*
Purcarrh lehnte am Rahmen der offenen Tür, schaute abwechselnd zu Fartuloon, auf die schimmernde Münze und auf das Schloss. Die neu angebrachte Schließanlage ließ nicht erkennen, welche technischen Raffinessen sich in ihrem Innern verbargen.
»Gewonnen!«, sagte Fartuloon, schnippte die Münze in die Luft und fing sie geschickt wieder auf. »Materialfehler, Purcarrh. Löse deine Wette ein.«
»Du bist wirklich ein seltsamer Kunde«, sagte der Ligride. Auf seiner olivbraunen Haut zeichneten sich weiße Flecken ab. »Ich halte mein Wort. Was willst du von meinem Chef? Es wird nicht einfach sein.«
»Ich muss ihn davon überzeugen, dass ich ein harmloser Kunde bin. Ich besuche Planeten und schreibe auf, was ich erlebe. Es entsteht ein gewaltiges Werk über die Galaxis.«
Mit dem Finger deutete Purcarrh in den Raum hinein und zog die dünnen Brauen auf den schwach ausgeprägten Wülsten in die Höhe.
»Ich sehe kein Buch!«
»Das ist ja gerade das Ärgerliche. Die Handelsschüler haben es mir weggenommen.«
»Wer? Wie?«
Fartuloon erzählte ihm dieselbe Geschichte wie dem Kommandanten des Beibootkommandos und betonte, dass er die letzten Kapitel neu schreiben müsse. Der Anfang der Aufzeichnungen und viele Bilder warteten in seinem Wohnhaus auf einem Planeten mit Phantasienamen.
»Und was willst du von Argazill?«
»Das sage ich ihm selbst.«
Die Reparaturrobots schweißten stählerne Schutzkappen über die Befestigungsschrauben und schwebten summend davon. In der Zelle stank es nach dem verdampften Metall. Für jeden Gefangenen war dieses Schloss absolut nicht zu öffnen oder außer Kraft zu setzen. So schlecht waren die ligridischen Gefängnisse also doch nicht!
»Ich versuch's. Aber er ist beschäftigt. Er hat wenig Zeit. Und ob er deinen Geschichten glaubt, ist auch fraglich. Er hat schon viele andere gehört.«
Fartuloon lächelte entwaffnend und erwiderte fröhlich:
»Du hast sie schließlich auch geglaubt. Überdies ist sie die reine Wahrheit. Oder sehe ich aus wie ein mutiger Kämpfer gegen die Ligriden?«
Nach einem skeptischen Blick auf Fartuloons kleine, gedrungene Figur sagte der Ligride, der ihn um rund vier Handbreit überragte:
»Nein. Du sicher nicht.«
Fartuloon breitete die Hände aus, als wolle er andeuten, dass es sich nicht lohne, über einen fetten, alten Mann wie ihn längere Zeit nachzudenken. Hinter dem Wächter summte die Türplatte ins Schloss. Fartuloon bestellte zwei Becher dieses weinartigen Getränks und hörte zu, wie Purcarrh mit dem Sekretär von Argazill sprach. Ein Termin wurde genannt; er bedeutete weiteres Warten von mehr als acht Stunden.
*
Diener des Gward Falcamir, Hochgeborener Flottenkommandant, stand hinter seinem Arbeitstisch, der von beeindruckenden Ausmaßen war. Er hob die linke Hand und machte die knappe Geste des Willkommens unter Gleichgestellten. Hoonrust zuckte zusammen, machte verwirrt dieselbe Geste und rechnete nach, wie viele Stufen er unterhalb Falcamir stand.
»Setze dich, Kommandant!«, befahl Falcamir. Der andere Ligride gehorchte. Seine Kapuze war von einer haarfeinen Metallspange auf dem Kopf gehalten. Dunkelgelbe Augen starrten den Vorgesetzten an.
»Dein Schiff ist die CANTRISS?«
»Das ist der Name. Zwanzig Besatzungsmitglieder. Mehrfach ausgezeichnet ...«
Falcamir winkte ab, deutete auf einen Bildschirm und schien zu überlegen, ob er weitersprechen konnte. Dann fragte er:
»Mit wie vielen Männern und Frauen kannst du dein Schiff führen? Wie viele müssen es mindestens sein, unter allen Umständen?«
Hoonrusts Antwort kam sofort.
»Insgesamt sieben Mann. Aber sie müssen hervorragend sein.«
»Sie befinden sich unter der Mannschaft?«
»Ja.«
»Sind diese sieben Diener des Gward?«
»Fünf von ihnen.«
»Kannst du sie auswechseln, ohne dass überflüssige Unruhe entsteht?«
»Schwer. Der Befehl müsste von dir kommen und entsprechend begründet sein. Nicht wegen der Qualifikation, sondern wegen des dualen Glaubenssystems.«
»Die Namen?«
Hoonrust schrieb sie auf eine Folie und reichte sie über den Tisch. Falcamir war sicher, dass unter den unzähligen Tausenden in BASTION II, von denen ständig große Mannschaften ausgewechselt wurden, kein großes Erstaunen über diese Maßnahme ausbrechen würde.
»Was ich jetzt zu dir sage, beziehungsweise was du lesen wirst, ist geheim. Du und ich und vielleicht noch sechs andere Schiffsführer dürfen es wissen. Die Mannschaften erst später und nach ausreichender psychologischer Unterweisung.«
»Ich höre.«
Hoonrust schwankte zwischen Freude über die Auszeichnung und den Zweifeln, die sich automatisch einstellten. Er nahm die Blätter entgegen und begann zu lesen. Falcamir studierte das Mannschaftsverzeichnis der CANTRISS und machte sich auf dem Bildschirm Notizen. Schließlich legte Hoonrust die Blätter auf die Platte und sagte ächzend:
»Jetzt verstehe ich. Und ich kann es nicht glauben. Die Hyptons ...«
»Was würden erst deine Leute sagen?«
»Möglicherweise würden sie vor Angst, gegen das Konzil zu arbeiten, gelähmt sein.«
»Denke ich auch. Die CANTRISS ist fernflugtauglich. Von dir brauche ich im Lauf der nächsten drei Tage die Namen von sechs, nein, zehn Schiffen. Sie müssen ebenso geführt werden wie dein Schiff. Die Namen habe ich natürlich selbst. Aber nenne mir Gward-Kommandanten, die absolut vertrauenswürdig sind.«
»Ich habe verstanden.«
Widerspruch stand einem Vorgesetzten gegenüber völlig außerhalb des Vorstellbaren. Aber die Gedanken der Frauen und Männer waren schwerlich zu manipulieren. Dies lehnte auch die Gward-Philosophie ab. Falcamir kannte den CANTRISS-Kommandanten Hoonrust schon lange, und er kannte ihn als klug und absolut zuverlässig. Er setzte hinzu:
»Wir brauchen Gewissheit.«
»Ist klar.«
»Diese Gewissheit bekommen wir nur außerhalb von Manam-Turu. Kein Wort über das Ziel, das du jetzt vermuten musst. Du bist spätestens in drei Tagen mit einer kompletten Liste der Schiffe und Kommandanten wieder hier.«
»Ich gehorche.«
»Ihr werdet wirklich gebraucht. Es kann eine der größten Krisen im Bestehen unseres stolzen, kriegerischen Volkes sein, die sich in diesen Mitteilungen verbirgt. Wenn nicht, dann haben wir die Gewissheit, dass wir zuverlässige Partner im Konzil haben. Danke.«
Hoonrust grüßte und verließ das Arbeitszimmer des »Admirals« in größter Verwirrtheit, die er aber nicht erkennen ließ. Dann schloss er sich in der Pilotenkanzel seines Schiffes ein, tippte Namen in seinen Handcomputer, löschte sie wieder, schrieb andere, überlegte und fühlte sich dabei halb elend, halb glühte er innerlich in der Vorstellung dessen, was Falcamir beabsichtigte.
*
Diesmal waren die Roboter eine wirkliche Bedrohung. Einer schwebte vor, der andere hinter Fartuloon. Gitter im Korridor hatten sich geöffnet, Energieschirme waren abgeschaltet worden. Fartuloon merkte sich jeden Schritt in der Anlage und prägte sich jeden Hinweis, jeden beschrifteten Richtungspfeil und jede Farbänderung an Wänden und Decken ein. Zumindest kannte er jetzt die allgemeine Richtung, die zu einem Teil der Schiffshangars führte.
Die Optiken der Maschinen leuchteten intensiv. Vor den Projektorspitzen flimmerten Zündenergien. Fartuloons Brustharnisch wurde in die wechselnden Farben der Lampen getaucht und reflektierte sie schwach. Er hielt die Geschwindigkeit der Maschinen mühelos mit. Sie brachten ihn zu Argazill. Wasserflasche, Schlafsack-Zelthängematte und die Jacke mit den vielen Taschen und Geheimfächern hatte Fartuloon in der Zelle gelassen. Hin und wieder ertappte er sich dabei, wie er die Zelle Kabine nannte; oftmals war er unter sehr viel schlechteren Verhältnissen untergebracht gewesen. Die Maschinen folgten einem festen Schema des Weges und hielten tausend Schritte, zwei Korridore und zwei Ebenen weiter und höher an, schwebten auseinander und postierten sich vor einer intensiv gelben Doppeltür in einem schwach gelben Korridor.
Die Schottplatten glitten auseinander. Ein Vorzimmer zeigte sich, in dem ein weiblicher und ein männlicher Ligride an Pulten arbeiteten. Die Frau hob ohne Erstaunen den Kopf, doch dann schoben sich die halbtransparenten Nickhäute vor die tiefbraunen Augen.
»Du bist ... dieser merkwürdige Gefangene?«
Fartuloons Konzept erforderte, dass er sich weiterhin so verhielt, als sei er ein wenig naiv und treuherzig.
»Schwester des Gwyn«, sagte er und strahlte sie an, »ich bin nicht merkwürdig, und lange werde ich auch nicht gefangen sein. Ich bin Fartuloon, der Weltraumtramp und Sterntagebuchschreiber.«
Der Ligride lachte kurz und deutete, seinen Blick vom Harnisch zu dem unscheinbaren Schwert wechselnd, auf die nächste Tür.
»Der Chef wartet.«
»Danke!«
Fartuloon ging zögernd und in gut gespielter Verlegenheit in den nächsten Raum hinein. Es war das Arbeitszimmer eines Gwyn: schmucklos, funktionell und aufgeräumt. Hinter dem Tisch saß ein schmal gebauter Ligride und schob seinen Helm in die Stirn. Seine Stimme war hell und scharf. Er befleißigte sich eines militärischen Tonfalls.
»Du bist auf Pionierstation Siebenundfünfzig aufgegriffen worden?«
»Ich ging zu deinen Leuten und bat sie, mich mitzunehmen«, antwortete Fartuloon. »Ich bin ein Opfer äußerst widriger Umstände.«
In einigen weiteren Sätzen, ebenso kurzgefasst wie sein Gegenüber, schilderte er sein Schicksal.
»Was willst du von mir?«
»Mich könnte eines deiner schönen, schnellen Schiffe mitnehmen. Irgendwohin. Auf einen Planeten mit Raumhafen. Ich beschreibe, was ich sehe, aber ich kann dir leider nicht aus meinen Schriften vorlesen. Gestohlen. Ich bin wirklich kein Feind der Ligriden. Wie könnte ich es.«
»Was ist das?«
Argazill zeigte auf das Skarg. Fartuloon nestelte das Schwert vom Gürtel. Den Griff hatte er mit einem breiten Band seiner Kleidung umwickelt. Er reichte es, den Griff voraus, über den Schreibtisch. Als Argazill das Skarg berührte und aus der Scheide zog, hatte sich die Waffe schon verändert.
Die Schneide und die Spitze wurden stumpf und grau; Rostflecken zeigten sich, die Schneide schien schartig zu sein. Alles in allem machte das Skarg den Eindruck eines Fundes von einer Müllhalde.
»Wozu brauchst du dieses ... Ding?«
»Unter anderem habe ich versucht, Gräber für deine Kameraden auszuheben«, erklärte Fartuloon zurückhaltend. »Aber der Boden war zu hart, und es waren zu viele Tote.«
»Verstanden.«
Argazill war ein wenig überfordert. Er schien halbwegs zu glauben, dass der seltsame Findling harmlos war und zu Unrecht in einer Zelle saß. Aber aus den vielen Gesprächen, die Fartuloon abgehört hatte, wusste er, dass die Ligriden zu Recht misstrauisch waren. Zu übel war ihnen von den Hilfstruppen des Erleuchteten mitgespielt worden, und schließlich konnte auch er ein Spion sein.
Dazu kam, dass offensichtlich durch die Konferenz ein Teil der BASTION II-Besatzung aufgestört und erschreckt worden war. Wodurch, das wusste Fartuloon nicht. Noch nicht.
»Ich vertage die Entscheidung«, sagte Argazill schließlich. »Dazu kommt, dass in den nächsten Tagen von hier keine Schiffsbewegungen stattfinden, die zu einem Planeten gehen. Zu einer Welt, von der du wieder wegkommen könntest.
Du wirst Purcarrh zugeteilt. Hilf ihm. Du bleibst in deiner Zelle, bis wir klären können, was mit dir passiert. Ich muss den Fall dem Kriegsherrn Felur vortragen. Felur hat wenig Zeit. Roboter!«
Die Maschinen summten herein. Fartuloon hatte wieder einen Aufschub erreicht. Argazill befahl den Maschinen, Fartuloon in die Station Purcarrhs zurückzubringen und entließ ihn mit einem eckigen Nicken. Der letzte Eindruck, den Fartuloon mitnahm, waren die sechs Finger des Verantwortlichen, die mit großer Geschwindigkeit auf der Tastatur eines Geräts arbeiteten.
Auf einem anderen, kürzeren Weg, über einen Antigravschacht, brachten die Maschinen den Gefangenen zurück. Purcarrh schaukelte in seinem Sessel hin und her und blickte Fartuloon an, als sähe er ihn zum ersten Mal.
Nach einer Weile fragte er mürrisch:
»Ich kenne sie alle: Naldrynnen, Daila, Zyrpher und so weiter. Leute von deinem Aussehen, die kenne ich noch nicht. Was bist du eigentlich für einer?«
»Ich bin ein Calurier. Einer der letzten. Mein Volk ist uralt und stirbt aus.«
»Aus Manam-Turu?«
»Ja. Aber frage mich nicht, wie ich dorthin zurückfinde. Ich bin gegangen, weil ich das Elend nicht mehr sehen konnte. Ich will nicht darüber sprechen.«
»Ich verstehe. Pass auf. Hier ist alles, was du brauchst. Kontrolliere den Gesundheitszustand der anderen Gefangenen. Ich verstehe davon nicht so viel.«
»Einverstanden«, antwortete Fartuloon. »Mach' ich.«
Der Wärter erklärte Fartuloon das Diagnosegerät und trottete hinter ihm her. Die Zellen lagen in drei Ebenen übereinander, und die meisten waren leer.
»Springverk, Twec, Naldrynne«, brummte der Wärter. »Er sitzt immer so traurig herum.«
Fartuloon klappte den Kasten auf und musterte Springverk. Das vierbeinige Pelzwesen hatte die Zellenbeleuchtung fast gelöscht. Tiefes Zwielicht herrschte hier. Plötzlich begann das kleine Wesen aufgeregt zu kreischen. Twec sprang Fartuloon förmlich an und schrie:
»Du bist kein Ligride! Warum hilfst du ihnen? Verräter! Mistkerl!«
»Ruhig!«, donnerte Fartuloon. »Ich helfe dir. Ich bin Arzt. Was fehlt dir?«
»Die Freiheit, du fetter Kerl! Ich will raus hier. Ich habe nichts getan! Sage es deinen Freunden!«
Fartuloon hob abwehrend die Hände und zeigte auf den Roboter, der im Rahmen der offenen Zellentür stand und seine Schockstrahler ins Innere richtete.
»Ich bin auch ein Gefangener. Du aber bist offensichtlich sehr gesund, dem Geschrei nach zu urteilen. Rufe Purcarrh, wenn du etwas brauchst!«
»Eine Brille!«, rief der Naldrynne ihnen nach.
»Vielleicht findet sich eine Brille«, gab Fartuloon zurück, bevor sich die Tür schloss. Der Ligride meinte bekümmert:
»Ich kann es ihnen nicht recht machen. Sie sind ungeduldig.«
»Was mich zur Frage bringt, wie lange sie schon dort vor sich hin schimmeln?«
»Also ...«, fing Purcarrh an und zählte auf, so gut er sich erinnerte. Fartuloon musste einsehen, dass die gesellschaftlichen Schichtungen der Ligriden eine schwerfällige Bürokratie hervorgebracht hatten. Sie erstreckte sich möglicherweise nicht auf Pionierkommandos oder einzelne Raumschiffe, aber in dem Gewirr der riesigen Station bemerkte sogar ein Fremder, wie wenig effektiv Ligriden sein konnten. Vermutlich war niemand für die Gefangenen zuständig.
Stundenlang wechselte Fartuloon von einer Zelle zur anderen. Er behandelte eine Geschwulst bei Sparken, einem Daila in mittleren Jahren, verteilte an Rubernek und Kornen Fus, zwei ältere Zyrpher, jeweils eine Dose Hautschutzcreme und klappte die schwere Arzttasche zu, als ihm sein neuer Vorgesetzter einen Wink gab.
»Das ist alles«, sagte er. »Gehen wir ins Büro. Vielleicht fällt mir eine gute Wette ein.«
»Du verlierst sie ohnehin wieder«, brummte Fartuloon. Es wurde Zeit, dass er seine Suche nach Atlan mit anderen Mitteln fortsetzte. Hier in BASTION II würde er schwerlich etwas erfahren.
Er benützte die Abwesenheit des Wärters, um sich über Lorad und Felur zu informieren. Er schaffte es gerade noch, einen Plan des Stationsteils auf den Bildschirm zu rufen, in dem er sich befand. Er vertiefte sich in die Linien und Farbkodierungen und erfuhr, dass eine Reihe von Hangars sich in der Nähe des Zellentrakts befanden.
Dann kam Purcarrh zurück, und schnell löschte Fartuloon alle Informationen.
*
Das Schiff, das weder Namen noch Bezeichnung hatte, war so gut wie neu. Es stand auf den wuchtigen Magnetklammern des großen Hangars. Sämtliche Strahler waren eingeschaltet. Ihr Licht spiegelte sich an den Kanten des langgezogenen Schiffskörpers und schien von den dunklen Flächen des scheibenförmigen Mittelteils verschluckt zu werden. Genau sechsundneunzig Meter lang war dieses Geschoss, dessen Körper von Triebwerksöffnungen unterbrochen wurde, von Ansaugtrichtern und geschützähnlichen Antennen.
Alarmlichter blitzten und drehten sich. Sämtliche Zugänge zum Hangar waren versperrt.
Zwei Ligriden, gekleidet in Raumfahreruniform, standen in der Schleuse des Schiffes. Ihre Gesichter waren ungewöhnlich ernst, ihre Augen blickten konzentriert.
»Es ging schneller, Kriegsherr Falcamir!«
Hoonrust überreichte seinem Vorgesetzten ein zusammengefaltetes Blatt. Schweigend nahm es Falcamir entgegen und las die Namen der Schiffe und die Liste der Frauen und Männer, die nach Meinung Hoonrusts von höchstmöglicher Zuverlässigkeit waren.
»Ich weiß nicht«, sagte Falcamir leise, »wie Lorad entscheiden wird. Ich schlage dich als Leiter dieser Expedition vor. Der Treffpunkt ist geschickt gewählt.«
Das Raumschiff, das auf seiner Oberseite die Multidronscheibe trug und im geöffneten Hangar die sphärischen Konturen eines kleinen Beiboots zeigte, entstammte der neuesten Produktion. Der Verwendungszweck stand noch nicht fest. Richtlinien und Vorschläge krochen noch immer durch die Kommunikationskanäle der BASTION. Falcamir war zuerst erstaunt gewesen, aber dann traf er sich mit Hoonrust ausgerechnet hier. Für Raumfahrer der beste Platz.
»Danke, Kriegsherr«, gab Hoonrust zurück. »Darf ich einen Gedanken offen äußern?«
»Wenn nicht du und hier, wer und wo sonst?«
»Jedes Milchstraßensystem ist riesengroß. Es allein zu durchfliegen und auch nur annähernd kennen zu lernen, das dauert Jahre. Du weißt es besser als ich.«
»Das ist richtig. Lorad sieht es nicht anders.«
»Er weiß nicht genau, was wir zu suchen haben?«
»Trifft zu.«
»Eine Macht, ein Sternenvolk, eine Rasse, von der die Hyptons zu beeindrucken sind – vorausgesetzt, unser Misstrauen ist berechtigt –, muss gewaltig groß und bedrohlich sein.«
»Auch aus diesem Grund absolute Geheimhaltung!«
»Von mir erfährt niemand auch nur ein Wort«, schwor Hoonrust. Den Ligriden war längst klar, dass es sich bei dieser »dritten Macht« schwerlich um ein kleines Sternenvolk handeln konnte, dessen Welten sich auf einige Sonnensysteme begrenzen ließen.
»Ich treffe mich in wenigen Stunden mit Lorad«, gab der Kriegsherr zurück. »Die Startbefehle bekommt ihr von ihm. Ich weiß nicht, ob ein Schiff oder alle zehn. Ich schätze, es werden weniger als zehn sein.«
Er tippte auf einige Felder in einer Schaltanlage. Ein helles Summen war zu hören. Automatische Greifer zogen das diskusförmige Beiboot in die Hangarschleuse zurück und schlossen mit sattem Knacken die Außenverkleidung. Falcamir deutete auf die Rampe, die zur Ebene der Haltevorrichtungen und der zur Seite gefahrenen Arbeitsbühne herunterführte.
»Gehen wir.«
Schweigend gingen der Kriegsherr und sein bester Kommandant-Pilot zum Ausgang des Hangars. Falcamir desaktivierte die Alarmschaltung und versetzte das gesamte System des Hangars, der Reparaturabteilung und der Magazine wieder in den Normalzustand zurück. Bildschirme flammten auf und meldeten, dass jenes Schiff ohne Namen voll ausgerüstet und startklar war.
An der nächsten Abzweigung sagte Falcamir knapp:
»Wahrscheinlich erhaltet ihr versiegelte Befehle, zu öffnen an einem bestimmten Punkt des Fluges. Ich kläre das mit Lorad.«
»Nichts anderes habe ich erwartet.«
Mit einem kurzen Gruß trennten sie sich. Hoonrusts Arbeit war fürs erste beendet. Aber das Warten zerrte an seinen Nerven. Durch diesen Einsatz würde er bekannt und, vielleicht, berühmt werden. Dann bestand die Möglichkeit, dass er oder sein noch ungeborener Sohn aus seiner Klasse in die nächsthöhere überwechseln konnte, und für einen Diener des Gward bedeutete dies eine Ehrung, die ihresgleichen suchte.
*
»Das System der Ligriden«, murmelte Fartuloon, während er auf die Wirkung ligridischer Medikamente hoffte, »ist leistungsfähig. Aber wie überall: Langeweile macht leichtsinnig. Und so passieren die wirklich üblen Pannen.«
Auch der Arbeitsraum des Gefangenenwärters war an die Zentralküche angeschlossen. Purcarrh hatte Fartuloon beweisen wollen, dass er kein übler Bursche war. Er bestellte mit großem Aufwand im Rahmen einer Wette, die ihn Fartuloon gewinnen ließ, ein geradezu prachtvolles Abendessen. Als Dank schüttete Fartuloon ihm ein starkes Beruhigungsmittel in den Wein. Hoffentlich schlief er tief und lange.
Der Zellentrakt war abgesichert und verschlossen. Fartuloon hätte ihn ohne die Hilfe des Skarg nicht verlassen können. Er plante es auch nicht; noch war es nicht soweit.
Aber er benutzte die Geräte, Monitore und Anlagen seines vertrauensseligen Vorgesetzten. Er hatte sich drei Maximen gestellt.
Erstens: Informationen über jene Konferenz.
(Purcarrh hatte ihm erklärt, dass sich Hyptons mit Ligriden auseinandergesetzt hatten. Also eine Konferenz des Neuen Konzils. Worüber es ging, war wohl geheim, und nur die Ligriden der obersten Ränge dürften darüber Bescheid wissen. Fartuloon rechnete aber damit, dass es irgendwo eine undichte Stelle gab. Die große Schwierigkeit bestand darin, sie zu finden.)
Zweitens: Einige Helfer, Mitverschwörer oder Gefangene zu finden, die mit ihm zusammen flüchten würden.
(Dies war die geringste Mühe. Der Daila und die beiden Zyrpher waren geeignete Kandidaten. Wenn er noch ein bisschen mehr Glück hatte, dann verstanden sie sogar etwas von der Raumfahrt. Auf einen Artgenossen des unglücklichen Tuffelsyt konnte Fartuloon leichten Herzens verzichten!)
Drittens: Ein Schiff, mit dem sie alle ohne größere Gefahren flüchten konnten.
(Er kannte den Weg zu den Hangars. Wenn das Skarg ihm die Schlösser und Schutzschirme öffnete, war die Distanz nicht weiter als ein Spurt von zehn, fünfzehn Minuten. Er zog es allerdings vor, unbemerkt davonzuschleichen.)
Als er wieder die Grundrisse und Korridore aus den Speichern herausholte und deren Verlauf verfolgte, entdeckte er, dass ein Hangar gesperrt war. Jemand hatte Alarm ausgelöst, aber es waren keine Einsatzkommandos unterwegs. Als Fartuloon die Linsenkontrolle endlich fand, entdeckte er nur noch zwei Ligriden, der Uniform nach zu urteilen, zweifellos Raumfahrer, die vor einem langgestreckten, sehr elegant geformten Raumschiff standen. Dann schaltete die Sicherheitsanlage die Aufnahmeapparatur ab.
Fartuloon hob die Schultern. Dieses Schiff oder ein anderes – alle Hangars waren gleich günstig oder gleich unerreichbar für ihn. Mittlerweile registrierte er, dass selbst er zu beunruhigen war. Er wurde nervös.
»Nur Ruhe, alter Fartuloon!«, sagte er sich und hoffte nur, dass er bei seiner Arbeit nicht gestört wurde. Noch konnte er die Roboter nicht umprogrammieren.
Wie kam er an Lorad heran?
Eine Frage, die kaum zu beantworten war. Immerhin schaffte er es in dieser Nachtphase, die Anwählkode-Begriffe von Lorads und Felurs privatem Wohnbereich und den Arbeitsräumen herauszufinden. Er brachte es auch zuwege, diese beiden Ziffernfolgen auf die manipulierte Tastatur des Bildschirms seiner Zelle zu schalten. Dann war er mit seinen Fähigkeiten so ziemlich am Ende. Ihm fiel nichts mehr ein, und er löschte alle seine gespeicherten Versuche, um sich nicht durch einen dummen Zufall zu verraten.
*
Über das Konzil wusste Fartuloon sehr wenig. Dass Hyptons und Ligriden eng zusammenarbeiteten, war weder Atlan noch ihm neu. Dass die Ligriden noch immer nicht begriffen hatten, dass sie im Bann der seltsamen Fähigkeiten der Fledermauswesen standen und zu Handlungen gezwungen wurden, die sie selbst kaum in die Wege geleitet hätten, stand ebenfalls fest. Natürlich hatte er als Colemayn mit Atlan über den Begriff des Konzils gesprochen, dies war aber ein weit zurückliegender Teil der Geschichte gewesen. Überdies betraf jenes geschichtliche Konzil nicht die Galaxis Manam-Turu.
Die nächste Nacht verbrachte Fartuloon wieder in seiner Zelle.
Er wachte auf, öffnete die Augen und versuchte, in der völligen Dunkelheit herauszufinden, warum er aufgewacht war. Schließlich schlief er den Schlaf des Gerechten.
Er blieb regungslos liegen, dachte nach und fühlte steigende Unruhe. Er hatte gelernt, seinem Unterbewusstsein zu vertrauen.
Schließlich zuckte er die Schultern, orderte seinen üblichen Schlaftrunk und tastete dann den Bildschirm an.
Er wartete, bis das langweilige Gefangenenweiterbildungsprogramm erschien, dann fing er an, mit der manipulierten Schaltung zu arbeiten.
Felur war nicht zu erreichen. Nichts und niemand meldete sich am anderen Ende der Schaltung. Fartuloon tippte weitere Zahlenkombinationen. Immer wieder wechselten die Bilder und zeigten ständig neue Ansichten aus dem Innern der Raumstation.
Mitten in der Bilderfolge erschien ein Gebiet, das unzweifelhaft eine Erholungslandschaft darstellte. Sofort hielt der Gefangene inne und studierte die Einzelheiten des Bildes.
Solarlampen, ein künstlicher Kuppelhimmel, unzählige grüne Pflanzen und Bäume. Steine, über die ein Wasserfall gischtend rieselte, ein Bach und ein winziger See. Wege, kleine Brücken und kleine Plattformen, mit Tischen und Bänken versehen, rundeten das Bild ab. Sorgfältig zählte Fartuloon die Ligriden in diesem Raum. Der Durchmesser der Anlage betrug mindestens zweihundert Meter, und es hielten sich nicht mehr als ein Dutzend Ligriden darin auf.
Bei den Aufnahmeoptiken standen zwei hochgewachsene Ligriden. Beide trugen Kapuzen, eine davon war besonders prächtig. Also Diener des Gward. Fartuloon kannte keinen von ihnen. Aber irgendwie wirkten sie bedeutungsvoll, und auch das, was sie sprachen, schien wichtig zu sein.
Er stellte die Lautstärke auf den höchsten Pegel ein. Durch das zischende Geräusch des Wasserfalls hörte er, schwer verständlich, einzelne Satzfetzen.
»... würde wie eine Verschwörung wirken ... ausgerechnet Gward Lorad! ... aber wir brauchen die Bestätigung ...«
»... sechs Schiffe in diese Galaxis! ...«
»... keinen Fall mehr. Die Hyptons sind schnell ... misstrauisch ...«
Fartuloon hielt den Atem an. Der Hochgewachsene mit der bestickten Kapuze schien tatsächlich Lorad zu sein. Er lehnte sich gegen die Wand und legte sein Ohr vor die Blende der Lautsprecher.
»... die CANTRISS mit Hoonrust ... außerordentlich zuverlässiger Kommandant, und seine wenigen Leute ...«
»... bekannt wird, bricht ein Sturm öffentlicher Empörung aus ...«
»... Ärger mit den Dienern des Gwyn ... innenpolitische Krise unvorstellbaren Ausmaßes ...«
Die Wortfetzen genügten ihm, wenn er sie mit einiger Phantasie zusammensetzte und mit seinen mageren Informationen ergänzte. Ein Zufall hatte ihn zu dieser Szene geführt.
»... starten sie, um ein mögliches drittes Konzilsvolk zu finden ...?«
»... morgen ... übermorgen ...«
»... Macht, vor der sogar die Hyptons erschrecken ...«
»... vorgehen? ...«
»... hineinfliegen, Funksprüche absetzen: Wir sind Abgesandte der Hyptons ...«
»... und dann warten ...«
»... klar. Abwarten ...«
Die Ligriden verließen die Plattform und bewegten sich mit bedächtigen Schritten aus der Reichweite der Linsen und Mikrophone weg. Wer der andere Hochgestellte war, ahnte Fartuloon nicht. Aber er konnte sicher sein, dass er Lorad gesehen und gehört hatte. Für diese Nacht hatte er sein Glück überstrapaziert. Er schaltete den Bildschirm aus und dunkelte die Beleuchtung bis auf einen winzigen Rest ab. Schweigend fügte er alle Mosaiksteinchen zusammen, suchte und fand andere Kombinationen, verwarf eine Möglichkeit, fand eine andere.
Und schließlich wusste er, dass er Mitwissender einer sensationellen Entwicklung geworden war.
»Jetzt beginnt es, spannend zu werden«, murmelte er in seinen Bart, der in den letzten Tagen ein wenig länger und dichter geworden war. »Dringend muss ich es meinem Atlan erzählen.«
Eine Verschwörung der Diener des Gward gegen die Hyptons! Herrlich! Unfrieden im Lager des Gegners! Nun wusste er auch, worum es letzten Endes bei der Konferenz gegangen sein musste.