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7.

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Fünf war eine gute Zahl.

Im privatesten Raum des Sektors, den Lorad bewohnte, war über der hellen Schicht des Bodenbelags ein runder Teppich ausgerollt worden. Er war von schwarzblauer Färbung, und sein Muster bestand aus Tausenden winziger Figuren, die in Leuchtsilberstickerei ausgeführt waren. Das Alter dieses Webwerks betrug mehr als vier Jahrhunderte in der Rechnung der Heimatplaneten. Diese Kostbarkeit gehörte der Familie Lorads, deren Mitglieder fast alle Diener des Gward gewesen waren.

Schweigend und in sich versunken ging Lorad hin und her und kontrollierte die Einzelheiten seiner eigenen Arbeit.

Fünf dicke Sitzkissen lagen vor fünf halbhohen Tischen, auf denen jeweils eine Schale stand. Eine schwimmende Kugel, deren Docht eine fast handlange Flamme trug, drehte sich langsam in der Flüssigkeit. Vor den Schalen befanden sich die schweren Lesewürfel; in jeder war ein identischer Text gespeichert, der die »Weisungen des Gward« enthielt, jener Halbform des Ganzen, die blau und grün war im Gegensatz zu Silber und Feuerrot der Gwyn-Hälfte.

Der strenge Geruch des Blütensuds füllte den Raum. Die Flammen zuckten unmerklich, als Lorad den Weg der schwebenden Plattform kontrollierte. Sie beschrieb einen Kreis, der dicht vor den Flammen herumführte.

Lorad nickte zufrieden.

Er holte fünf Klappstühle und stellte sie hinter den Sitzkissen auf. Er hatte sich entschieden. Fünf war die richtige Zahl.

Ein Blick zum Chronometer.

»Noch ist Zeit, das Wagnis zu vergessen«, murmelte Lorad. Seine Kleidung war, bis auf die Kapuze, völlig schmucklos. Er stellte zehn Schalen und zehn Kassetten mit Gewürz, Süße und winzigen Steinen darin auf die schwebende Servierplatte und parkte das Gerät in einer Ecke des Raumes. Dann zog er sich zur äußersten Eingangstür zurück und vergewisserte sich zum vierten Mal, ob sämtliche Kommunikationsgeräte blockiert waren.

Es durfte keine Störung geben.

Genau zur abgesprochenen Zeit kamen seine Freunde. Sie reichten ihm schweigend ihre Mäntel und gingen ebenso leise in den Raum hinein, der nur von fünf großen Flammen erhellt war.

»Die anderen?«, fragte Lorad, bevor er sich auf das Sitzkissen kauerte.

»Kommen, wenn wir fertig sind.«

Hartnay, Falcamir, Londways und Utamag setzten sich. Auf den Vorderseiten der Speicherwürfel erschienen die alten, wohlbekannten Worte. Die Schalen wurden von dem Schwebetablett genommen, der Blütensud lief in dünnem Strahl in die Schalen. Die fünf Männer verharrten in traditionellem Schweigen. Nach einer genau bemessenen Pause hob Lorad seine Schale und sagte, fast liturgisch murmelnd:

»Die Lehre des Gward bestimmt unser Handeln!

Wir können nicht anders. Alles, was wir beschließen, ist eingeschlossen in die Zahl Fünf und in das Doppelte davon.«

»Bei Gward!«

Die vier Männer antworteten im Chor. Eine solche Zeremonie war äußerst selten und kam nur zustande, weil sich die Familien dieser Ligriden seit endloser Zeit kannten. Es war zugleich Schwur und Schweigegebot. Die Ligriden nahmen einen Schluck des Suds und senkten die Köpfe.

»Ich bitte, beschließen zu mögen, wofür ich die Verantwortung gern tragen will«, fing Lorad wieder an.

»Wir beschließen.«

Es war fraglich, ob je in BASTION II ein solches Treffen – kleiner oder größer – stattgefunden hatte. Überlegungen dieser Art plagten die fünf Gward auch nicht sonderlich. Sie waren in der stillen, verpflichtenden Bedeutung ihres Treffens völlig aufgegangen und fühlten sich erinnert an die Zeiten ihrer Vorgeschichte, in ihrer Heimatgalaxis. Diese Jahre schienen schon so weit in der Vergangenheit zu liegen, dass manche Ligriden den Namen ihrer heimatlichen Milchstraße zu vergessen begannen.

»Wir sind fünf. Fünf Schiffe sollen abgeschickt werden. Fünf Kommandanten sind ausgesucht worden. Ihnen steht Hoonrust vor, Kommandant des Schiffes CANTRISS.

Auch diese Männer werden den Verpflichtungen unserer Blütensud-Zeremonie unterzogen. Beschließt ihr das?«

»Wir beschließen.«

Wieder nahmen sie einen Schluck. Den zweiten von fünf, denn diese Zahl bestimmte heute den Ritus. Nur wenige zusätzliche Worte wurden gewechselt. Sie bezogen sich auf das Vorhaben, dessen Ziel und zeitliche Ausdehnung und das Verfahren. Es gab kein Protokoll, keinerlei Aufzeichnungen. Als der fünfte Schluck getrunken war, klapperten die leeren Schalen auf das kreisende Tablett.

Lorad stand auf, ging zum Hauptschott und ließ Hoonrust und seine vier Kameraden ein.

Mit den Modalitäten einer Gward-Zeremonie waren die jüngeren Männer durch Geschichtsunterricht vertraut. Dennoch waren sie von der ruhigen Würde des Vorgangs nicht wenig verblüfft und setzten sich mit deutlichen Zeichen der Unsicherheit auf die Stühle hinter ihren Vorgesetzten. Wieder kreiste die Plattform, wieder wurden Schalen heruntergehoben und mit der zweiten Hälfte des Blütensuds gefüllt. Die Kommandanten würzten mit Süße, nahmen winzige Prisen des trockenen Staubes, der noch von Baumrinde aus der Heimat stammte, und zum Zeichen, dass sie ihre Ahnenplaneten ehrten und bei deren Bedeutung schwören würden, legten sie Steine in die Schalen – Steine, die ebenfalls während des Exodus mitgebracht worden waren. Wieder begann Lorad zu sprechen.

»Hoonrust ist euer Anführer. Sein Befehl gilt. Euer Ziel ist jene Galaxis, deren Betreten uns die Hyptons verboten haben. Die Art des Vorgehens liegt in eurer Hand. Ich wünsche, dass ihr alle zurückkommt und über alles schweigt.«

»Wir beschließen!«

Der chorusartige Spruch war unsicher und undeutlich. Die jungen Leute kannten die Zeremonie nicht genug, um sich richtig verhalten zu können. Aber angeleitet von den Fünf antworteten sie schließlich mit ständig größerer Sicherheit. Auch sie verstanden, dass sie jetzt einem Gelöbnis unterworfen waren, das über die bloßen traditionellen Formen weit hinausging.

»Morgen, wenn ich das Signal gebe, geht ihr an Bord und startet nacheinander. Zur Startfreigabe bedient ihr euch der Ziele, die ihr in den Bordcomputern finden werdet. Scheinziele selbstverständlich. Nach einiger Zeit geltet ihr als verschollen.«

Sie gelobten es.

Weitere Verhaltensmaßregeln folgten. Sie waren klar und einfach und enthielten keinerlei komplizierte Formeln. Nach insgesamt einer Stunde verabschiedete Lorad die neun Männer und wusste, dass es kein Zurück mehr gab.

Er löschte die Flammen, räumte die Ausrüstung weg und rollte den Teppich zusammen.

Fünf Schiffe mit insgesamt vierzig Frauen und Männern gingen auf diese geheime Mission.

Wann sie zurückkamen, ob sie jemals zurückkamen – wer vermochte es zu sagen?

Lorads Schultern krümmten sich, als würde die Verantwortung wie ein gigantisches Gewicht auf den Muskeln lasten.

*

Fartuloon ging das Risiko bewusst ein.

Zum dritten Mal machte er das Schloss seiner Zellentür auf seine Art funktionslos. Er bemühte sich, absolut lautlos zu sein und huschte auf Zehenspitzen aus der Zelle. Hätte ihn Purcarrh gesehen, würde er sich über die Schnelligkeit der behänden Bewegungen gewundert haben.

Das Ziel Fartuloons war die Zelle, in der Kornen Fus schlief, einer der beiden Zyrpher.

Auch dessen Zellentür öffnete sich fast geräuschlos. Mit drei langen Schritten war Fartuloon, dem das Restlicht genügte, an der Liege und hielt vorsichtig seine Hand über den Mund des Mannes. Er spürte, wie sich das Raubtiergebiss öffnete.

»Ich bin's, der fremde Arzt. Wir hauen ab«, flüsterte er in die winzige Ohrmuschel des fast schwarzhäutigen Riesen. »Was kannst du? Steuern? Funken? Antworte ganz leise.«

Sein Flüstern war nur ein kaum hörbares Fauchen und Zischen in der Dunkelheit. Die erschrockenen Bewegungen des plumpen, massigen Körpers hörten auf.

»Habe von den Naldrynnen Ortung gelernt.«

»Fabelhaft. Willst du hierbleiben?«

»Verrückt, wie?«

Fartuloon brauchte nicht zu überlegen. Er hatte sich jedes Wort vorher genau zurechtgelegt. Hastig stieß er hervor:

»Deine Zellentür ist offen. Tu so, als wäre sie in Ordnung. Sei in etwa einem halben Tag bereit. Ich rufe nur, dann rennst du hinter mir her. Es wird gefährlich.«

»Verstehe. Nach dem ersten Essen, ja?«

»Ungefähr. Oder vielleicht erst in der nächsten Nachtphase. Ich weiß es selbst nicht.«

»Hast du ein Schiff?«

»Ja. Kümmere dich nicht darum. Dein Wort?«

»Natürlich.«

»Ich gehe. Verhalte dich gefälligst ruhig. Purcarrh beobachtet uns oft.«

»Schon gut.«

Fartuloon rannte so schnell und unauffällig wie möglich zurück in seine Zelle und wartete. Sollte der verschlafene Wärter tatsächlich darauf kommen, dass die hochkomplizierten Schließanlagen abermals nicht funktionierten, dann war sein Misstrauen gleichzeitig das Ende von Fartuloons gutem Leben. Also begann jetzt die große Uhr des Schicksals zu ticken.

Das Raumschiff!

Der Bauchaufschneider sah das Problem in aller Schärfe. Jenes schlanke Schiff, vor dem er die beiden Raumfahrer kurz gesehen hatte, gefiel ihm sehr. Aber er konnte sich vorstellen, dass dieses Raumfahrzeug nur von einer großen, ausgebildeten Mannschaft zu fliegen war. In weitem Umkreis gab es keinen einzigen Hangar, in dem sich weitaus kleinere Schiffe befunden hätten. Dieser Gigant von rund hundert Metern Länge war die nächsterreichbare Fluchtmöglichkeit.

Es wäre phantastisch, wenn er, bevor er sich überhaupt entschloss, dieses Schiff von innen einer sorgfältigen Begutachtung unterziehen konnte. Aber das hieß, tollkühn das Schicksal herauszufordern und sein bisheriges Glück zu überfordern.

Andererseits: Die NACHTJAGD, jene großen Beiboote der Ligriden, alle anderen Schiffe, die er gesehen hatte – sie waren alle mit kleiner Mannschaft zu fliegen. Er selbst hatte mittlerweile Raumschiffe aller Größen und Formen geflogen, und mit keinem davon hatte er ernsthafte Schwierigkeiten gehabt.

»Verdammte Unsicherheit«, murmelte er. Wieder lag er auf seiner Pritsche und hatte sich völlig entspannt. Einen Ortungsfachmann hatte er schon. Er würde Sparken, den Daila, mitnehmen, und den anderen Zyrpher ... richtig: Rubernek war dessen Name.

»Vier Mann in einem Raumschiff«, sinnierte er. Mittlerweile misstraute er seinem Glück. Bisher war alles viel zu gut gegangen. Der Rückschlag schien unvermeidlich – und er würde brutal sein.

Was tun?

Wieder einmal stellte sich Fartuloon diese Frage. Er hatte die Wahl zwischen risikoarmem Abwarten und gefährlichem Handeln. Nach langem Zögern entschloss er sich, ein paar Stunden zu schlafen. Vielleicht sah nachher alles anders aus. Oder wenigstens ein bisschen anders.

»Und vielleicht mache ich den größten Fehler meines Aufenthalts in BASTION II«, murmelte er und schlief innerhalb weniger Atemzüge ein.

*

Mit kühlen Stimmen wurden die Funkgespräche geführt. Zwischen der Startkontrolle, den Hangars und den Schiffen gingen die gewohnten Fragen und Antworten hin und her.

»Startfreigabe CANTRISS.«

»Fertig zum Ausschleusen. Ziel bekannt. Kommandant Hoonrust mit Team geht in Einsatz.«

»Bestätigt.«

Sirenen heulten. Mannschaften verließen die Hangars. Warnleuchten blinkten und kreiselten. Die mächtigen Backen der Halteanlagen klappten auseinander. Langsam falteten sich die wuchtigen Schleusentore in den Wandungen von BASTION II auf.

»Wir starten.«

»Guten Flug, CANTRISS.«

»Danke.«

Das erste Raumschiff, hervorragend ausgerüstet und in den letzten Tagen durchgecheckt und teilüberholt, schwebte langsam aus dem Hangar hinaus. Die harten Lichtreflexe auf den Linien und Kanten der CANTRISS funkelten einige Sekunden auf, dann erloschen die Strahler. Aus den Triebwerken brachen Partikelströme, schoben das Schiff vorwärts und aus dem unmittelbaren Bereich der Raumstation.

Als das zweite Schiff aus dem Hangar schwebte, war die CANTRISS bereits verschwunden. Nur noch die Nahortung von BASTION II erfasste das Schiff als rasch undeutlicher werdendes Echo.

In fünf unterschiedliche Richtungen jagten die Raumschiffe davon. Lorad verfolgte die Startvorbereitungen und sah den Start, und als er die abschließenden Meldungen aus der Fernortung hörte, fiel eine Last von ihm ab. Der erste Teil des risikoreichen Unternehmens war ohne Verzögerungen und Pannen abgelaufen.

Wie lange dauerte die Ungewissheit?

*

Nachdem Fartuloon seinen Dienst in der Wärterkabine wieder angetreten hatte, besuchte er mit dem Arztkoffer den anderen Zyrpher.

»Todkrank bist du nicht«, sagte er zu dem haarlosen Riesen. »Was ist eigentlich dein Beruf?«

»Mechaniker. Raumschiffe.«

»Ausgezeichnet«, sagte Fartuloon laut und flüsterte, während er mit Salbe und Pflaster hantierte, in das Ohr unter der dicken Mütze des Zyrphers:

»Dein Kumpel und ich brechen aus. Wir kapern ein Schiff und entfernen uns schnell und diskret. Deine Zellentür bleibt offen, oder sie wird offen sein, wenn ich dich rufe. Klar?«

Rubernek starrte ihn aus bernsteinfarbenen Augen völlig entgeistert an.

»Bist du verrückt?«

»Nein. Machst du mit?«

»Alles ist besser als hier zu verfaulen. Du holst mich?«

»Ja. Es muss schnell gehen. Den Daila nehmen wir auch mit.«

»Kenn ich nicht.«

»Jedenfalls hast du offensichtlich ein stabiles Gemüt«, sagte Fartuloon und drückte das Pflaster fest. »Bis bald, Chefingenieur.«

Diesmal ließ Fartuloon das Schloss unangetastet. Der Daila schien weitaus aufgeregter zu sein, als ihm Fartuloon erklärte, dass es eine Möglichkeit gab, dem Gefangenenbildungsprogramm zu entkommen. Er lachte schallend. Er kenne sich mit Raumschiffen aus, sagte er. Dann schüttelte er den Kopf und meinte leise:

»Ich glaube dir kein Wort. Ich komme mit. Und was bringt es, wenn sie uns erwischen?«

»Ärger!«, stellte Fartuloon fest.

Sein Glück hielt an. Er wurde nicht abgehört. Vermutlich auch deshalb, weil er sich gar nicht sonderlich bemühte, herumzuschleichen und sein Vorgehen zu tarnen. Er bewegte sich mit der Selbstverständlichkeit eines leicht vertrottelten Exoten. Bisher war er damit gut gefahren; ein Eindringen in den Hangarbereich und der Startversuch mit einem Raumschiff blieben hingegen eine andere Sache.

Er brachte die Arztausrüstung zurück in die Wachstube und sagte zu Purcarrh:

»Alles in Ordnung. Hast du irgendeine Arbeit für mich? Mir ist langweilig.«

»Ich sprach mit meinen Vorgesetzten. Ihr müsst noch warten, ehe die Untersuchungen anfangen.«

»Deswegen fühle ich mich unausgelastet«, brummte Fartuloon. »Bildschirme putzen? Leichte Registraturarbeiten?«

»Ich habe selbst nichts zu tun. Wetten wir ein bisschen?«

»Worüber?«

»Dass ich jetzt ein paar Stunden schlafen gehe. Oder vielleicht unter die Sonnenlampen, drüben, im Erholungsbereich.«

Fartuloon machte eine schwungvolle Geste und verkündete:

»Diese Wette hast du gewonnen.«

Purcarrh betätigte die Sicherheitsschaltung, von der alle Zellen und Korridore des Gefangenentraktes in einen abgeschlossenen Block verwandelt wurden. Als er seinen Wachraum verlassen hatte, aktivierte er mit dem Spezialschlüssel diese Anlage. Fartuloon würde ihm schwerlich davonlaufen – wohin auch?

Unverzüglich machte sich Fartuloon an die Arbeit. Inzwischen kannte er das Informationssystem der Ligriden einigermaßen gut. Er bereitete den Start des Fluchtschiffs auf seine Art vor.

Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2)

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