Читать книгу Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2) - Hans Kneifel - Страница 22
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ОглавлениеDie STERNENLEUCHTEN hatte während der kurzen Zeit im Linearraum sogar 12 Lichtjahre zurückgelegt – ein Gewaltakt für den altersschwachen Frachter, den freiwillig wohl niemand von der Besatzung gewagt hätte. Dass dies keineswegs ohne Folgeschäden geblieben war, bemerkte Tolden schon aufgrund der veränderten Geräuschkulisse. Mit seinen Fragen nach der Ursache stieß er auf eine Mauer verbissenen Schweigens. Die Ngomis begegneten ihm zunehmend mit Misstrauen. Zumindest indirekt machten sie ihn für das Geschehen verantwortlich und das Dumme daran war, dass Tolden selbst nicht zu sagen vermochte, ob sie damit Recht hatten.
Etliche Ngomis, denen er auf seinem Weg in die Zentrale im Zentrum des Schiffes begegnete, machten verstohlen Zeichen mit den Fingern. Sie glaubten, dass er es nicht sah, doch Tolden zuckte jedes Mal zusammen.
Die Zentrale lag in gedämpftem Zwielicht; die meisten Panoramaschirme waren abgeschaltet. Auf den anderen erkannte der Daila eine blaue Sonne. Die STERNENLEUCHTEN schien dem Gestirn relativ nahe zu stehen.
»Wer ist da?«, fragte Musan'J'irkis ohne sich umzuwenden. Offenbar hatte er das leise Schaben des aufgleitenden Schottes vernommen.
»Ich«, sagte der Daila. »Tolden.«
Der Kommandant schwang mitsamt seinem Sessel herum, starrte ihn unter halb zusammengekniffenen Lidern hindurch durchdringend an. Außer ihm befanden sich noch zwei Ngomis und eines der Echsenwesen im Raum. Sie gaben sich allen Anschein, in ihre Arbeit vertieft zu sein, aber das waren sie nicht. Tolden bemerkte sehr wohl, wie sie ihn musterten.
»Was willst du?«, herrschte der Kommandant ihn an.
»Vielleicht kann ich helfen. Immerhin muss ich mir den Flug verdienen.«
»Du hilfst mir am besten, wenn du dich in deine Kabine zurückziehst und dort bleibst«, erwiderte Musan'J'irkis. »Dann wird Chrrtl nicht abgelenkt. – Verstehst du etwas von Konvertern?«, fügte er nachdenklich hinzu.
»Nein«, gestand der Daila.
»Also wäre es sowieso sinnlos. Die letzte Linearetappe war für unser Triebwerk zuviel, wir fliegen nicht einmal mehr mit zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit.«
»Kann ich etwas anderes tun?«
»Ich sagte es dir bereits, Daila«, winkte der Kommandant heftig ab. »Chrrtl ist der Überzeugung, dass allein du die Verantwortung für den Vorfall trägst. Er hat mindestens die Hälfte der Mannschaft auf seiner Seite.«
»Und du?«, wollte Tolden wissen. »Glaubst du es auch?«
»Das tut nichts zur Sache.« Musan'J'irkis gab sich plötzlich schroff. »Falls du wirklich helfen willst, geh in deine Kabine zurück und bleibe dort. Im Moment kannst du mir keinen größeren Gefallen tun, als jeden Ärger zu vermeiden.«
*
Einen Tag lang vertiefte Tolden sich in die Bücher aus seinem Rucksack – bis der Druck der Ungewissheit so groß wurde, dass er seine Untätigkeit nicht länger aushielt.
Unverändert stand die blaue Sonne auf dem Monitor. Auch von den vielen Sternbildern hatte sich während der letzten 24 Stunden kein einziges verschoben. Tolden schloss daraus, dass die STERNENLEUCHTEN zum relativen Stillstand gekommen war.
Er schlug das Buch wieder auf, eine wissenschaftliche Abhandlung über die Entstehung der Galaxis Manam-Turu, was in der Sprache seines Volkes soviel bedeutete wie »Rauchstreifen vom verlöschenden Feuer.« Es war selten, dass wissenschaftliche Werke auch die Mythologie miteinbezogen, in diesem Fall die Gottheiten Illard, Ris und Rim. Trotzdem war das Buch schwer zu lesen. Schon nach wenigen Minuten legte Tolden es erneut zur Seite und begann eine ruhelose Wanderung durch die enge Kabine. In gewisser Hinsicht fühlte er sich wie ein gefangenes Tier.
Plötzlich blieb er stehen, tastete nach der Halskette und öffnete sie. Ein Ausdruck grimmiger Erwartung stand in seinem Gesicht, als er den Glücksstein in der Hand barg und angespannt um sich blickte. Schließlich öffnete er die Kühlbox, ließ den Stein darin verschwinden und setzte sich wieder aufs Bett. Er stöhnte, vergrub das Gesicht in den Handflächen, massierte mit den Fingerspitzen Stirn und Schläfen, aber Ruhe fand er nicht.
Tolden wartete darauf, dass seine Psi-Fähigkeiten sich wieder einstellten. Da er aber weder wusste, wie der Glücksstein wirkte, noch auf welche Entfernung, vermochte er nicht zu sagen, ob seine Hoffnung sich wirklich erfüllen würde.
In der folgenden Nacht schlief er unruhig und schreckte immer wieder auf. Er träumte, und er wusste auch, dass er geträumt hatte, aber er vermochte sich nicht zu entsinnen, was. Am Morgen fühlte er sich dann matt und zerschlagen und müder als zuvor, und er hatte einen fürchterlichen Brummschädel, der nicht nur bis in die Mittagsstunden hinein anhielt, sondern zunehmend schlimmer wurde.
Hatte er sich mittlerweile so an den Glücksstein gewöhnt, dass Entzugserscheinungen die Folge waren? Tolden reagierte enttäuscht. Er war nahe daran, die Kühlbox zu öffnen und den Kristall wieder herauszunehmen. Im letzten Moment überlegte er es sich jedoch anders. Wenn die STERNENLEUCHTEN zum Stillstand gekommen war, konnte das eigentlich nur bedeuten, dass Musan'J'irkis auf ein anderes Schiff wartete.
Tolden verließ die Kabine, weil er es einfach nicht mehr aushielt. Wer an die Freiheit auf einem halbwegs urwüchsigen Planeten gewöhnt ist, dem erscheint ein enger Raum auf einem Raumschiff mitunter wie eine Zwangsjacke. Ziellos schlenderte der Daila über das Deck. Niemand begegnete ihm. Vielleicht öffnete er deshalb einige Schotte, von denen er nicht wusste, wohin sie führten. Die Kammern dahinter waren Lager für alle möglichen Ausrüstungsgegenstände – sogar Raumanzüge fand Tolden, nur war keiner groß genug, dass er ihm gepasst hätte.
Hinter dem dritten Schott, am Ende des schmalen Korridors, entdeckte er einen Raum, der für alle Belange körperlicher Ertüchtigung ausgestattet war. Die Geräte, offensichtlich noch von den früheren Besitzern der STERNENLEUCHTEN stammend, wurden wohl nie benutzt, denn sie waren für größere Wesen als die Ngomis konstruiert. Tolden konnte der Verlockung nicht widerstehen. Fast zwei Stunden lang trainierte er wie ein Besessener, während der Schweiß ihm in Strömen über den Körper rann. Die Anstrengung ließ ihn wenigstens vorübergehend vergessen, wo er sich befand, doch dann gab eines der Geräte mit einem bösartigen Krachen den Geist auf.
Tolden ahnte, was kommen würde. In Gedanken hörte er schon Chrrtls aufgebrachtes Schimpfen – für das Vogelwesen war und blieb er ein böser Geist, den man besser heute als morgen wieder loswurde. Die Frage zu stellen, wie sich Kenntnisse modernster Technik und solch antiquierte Vorstellungen vereinbarten, war müßig. Der Daila zog es jedenfalls vor, jede weitere Aufregung, die seine Person betraf, zu vermeiden. Alles war ruhig, als er das Schott nur so weit wie nötig öffnete und in den Gang hinausschlüpfte.
»Warum so vorsichtig?«, wurde er unvermittelt angesprochen.
Die beiden Echsenwesen kamen hinter ihm her. Ihre Gesichter ließen wie immer keine Regung erkennen.
Tolden wusste nicht, was er erwidern sollte. Dabei hatte er bisher nur darauf gewartet, mit irgend jemand an Bord näheren Kontakt zu bekommen. Wortlos hastete er zu seiner Kabine.
»Ein eigenartiger Kauz«, sagte eine der beiden Echsen. »Dabei glaubte ich, es sei endlich ein vernünftiges Geschöpf auf der STERNENLEUCHTEN.«
*
In der folgenden Nacht hatte der Daila erstmals wieder Träume, die er seinen hellseherischen Fähigkeiten zuschrieb, und an die er sich auch später noch erinnerte. Allem Anschein nach regenerierten sich seine Psi-Fähigkeiten, je länger er von dem Glücksstein getrennt blieb. Zugleich bedeutete das aber, dass er den Kristall nicht mehr ablegen durfte, sobald er in die Nähe von Aklard kam. Die dort lebenden Daila würden ihn sonst unweigerlich als Mutanten identifizieren und ihm die Einreise verweigern.
Die ersten Träume waren noch einigermaßen konfus. Vermutlich drückten sich in ihnen die Begegnung mit Chrrtl und das nachfolgende Dilemma aus. Eine andere Erklärung hatte Tolden jedenfalls nicht. Er sah sich mutterseelenallein inmitten einer endlosen Schlammwüste, die von Horizont zu Horizont reichte. Kein Baum, kein Strauch unterbrach die Monotonie der Landschaft, lediglich nebelartige Dunstschleier begrenzten stellenweise die Sicht. Manchmal formte sich der Schlamm, nahm Gestalt an; dann glaubte Tolden sich selbst zu erkennen. Sein Gesicht war verkrustet, die Kleidung verschmiert ...
Er erwachte schweißüberströmt und zitternd und irgendwie mit dem Gefühl, Aklard für immer verloren zu haben. Eine Weile lauschte er den spärlich gewordenen Geräuschen des Schiffes. Was hätte er jetzt dafür gegeben, das dumpfe Brummen der Konverter zu vernehmen, das ihn anfangs so gestört hatte.
Der nächste Traum ließ sich weit eher als präkognitiv einstufen. Immerhin hatte er mit der STERNENLEUCHTEN zu tun. Ein zweites Schiff, einer halbierten Kugel ähnelnd, in deren Schnittfläche sämtliche Antriebsaggregate untergebracht waren, näherte sich. Dutzende von Ersatzteilen wurden ausgeschleust und von der STERNENLEUCHTEN aufgenommen. Vor allem die beiden Echsenwesen hatten die harte Arbeit zu bewältigen, die durch die herrschende Enge keineswegs einfacher wurde.
Ein gellender Aufschrei und der folgende dumpfe Aufprall eines zentnerschweren Bauteils, der das Schiff bis in seine Grundfesten erschütterte, schreckte Tolden hoch. Im ersten Moment vermochte er nicht zu sagen, ob der Aufprall Traum oder Wirklichkeit gewesen war. Erst als alles ruhig blieb, besann er sich.
Immerhin wusste er nun, was er zu tun hatte, um das Vertrauen der Ngomis zu gewinnen.
»Aklard«, flüsterte er leise vor sich hin. »Ich komme.«
*
Eine ganze Woche verging in quälender Langsamkeit. Tolden hielt sich fast ständig in seiner Kabine auf. Nachdem er sämtliche Bücher aus seinem Gepäck gelesen hatte, begann er, seine Erlebnisse und Erfahrungen seit dem ersten Auffinden der Glückssteine auf Cirgro durch einen Daila namens Moxey niederzuschreiben. Mit Spekulationen und Vermutungen vermischt, wurde das Ganze umfangreicher, als er anfangs angenommen hatte. Aber vielleicht ließ sich das Manuskript über kurz oder lang zu Geld machen. Tolden wusste ohnehin nicht, wie er die ersten Tage auf Aklard hinter sich bringen sollte. Er besaß keinerlei Vermögen mehr und weder Freunde noch Verwandte auf der Heimatwelt, die ihm hätten weiterhelfen können. In erster Linie würde er also auf die Solidarität der Gemeinschaft angewiesen sein.
Endlich schien sich seine Vorahnung zu bestätigen. Tolden bemerkte die Ankunft des anderen Schiffes erst, als es auf dem Monitor schon in Großaufnahme zu sehen war. In der Tat besaß es die Form einer halbierten Kugel. Seine Größe war schwer zu schätzen, aber als auch Teile der STERNLEUCHTEN mit ins Bild kamen, konnte der Daila immerhin einen ungefähren Vergleich vornehmen. Demnach durchmaß die Halbkugel gute vierzig Meter.
Mindestens ebenso weit von der STERNENLEUCHTEN entfernt verharrte sie. Minuten vergingen, bis sich eine Lastenschleuse öffnete und, von Traktorstrahlen gehalten, die Bauteile eines Konverters daraus hervor schwebten. Tolden konnte zudem mehrere kleine Gestalten in Raumanzügen erkennen, bei denen es sich zweifellos um Ngomis handelte. Sie schienen die ganze Aktion zu überwachen und mittels handlicher Steuergeräte zu leiten.
Langsam näherten sich die zum Teil mehrere Quadratmeter großen Maschinenteile der STERNENLEUCHTEN.
Noch hatte er Zeit. Trotzdem verließ Tolden seine Kabine. Wie erwartet, lag dieser Teil des Schiffes ausgestorben vor ihm. Der Daila begab sich auf das oberste Deck und wandte sich dann nach mittschiffs.
Er würde den Ngomis, vor allem aber Chrrtl, zeigen, wozu ein Daila in der Lage war. Wenn sie ihn dann nicht mit anderen Augen sahen, war ihnen nicht mehr zu helfen. Sobald er an den seltsamen Aberglauben des Vogelwesens dachte, schüttelte Tolden verständnislos den Kopf.
Er näherte sich dem Hangarbereich. Blinkende Warnanzeigen verrieten, dass die Außenschleusen noch offenstanden. Solange in diesem Teil des Schiffes ein Vakuum herrschte, ließen sich die vor ihm liegenden Schotte ohnehin nicht öffnen.
Mit stoischem Gleichmut wartete Tolden. Jeden Schritt, den er tun musste, hatte er in Gedanken schon mehrmals ausgeführt. Dennoch verspürte er ein flaues Gefühl in der Magengegend; er wusste nicht, wie die Ngomis auf seine Anwesenheit reagieren würden. Viel hing davon ab, ob Chrrtl sich erneut gegen ihn stellte. Darüber hatte der Wahrtraum keine Auskunft gegeben.
Weshalb versuchte er überhaupt zu helfen, anstatt in seiner Kabine der Dinge zu harren? Tolden sagte sich, dass es die Unrast war, die ihn vorwärts trieb, dieselbe Unrast, die schon auf Cirgro sein Handeln weitgehend bestimmt hatte. Sein Leben lang war er auf der Suche gewesen – nach sich selbst (nach einer Identität, die er als Mutant nicht besaß) und nach einem Ersatz für die verlorene Heimat (die er aber auch im Kreise anderer Daila nie fand). Das Gefühl, das er dabei oft empfunden hatte, schlicht als Heimweh zu bezeichnen, hätte bedeutet, es sich zu leicht zu machen. Erst seit er den Glücksstein trug, hatte sich der dumpfe Druck in seinem Innern allmählich verloren.
Das Blinken hörte auf. Tolden benötigte einige Sekunden, um zu begreifen. Dann stürmte er vorwärts, die Linke zur Faust geballt, bis die Nägel schmerzhaft in den Ballen einschnitten.
Das Schott zum Maschinenraum glitt vor ihm zur Seite.
Tolden hastete den engen, verwinkelten Gang zwischen den raumhohen Aggregaten entlang. Bis zur ersten Gabelung waren es nur wenige Schritte. Er spürte die überraschten, teils verärgerten Blicke einiger Ngomis auf sich ruhen.
»Zurück!«, krächzte Chrrtl entsetzt. Das Vogelwesen stand auf der Plattform des demontierten Konverters in einigen Metern Höhe und wartete auf die neuen Bauteile.
Musan'J'irkis war ebenfalls anwesend. »Bleib, wo du bist!«, rief er. Das stabförmige Gerät in seinen Händen – eine Waffe? – zielte auf den Daila.
Er würde es nicht wagen, innerhalb des Maschinenraums zu schießen. Tolden warf sich förmlich nach vorne. Im selben Augenblick drückte der Kommandant auf den Auslöser des Stabes. Ein flirrendes Energiefeld, wie es benötigt wurde, um Maschinenteile auf den Bruchteil eines Millimeters zusammenzufügen, entstand vor Tolden. Der Daila spürte einen zähen Widerstand, aber dann war er bereits hindurch, noch bevor das Feld sich gänzlich stabilisiert hatte.
Die beiden Echsenwesen näherten sich mit der oberen Abdeckung des Konverters, die sie mittels gerichteter Antigravstrahlen im Gleichgewicht hielten. Bedingt durch die herrschende Enge gab es keine andere Transportmöglichkeit. Hinter den beiden sah Tolden weitere Ngomis kommen.
Jeden Moment musste es geschehen.
Er hörte seinen Namen rufen. Das war Musan'J'irkis. Der Kommandant folgte ihm. Aber ausgerechnet jetzt durfte er sich nicht ablenken lassen.
»Verschwinde!«, schrie Tolden.
Nahezu im selben Augenblick fiel eines der Antigravgeräte aus unerfindlichen Gründen aus. Vielleicht ein Bedienungsfehler des offensichtlich erschrockenen Echsenwesens. Einen spitzen, heiseren Aufschrei ausstoßend, machte es zwar zwei Schritte zurück, blieb dann aber vor Entsetzen gelähmt stehen und starrte aus schreckgeweiteten Augen auf das langsam kippende Konverterteil.
Entschlossen packte Tolden zu und zerrte den Mann mit sich. Nicht eine Sekunde zu früh. Denn unmittelbar neben ihnen krachten etliche Zentner Stahl mit ohrenbetäubendem Dröhnen auf den Boden. Ein Wimmern und Ächzen pflanzte sich in alle Richtungen fort.
Tolden war wie benommen. Zögernd stemmte er sich auf Knien und Ellbogen hoch.
»Er allein ist schuld!«, vernahm er Chrrtls aufgeregtes Keifen. »Ich habe euch gesagt, er bringt Unglück.«
Die Ngomis umringten ihn. In einigen Gesichtern las Tolden Zorn und Verbitterung. Sie besaßen noch keine Erklärung für das, was eben geschehen war, aber sie hatten genug gesehen und gaben dem Daila die Schuld daran.
Das Echsenwesen stellte sich schützend vor Tolden.
»Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich noch lebe. Lasst ihn also in Ruhe.«
»Unsinn«, wehrte Musan'J'irkis ab. »Du stehst noch unter Schock, Torressam. Sonst würdest du erkennen, dass der Daila gewusst haben muss, was geschehen würde. Schließlich war er im richtigen Moment zur Stelle.« Er wandte sich an Tolden: »Bei uns ist es seit alters her Recht, dass ein Beschuldigter angehört wird.«
»Seine Sabotage ist schändlich misslungen«, kreischte Chrrtl.
»Ich wusste, was geschehen würde ...«, sagte Tolden.
Ein Raunen brandete auf. Es klang drohend. Vergeblich versuchte der Daila, weiterzusprechen, aber erst als Musan'J'irkis um Ruhe heischte, wurde es leiser.
»... deshalb bin ich hierhergekommen«, fuhr Tolden fort. »Um ein Unglück zu verhindern.«
»Nur Scharlatane besitzen die Gabe, in die Zukunft zu sehen«, rief jemand. »Und ...« Das Wort hing inhaltsschwer im Raum.
»Sprich es ruhig aus«, verlangte Tolden. »Ich bin kein Dämon, falls solche Geschöpfe aus der Phantasie rückständiger Völker überhaupt existieren. Ich habe geträumt, was geschehen würde, schlicht und einfach geträumt.«
Chrrtls Gelächter sollte anstachelnd klingen. Es fand jedoch kaum Beachtung.
*
An Bord der STERNENLEUCHTEN herrschte Waffenstillstand, wenn man es so bezeichnen wollte. Im Gegensatz zu Chrrtl war Tolden mit diesem Zustand immerhin zufrieden. Obschon er sich mehr erwartet hatte, genügte es ihm, unbehelligt bis in die Nähe von Aklard gebracht zu werden. Mehr hatte er von Anfang an nicht gewollt. Und auf Marigans Planet, dem Ziel der Ngomis, würde er zweifellos Arbeit und ein Schiff nach Aklard finden.
Nahezu zehn Tage hatte die Reparatur des Triebwerks in Anspruch genommen, zwei weitere Wochen währte nun schon die Fortsetzung des Fluges. Dabei wurde die Geschwindigkeit der STERNENLEUCHTEN erst allmählich gesteigert und erreichte noch längst nicht die alten Werte.
»Vielleicht wird unser Frachter nie wieder so schnell sein wie zuvor«, hatte Musan'J'irkis irgendwann zu verstehen gegeben. »Nach jedem größeren Defekt haben die Aggregate an Leistung verloren.«
Es gab Tage, an denen Tolden allein sein wollte und seine Kabine überhaupt nicht verließ. Meist kurz darauf hielt er sich aber stundenlang in der Zentrale auf und studierte die dortigen Sternenkarten. Die Entfernung nach Aklard schrumpfte langsam. Wenn die STERNENLEUCHTEN ihren Kurs unverändert beibehielt, würde sie lediglich noch zwei Sonnensysteme passieren.
»Hat Chrrtl sich endlich beruhigt?«, wollte Tolden vom Kommandanten wissen.
»Du darfst seine Vorurteile ruhig auf die leichte Schulter nehmen.« Musan'J'irkis grinste wissend. »Er wird sich wohl nie ändern. Aber jeder braucht irgend etwas, woran er glauben kann, selbst wenn es der größte Blödsinn ist.«
Tolden nickte flüchtig. Er dachte daran, dass die Ngomis noch vor wenigen Tagen nahe daran gewesen waren, Chrrtls Argumentation zu übernehmen. Die dünne Tünche der Zivilisation blätterte mitunter eben verdammt schnell ab.
Tolden begann zu schwitzen. Dabei war die Klimaanlage auf eine durchaus erträgliche Temperatur eingestellt.
»Was ist mit dir?«, fragte Musan'J'irkis und bedachte ihn mit einem forschenden Blick.
Ein eigenartiges Brennen breitete sich auf Toldens Brust aus. Als hätte jemand ein glühendes Zündholz auf der Haut ausgedrückt.
»Du hast doch etwas«, forschte der Kommandant weiter.
Tolden schüttelte den Kopf. »Mir ist nicht besonders gut, das ist alles.« Mit der Hand fuhr er unter die Kombination. Gleich darauf musste er sich einen Schrei verbeißen, hatte er doch das Gefühl, sich die Finger verbrannt zu haben.
Der Schmerz auf seinem Brustbein wurde zunehmend stärker. Nur der Glücksstein konnte die Ursache dafür sein.
Tolden glaubte, abwechselnd blass und blutrot zu werden. »Ich werde mich hinlegen«, stieß er gepresst hervor und wandte sich zum Gehen, bevor der Kommandant weitere Fragen stellen konnte.
Ihm blieb keine Zeit, aufzuatmen, als das Zentraleschott hinter ihm zuschlug; das Brennen breitete sich rasch weiter aus. Tolden begann zu rennen. Er hatte seine Kabine noch nicht einmal erreicht, als er sich bereits des Oberteils der Kombination entledigte.
Zum Glück begegnete ihm niemand. Ein rötliches Glühen strahlte von seiner Brust aus; der Glücksstein hatte zu pulsieren begonnen. Während das Blut dröhnend durch Toldens Schläfen pochte, wurde das Leuchten im Rhythmus seines Herzschlags intensiver.
Er biss die Zähne zusammen. Endlich – das Schott zur Kabine. Er stürmte hindurch, kaum dass es sich weit genug geöffnet hatte. Erleichtert riss er sich den Glücksstein samt Kette vom Hals. Nur der Stein glühte vor Hitze. Auf der Brust hatte er eine handtellergroße, fast schon weiße Brandwunde hinterlassen.
Vergeblich fragte Tolden sich, wodurch der Kristall zu einer derartigen Reaktion angeregt wurde. Das Pulsieren war ihm unheimlich.
Mit fliegenden Fingern öffnete er die Kühlbox und warf den Glücksstein hinein. Anschließend begann er, in seinem Rucksack nach einem schmerzlindernden Medikament zu suchen.
Ein fauchendes Geräusch, als würde jemand mit einem Schweißbrenner hantieren, ließ ihn herumfahren. Was er sah, entlockte ihm einen entsetzten Aufschrei.
Das rote Leuchten breitete sich aus. Die vordere Verkleidung der Kühlbox war zu einem bizarren Metallklumpen zusammengeschmolzen. Die flüssige Legierung tropfte in stetem Rinnsal auf den Boden, wo sie blasenwerfend verdampfte.
Tolden glaubte, seinen Augen nicht mehr trauen zu dürfen. Doch weder sein Blinzeln noch das energische Kopfschütteln änderten etwas daran, dass der glühende Stein langsam aus dem Innern des Kühlaggregats hervorschwebte. Die Kette hing schlaff herab.
»Nein!«, stammelte Tolden. »Nein! Was soll das?«
Ausgerechnet ihn hatten die unfassbaren Kräfte, die den Stein bewegten, sich als Ziel ausgesucht. Der Daila wich zurück, bis er die Wand im Rücken spürte. Sein Hals war wie zugeschnürt, er bekam kaum mehr Luft.
Keine zwei Handbreit vor seinem Gesicht verharrte der Glücksstein.
Auf einmal erschien Tolden die Bezeichnung wie der blanke Hohn. Wie viel Glück hatte der Kristall ihm bislang wirklich gebracht?