Читать книгу Die Geschichte Hessens - Hans Sarkowicz - Страница 7
Von der Steinzeit bis zur Herausbildung Hessens
Оглавление»Da die Urgeschichte keine schriftlichen Nachrichten hinterlassen hat«, schreibt der Archäologe Lutz Fiedler, »ist es unmöglich, irgendwelche Bedürfnisse, Motive oder Schicksale einzelner oder bestimmter Gruppen zu erfahren. Sie bleiben anonym, unsere Fragen richten sich daher nach dem Allgemeinen«1. In der Tat haben Archäologen keine leichte Aufgabe, wenn sie den Ursprüngen der Menschheit nachforschen und verlässliche Informationen gewinnen wollen. Sie sind auf kleinste Hinweise angewiesen, auf Funde im Geröll, auf dunkle Schatten im Erdboden, die auf organische Verfüllungen hindeuten, auf Grabbeigaben und natürlich immer wieder auf Tierknochen und Pflanzenreste, die Rückschlüsse auf die Lebensbedingungen der frühen Menschen zulassen. Die Archäologen und ihre Kollegen von der Vor- und Frühgeschichte versuchen uns aus dem Wenigen, das ihnen zur Verfügung steht, ein möglichst plastisches Bild von dem Lebenskampf zu zeichnen, den unsere Vorfahren in ihrer noch kurzen Lebensspanne zu bestehen hatten. Wer einmal einen in der Regel wenig spektakulären Ausgrabungsort besucht hat, wird später mit Hochachtung vermerken, welche Erkenntnisse die Forscher aus dem Wenigen gewinnen konnten.
Wir gehen heute davon aus, dass noch affenähnliche Lebewesen vor etwa 2,5 Millionen Jahren mit der Herstellung von Werkzeugen begonnen haben. Das war der erste wichtige Schritt auf dem langen Weg zum modernen Menschen. Der Ursprung des Menschen liegt aber noch viel weiter in der Vergangenheit. Funde in Afrika deuten auf eine Zeitspanne von mindestens fünf Millionen Jahre hin, wenn nicht sogar auf sieben Millionen Jahre oder noch mehr. In Hessen scheinen die ältesten Menschen, der Homo erectus, vor rund 500 000 Jahren gelebt zu haben. Einfache Steinwerkzeuge, die bei Münzenberg in der Wetterau gefunden wurden, werden entsprechend datiert. Danach waren die ersten Hessen Jäger und Sammler, die in einfachsten Behausungen lebten, sich, wie in den gängigen Vorstellungen von Steinzeitmenschen, in Felle kleideten und schon das Feuer kannten. Sie jagten mit Fallgruben und Holzlanzen. Damit wagten sie sich selbst an große Tiere heran, wie an Mammut, Bär und Wollnashorn, die dann mit primitiven Steinwerkzeugen zerlegt wurden. Für die Zeit vor 300 000 bis etwa 100 000 Jahren sind mehrere Siedlungsplätze in Hessen belegt, etwa im nördlichen Vogelsberg, in der Schwalm und in der Waberner Senke. Sie zeigen, dass sich die Jagdgruppen gern an Flussufern niederließen, schon in zeltartigen Hütten wohnten und selbst eiszeitliche Kaltphasen überstehen konnten.
Aus dem Homo erectus entwickelte sich der Neandertaler, der sich in Hessen erstmals vor 120 000 Jahren nachweisen lässt. Besonders gut untersucht ist eine Jagdstation bei Edertal-Buhlen, die auf einem kleinen Vorsprung an der Netze lag und offenbar über einen längeren Zeitraum als Rastplatz diente. Die Werkzeuge aus Kieselschiefer, Karneol und Quarzit wurden dabei im Lauf der Zeit immer weiter verfeinert. Aus Funden außerhalb Hessens wissen wir, dass die Neandertaler schon Bestattungsriten kannten. Ob dabei auch religiöse Vorstellungen eine Rolle spielten, ist allerdings nicht bekannt und wird wohl auch nie mit Sicherheit nachgewiesen werden können.
Vor etwa 40 000 Jahren tauchten in Europa die ersten modernen Menschen auf, die als Cro-Magnon bezeichnet werden. »Der Jetztmensch scheint plötzlich da zu sein«, so Lutz Fiedler. Er kam vermutlich wieder aus Afrika. Vor ca. 500 000 Jahren hatten sich die Entwicklungslinien von Mensch und Neandertaler getrennt. Trotzdem unterscheidet sich das Erbgut eines Neandertalers von dem eines modernen Menschen nur um 0,2 %. Trotz dieser so geringen Abweichung starb der Neandertaler vor ca. 30 000 Jahren aus. Die Ursachen dafür sind bis heute ungeklärt. Jüngste Forschungen haben allerdings nachgewiesen, dass es zu sexuellen Kontakten zwischen beiden Gattungen gekommen sein muss. Auch wenn das gemeinsame genetische Erbe nur einen Bruchteil heutiger europäischer und asiatischer Menschen ausmacht, so handelt es sich bei der Entdeckung doch um eine Sensation. Eine Vermischung war schließlich noch bis vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten worden.
Der moderne Mensch entwickelte neue Bearbeitungstechniken für Stein-, Knochen- und Geweihgeräte, er schuf neue Formen von Jagdwaffen, wie eine Speerschleuder, deren Reste in der Wildhaus-Höhle bei Steeden an der Lahn gefunden wurden, er nähte sich Kleidung und betätigte sich, wohl noch in einem sehr bescheidenen Maß, auch künstlerisch. So war er gut gerüstet für die tiefgreifenden klimatischen Änderungen am Ende der letzten Eiszeit vor ca. 10 000 Jahren.
»Lichte Birken-Kiefern-Wälder entstehen, und aus einer fast baumfreien Landschaft entwickelt sich eine Parktundra ähnlich der heutigen sibirischen Taiga. Die großen Eiszeitdickhäuter Mammut und Wollnashorn sterben aus, sicher nicht ganz ohne Zutun des Menschen, und Rentierherden, Wildpferdgruppen, aber auch Waldtiere wie Ur und Rothirsch sind die Bewohner dieser Landschaft. Der Mensch reagiert auf diese Umstellung mit Veränderungen von Verhaltensweisen und Techniken, […] Zugeschnittene und genähte Kleidung, Werkzeugkonstruktionen aus verschiedenen und aufeinander abgestimmten Materialien, verschiedene Wege der Nahrungskonservierung und Vorratshaltung, verschiedenartig perfektionierte Jagdmethoden und Wege des Fischfanges sind Teil der erworbenen Praktiken, deren Kenntnisse jetzt dem Menschen zur notwendigen Flexibilität verhalfen.« 2