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Der Keltenfürst vom Glauberg

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Etwa um 500 vor der Zeitenwende trat in Hessen eine Bevölkerungsgruppe auf, die nicht mehr nach ihren Bestattungssitten oder den Formen ihrer Keramik benannt wird, sondern bei griechischen und römischen Geschichtsschreibern »Kelten« bzw. »Gallier« heißt. Mit ihnen beginnt die späte Eisenzeit oder Latène-Zeit (nach einem Fundort am Neuenburger See). Als Kernland der Kelten gilt das südliche Mitteleuropa, aber auf ihren Wanderungen und Kriegszügen kamen sie bis nach Spanien, in die Türkei, nach Italien, Frankreich und den britischen Inseln. Die Kelten hatten keine eigene Schrift. Ihre Überlieferung, vor allem von religiösen Bräuchen und Mythen, erfolgte mündlich. Schon deshalb haben sich von den Kelten in Hessen keine Stammesnamen erhalten. Aus zahlreichen Funden im mittleren und südlichen Hessen wissen wir, dass besonders zum Mittelmeerraum intensive Handelsbeziehungen unterhalten wurden. Von dort kamen u. a. Schmuck und edle Gefäße. Der wichtigste Fundort in Hessen und wohl auch darüber hinaus ist der Glauberg bei Büdingen, der vom 5. Jahrtausend v. Chr. bis ins hohe Mittelalter besiedelt war. In frühkeltischer Zeit umgab ihn eine Mauer aus Holz, Steinen und Erde. Das deutet darauf hin, dass der Glauberg in dieser Zeit schon ein Fürstensitz war. Am Fuß und im Vorfeld des Berges wurden ein großer Grabenring um einen (unterdessen verflachten) Hügel und eine zehn Meter breite »Straße« entdeckt, die über 350 Meter Länge zum Hügel führt. Die beteiligten Wissenschaftler deuten die Anlage als frühkeltisches Zentralheiligtum mit Prozessionsstraße aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert. Im Inneren des ursprünglich sechs bis sieben Meter hohen Hügels wurden zwei mit Schmuck und Waffen üppig ausgestattete Gräber aufgedeckt, die zu den reichsten in ganz Mitteleuropa zählen. Aber die eigentliche Sensation fand sich nicht in den Grabhügeln, sondern nordwestlich davon in einem Graben. Es war die lebensgroße, aus Sandstein gearbeitete Statue eines keltischen Kriegers mit einer so genannten Blattkrone. Nur die Füße fehlten. Außerdem fanden sich Bruchstücke von drei weiteren Statuen. Kleidung, Schmuck und Bewaffnung, die auf der Statue dargestellt werden, ähneln der Ausstattung der Toten in den beiden Gräbern.

»Es könnte sich«, vermutet Fritz-Rudolf Herrmann, der die Ausgrabungen leitete, »um vergöttlichte Ahnherren, Heroen, handeln, oder es waren Götterbilder dargestellt«. In ihrem zeitlichen Umfeld seien sie »als vollplastische, freistehende Bildwerke einzigartig. Etwa zeitgleiche Darstellungen, von denen es sowieso nur fünf Beispiele gibt, sind blockhafte Sitzstatuen oder Pfeilerdenkmäler mit menschlichen Attributen«6. Als Grundlage für den Reichtum der Keltenfürsten vom Glauberg vermutet Herrmann die Salzgewinnung in dem nur 20 Kilometer entfernten Bad Nauheim. Das aus Sole gewonnene Salz war eine begehrte Handelsware. Das Herrschaftsgebiet der Keltenfürsten könnte sich »von Fulda/Werra im Norden bis zum Neckar im Süden, vom Rhein im Westen bis zum Thüringer Wald im Osten«7 erstreckt haben. Das jedenfalls legen Honigreste nahe, die aus einer im ersten Grab gefundenen Schnabelkanne stammen.


Die Statue des Keltenfürsten aus der Keltenwelt am Glauberg

Am Glauberg ist die Gesamtanlage unterdessen rekonstruiert worden. Das 2011 eröffnete Museum präsentiert die Funde in einer eindrucksvollen Ausstellung. In dem archäologischen Park, der ebenfalls zur »Keltenwelt« gehört, befinden sich u. a. ein rekonstruierter Grabhügel, »mysteriöse« Wall-Grabensysteme und Wehranlagen aus frühkeltischer Zeit. In den Museumskomplex integriert ist ein eigenes Forschungszentrum, denn noch sind viele Fragen zu der monumentalen frühkeltischen Anlage und zum Keltenfürsten selbst nicht beantwortet.

In der späten Latènezeit kam es zu einem weiteren kulturellen Höhepunkt. Nach dem Vorbild der großen Städte im Mittelmeerraum entstanden die keltischen »Oppida«. Das waren befestigte Stadtanlagen auf Bergen, die wahrscheinlich bis zu 30 000 Menschen beherbergen konnten. Die bedeutendsten Keltenstädte in Hessen waren das Heidetränk-Oppidum bei Oberursel, wiederum der Glauberg, die Dornburg bei Frickhofen, der Dünsberg bei Gießen, die Milseburg in der Rhön, die Altenburg bei Niedenstein und die bisher kaum erforschte Amöneburg. In den mit Mauern und Wällen gesicherten Anlagen entwickelte sich eine städtische Zivilisation mit Handel, Handwerk, Gerichtsbarkeit und Münzwesen. Außerdem dienten die Oppida der Landbevölkerung als eine Art Fluchtburg in Kriegszeiten. Das erklärt auch die gewaltigen Dimensionen der keltischen Städte. So umschloss das Heidetränk-Oppidum eine größere Fläche als das frühneuzeitliche Frankfurt.

Diese spätkeltischen Städte wurden spätestens im ersten vorchristlichen Jahrhundert verlassen. Den von der Elbe und Oder einwandernden Germanen scheinen sie wenig entgegen gesetzt zu haben. Der Umschwung zur germanischen Prägung müsse, so Albrecht Jockenhövel, »sehr kurzfristig, innerhalb einer Generation, erfolgt sein, sodass er mit archäologischen Zeitmitteln kaum erfasst werden kann«8. Da weder Kelten noch Germanen über eine Schriftkultur verfügten, wird es für immer im Dunklen bleiben, wie sich die germanische Landnahme wirklich abspielte. Wahrscheinlich sind Überlagerungen. Aus »Restkelten« und Germanen dürften neue Stammesverbände entstanden sein. Eine deutliche Trennung zwischen Kelten und Germanen, wie sie die römischen Geschichtsschreiber nahelegen, dürfte es nicht gegeben haben, dafür aber kelto-germanische Verbände, in denen die germanischen Kultureinflüsse immer stärker wurden.

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