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Fallbeispiel
ОглавлениеEin Team von acht Kolleg*innen sitzt zusammen in einer Fallsupervision12. Der vorgestellte Fall zeigt sich als sehr komplex. Die Anwesenden wirken angestrengt denkend. Die Fachkräfte, die den Fall vorstellen (Falleinbringer*innen), erhoffen sich neue Anregungen von ihren Kolleg*innen. Der Hilfeverlauf ist aus ihrer Sicht periodisch geprägt von schwierigen Phasen und Entwicklungen, kurzen Pausen, dann der nächsten große Herausforderung für die Familie und die Helfer*innen. Erste Hypothesen, um diese Struktur zu verstehen, werden in der Runde formuliert. Es werden Stühle hörbar verrückt, es wird laut ausgeatmet. Hypothesen werden wieder verworfen. Der Supervisor provoziert, lockt, motiviert mit Perspektivwechseln. Das Team kommt in Bewegung. Die Aussagen und Einschätzungen der einzelnen Kolleg*innen sind sehr unterschiedlich. Es besteht die Offenheit in der Runde, diese auch formulieren zu können und nebeneinander im Raum zu haben. Letztlich bewegt alle die zentrale Frage: Warum ist der Kontakt zwischen Familie und Helfer*innen nicht kontinuierlich vorhanden?
Es fällt auf, dass die Eltern nach Bewältigung einer Krise den Kontakt zu den Helfer*innen unterbrechen, obwohl die nächste, zumindest schwierig erscheinende Situation schon ›an die Tür klopft‹. Die Verabredungen mit dem Sohn verlaufen weiterhin kontinuierlich. Der Supervisor fragt nach der Qualität der Begegnung in den Beratungsgesprächen mit den Eltern und nach der Intensität des Kontakts während der Hausbesuche. Er fragt nach der Gestaltung der Arbeitsbeziehung zum Sohn der Familie. Die Falleinbringer*innen erzählen von der Schwierigkeit, mit dem hohen Widerstand des Vaters und seiner aggressiven Art in der Kommunikation umzugehen. Das ist ein Ansatzpunkt für eine detaillierte Betrachtung. Eine Helferin beschreibt den Ablauf eines Beratungsgesprächs während eines Hausbesuchs genauer, bei dem es zu einem lautstarken Streit zwischen Vater und Sohn kam und sie sich handlungsunfähig fühlte. Mit Hilfe eines Rollenspiels wird versucht, ihr professionelles Handeln in dieser Situation kritisch zu durchleuchten. Für die Fachkraft ist es nicht leicht, das eigene Handeln zur Disposition zu stellen. Sie erlebt es jedoch als lehrreich und weiterführend.
In der Auswertung der Supervision bleiben die Einschätzungen der Kolleg*innen bezüglich des weiteren Hilfeverlaufs verhalten. Es wird wenig Positives, sondern eher Skepsis zur zukünftigen Mitwirkungsbereitschaft des Vaters geäußert. Die Helferin entwickelt nun den Eindruck, ›ihre‹ Familie gegen ihre Kolleg*innen verteidigen zu müssen. Die Supervision gerät in unruhiges ›Teamgewässer‹. Grundsatzfragen gewinnen Oberwasser. Es wird gefragt:
• Wie solidarisch begleiten wir die Familie?
• Wie kann der Kontakt zur Familie aufgebaut und gestaltet werden?
• Wie kann der Widerstand des Vaters verstanden und wie kann diesem begegnet werden?
• Verlieren wir den Sohn aus dem Blick, weil der Widerstand des Vaters uns so beschäftigt?
• Beteiligen wir alle Mitglieder der Familie am Hilfeprozess?
• Akzeptieren wir den Eigensinn der Familie, der Eltern, der Kinder?
• Nehmen wir ihre Lebenswelt angemessen zur Kenntnis?
• Begreifen wir ihre Kultur?
• Sind wir im Dialog, sind wir im Austausch miteinander?
Es wird bis zum bevorstehenden Ende der Supervision diskutiert. Langsam wird es still im Raum. Die Positionen wurden ausgetauscht, es wurde laut gestritten, Köpfe wurden geschüttelt, um Verständnis wurde gerungen. Manche Fragen wurden beantwortet, andere bleiben offen. Es gab einen Perspektivwechsler, der die Rolle des Vaters einnahm und damit zum Verständnis von dessen Äußerungen und Handlungen beitrug. Dabei wurden berührende Sätze formuliert und neue Blickwinkel eröffnet, neue Überlegungen wurden möglich. Die Familienhelfer*innen konnten ihre Arbeit innerhalb der Familie kritisch betrachten. Für die nächsten vier Wochen wurde ein Handlungsplan erarbeitet, den sie in der folgenden Fallsupervision überprüfen wollen. Die Familienhelfer*innen überlegen, die Familie dazu einzuladen.
In der Auseinandersetzung wurden Grundfragen der Haltung, des persönlichen Anliegens sowie der Motivation wiederholt neu aufgegriffen und kritisch diskutiert. Obwohl dieser Prozess länger andauern kann, muss die Arbeit mit der Familie – vielleicht schon im direkten Anschluss an die Supervision – fortgesetzt werden. Dies kann nur gelingen, wenn die Familienhelfer*innen sich als handlungsfähig einschätzen, um einen konstruktiven Auseinandersetzungsprozess mit dem Vater und den weiteren Familienmitgliedern zu gestalten und dabei das Kind in der Familie immer im Fokus ihres Handelns haben.