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Vorwort
ОглавлениеAls der Kohlhammer Verlag vor einigen Jahren die Anfrage an uns richtete, ein einführendes Lehrbuch zur ambulanten Sozialpädagogischen Familienhilfe in einem überschaubaren Umfang zu schreiben, sagten wir sofort zu, ist doch die einzelfallbezogene Arbeit mit Familien ein wesentlicher und anspruchsvoller Arbeitsbereich der Kinder- und Jugendhilfe, in dem inzwischen viele Menschen beruflich tätig werden. In diesem vollziehen sich seit seinen Anfängen bis in die Gegenwart hinein enorme Entwicklungen. Die Sozialpädagogische Familienhilfe ist unmittelbar mit den Anfängen der modernen Sozialen Arbeit Anfang des 20. Jahrhunderts verbunden, steht für deren Entwicklung von einer ehrenamtlichen zu einer professionellen Tätigkeit und bildet spätestens seit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG/SGB VIII) ein zentrales Arbeitsfeld, das sich immer noch in Expansion befindet. Neben einem Aufschwung an quantitativem Umfang, methodisch-fachlichem Handeln und der Qualifizierung von Fachkräften zeigten sich in den letzten Jahren jedoch auch gestiegene Erwartungen von Seiten der Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung an die professionellen Leistungen und Resultate dieser Hilfeform. Diese sind unmittelbar mit der Sensibilisierung der Gesellschaft für ein gesundes Aufwachsen von Kindern, deren Wohl und deren Schutz verbunden. Familien werden in diesem Kontext durch verschiedene staatliche Investitionen gefördert, aber auch mit einem gewissen Misstrauen betrachtet. Dabei können nicht nur Familien, sondern auch die Fachkräfte, die in der Sozialpädagogischen Familienhilfe tätig sind, unter einen Druck geraten. Zum einen, da u. a. gesellschaftlich erzeugte oder zumindest begünstigte Not- und Problemlagen von Familien individuell bearbeitet und bewältigt werden sollen. Dies gelingt nicht allen Familien, auch nicht mit sozialpädagogischer Unterstützung. So entstehen Widersprüche und Ambivalenzen, die es professionell zu reflektieren und auszuhalten gilt. Zudem reicht der Ressourceneinsatz in vielen Kommunen der Bundesrepublik Deutschland (BRD) zur Erledigung der vielfältigen Aufgaben und Erwartungen an eine Verbesserung der Lebenssituation von Familien nicht aus. Zum anderen wird zielgerichtetes zügiges fachliches Handeln vorausgesetzt bspw., um Familien in Krisen und bei Problemlagen zu unterstützen oder um Kinder bei Gefahren und Gefährdungen adäquat zu schützen.
In der Arbeit mit Familien handelt es sich um ein komplexes Geschehen, das selbst von erfahrenen Fachkräften häufig nicht auf einen Blick erfasst werden kann. Sozialpädagogische Familienhilfe benötigt Zeit sowie die umfassende Beteiligung und Zusammenarbeit mit der jeweiligen Familie. Sie ist auf die Gestaltung von Prozessen angewiesen, die nicht durchgängig planbar sind. Denn: Familien sind lebende Systeme, die – wie allgemein bekannt – nicht trivial beeinflusst, bearbeitet und von außen gesteuert werden können, wenn nachhaltige Verbesserungen das Ziel von Hilfeeinsätzen sind. Sie verfügen über Eigenlogiken und Routinen, die es zu verstehen gilt – auch gemeinsam mit den Familien. Sie haben zumeist eine nicht sichtbare äußere Grenze gegenüber der Außenwelt, die in einem anthropologischen Sinne auch als ein natürlicher Schutz verstanden werden kann. So bedarf es zunächst einer Öffnung von Familien bzw. Familiensystemen, damit Fachkräfte überhaupt einen Zugang zu diesen bekommen, in den Austausch treten, Mitarbeit erwarten und hilfreich sein können. Familien bzw. einzelne Familienmitglieder leisten dabei nicht selten Widerstand, wehren sich gegenüber äußerer Beeinflussung und tragen intern und extern Konflikte aus. Von diesen und weiteren Phänomenen wissen Familienhelfer*innen zu berichten, die in Fort- und Weiterbildungen spezielles Wissen über Familien, deren Dynamiken und deren Veränderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten erworben haben. Familienhilfe ist demnach sehr anspruchsvoll.
Dieser Tatsache soll in diesem Buch entsprochen werden. Dieses Buch richtet sich ganz bewusst an Studierende, Berufsanfänger*innen und so genannte Quereinsteiger*innen, die mit einer akademischen Ausbildung auf Bachelorniveau, jedoch ohne eine spezialisierte Fort- bzw. Weiterbildung in der ambulanten Sozialpädagogischen Familienhilfe tätig werden (wollen). Aber auch für interessierte erfahrene Kolleg*innen soll das Lehrbuch eine anregende Lektüre sein. Es setzt an dem Erleben der Fachkraft in der Sozialpädagogischen Familienhilfe und deren Verortung im professionellen Arbeitsfeld an. Es hat das Ziel, fachliches Wissen in der Arbeit mit Familien zu vermitteln, Auseinandersetzungs- und Reflexionsprozesse der Fachkräfte u. a. mit den eigenen Haltungen, den gesellschaftlichen Bedingungen und dem beruflichen Kontext anzuregen sowie methodisches Handwerkszeug zur Bearbeitung verschiedener Aufgaben und Fragestellungen an die Hand zu geben.
Dieses einführende Lehr- und Praxisbuch soll sowohl für den Einsatz in Lehrveranstaltungen im Bachelor-Studium als auch für das Selbststudium, innerhalb und außerhalb der Hochschullehre, tauglich sein. Dabei kann es systematisch begleitend, aber auch in der Lektüre der Einzelkapitel vertiefend verwendet werden. Einzelne Themenbereiche der ausgearbeiteten Kapitel können auch für interne Fortbildungen in der Praxis genutzt werden.
Wir, die Autor*innen, sind ein Team, deren Mitglieder alle im Bereich der Sozialpädagogischen Familienhilfe beschäftigt waren bzw. sind. Wir sind in der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, bei öffentlichen oder freien Trägern, in der Forschung, in der Hochschulbildung sowie der Qualitätsentwicklung tätig. Bei der konzeptionellen Erarbeitung des Lehr- und Praxisbuches haben wir zunächst unsere eigenen Erfahrungen und Wissensbestände mit diesem Arbeitsfeld gesammelt und reflektiert. Im Ergebnis haben wir uns beim Aufbau des Buches an dem Verlauf der ambulanten Sozialpädagogischen Familienhilfe orientiert. Dies ist eine Perspektive, die vor allem den Prozess der Familienhilfe in den Fokus nimmt, da dieser – im nebeneinander mit den Anforderungen Planen, Steuern und Managen – den Kern der sozialpädagogischen Arbeit bildet. Zusammengefasst geht es um den Beginn, den gemeinsamen Arbeitsprozess und den Abschluss in der sozialpädagogischen Arbeit mit Familien unter Berücksichtigung des notwendigen Hintergrundwissens bspw. über rechtliche Zusammenhänge und Administration. In der Zusammenstellung der Inhalte haben wir darauf verzichtet, einzelne ›Schulen‹ der Familienhilfe zu referieren. Wir haben hingegen ›schulenübergreifend‹ die aus unserer Sicht wesentlichen Wissensbestände zu den einzelnen Phasen der Familienhilfe und jeweils methodisches Handwerkszeug zusammengetragen. Letzteres kann direkt von den Leser*innen erprobt werden. So ist unsere Auswahl einerseits – im positiven Sinne – eklektisch, wie eben auch die Praxis sich als solche abbildet. Andererseits war es unser Anliegen, einem beteiligungsorientierten dialogischen Ansatz in der Arbeit mit Familien, der in verschiedenen ›Schulen‹ enthalten ist, zu folgen. Dieser ist aus unserer Sicht das tragende Element der Sozialpädagogischen Familienhilfe, das in den rechtlichen Rahmenbedingungen der BRD, in ganz verschiedenen methodischen Ansätzen sowie den Verfahrensregelungen eine Verortung hat. Nicht zuletzt entspricht dieser Ansatz einer an demokratischen Grundsätzen orientierten Sozialen Arbeit, die Eltern und Kinder in jeder Lebenssituation als mit subjektiven Rechten ausgestattete Bürger*innen und Akteur*innen ihrer Entwicklung begreift. Dieser Ansatz erfordert ein beteiligungsorientiertes Herangehen an sozialpädagogische Prozesse, denn das ist Voraussetzung für positive und nachhaltige Veränderungen im Leben von Kindern und Eltern.
Ausführungen, wie in einem solchen vom Seitenumfang her begrenzten Lehrbuch, bleiben unvollkommen. Dies müssen wir aushalten und erheben deshalb keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wir gehen jedoch davon aus, dass wir die Grundzüge und Systematik des Arbeitsfeldes der ambulanten Sozialpädagogischen Familienhilfe nachvollziehbar dargestellt haben und das Buch dazu beiträgt, in der praktischen Tätigkeit als Familienhelfer*in Orientierung, Wissen, Reflexionsanstöße und Handwerkszeug zu finden.
Wir freuen uns über Anregungen und Verbesserungsvorschläge!
Regina Rätz, Axel Biere, Ute Reichmann,
Hans-Ullrich Krause, Sibylle Ramin
Berlin und Göttingen, 2020