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Warum es unabdingbar ist, eine professionelle Haltung zu haben und vertreten zu können
ОглавлениеSozialarbeiterische Themen sind eng mit gesellschaftlichen Diskursen verbunden. Wie bspw. Erziehung in Familien betrachtet wird, wie Notlagen von Familien eingeschätzt werden oder wie elterliches Versagen beim Schutz ihrer Kinder diskutiert wird, ist nicht einmalig geklärt, sondern wird öffentlich und fachbezogen immer wieder neu verhandelt. Es gibt darüber keinen Konsens, der einmalig hergestellt werden kann. Sehr unterschiedliche Meinungen und Überzeugungen versuchen auf politischer Ebene, je nach ›Wetterlage‹, an Einfluss zu gewinnen. So gab es seit Bestehen der Bundesrepublik Phasen, in denen bspw. eine hohe Solidarität mit Familien in Not- und Problemlagen vorherrschte und soziale Unterstützung gefördert wurde. Dies war in einer Zeit, in der Ungleichheits- und Benachteiligungslagen als Struktur der kapitalistischen Gesellschaft kritisiert wurden und es um einen sozialen Ausgleich ging, der natürlich errungen werden musste. Ende der 1990er Jahre erreichte auch Deutschland eine aktivierende Sozialpolitik, deren Folge ist, dass Not- und Problemlagen häufig individualisiert werden. Die Verantwortung zur Überwindung belastender oder schwieriger Lebenssituationen wird nunmehr den Familien übertragen. Dazu gehört auch, die sozialstaatliche Hilfe zielgerichtet zu nutzen. Gelingt dies den Familien nicht, wird im Rahmen der aktivierenden Sozialpolitik zunehmend kontrolliert und sanktioniert. Die Toleranz gegenüber diesen Familien sinkt auf null (vgl. Winkler 2004, S. 7).
Diese allgemeinen Bedingungen prägen auch die Erwartungen an die Sozialpädagogische Familienhilfe. Lange Zeit galt es im gesellschaftlichen Diskurs als professionell und unwidersprochen, dass Veränderungen in Familien Zeit brauchen. Familienhelfer*innen waren in der Rolle, dafür entsprechend Geduld aufzubringen und auch nach Phasen des Widerstands und des Scheiterns die Arbeit mit der Familie in einem entsprechenden zeitlichen Rahmen fortzusetzen (vgl. Kinderschutz-Zentrum Berlin 2009). In den letzten Jahren werden allerdings bspw. in der Presse Erwartungen formuliert, dass Familienhelfer*innen auch dafür verantwortlich sind, wie sich Familien verhalten, ob Eltern gut für ihre Kinder sorgen etc. Die Verantwortung der Familien wird also an die Sozialarbeiter*innen delegiert. Nun können Fachkräfte sich diesem Mainstream ergeben und sich rechtfertigen, wenn es nicht in jedem Fall funktioniert. Sie können die Verantwortung für die Familien, insbesondere für die Kinder, übernehmen und an Stelle der Eltern handeln. Damit würden sie allerdings einen wichtigen Grundsatz der Sozialen Arbeit, nämlich den der ›Hilfe zur Selbsthilfe‹, aufgeben. Und die Eltern und Kinder würden nichts Neues lernen, da sie für die Verbesserung ihrer Lebenssituation nicht handelnd aktiv werden können.
Fachkräfte können aber auch, wie bspw. René Spitz und Emmi Pikler, ihre fachlich fundierten Sichtweisen in den Diskurs einbringen, um diesen zu bereichern. Wir empfehlen letzteres, da es aus unserer Sicht sinnvoller ist, die strukturellen Bedingungen mit zu beeinflussen – es zumindest zu versuchen –, als sich diesen zu ergeben. Dies wird der fachlichen Arbeit und den Familien eher gerecht, als die Erfüllung teilweise unmöglicher Aufgaben.
Sozialarbeiter*innen mussten sich zu jeder Zeit mit den Erwartungen der jeweiligen Gesellschaft auseinandersetzen und sich zu diesen positionieren. Die Anforderungen im Verlauf der letzten hundert Jahre waren dabei phasenweise diametral entgegengesetzt: in der Kaiserzeit, der Weimarer Republik, der NS-Zeit, der BRD, der DDR, dem wiedervereinigten Deutschland seit 1989. Die Bedingungen der demokratischen Verfasstheit unserer Gesellschaft bieten allerdings den Rahmen, mitzureden und mitzugestalten. Dies beginnt zumeist in den konkreten beruflichen Zusammenhängen, dem Kontakt mit den Familien, den Kolleg*innen, den Kooperationspartner*innen, in regionalen Arbeitsgruppen bis hin zum Engagement in Fachverbänden etc.
Was sind nun aktuelle fachliche Themen im Kontext der Familienhilfe, zu denen Fachkräfte eine Haltung entwickeln sollten und sich in den Diskurs einbringen können? Es seien im Folgenden einige Aspekte genannt.
Jugendämter wurden damit konfrontiert, ihre fachbezogenen Aufgaben zu reduzieren und sich mehr auf Management- und Steuerungsaufgaben zu konzentrieren. Diese Entwicklung von Fach- zu Verwaltungsorganisationen wird inzwischen vielerorts als problematisch eingeschätzt, da die Kernaufgaben des Jugendamts sich auf die Entwicklung und Umsetzung fachlicher Themen beziehen. Den Fachkräften in Jugendämtern wurden gewissermaßen die Arbeitsgrundlagen entzogen, was sich inzwischen bundesweit als ernstzunehmendes Problem zeigt (vgl. Beckmann/Ehlting/Klaes 2018). Hinzu kommt, dass im Kinderschutz Einschätzungsbögen und andere auf Rationalisierung abzielende Arbeitsansätze Einzug hielten. Und insgesamt wurde sozialpädagogisches Handeln mit dem Thema Wirkung verknüpft, weil darauf gehofft wurde, dass bei Anwendung von entsprechenden methodischen Handlungen eine höhere Effizienz entstehen würde. So kam es zunehmend mehr zu einer im Grunde genommen Entfremdung zwischen den handelnden Fachkräften und dem, was bislang als sozialpädagogisches Aufgabenfeld verstanden wurde (vgl. bspw. Klomann 2014; Marks/Sehmer/Thole 2018). Inzwischen erkennen immer mehr Fachkräfte, dass das eine Fehlentwicklung darstellt. Und immer mehr fragen danach, wie sozialpädagogische Fachlichkeit wieder stärker ins berufliche Handeln etabliert werden könnte. Dies wird also ein Thema der nächsten Jahre sein.
Dazu bedarf es einer Diskussion darüber, was unter sozialpädagogischer Fachlichkeit und den Wertvorstellungen der Profession verstanden wird. Und dazu gehört, sich zu vergewissern, was die professionelle Haltung ausmacht. Aus unserer Sicht steht die sozialpädagogische Profession vor der Aufgabe, sich wieder stärker auf das zu besinnen, womit sie einmal angetreten ist (vgl. die oben genannten historischen Bezüge). Im Wesentlichen geht es darum, dass die Soziale Arbeit sich solidarisch an die Seite der Kinder, Jugendlichen und Eltern stellt. Solidarisch bedeutet nicht unkritisch gegenüber den ggf. destruktiven Handlungen von Familien zu sein. Es meint die bewusste Einflussnahme auf die Bedingungen der Umwelt der betroffenen Menschen, die Unterstützung bei der Verbesserung sozioökonomischer Verhältnisse, die Kritik an neuen sozialen Ausgrenzungen, Benachteiligungen und Armutslagen, die es Familien erschweren können, den Alltag zu bewältigen und ausreichend gut für ihre Kinder zu sorgen. Neben der fallbezogenen Hilfe im Kontakt mit den Familien bedarf es dieser übergreifenden Solidarität, damit es Familien besser gehen kann, damit sie sich erfolgreich entwickeln und entfalten können.