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Das Ziel in Sicht

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Die Landschaft war eine einzige weite Ebene. Lediglich der Revir durchbrach die Monotonie des Bildes. Als der Abend anbrach, sah Erif zurück zur Stadt. Die Häuser waren inzwischen beträchtlich geschrumpft. Der Kahn war wieder auf Fahrt, doch er konnte mit dem Tempo seines Pferdes nicht mithalten. Somit war auch er zu einem kleinen Fleck in der Ferne geworden.

Erif lächelte in sich hinein. Er hatte es sich nicht nehmen lassen seinen ehemaligen Gastgebern eine Kleinigkeit zu hinterlassen. Unter dem Brett mit dem Essen hatte er ein paar Münzen hinterlassen. Er hoffte, dass sie die Geste verstanden und er damit niemanden beleidigt hatte. Doch der alte Mann musste drei Söhne ernähren und in einem ihrer Gespräche hatte Erif erfahren, dass die Zeiten für den Kapitän nicht besonders gut standen.

Sein Lager für diese Nacht, schlug Erif in einer kleinen Senke auf. Auf ein Lagerfeuer verzichtete er. Selbst wenn er nicht seine magischen Fähigkeiten dazu benötigt hätte, wäre ein Feuer nur schwer zu entzünden gewesen. Das lag daran, dass weit und breit keine Bäume standen, welche Feuerholz hätten spenden können.

Früh am nächsten Morgen machte er sich in lockerem Galopp wieder auf die Reise. Die Morgen waren von Nebel geprägt. Auch die nächsten Tage änderte sich daran nichts. Die Nächte und die Zeit vor der Dämmerung wurde zunehmend kälter. Der Herbst hielt Einzug und machte sich bemerkbar.

In einer der Siedlungen durch die er im Laufe seiner Reise kam, kaufte er sich einen Reisemantel um gegen die Kälte anzukämpfen. Seine Umgebung veränderte sich wenig während seines Ritts Richtung Latípac. Zu seiner linken erstreckte sich die unendliche Bergkette. Sie trug ihren Namen, weil keiner wusste wo sie endete und das gesamte Hochkönigreich nach Osten hin begrenzte. Wie schon öfters während seiner Reise fragte er sich, was dahinter liegen mochte. Jeder Abenteurer, der von dort zurückgekehrt war, erzählte nur von einem Meer aus Felsgipfeln. Vielleicht, so dachte Erif, hatten jene, welche diese Berge tatsächlich überquert hatten nur nie den Wunsch verspürt zurückzukehren. Ein interessanter Gedanke.

Gelegentlich wurde die Ebene hügeliger, dann flachte sie sich wieder ab. Bäume waren zu einer wahren Seltenheit geworden. Nur ein paar Büsche und Felsen traf Erif auf seinem Weg an. Ab und zu kreuzte auch ein kleiner Bach seine Route. Grundlegend war die Landschaft aber eher langweilig.

Die Eintönigkeit des Landes stimmte ihn melancholisch. Er dachte oft an die Nacht, in welcher ihm der Phönix erschienen war. Auch an Naidraug, die toten Soldaten und die Räuberbande, welche er zu Asche verwandelt hatte, musste er ab und zu denken. Erif vermisste Gesellschaft. Die Zeit auf dem Lastkahn mit dem Kapitän und seinen Söhnen schien ewig lange zurück zu liegen, obwohl er wusste, dass es so lange nicht gewesen sein konnte. Dennoch würde er sich über die Anwesenheit von Dneirf oder dem Feuerfalken Drib momentan mehr freuen als über alles andere.

Bisher war Erif immer dem Verlauf des Revir gefolgt, doch nun machte der mächtige Fluss eine Biegung nach Westen, der er nicht folgen konnte. Um auf seinem Weg nach Süden schneller zu sein, musste er sich vom Flussverlauf trennen. Dazu brauchte er keine Karte. In seiner Zeit als Söldner hatte er die Karte des Hochkönigsreichs auswendig lernen müssen um im Notfall nie auf dergleichen angewiesen zu sein. Erif stieg ab und füllte seinen Wasserbeutel nach bevor er sich vom Revir verabschiedete. Der Abschied, so wusste Erif, war nicht für immer. In wenigen Tagen würde er den Strom wieder kreuzen.

Ein paar Tage später, war es dann soweit. Erif traf auf die breite Steinbrücke, welche den Revir überspannte. Drohend hielten jeweils zwei grimmige Soldatenstatuen an jedem Ende der Brücke Wache. Mit einem steinernen Schild und einem Speer, der in den Himmel ragte, blickten die steinernen Wächter links und rechts von der Brücke ehrfurchtgebietend auf die Passanten der Brücke hinab. Als er sie passierte, kam Erif sich mit einem Mal ziemlich klein und unbedeutend vor. Ihre Größe, welche dem Doppelten eines normalen Mannes entsprach, tat ihr Übriges dazu.

Anfangs, so hatte Erif in der Magierakademie gelernt, war an dieser Stelle eine alte Holzbrücke gewesen. Als jedoch nach langen Kriegsjahren das Hochkönigreich und damit auch die königliche Residenzstadt Latípac gegründet wurden, hatte die Brücke dem Ansturm an Händlern, Barden und Reisenden nicht länger stand gehalten. Sie war eingebrochen und hatte einigen das Leben gekostet. Der Fluss war an dieser Stelle besonders tief und damals hatten nur wenige Leute schwimmen können. Heute war es wenig besser mit den Schwimmern unter den Leuten. Der zuständige Landesfürst reparierte die Brücke ein paar Mal, doch das grausame Schauspiel wiederholte sich. Schließlich hörte der Hochkönig davon und übertrug diese Aufgabe seinen königlichen Architekten. Sie sollten die Gestaltung der Brücke zum Anlass nehmen, seine Herrlichkeit und Macht zur Schau zu stellen und jeden Reisenden, welcher Latípac auf diesem Weg betrat oder verließ, daran zu erinnern. Die Architekten hatten sich sogleich an die Arbeit gemacht und die Brücke diesmal aus Stein erbaut. Nun war sie stabil genug um einem Gewicht standzuhalten, welches sie vermutlich niemals tragen würde müssen. Die Breite bot genug Platz um drei Wagengespannen nebeneinander ohne Mühe die Überquerung zu ermöglichen. Die Ränder der Brücke waren von einem sicheren Geländer begrenzt. Zahlreiche Schnörkel reihten sich daran aneinander und immer wieder kam das Wappen des Hochkönigs zum Vorschein. Ein weißer, achtzackiger Stern auf einem goldgelben Schild. Die acht Zacken standen für die sieben Fürstentümer und die Residenzstadt Latípac. Der Schild stellte den Verteidigungswillen des Hochkönigs zur Schau.

Die Brücke selbst war aus ergrautem Gestein erbaut worden und überspannte bogenförmig die Fluten des Flusses. Es handelte sich eigentlich um weißen Marmor, doch der Zahn der Zeit und die Witterung hatten dem edlen Stein seine makellose weiße Farbe geraubt.

Abgeschlossen wurde das Bauwerk von den insgesamt vier Steinernen Wächtern in der Uniform der hochköniglichen Soldaten. Bei ihrer ersten Fertigung waren die Rüstungen der Statuen mit hauchdünnem Blattgold überzogen worden. Es hatte keine Woche gedauert bis das Gold von Bauern, Dieben und Bettlern vom Stein geschabt worden war. Beim zweiten Versuch wurde Bronze verwendet. Trotz der zusätzlich dafür abgestellten Patrouille war das Metall nach einem Monat wieder verschwunden gewesen. Schließlich entschlossen sich die Architekten die Statuen so zu belassen wie sie waren und beauftragten stattdessen einen Magier die Bildnisse mit einem Haltbarkeitszauber zu belegen. Bis heute hatten sich die Soldaten somit gegen die Witterung behauptet. Im Gegensatz zur Brücke hatten sie ihr makelloses Weiß nicht verloren. Die Brücke hatte kein einziges Mal repariert werden müssen und das obwohl sie schon hunderte Jahre alt sein musste. Nicht einmal während der Zeit der großen Bürgerkriege vor ungefähr hundert Jahren war die Brücke ernsthaft beschädigt worden.

Die Hufe seines Pferdes klackerten rhythmisch auf dem Marmor als Erif den strengen Blick der steinernen Wächter passiert hatte und die Brücke überquerte. Sein Blick schweifte über die zahllosen Schnörkel am Geländer. Der Stil der damaligen Zeit gefiel ihm kein bisschen. Das ganze wirkte für Erif maßlos überladen, aber er verstand auch wenig von Kunst.

Sowie er die Brücke hinter sich gelassen hatte, überholte er einen Kornwagen auf seinem Weg nach Latípac. Erif grüßte den Fuhrmann in den Gewändern eines Bauern, welcher erstaunt den Gruß erwiderte.

Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen und tauchte den Himmel mit seinen wenigen Wolken in ein warmes Orange. Vor der untergehenden Sonne lag sie. Erif wollte aus Gewohnheit seine Augen mit der Hand abschirmen, als ihm wieder einmal auffiel, dass ihn das Licht gar nicht blendete.

Latípac war eine große Stadt. Er hatte Gerüchte gehört, wonach über eine Million Menschen in der Residenzstadt leben sollten. Dabei waren jedoch die Bettlerviertel, welche sich um die gewaltigen Stadtmauern tummelten nicht berücksichtigt. Die Mitte der Stadt wurde von hohen Gebäuden und Türmen dominiert, welche in den Himmel stachen. Dieser Bereich war dem Adel und den Wohlhabendsten aus dem gemeinen Volk, also reichen Händler, Hohepriestern oder Großbauern vorbehalten. Je weiter sich die Gebäude von der Mitte entfernten, in deren Zentrum der Palast des Hochkönigs lag, desto niedriger wurden sie. Auch der Status und die Einkünfte der Bewohner nahmen ab. Am Ende der städtischen Hierarchie standen die Bettler in ihren Barracken ausserhalb der Stadtmauern.

Vor Latípac lag, kreisförmig angelegt, ein Gürtel aus Feldern, welcher einzig dem Zweck diente die Residenzstadt und seine Bewohner zu versorgen. Durch das Bevölkerungswachstum mussten jedoch immer mehr Vorräte zugekauft werden.

Dieser Gürtel mit seinen verstreuten Siedlungen war sein nächstes Ziel. Danach war es nur noch ein Katzensprung bis zur Stadt. Erif konnte die alten Bibliothekbände bereits riechen.

Das Erwachen des Phoenix

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