Читать книгу Das Erwachen des Phoenix - Harald März - Страница 29

Ein Pferdedieb

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Kurz nach Einbruch der Nacht hatte Erif eine der Bauernsiedlungen erreicht. Er war in einer Taverne abgestiegenen, welche neben Speisen auch eine Nächtigungsmöglichkeit bot. Genaugenommen war es auch die einzige Taverne der Siedlung. Ansonsten befanden sich lediglich ein paar kleine Häuschen, mehrere Höfe und einige große Scheunen in der Nachbarschaft.

Nachdem er seinen alten Gaul vor dem Gasthof neben einer Tränke angebunden hatte, machte er sich auf den Weg in die Gaststube. Komischerweise standen keine anderen Pferde vor der Taverne. Scheinbar war die Taverne nicht gut besucht. Er trat durch die Tür und stellte verblüfft fest, dass doch mehr Leute anwesend waren als er angenommen hatte. Es dauerte sogar eine Weile bis er einen Platz gefunden hatte. Die Gaststube war rustikal eingerichtet, ganz so wie er es sich in einer Bauernsiedlung erwartet hatte. Der ganze Raum war von den Gesprächen der Anwesenden und einem zarten Duft nach frischem Brot und gebratenem Fleisch durchsetzt. Nicht lange und schon stand eine leicht untersetzte Frau in Schürze vor ihm und leierte das Angebot der Schenke herunter. Vermutlich war sie die Frau des Wirten. Nach kurzer Überlegung entschied sich Erif für einen Eintopf mit Brot und fragte nach einem Zimmer. Beides bezahlte er sofort.

Während er auf sein Essen wartete, betrachtete er die Leute im Raum ein wenig genauer. Es befanden sich viele Bauern und Knechte unter den Speisenden. Auch ein paar Händler konnte er an ihren Gewändern erkennen. Wahrscheinlich Viehhändler oder Händler auf der Durchreise nach Latípac.

Eine Gruppe erregte besonders seine Aufmerksamkeit. Es war ein kleiner Trupp hochköniglicher Soldaten. Auf ihren gelben Uniformen prangte das Wappen des Hochkönigs. Da sie bei jeder ihrer Bewegung klirrten, vermutete Erif ein Kettenhemd unter ihren Uniformen. Ihre Speere und Schilde lehnten mitsamt den runden Helmen in einer Ecke in ihrer Nähe. Lachend erzählten sie sich Geschichten und leerten dabei einen Bierkrug nach dem anderen. Manche hatten bereits einen hochroten Kopf vom Alkohol. Die Männer waren bartlos, mit Ausnahme eines Soldaten, der einen mächtigen Schnauzer trug. Erif schätzte den Mann als ihren Gruppenführer ein, denn nur höheren Rängen war das Tragen von Bärten unter den hochköniglichen Soldaten gestattet. Neugierig lauschte er ihren Gesprächen.

„…hätte nicht gedacht, dass patrouillieren so locker ist. In der Ausbildung heißt es immer, dass man ununterbrochen zu Fuß unterwegs ist. Hiervon haben die nie was gesagt.“

Der Sprecher war ein junger Bursche. Erif schätzte ihn noch nichteinmal auf Mannesalter. Der Junge schwenkte grölend seinen Humpen und schüttete dabei einen Teil seines Gerstensaftes auf den Tisch. Der Mann neben ihm sprang auf.

„Pass doch auf, du Lump. Fast hättest zu mich erwischt. Wenn meine Uniform nach Bier stinkt, merkt man das sogar noch in der Kaserne, dann habe ich den Arsch offen.“

„Wen nennst du hier Lump, du…du…du Lump?“

Der bärtige Soldat hob beschwichtigend die Hände.

„Wollt ihr euch jetzt hier prügeln? Ich habs euch bereits gesagt. Solche kleinen Ausflüge bleiben solange unbemerkt, solange nichts passiert. Alles andere geht sowieso in der Bürokratie unter. Also kriegt euch wieder ein oder ich versetze euch zu einem anderen Kameraden. Die sind kleinlicher als ich, verstanden?“

Der Soldat setzte sich kleinlaut.

„Jawohl, Herr Leutnant“, murmelten die beiden beschämt.

Erif wagte es zu bezweifeln, dass viele andere es genauer nahmen. Er hatte die Geschichten über schlampige Patrouillen gehört. Niemand kontrollierte sie und es gab auch keine Unruhen mehr im Umkreis von Latípac. Genau genommen wurden sie also nur zum Spazierengehen mit ihren Waffen bezahlt. Bevor seine Soldaten allerdings in der Kaserne Staub ansetzten, hatte der Hochkönig entschlossen ihnen eine Tätigkeit zuzuweisen und war sie auch noch so unnütz. Doch als alleiniger Unterhalter einer großen Armee musste der Hochkönig auch irgendwie versuchen die Disziplin im Heer zu erhalten. Keine leichte Aufgabe, wie Erif gerade sah.

Ein lautes Wiehern vor der Taverne ließ die Soldaten aufhorchen. Nicht viele hatten überhaupt davon Notiz genommen, doch Erif stand plötzlich kerzengerade vor dem Tisch. Sein Sessel wurde von seinem Schwung umgestoßen und schlug krachend auf dem Boden auf. Es gab nur ein Pferd vor der Taverne. Sein Pferd.

So schnell er konnte, rannte er zur Tür und riss sie auf. Vor der Taverne waren zwei Leute einer stand nicht weit weg von ihm mit einem Knüppel in der Hand und zerrte an den Zügeln von Erifs Pferd. Der andere saß auf dem Fuchs und versuchte sich mit Mühe im Sattel zu halten. Der Gaul legte alles daran seinen ungewollten Reiter abzuwerfen.

„Was soll das? Verschwindet von meinem Pferd.“

Als der alte Hengst Erif erblickte, hielt das Tier kurz inne. Sein neuer Reiter nutzte den Momente und zog einen kurzen Gegenstand unter seiner Kleidung hervor. Die Klinge des kleinen Messer blitzte kurz im Mondlicht auf bevor der Mann damit dem Pferd in das Hinterteil stach. Wiehernd begann das Pferd zu galoppieren. Ohne Erif Zeit zum Reagieren zu geben, fiel ihn der andere Mann mit dem Knüppel an. Mit einem brachialen Schrei stürmte sein Angreifer auf ihn zu und schwang dabei den Knüppel über den Kopf. Als sein Gegner zum Schlag ansetzte, überbrückte Erif blitzschnell die Distanz und warf den Mann über die Schulter zu Boden. Die Waffenhand hielt er dabei ergriffen. Flink entwaffnete er den Pferdedieb und kickte den Holzknüppel in die Schatten zwischen den angrenzenden Scheunen. Erif hatte sich nicht einmal anstrengen müssen. Den Großteil hatte der Schwung seines Kontrahenten für ihn erledigt. Das Erstaunen über die Leichtigkeit, mit welcher ihm die Abwehr gelungen war, drängte er abermals in den Hinterkopf. Das fahle Mondlicht, welches durch die Wolken brach, erleuchtete das Gesicht des Mannes. Vor ihm lag wimmernd ein älterer Mann mit vernarbtem Gesicht. Ihm schienen Zähne zu fehlen, doch das konnte Erif nur schwer im Dunkel der Nacht erkennen.

Ein Blick über die Schulter bestätigte seine Annahme. Sein Pferd würde er wohl nicht wieder sehen. Mittlerweile waren die Soldaten aus der Schenke getorkelt und auch ein paar Schaulustige hatten sich die Mühe gemacht nach dem Rechten zu sehen. Von den angetrunkenen Soldaten hatte nur der Leutnant die Geistesgegenwart besessen Helm, Schild und Speer mitzunehmen. Der Soldat kam auf ihn zu. Seine Leute, welche die Situation offenbar noch nicht ganz begriffen hatten, blieben ihm dicht auf den Fersen.

„So, so. Da haben wir also einen Pferdedieb. Gute Arbeit mein Junge, dass du ihn geschnappt hast. Das war dein Pferd, oder? Das kriegst du wahrscheinlich nicht mehr wieder, tut mir leid, dabei können wir nicht helfen. Aber den da.“

Der Leutnant richtete seine Lanze auf den Pferdedieb, welchen Erif immer noch am Arm gepackt hielt.

„Den werden wir seiner gerechten Strafe zuführen.“

Einer der Soldaten ergriff mit einer angewiderten Miene das Wort.

„Du weißt, was das heißt, Dieb. Von einer deiner Hände kannst du dich verabschieden.“

Der Pferdedieb schrie auf und versuchte sich aus Erifs Griff zu befreien, vergebens. Sein Geschrei ging in ein klagendes Wimmern über.

„Bitte, was hätte ich denn machen sollen. Seit Monaten finde ich keine anständige Arbeit. Meine Frau ist bereits am Hunger zugrunde gegangen. Ich habe eine kleine Tochter und einen Sohn. Sollen sie von der Hand im Mund leben? Sie brauchen mich. Mit nur einer Hand, kann ich nie wieder anständige Arbeit verrichten. Bitte, habt doch Erbarmen mit mir. Ich werde es nicht noch einmal versuchen.“

Der Leutnant rümpfte die Nase.

„Gesetz ist Gesetz. Das Recht muss vollzogen werden, wo kommen wir denn da hin, wenn den Armen plötzlich das Stehlen erlaubt ist?“

Wieder meldete sich einer der Soldaten zu Wort.

„Genau, außerdem hätten deine Kinder ja auch Arbeit suchen können.“

Der Pferdedieb presste die Lippen zusammen. Erif konnte eins und eins zusammenzählen. Der zweite Dieb war sein Sohn gewesen. Er empfand Mitleid für den Mann

Dem Leutnant platzte der Kragen. Er drehte sich um und begann mit seinen Leuten zu schreien.

„Hört ihr wohl auf ständig dazwischen zu rufen, wenn ich rede. Wo ist überhaupt eure Ausrüstung? Ihr seid wirklich der schlampigste Haufen der mir jemals…“

Die Gelegenheit war günstig. Vorsichtig begann Erif zu Flüstern.

„Kennst du dich hier gut aus?“

Der Mann blickte ihm verwirrt in die Augen.

„Ja oder Nein?“

Immer noch mit fragendem Gesichtsausdruck nickte der Pferdedieb.

„Gut, hör zu. Wenn ich dir ein Zeichen gebe, ziehst du an meiner Hand und rennst davon. Alles klar?“

Der Leutnant hatte wieder seinen Platz neben Erif eingenommen und starrte ausdruckslos auf den Mann hinab. Seine Männer liefen in die Gaststube um ihre Ausrüstung anzulegen.

„Wir werden den Dieb mitnehmen und ihm die Hand abschlagen. Genauso wie es das Gesetz des Hochkönigs verlangt. Du kannst versichert sein, dass…“

So unauffällig wie er konnte, trat Erif den verzweifelten Dieb sanft mit seiner Schuhspitze. Sofort begann der Mann so kräftig er konnte an Erif zu ziehen. Das allein hätte nicht gereicht um ihn ins Wanken zu bringen, doch Erif wendete sein ganzes schauspielerisches Geschick auf und gab vor das Gleichgewicht zu verlieren. Er fiel zu Boden und begrub dabei den Leutnant unter sich. Der Soldat begann wild zu fluchen.

„Runter von mir, du Tölpel. Bist du zu dämlich um dein Gleichgewicht zu halten?“

Der Pferdedieb war indes aufgesprungen und gab Fersengeld. Die ersten Soldaten kamen gerüstet aus dem Gasthaus. Erif machte keine Anstalten aufzustehen.

„Schneller Männer. Der Dieb entwischt uns. Ihm nach, los.“

Vom Alkohol beschwipst, versuchten die Soldaten so gut es ging den Fliehenden einzuholen. Von der Furcht beflügelt und frei von jedweder alkoholischer Beeinträchtigung, war er jedoch alsbald in der Finsternis zwischen den Scheunen verschwunden. Als er den Mann nicht mehr erkennen konnte, rappelte Erif sich langsam auf und hielt sich dabei den Kopf.

„Ahh, ich glaube ich habe mir den Kopf gestoßen.“

Ein gespieltes Stöhnen sollte seinen Zustand unterstreichen. Der Leutnant sprang sofort auf und eilte mit seinen Leuten in die Gassen zwischen den Scheunen. Erif schenkte er keine Beachtung mehr. Nach einiger Zeit kamen die Soldaten wieder zurück. Erif konnte seinen Herzschlag deutlich spüren während er auf die Rückkehr der Patrouille wartete. Als der Letzte Soldat sich allein aus den Schatten löste, atmete er innerlich auf. Nach außen hin verzog er keine Miene. Der Mann war entkommen.

Die Männer machten sich gemeinsam mit den restlichen Schaulustigen auf den Weg zurück in die Taverne. Der Leutnant blieb auf Erifs Höhe stehen.

„Wir haben den Gauner nicht mehr erwischt. Das war deine Schuld, Jungchen. Aber nachdem es sowieso dein Pferd war, musst du damit Leben.“

Mit einem Schulterzucken wandte sich der Leutnant ab und folgte den anderen Soldaten. Erif richtete den Blick auf die Stelle an welcher der Pferdedieb verschwunden war. Die Andeutung eines Lächelns stahl sich auf Erifs Gesicht. Manchmal war eben Recht nicht gleich Gerechtigkeit.

Beschwingten Schrittes begab sich Erif wieder in die Gaststube. Bevor er zu Bett ging, nahm er noch sein Abendmahl ein, welches schon auf seinem Tisch wartete. Bier lehnte er dankend ab. Den nächsten Tag würde er zu Fuß weiterreisen müssen. Dennoch war er sich sicher Latípac innerhalb eines Tages erreichen zu können. Das Ziel, so wusste Erif, lag in greifbarer Nähe.

Das Erwachen des Phoenix

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