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2. Diskriminierungsschutz durch das AGG
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Das AGG gewährt in Umsetzung von vier EU-Richtlinien[39] Schutz gegen Diskriminierungen. Es betrifft trotz der vielen Anwendungsfälle in diesem Bereich nicht nur das Arbeitsrecht, sondern ist auch für das allgemeine Vertragsrecht äußerst bedeutsam.[40] Das AGG ist ein besonders klarer Ausdruck der Verteilungsgerechtigkeit im Schuldrecht: Es verlangt, die jeweiligen sozialen Kontexte zu berücksichtigen und lenkt den Blick weg von den „abstrakten“ Figuren des Schuldners und des Gläubigers hin zu ihren konkreten Eigenschaften (etwa deren Geschlechtsidentität oder Religion). Vertragsrecht wird durch die Normen des AGG als Regulierungsinstrument eingesetzt, das dazu beitragen kann und soll, Menschen vor Diskriminierungen zu schützen.
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Viele Privatrechtswissenschaftler haben das AGG stark kritisiert: Es führe zum „Tod der Privatautonomie“[41], manche hörten gar für das ganze Privatrecht das „Totenglöcklein“[42] läuten. Die Autoren kritisieren damit letztlich eine konkrete Verteilung von Freiheitsbefugnissen zugunsten der Diskriminierten, üben also eine rechtspolitische Kritik. Aber für diese Verteilungsentscheidung des Gesetzgebers sprechen gute Gründe: Auch das Privatrecht kann zu einer inklusiven Gesellschaft und gelebter Toleranz anderen gegenüber beitragen.[43]
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Ziel des AGG ist gem. § 1 AGG die Verhinderung oder Beseitigung von Diskriminierungen nach acht personenbezogenen Merkmalen: Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität. Welche Geschäfte in das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot fallen, ergibt sich aus § 2 AGG iVm § 19 AGG.[44] Von höchster praktischer Relevanz für das allgemeine Vertragsrecht ist § 2 Abs. 1 Nr 8 AGG, der die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen regelt, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
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Das zentrale allgemein-zivilrechtliche Benachteiligungsverbot findet sich in § 19 AGG. Die Reichweite des Benachteiligungsverbots hängt vom Diskriminierungsverbot ab: In allen von § 2 Abs. 1 Nr 5-8 AGG genannten Schuldverhältnissen ist eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft unzulässig. Wer etwa in Münster einen Kiosk betreibt, darf niemandem den Verkauf einer Flasche Limo wegen seiner ethnischen Herkunft verweigern. Bei den übrigen Diskriminierungsgründen schränkt § 19 Abs. 1 AGG das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot auf bestimmte Vertragstypen ein.
§ 19 Abs. 1 AGG erfasst erstens Massengeschäfte – also Schuldverhältnisse, die „typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen“ (§ 19 Abs. 1 Nr 1 2. Alt. AGG). Als Beispiele führt die Gesetzesbegründung Freizeiteinrichtungen wie Badeanstalten oder Fitnessclubs auf, die üblicherweise jedem offenstehen.[45]
Zweitens geht es um massengeschäftsähnliche Geschäfte, „bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen“ (§ 19 Abs. 1 Nr 1 2. Alt. AGG). Ein wichtiges Beispiel ist die Wohnraumvermietung oder die Gewerbemiete, wenn große Wohnungsanbieter eine Vielzahl von Wohnraum anbieten.[46] Wenn ein Vermieter dagegen nur eine Wohnung zu vermieten hatte, greift die Norm nicht ein, weil die Person des Mieters hier eine wichtige Rolle spielt.[47] § 19 Abs. 5 S. 3 AGG bietet ein praktisch wichtiges Regelbeispiel zur Konkretisierung des § 19 Abs. 1 AGG: In der Regel kann § 19 Abs. 1 Nr 1 AGG nur erfüllt sein, wenn der Vermieter insgesamt mehr als 50 Wohnungen vermietet.[48]
Drittens sind Versicherungsgeschäfte erfasst (§ 19 Abs. 1 Nr 2 AGG).[49] Ausgenommen sind gem. § 19 Abs. 4 AGG familienrechtliche und erbrechtliche Schuldverhältnisse. Auch im Anwendungsbereich des § 19 AGG können Ungleichbehandlungen aber gerechtfertigt werden. Zunächst ermöglicht § 5 AGG eine Rechtfertigung durch positive Maßnahmen, die bestehende Diskriminierungen verhindern oder beseitigen sollen.[50] Klassisches Beispiel für eine solche unterschiedliche Behandlung wäre etwa der bevorzugte Vertragsschluss mit Frauen zur Erzielung einer angemessenen Ratio der Geschlechter, etwa in einem Fitnessclub.
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Nach § 20 Abs. 1 AGG ist das Benachteiligungsverbot nicht verletzt, wenn ein sachlicher Grund für die Benachteiligung wegen Religion, Behinderung, Alters, sexueller Identität oder des Geschlechts vorliegt. Benachteiligungen wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft sind allerdings nicht erfasst. § 20 Abs. 1 S. 2 AGG beinhaltet Regelbeispiele für das Vorliegen sachlicher Gründe, § 20 Abs. 2 AGG eine Sonderregel für Versicherungsverträge.