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I. Gerechtigkeit als Idee des Schuldrechts
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Sucht man nach einer Idee des Rechts, also einem außerhalb des Rechts liegenden Prinzip, auf dessen Verwirklichung alles Recht ausgerichtet ist, gelangt man zur Gerechtigkeit. Gustav Radbruch bringt diese Zielrichtung des Rechts klar zum Ausdruck: „Die Idee des Rechts kann nun keine andere sein als die Gerechtigkeit.“[1] Auch das Schuldrecht ist Teil des Rechts, so dass auch seine Grundidee keine andere als die Gerechtigkeit sein kann.[2] Die Gerechtigkeit lässt sich nicht durch abstrakte Definitionen bestimmen. Sie ist ein Ideal, dessen Verwirklichung schuldrechtliche Normen zwar zum Ziel haben, das sie aber letztlich nie vollständig erreichen können. Die konkreten Inhalte der Gerechtigkeit stehen nicht objektiv fest, so als könnten sie in der Rechtsanwendung lediglich entdeckt werden. Vielmehr werden sie immer wieder von neuem bestimmt. Dabei spielen auch die jeweiligen ökonomischen, gesellschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse eine wichtige Rolle. Die Konkretisierung der Gerechtigkeit erfolgt im juristischen Diskurs der Akteure des Rechts – also durch Richterinnen und Richter, aber auch Beamte, Anwältinnen und sogar Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler.[3]
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Die Gerechtigkeit als Grundidee des Schuldrechts zu sehen, kann helfen, unserer Privatrechtsordnung Stabilität zu vermitteln: Das Schuldrecht wird maßgeblich davon mitgeprägt, dass Ansprüche durch staatliche Gewalt durchgesetzt werden.[4] Dies zu akzeptieren, fällt den meisten Menschen leichter, wenn sie annehmen dürfen, dass die Regeln des Schuldrechts auf Gerechtigkeit hin ausgerichtet und nicht bloß beliebig gesetzt sind.[5] Ein weiterer Vorzug der Gerechtigkeit als Idee des Rechts liegt darin, den juristischen Diskurs zwanglos auf breitere Grundlage zu stellen: Rechtliche Diskussionen werden so grundsätzlich offen für Gerechtigkeitsargumente. So lassen sich auch Diskurse über Generalklauseln wie § 138 oder § 242 besser erklären, die ohnehin auch außerrechtliche, moralische Argumentationslinien aufweisen.