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Drittes Kapitel
ОглавлениеBen saß in der Küche seiner Altbau-WG am Platz der Republik im Prager Stadtteil Staré Mĕsto, dem schönsten der alten Prager Stadtbezirke. Seine Wohnung lag im dritten Stock eines riesigen Patrizierhauses. Voll saniert, vier große Zimmer, Echtholzparkett, stuckverzierte hohe Decken, in jedem Zimmer ein alter Kachelofen. In Deutschland wäre eine solche Wohnung wohl unbezahlbar gewesen. Aber hier war sie durchaus erschwinglich. Er wartete auf seine beiden Mitbewohner Nina und Spiro, mit denen er zum Kochen verabredet war. Sie kochten eigentlich fast jeden Abend gemeinsam. Erstens war das erheblich billiger, als ständig irgendwo irgendwas Fertiges zu kaufen oder Essen zu gehen. Er musste schließlich mit dem Geld, das wir ihm jeden Monat überwiesen, auskommen, und er hatte weder Zeit noch Lust, sich neben seinem Studium noch etwas dazu zu verdienen. Zweitens war es mit Sicherheit auch viel gesünder. Und letztlich machte es außerdem auch immer viel Spaß. Meistens machten sie Pasta. Pasta in allen Variationen. Das hatte er bei uns gelernt. Dazu Bier, Wein und laute Musik. Das WG-Leben fand fast ausschließlich in der großen Küche statt.
Seit fast einem Jahr wohnten sie jetzt zusammen. Sie hatten sich bei der Wohnungsbesichtigung mit einem Makler kennengelernt und hatten sofort einen Draht zueinander gefunden. Ben studierte an der Karlova, wie die Karls-Universität genannt wurde, Spiro, gebürtiger Prager, ein glatzköpfiger Schlacks, der mit seinen 26 Jahren der WG-Senior war, arbeitete als Zahntechniker in einem Dentallabor, das einem Deutschen gehörte. Nina stammte aus München und jobbte im Nationalmuseum als Restaurateurin. Nina war lustig. Sie war etwas dicker, hatte kurze blonde Haare, machte sich nichts aus Jungs und war irgendwie immer gut drauf. Obwohl sie so unterschiedlich waren, verstanden sie sich bestens. Vielleicht auch gerade deswegen. Seine beiden Mitbewohner waren noch einkaufen und dann wollten sie gemeinsam die Küche rocken. Und anschließend irgendetwas spielen. Monopoly oder so.
Ben hatte sich schon ein Glas Weißwein eingeschenkt und schaute aus dem Fenster. Von der Küche aus hatte man einen wunderbaren Blick auf den Pulverturm und auf das alte Ständehaus. Auf dem Platz der Republik, dem Zentrum von Staré Mĕsto, wimmelte es vor Menschen. Touristen, die jeden Winkel fotografierten oder die Tische der Straßencafés bevölkerten, Einheimische, die gehetzt ihren Geschäften nachgingen, ihre Einkäufe erledigten oder einfach die letzten wärmenden Sonnenstrahlen auf einer der vielen Bänke genossen. Alles wuselte durcheinander. Ben liebte dieses geschäftige Treiben vor seinem Haus. Überhaupt fühlte er sich in Prag pudelwohl. Das Studium machte ihm großen Spaß, auch wenn es sehr anstrengend und vor allen sehr anspruchsvoll war, zumal alle Vorlesungen in Englisch gehalten wurden. Er hatte viele neue Freunde in der fremden Stadt gefunden, war viel mit Nina, Spiro und seinen anderen Freunden unterwegs und genoss sein junges Leben in vollen Zügen. Es lief besser, als er es sich hatte träumen lassen. Seine beiden Freunde kamen vom Einkauf zurück und wuchteten gerade die vollgepackten Tüten auf den Küchentisch, als Bens Handy klingelte.
Tom war dran. Tom war ein alter Kumpel aus Bens Schulzeit. Nein, er war nicht nur ein Kumpel. Er war eigentlich sein bester Freund. Seit der siebten oder achten Klasse waren sie unzertrennlich. Sie spielten früher zusammen Fußball, später, als Fußball nicht mehr so angesagt war, gingen sie zusammen ins Fitness-Studio oder hingen einfach zusammen in den Kneipen der Stadt ab, flirteten mit irgendwelchen Mädels rum, gingen ins Kino und hatten jede Menge Spaß zusammen. Sie verloren sich auch nach dem Abitur vor zwei Jahren nicht aus den Augen. Auch wenn Ben mittlerweile in Prag lebte und studierte, während Tom in Hannover blieb und eine Banklehre machte. Sie telefonierten viel, skypten, chatteten und sahen sich so oft wie möglich. Meistens in Hannover, wenn Ben uns besuchte. Allerdings war Tom auch schon ein paar Mal bei Ben in Prag. Ben freute sich immer riesig, wenn Tom ihn besuchte. Wenn er ihm das internationale Leben in der tschechischen Hauptstadt zeigen konnte. Und das Nachtleben. Vor allem das Nachtleben.
„Hey, Alter!“, freute sich Ben, als er die Stimme seines Intimus hörte. „Moin!“ Tom sagte immer „Moin!“ Nachdem die beiden ein bisschen am Telefon herumgealbert hatten, fragte Tom ihn, ob er nicht am übernächsten Samstag zum Xavier-Naidoo-Konzert nach Hannover kommen wollte. Die beiden liebten Xavier. Ben hatte da auch schon dran gedacht, zumal er das Konzert mit einem Besuch bei uns verbinden könnte. An dem Wochenende hatte auch Sarah Geburtstag. Ben fand, dass das eine großartige Idee war. Er freute sich riesig und sagte kurzerhand zu. Jetzt freute er sich aber erst einmal auf den Abend mit Nina und Spiro.
*
Das Café Nordmann’s am Hafen, in dem Paula so oft wie möglich ihre Mittagspausen verbrachte, war für einen Mittwoch ungewöhnlich voll. Normalerweise saßen da um diese Zeit nur eine Handvoll Menschen herum. Meistens Rentner, die sich zu einem verspäteten oder zweiten Frühstück trafen. Oder dazu, um überhaupt mal jemanden zu treffen. Aber heute war es ungewöhnlich voll. Paula setzte sich zu zwei Studenten an den Tisch, die offensichtlich irgendeine Semesterparty oder so etwas planten. Paula bestellte sich einen Latte Macchiato und eine Laugenbrezel. Ihr tägliches Mittagsmenü. Sie warf kurz einen Blick in Zeitung, die sie mitgebracht hatte. Sie wollte nochmal den Artikel lesen, den sie über das Achtelfinale zwischen dem HSV und Borussia Dortmund im DFB-Pokal geschrieben hatte. Es war vielleicht etwas ausgefallen, dass eine so junge Frau sich für Fußball interessierte, darüber sogar in einer Zeitung schrieb, aber das war absolut ihr Ding. Von klein auf war sie besessen von Fußball. Ihre Freunde und wir zogen sie damit immer auf. Aber das störte sie nicht. Im Gegenteil. Schon aus Trotz trieb sie diese Leidenschaft auf die Spitze. Und nun war es ihr Beruf.
Sie hatte nicht viel Zeit. Sie wollte direkt nach der Pause in den Volkspark, um über einen Sponsorenlauf zu berichten, an dem die E-Jugend des FC St. Pauli zugunsten von irgendeiner Behinderteneinrichtung teilnehmen sollte. Aber sie wollte sich in der Pause auch noch kurz mit Thore treffen. Er wollte ihr irgendetwas Wichtiges sagen. Etwas, das so wichtig war, dass es nicht bis zum Abend warten konnte, hatte er ihr am Telefon gesagt. Paula schaute ungeduldig auf die Uhr. Sie zahlte. Sie holte ihr Telefon aus ihrer Handtasche. Aber bevor sie Thores Nummer wählen konnte, stand er schon an ihrem Tisch. „Ich habe es nicht eher geschafft, sorry.“, entschuldigte er seine Verspätung. „Schon gut.“, antwortete sie. „Aber ich muss jetzt leider schon wieder los.“ Er nahm sie in den Arm und küsste sie. Seit sie zusammengezogen waren, war alles noch schöner. „Dann begleite ich dich eben.“ Sie gingen Richtung Volkspark. Paula und er kannten sich schon eine ganze Weile und es dauerte eine Zeitlang, bis sie ein Paar wurden. Nun hatten sie ihre erste gemeinsame Wohnung in Altona. „Was gibt es denn so Wichtiges, dass Mister Geheimnisvoll damit nicht bis heute Abend warten kann?“, wollte Paula wissen. Thore lief aufgeregt um sie herum. „Tja, tja, tja, was mag es da wohl geben?“, trällerte er albern durch die Gegend. „Oh, Mann, was ist los?“ Eigentlich liebte Paula klare Ansagen und nicht so eine Geheimniskrämerei. „Los, sag‘ schon!“, drängte sie. Thore blieb stehen und hielt Paula fest. „Barcelona!“ Er schaute sie begeistert an. Paula verstand ihn nicht. „Und?“, wollte sie wissen. Er wiederholte es. „Bar-ce-lona!“ Sie wusste immer noch nicht, was er meinte. Thore war etwas enttäuscht. “Die MACBA?!” Ach, das! Paula erinnerte sich. Er hatte ihr vor ein paar Wochen erzählt, dass er sich für die MACBA beworben hatte. Das war irgend so eine zeitgenössische Kunstausstellung in Barcelona, die eine Installation eines hamburgischen Lichtkünstlers zeigen wollte und dafür einen Event-Manager suchte. Paula hatte das nicht sonderlich ernst genommen. Thore hatte immer irgendwelche Flausen im Kopf. Das liebte sie so an ihm. Er sprühte förmlich vor verrückter Energie. „Ja, und?“, bohrte sie nach. „Was glaubst du, wer die Show macht?!“ Thore war ganz aufgekratzt. Paula schaute ihn ungläubig an. „Nee, ne?!“. Thore nickte demonstrativ langsam mit einer ausladenden Bewegung. „Jepp!“, bestätigte er kurz. „Ich!“. Paula fiel ihm um den Hals. Sie freute sich wahnsinnig für ihn. „Das ist ja abgefahren. Echt? Ich freu mich für dich.“ Paula freute sich wirklich für ihn, denn Thore musste lange auf so eine Chance warten. Bisher fristete er seine Karriere mit kleineren Aufträgen in der Stadt, wovon er mehr schlecht als recht leben konnte. Endlich mal ein großes Ding. „Aber lass uns heute Abend drüber reden. Ich muss jetzt echt los.“ Sie küsste ihn zum Abschied und befreite sich aus seiner Umarmung. Sie ging. Aber sie drehte sich noch mal um und rief ihm zu: „Denk an den Champagner!“ Er strahlte und winkte ihr zu.