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Sechstes Kapitel
ОглавлениеAls Paula von ihrer Berichterstattung über den Sponsorenlauf im Volkspark nach Hause kam, wartete Thore schon ungeduldig auf sie. Er hatte ein paar Tapas vorbereitet, Kerzen angemacht und der Schampus stand schon eiskalt auf dem Tisch. Thore wollte feiern. Er hatte allen Grund zum Feiern. Er nahm seine Freundin zur Begrüßung in den Arm, küsste sie, drückte ihr ein Glas Champagner in die Hand, zeigte mit der Fernbedienung auf die Stereoanlage, hob mit der anderen Hand sein Glas in die Höhe und dann donnerte „Barcelona“ von Queen und Montserrat Caballé aus den Lautsprechern. Die Hymne der Olympischen Spiele von 1992. Sie stießen miteinander an und Thore begann, sich mit ihr im Takt der dröhnenden Musik zu bewegen. Sie strahlten sich an. Sie tanzten, sie sangen laut mit und irgendwann setzten sie sich. Thore drehte die Musik leise und dann erzählte er begeistert von dem überraschenden Anruf am Vormittag. Schon im November würde er zum ersten Mal für zwei Wochen nach Barcelona fliegen, um die Ausstellung in der MACBA vorzubereiten. Er war wie elektrisiert von seinen Plänen, erzählte wie im Rausch, und Paula ließ sich schnell von seiner Begeisterung anstecken. „Kannst du nicht mitkommen?“, fragte Thore plötzlich. „Bitte!“
Paula war perplex. Da hatte sie noch gar nicht drüber nachgedacht. Sie wusste natürlich nicht, ob sie so kurzfristig Urlaub bekommen würde, aber der Gedanke, zwei Wochen mit ihrem Freund in Barcelona zu verbringen, war äußerst reizvoll. Sie war schon mal mit Ben und uns dort, als der große FC Barcelona im Viertelfinale der Champions-League gegen den FC Bayern München spielte. Ich war schon immer ein begeisterter Fan von Barça. Ihr Herz schlug dagegen für die Bayern. Also lud ich meine ganze Familie kurzerhand zu einem verlängerten, aber dennoch viel zu kurzen Wochenende in die katalonische Metropole ein. Die Bayern, so erinnerte sie sich, waren damals mit 0:4 untergegangen. Aber das war bestimmt schon fünf oder sechs Jahre her. Ja, sie hatte sogar große Lust, Thore zu begleiten. In Gedanken malten die beiden sich aus, was sie alles in der wohl angesagtesten Stadt Europas ansehen wollten, in welchen berühmten Restaurants sie essen gehen würden, welche Promis aus der internationalen Kunstszene sie wohl treffen würden. Mit jedem Glas Champagner wurden sie alberner und aufgeregter. Paula hoffte inständig, dass die Redaktion ihrer Zeitung bereit wäre, sie so kurzfristig fahren zu lassen.
Obwohl es schon spät war, rief sie uns an. Obwohl es schon ziemlich spät und sie auch schon nicht mehr ganz nüchtern war. Thore hatte zum Glück auch nicht nur eine Flasche Schampus besorgt. Aber sie musste uns die aufregenden Neuigkeiten wohl unbedingt erzählen. Sofort. Wir würden uns sicherlich wahnsinnig freuen. Paula wusste auch, wie gern wir ihren Thore mochten. Die Jungs, die sie vorher so nach Hause brachte, lösten zumeist nicht gerade Begeisterungsstürme bei uns aus. Immer stimmte irgendetwas nicht. Mal waren sie zu alt, mal zu kindisch, mal zu langweilig, zu prollig oder einfach zu blöd. Vor allem ich hatte immer etwas an ihnen auszusetzen. Bei Thore war es von Anfang an anders. Vielleicht lag es an seiner so freundlichen, offenen und unbeschwerten Art, mit der er durch sein chaotisches Leben stolperte, ohne dabei sein – zugegeben – hoch gestecktes Ziel aus den Augen zu verlieren: ein international anerkannter Event-Manager in der Kunstszene zu werden. Diese besondere Lebensfreude und seine unerschütterliche Zuversicht waren es auch, was Paula sofort an Thore faszinierte. Sie ließ es eine ganze Weile klingeln. Wir sahen auf dem Display, dass sie es war, aber wir gingen nicht ran. Wir wollten jetzt nicht reden. Paula dachte bestimmt, dass wir wahrscheinlich essen waren, im Kino oder bei Freunden. Sie würde es morgen wieder versuchen.
Die beiden feierten noch eine Weile, bevor sie glücklich und verliebt über beide Ohren ins Bett fielen. Verliebt und berauscht. Vom Champagner und von dem, was sie erwartete.
*
Tom hatte die Karten für das Xavier-Konzert günstig bei Ebay bekommen. Alles klar. Er schrieb Ben eine SMS. Ben saß gerade in einer Vorlesung über die Bedeutung des Freiheitsbegriffs bei Heinrich Heine. Heine war nicht so sehr sein Ding, aber es war eine Pflichtveranstaltung im Rahmen des Vorstudiums. Also ging Ben auch brav regelmäßig in diese Veranstaltung. Wie er überhaupt – bei allen studentischen Freiheiten – sein Studium sehr ernst nahm. Er hatte sein Handy auf lautlos gestellt. Aber er sah die Nachricht und freute sich tierisch auf das Wochenende mit Tom und darauf, mal wieder nach Hause zu fahren.
Als er die Vorlesung hinter sich gebracht hatte, versuchte er, mich anzurufen. Er wollte uns – besonders natürlich seine Mutter – mit der Nachricht überraschen, dass er nun doch zu ihrem Geburtstag kommen würde, obwohl er sich ein paar Tage vorher noch nicht festlegen konnte. Ist ja schließlich nicht um die Ecke. Außerdem kostete es immer einen ganzen Haufen Geld, um mit dem Zug von Prag nach Hannover zu fahren. Natürlich hätten wir ihm das Ticket bezahlt, aber Ben hatte gelernt, uns finanziell nicht überzustrapazieren. Wir mussten ja so schon jeden Monat eine Stange Geld hinlegen. Und Ben wusste das zu schätzen. Ich drückte seinen Anruf weg und ließ meine Mailbox ihren Job machen. Ben wunderte sich, denn eigentlich ging ich immer ans Telefon, wenn er oder Paula anriefen. Also schrieb er eine SMS: „Hallo Papa. Ich werde doch zu Mamas Geburtstag kommen. Aber sag’s ihr noch nicht. Soll eine Überraschung sein. Hast du eine Idee, was sie sich wünscht? LG Ben“
Die Mittagspause verbrachte Ben mit ein paar Kommilitonen im Kavárna Krásný ztráty, einem Literaturcafé in der Nähe der Karlova. Man konnte da eigentlich nur mittags hingehen, denn es war fast immer so voll, dass man nicht mal mehr einen Stehplatz bekam. Ohne Reservierung ging da meistens nichts. Die Mensen der Uni mieden sie weitgehend, denn bei mehr als 45.000 Studenten war es da immer überfüllt, auch wenn sich die verschiedenen Fakultäten über die ganze Stadt verteilten. Außerdem war das Essen in den Hochschul-Kantinen für Bens Geschmack einfach ungenießbar. Und weil Ben sowieso meist abends mit Nina und Spiro in der WG-Küche kochte, brauchte er mittags auch kein warmes Essen. Da reichte dann ein Kaffee oder ein Chai-Tee. Er wunderte sich, dass ich immer noch nicht auf seine SMS geantwortet hatte. Das war ungewöhnlich. Aber vielleicht, so dachte er, wäre ich in irgendeiner wichtigen Besprechung, in irgendeinem Flieger oder sonst irgendwo in der Welt unterwegs. Ich war beruflich ja ständig unterwegs.