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PROGNOSEN SIND NICHT DIE ZUKUNFT

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Im Zukunftsinstitut ist es unsere Vision, die Zukunftskompetenz der Menschen in der Wirtschaft und in der Gesellschaft stärker zu machen. Wir wollen Menschen begeistern für ihre Zukunft und daher forschen wir für ihre Entwicklung. Dabei unterscheiden wir zwischen zwei Zugängen: Zukunft als Wahrscheinlichkeit und Zukunft als Möglichkeit. Mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten ist ein statistisches Vorgehen. Man versucht zu verstehen, mit welcher prozentualen Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes Ereignis eintreten könnte. Hier handelt es sich um Prognosen und damit um die Art von Zukunft, die uns allen im Alltag vermehrt unterkommt. Nimmt man sich Möglichkeiten vor, sucht man Potenziale und erzeugt Bilder (Ausblicke) und Szenarien. Der größte Unterschied zwischen den beiden Zugängen: Bei Wahrscheinlichkeit nutzt und interpretiert man Daten. Das Ergebnis sind Prognosen. Diese helfen uns zu verstehen, welche Entscheidungen im Moment anstehen. Wie beim Wetter: Nehme ich den Regenschirm oder die Sonnencreme. Möglichkeiten gehen von Potenzialen aus und helfen uns alternative Vorstellungen zu entwickeln. Sie regen unsere Fantasie an und sind gewissermaßen fiktiv, nicht statistisch. Das Ergebnis ist eine umfangreichere Vorstellung von Zukunft. Neue Richtungen können sich daraus ergeben.

Die Unterscheidung zwischen Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit ist nicht trivial. Fangen wir mit den Wahrscheinlichkeiten an: Vorhin haben Sie von alltäglichen Prognosen gelesen: Von der Wetter-App bis hin zu Wahlprognosen. Diese Prognosen handeln von Wahrscheinlichkeiten und werden mit statistischen Werten ausgedrückt. Es gibt dann zum Beispiel eine 60 %ige Wahrscheinlichkeit auf Regen. Oder: Ihr Routenplaner sagt Ihnen, dass die eine Strecke um 5 Minuten schneller sein wird als eine andere. Beides sind errechnete Wahrscheinlichkeiten. Beide sagen nichts über die Zukunft aus. Wie meine ich das? Nehmen wir nur das Wetter. Wenn es eine 60 %ige Chance auf Regen gibt, was tun Sie dann? Nehmen Sie einen Schirm mit oder nicht? Die Prognose hilft Ihnen in dem Fall nicht, diese Entscheidung zu treffen. Das liegt ganz bei Ihnen. Vielleicht schauen Sie dann in den Himmel und denken sich »Na, lieber nehme ich mal einen Schirm mit.« Sollte es den ganzen Tag nicht regnen, hat Ihnen die Prognose nicht geholfen. Aber war sie falsch? Nein. Denn 60 % sind ja immerhin nicht 100 %. Die Prognose war nicht falsch: Sie setzt ein Thema auf den Plan. Nämlich, dass Sie überhaupt darüber nachdenken, einen Schirm mitzunehmen oder eben nicht. Prognosen können nicht die Zukunft vorhersagen: sie sensibilisieren dafür, welche Themen wir berücksichtigen müssen. Ähnliches gilt für die Route. Wenn auf einer Fahrtstrecke von einer Stunde ein Unterschied von 5 Minuten angezeigt wird, liegt es letztlich wieder bei Ihnen, sich zu entscheiden. Die Prognose sagt nur aus, dass es – momentan – fast keinen Unterschied macht. Wählen Sie dann eine Route aus und landen in einem Stau, hat Ihnen die Prognose wieder nicht geholfen. Aber: Zum Zeitpunkt der Erstellung war sie nicht falsch. Ein Unfall hat diesen Stau verursacht. Dieser war um diese Uhrzeit auf dieser Strecke äußerst unwahrscheinlich, daher konnte das Prognosetool nicht helfen.

Ähnliches passiert bei Versicherungen. Wenn wir eine Versicherung abschließen, wird das Risiko auf Basis von statistischen Rechenmodellen eingeschätzt. Die Prognosen können nur mit Daten agieren, die in der Vergangenheit beziehungsweise – mittels Einsatz von Big Data – in der Gegenwart einsichtig sind. Das bedeutet, wir haben es mit Wahrscheinlichkeiten im statistischen Sinne zu tun. Ob das Risiko, das wir versichern, für uns wirklich schlagend wird, kann niemand wissen. Es ist ausschließlich ein statistisches Modell. Aber: Ist die Prognose, dass eine spezifische Versicherung Sinn macht, daher falsch? Nein. Auf Basis unseres aktuellen Wissens und den uns zur Verfügung stehenden Modellen ist sie richtig. Die Qualität einer Prognose liegt nicht darin, dass sie sich bewahrheitet. Sie soll uns helfen, im gegenwärtigen Zeitpunkt ein Bild der Lage vom Heute und einem möglichen Morgen zu geben. Noch mal der Regenschirm: Das Einzige, was eine Prognose hier kann, ist, uns darauf zu sensibilisieren, dass es Sinn macht, über den Regenschirm grundsätzlich nachzudenken.

Gute Prognosen helfen zu verstehen, was wir überhaupt entscheiden sollten. Im Alltag ist das den meisten Menschen nicht klar. Auch vielen Profis nicht. Sehr häufig verlassen sich heute Manager auf Prognosemodelle und Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Sogar immer mehr: Denn das Versprechen von technischen Prognosetools klingt großartig. Ganz automatisch und ohne Zutun sollen aus großen Datenmengen wahrscheinliche Entwicklungen sichtbar werden. Aber nimmt uns das Entscheidungen ab? Unsere Welt ist komplex. Es ist schwierig, Entscheidungen zu treffen. Da ist es nur verständlich, dass man gerne Systeme hätte, die uns die Entscheidung abnehmen. »Das hat ja der Computer errechnet, also machen wir das.« Aber so funktioniert die Welt leider nicht. Wenn es darum geht, dass Sie Ihre eigene Zukunftskompetenz erhöhen, dann ist diese Erkenntnis wesentlich: Prognosen helfen nicht, Entscheidungen zu treffen. Sie helfen nur zu verstehen, was überhaupt entschieden werden sollte.

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