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MUTIG VORAN
ОглавлениеDie dritte Zutat zum Erkennen von Möglichkeiten ist der Mut. Oder genauer formuliert: der Zukunftsmut. Zukunft erfordert, dass wir uns auf das Ungewisse und Unsichere einlassen. Die Zukunft per se ist unbekannt. Prognosen helfen uns dabei zu erkennen, welche Entscheidungen heute anstehen könnten. Aber sie sagen nicht die Zukunft voraus. Potenziale geben uns Hinweise darauf, welche Möglichkeiten sich in Zukunft realisieren könnten. Doch diese sind keine Garantie. Also bleibt uns Menschen der Mut. Dabei ist Mut nicht mit Wagemut zu verwechseln. Mutig ist jeder Mensch, der sich über seine gewohnten Komfortzonen hinwegsetzt und sich selbst überwindet. Mut hat nichts zu tun mit Heldentum. Es ist eine klare Entscheidung für sich und seine Zukunft. Peter Sloterdijk hat dafür einen ganz hervorragenden typologischen Begriff entwickelt. Er spricht von »Zukunftsprovokateuren«. Damit meint er Menschen, die sich auf die Zukunft einlassen wollen. Der potenzielle Möglichkeitsraum ist groß, aber eben nicht schicksalshaft vorgezeichnet. Um Möglichkeiten zu erkennen, sollte man sie auch ergreifen wollen. Denn ob es eine Möglichkeit ist oder nicht, ergibt sich oft erst durch das Tun oder durch das Provozieren von Zukunft. Potenziale zu erkennen, ist das eine. Sie zu entfalten, das andere.
Boyan Slat, ein junger Mann aus den Niederlanden, wollte eigentlich Astronaut werden, doch stattdessen hat er ein Verfahren entwickelt, um das Meer von Plastik zu befreien. Die vorausgehende Beobachtung hatte er bei einem Familienurlaub in Griechenland im Jahr 2011. Bei Tauchgängen fiel ihm der Müll auf, er wollte etwas tun. Das Potenzial entdeckte er dann im Labor. Er entwickelte ein Verfahren, um das Plastik aus dem Meer zu fischen. Niemand hielt es für möglich. Aber er fasste Mut und fing an. Heute hat er sein eigenes Unternehmen – The Ocean Cleanup. Und er reinigt. Ein wahrer Zukunftsprovokateur.
Nicht jeder Mensch ist zu jeder Zeit dazu in der Lage oder auch bereit. Die Möglichkeiten herauszufordern, ist keine ganz simple Aufgabe. Nicht umsonst verbreitet sich eine vermehrte Diskussion über Fehler. In einer Null-Fehler-Umgebung werden wir uns nicht dem Möglichen zuwenden, sondern immer nur dem statistisch Belegten. Doch Wahrscheinlichkeiten, so haben wir gelernt, zeigen nicht die Zukunft. Sie helfen uns, rückwirkend zu behaupten, nichts Falsches gemacht zu haben. Wer mutig ist, wird auch Fehler machen. So viel steht fest. Daher ist es schlau, sich auf Fehler einzustellen. Zum Leben gehört die Ungewissheit. Sie ist unser ständiger Begleiter. Ungewissheit ist die Quelle des Möglichen.