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WIE WAHRSCHEINLICH IST WAHRSCHEINLICHKEIT

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Die Bloomberg-Journalistin K Oanh Ha wollte mittels eines Gentests herausfinden, welche Krankheiten sie in Zukunft erwarten kann. Dabei hat die in Hongkong lebende Ha ein Experiment gewagt: Sie ist nicht nur zu einem Genlabor gegangen, sondern gleich zu zwei. Eines davon ist das Unternehmen 23 and Me. Ein amerikanisches Labor, gegründet von der Exfrau des Google-Gründers Sergey Brin. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben mittlerweile 10 Millionen Kunden und eine Sammlung von einer Milliarde genetischen Datenpunkten. Das andere Labor liegt in China, in Chengdu. Es heißt 23 Mofang und ist ein Startup, das gerade versucht, den aufkommenden Gen-Boom in China für sich zu nutzen. Das chinesische Labor hat nach eigenen Angaben rund 700.000 Kunden.

Die Resultate der beiden Gentests haben Ha sehr überrascht: Die chinesischen Auswertungen waren wesentlich ambitionierter und umfangreicher. So hat dieser Test Angaben zu einer hohen Wahrscheinlichkeit von schlaffer Haut geliefert. Inklusive Hinweisen, welche Creme von Estée Lauder Ha zukünftig nutzen sollte. Wie auch einen Hinweis, auf eine hohe Wahrscheinlichkeit, 95 Jahre alt zu werden. »Lächerlich«, sagt dazu Eric Topol, ein Genetiker am Scripps Research Translational Institute in La Jolla, Kalifornien, »es gibt keinen Weg, eine konkrete Jahreszahl zur Lebenserwartung zu bestimmen.« Dennoch wird es gemacht, zumindest im chinesischen Labor! Erneut mein Hinweis: Es ist eine Prognose, eine Wahrscheinlichkeit – ganz offensichtlich eine nicht besonders seriöse. Aber auch in der Wahrscheinlichkeit von Erkrankungen haben die beiden Tests überaus unterschiedliche Ergebnisse gebracht. Das amerikanische Labor hat eine überdurchschnittliche Neigung zu Depressionserkrankungen festgestellt, was dem chinesischen Labor nicht aufgefallen ist. Beide Labors haben eine überdurchschnittliche Wahrscheinlichkeit für Diabetes bei Ha festgestellt. Die Auswertung von 23 and Me lag dabei auf 48 %, die des chinesischen Pendants 23 Mofang sagt 26 %. Was sollen wir nun glauben? Welche Prognose stimmt, und hilft diese Prognose? Die Journalistin Ha hat von beiden Laboren einen Onlinezugang erhalten, in dem ihre Daten abgebildet werden. Verwundert stellte sie fest, dass sich diese Wahrscheinlichkeiten in Bezug auf Diabetes im Laufe von ein paar Wochen änderten – ohne dass Sie einen neuen Test gemacht hätte. Der Gründer des chinesischen Start-ups meinte dazu: »Es besteht die Möglichkeit, dass Sie später Resultate bekommen, die das Gegenteil von den heutigen Analysen ergeben.« Was nun? Wir machen einen Gentest, erhalten Aussagen über Wahrscheinlichkeiten und müssen damit rechnen, dass sich diese total verändern – obwohl sich unsere Gene nicht verändern! Wie kann das sein? Der Hintergrund sind die zur Verfügung stehenden Daten sowie die Rechenmodelle und Algorithmen. Im Laufe der Zeit ändern sich diese und damit ändern sich die möglichen Prognosen und Aussagen der Tests.

Wieder gilt in Sachen der eigenen Zukunftskompetenz: Jede Prognose ist nur eine Prognose. Sie ist so gut, wie die im Moment dafür herangezogenen Informationen und Modelle funktionieren. Prognosen sind immer gegenwarts- und vergangenheitsorientiert. Keine Prognose nimmt uns eine Entscheidung ab. Je besser die Prognose, desto mehr hilft sie uns, zu verstehen, welche Entscheidung wir überhaupt treffen können. Verwechseln wir Prognosen daher nicht mit Zukunft! Prognosen sind in Zukunft verpackte Vergangenheit.

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