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Wertstoffhof

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Jeder kennt wohl jemanden, der jemanden kennt, der schon mal gesehen haben will, wie Arbeiter am Bahnsteig die für Papier, Plastik und Restmüll separierten Abfallbehälter bei der Entleerung skrupellos zusammenschütten. Mit dem Fazit: Mülltrennung ist Lug und Trug und dient nur zur Beruhigung des Gewissens der Müllverursacher. Und deshalb werden vermutlich, so die Verschwörungstheoretiker, die Inhalte von gelber, grüner, blauer, grauer und brauner Tonne von der Müllmafia auch ebenso skrupellos auf Deponien zusammengekippt.

Vermutlich allerdings haben nur die wenigsten wirklich mit eigenen Augen ein solch ungeheuerliches Vorgehen beobachtet. Denn die Faktenlage spricht eindeutig für den ökologischen Effekt des sortierten Abfalls. Papier kann inzwischen bis zu acht Mal wiederverwendet werden, ohne dass ein einziger Baum dafür sterben muss. Aus altem Plastik werden Eimer oder Pullover, Biomüll wird in Kraftwerken zur Energiegewinnung genutzt. Insgesamt ist das Recycling längst zu einer lukrativen Branche geworden, die in Deutschland zweihundertfünfzigtausend Menschen beschäftigt und fünfzig Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet.

Auch wenn sich Dosenpfand auf Vaterland reimt, befinden sich unter den Mülltrennern nicht mehr ideologisch verblendete als unter den Glas-in-den-Papierkorb-Werfern. Der ökologische Gewinn von Mülltrennung ist nicht zu bestreiten. Auch wenn vermutlich in naher Zukunft die Sortiermaschinen so ausgereift sein werden, dass das getrennte Wegwerfen im Haushalt überflüssig wird, so ist der psychologische Effekt des strukturierten Entrümpelns nicht zu vernachlässigen. Das Gefühl, die in einer Woche gesammelten Joghurtbecher, Saftflaschen und Milchkartons im gelben Sack abholen oder im Plastikcontainer verschwinden zu lassen, dabei kiloweise Ballast abzuwerfen und auch noch die Gewissheit zu haben, etwas Gutes zu tun, ist unvergleichlich befreiend und wird nur noch durch eins übertroffen: den Besuch am Wertstoffhof.

Viel zu selten hat man die Gelegenheit, die großen Recycling-Parks aufzusuchen, wo riesige Container von unrasierten Müll-Sheriffs in orangefarbenen Westen bewacht werden, die streng darauf achten, dass Papier nicht im Container für Kartonagen landet, Metall nicht beim Sperrmüll und zerlegte Möbel auch wirklich zerlegt sind. Eine Pkw-Ladung darf man dort täglich loswerden, nachdem man tagelang das Laub im Garten gesammelt, Schrankwände in Einzelbretter zerlegt, Umzugskartons platt gemacht oder ausrangierte Computer samt Monitor und Lautsprecherboxen abmontiert – Kabel separat – und zum Abtransport für den Wertstoffhof vorbereitet hat. Es scheint, als habe man den Ballast eines halben Lebens aufgetürmt, der jahrelang ungenutzt im Weg stand, für Klaustrophobie gesorgt und den Wohnraum verkleinert hat. Und dann verschwindet dieser Unrat in Minutenschnelle wie nichts im riesigen Schlund des Müllmonsters und verliert sich innerhalb von Augenblicken im Unrat der gesamten Nachbarschaft, bevor er zermalmt, zerkleinert oder auf andere Weise atomisiert wird. Was noch vor Kurzem wie eine zentnerschwere Last auf Seele und Wohlbefinden drückte, hat sich in Luft aufgelöst - und Platz gemacht für neue Schrankwände, Stehlampen und Computer, die auch irgendwann zum Plunder werden und Anlass für einen neuen befreienden Ausflug zum Wertstoffhof bieten. Nicht umsonst lehren Feng-Shui-Gurus, dass man täglich siebenundzwanzig Dinge wegschmeißen soll, um sein Leben zu erleichtern.

Das Gerede, Mülltrennung diene nur der Beschäftigung von Gutmenschen und militanten Ökos, ist nichts anderes als die faule Ausrede von ignoranten Klimakillern, die hinter jeder Tonne die Müllmafia vermuten. Mülltrennung schont die Umwelt, spart Ressourcen – und der gebührenfreie Besuch beim Wertstoffhof ist immer deutlich günstiger und manchmal wirkungsvoller als eine langwierige Psychotherapie.

Das Lexikon der uncoolen Dinge

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