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Lieblicher Wein

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„Oh, wie süß“, ist ein Ausdruck des wohlwollenden Entzückens - sofern es sich um ein selbst getextetes Liebesgedicht, ein Elefantenbaby oder eine krakelige Kinderzeichnung handelt. Sobald es aber um Wein geht, gilt „süß“ als die laienhafte Umschreibung für das Prädikat „besonders wertlos“. Da hilft es auch nicht, als Synonym die Begriffe „lieblich“, „mild“ oder „feinherb“ zu verwenden oder darauf zu verweisen, dass im anglofonen Sprachraum die wohlklingenden Wörter „charming“ oder „lovely“ üblich sind. Süßer Wein ist etwas für Weicheier, so die landläufige Meinung, und für einen echten Weingourmet kann es nicht staubtrocken genug sein. Darum bedarf es einer gehörigen Portion Mut, sich vom Sommelier im Sternerestaurant etwas servieren zu lassen, was nicht zumindest als „halbtrocken“ deklariert ist. Aber warum ist das so? Hat schon mal jemand über süße Kekse die Nase gerümpft oder nach einer halbtrockenen Sahnetorte verlangt? Ist schon mal jemand als kulinarischer Banause verschrien worden, bloß weil er seinen Kaffee mit Zucker gesüßt, sein Vollkornbrot mit Nutella beschmiert oder eine Pizza mit Ananasscheiben verfeinert hat? Und wird der Wein nicht immer noch aus süßen Trauben gewonnen?

Guten Wein erkennt man daran, dass er a) schmeckt, b) eine Flasche mehr als fünf Euro kostet und c) am nächsten Tag der Schädel nicht brummt. Und genau jene Kopfschmerzen, die der Genuss von süßem Wein angeblich unweigerlich hervorruft, dienen als letztes Argument im Munde der staubtrockenen Süßweindenunzianten. Dass nicht jeder die Kombination aus Zucker und Schwefel gleichermaßen verträgt und am nächsten Morgen mit einem Brummschädel reagiert, ist wohl nicht zu verleugnen. Aber es gibt auch Menschen mit Heuschnupfen – sollen deshalb alle anderen im Frühling einen großen Bogen um frisch gemähte Wiesen machen?

Wer schon mal das Glück hatte, ein Glas „Amadeus“ oder „Sisi“ der Weinkellerei Meran zu verköstigen oder sich an der wunderbar vielschichtigen, feinnervigen und finessenreich betörenden Fruchtfülle mit leicht mineralischer Note einer Schloss Johannisberger Grünlack Spätlese zu erfreuen, der wird bestätigen: Der Verzicht auf süßen Wein ist ein nicht wiedergutzumachender Verlust an Gaumenfreude.

Und übrigens: Jeder Hobby-Önologe, der es spießig findet, Weinflaschen mit Schraubverschluss zu verwenden, der sollte sich mal fragen, ob ein Schraubverschluss nach Kork schmecken kann.

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