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Prenzlberg

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Hier wohnen die Künstler, die Kreativen, hier geht man in autonome Szeneklubs: Der Prenzlberg – wie Insider ihren Ostberliner Kiez nennen – ist das neue Kreuzberg. Absolut Underground, completely alternative.

Klingt cool. Stimmt aber alles schon lange nicht mehr. Nach der Wende war der Prenzlauer Berg eine Weile das, was sich heute noch jene vorstellen, die um dieses zaunlose Getto der Bürgerlichkeit einen großen Bogen machen und „Helmi“ und „Kolle“ für Figuren aus der Sesamstraße halten und nicht für Helmholtz- und Kollwitzplatz. Heute ist das Prenzlauer Gebirge ein etabliertes Wohnviertel für gut verdienende Jungfamilien, die ihren Nachwuchs auf Stoppersocken zum Kinder-Yoga schicken. Über hundertfünfzigtausend Menschen, also so viele wie allein in Potsdam, leben im Prenzlauer Berg. Jawohl, man lebt nicht „in“ oder gar „auf“, sondern „im“ Prenzlauer Berg. Allein rund um den Helmholtzplatz drängen sich fünfundzwanzigtausend Einwohner auf einen Quadratkilometer. Die Hälfte der Prenzlberger ist im gebärfähigen Alter – doppelt so viele wie im Rest der Republik – und macht von dieser Fähigkeit auch regen Gebrauch. Drei von vier Einwohnern sind Akademiker, der vierte wird von der „Generation Buggy“ im Kinderwagen von Spielplatz zu Spielplatz geschoben oder in eine Kita gebracht, die in einer ehemaligen Schwulenkneipe aufgemacht hat – gleich neben der Hebammenpraxis, die einen Pornoladen verdrängt hat. Prenzlauer Berg ist Pregnancy Hill.

Die Coolen haben längst Reißaus genommen. Die legendäre Kastanienallee ist zu einer Bummelpromenade und einer Castingallee geworden. Der Szeneklub White Trash an der Schönhauser Allee suchte ein neues Quartier in Friedrichshain – mit der Begründung, der Prenzlauer Berg sei zu spießig geworden. Nachbarn hätten sich über die laute Musik beschwert, und die Miete sei unbezahlbar geworden. Die Toleranzgrenze gegenüber nächtlicher Ruhestörung verläuft auf der Höhe von Altbau-Dachgeschosswohnungen umgekehrt proportional zu den Mietpreisen. Tatsächlich zahlt man zum Beispiel an der Kollwitzstraße bis zu zwölf Euro pro Quadratmeter „nettokalt“ im Altbau. Für einen Neubau werden gar 16,50 Euro berappt – das Dreifache der Mietpreise in Marzahn oder Spandau. Mit dieser Wilmersdorfisierung der Wohnungspreise wird die Zuwanderung gezielt gesteuert. Wer sich ein gutbürgerliches Leben des modernen Spießers nicht leisten kann, muss leider draußen bleiben. Wer es sich nicht leisten will, weil er zu cool dafür ist oder eine Pampers- und Pastinaken-Allergie hat, bleibt freiwillig draußen. Der Schriftsteller Maxim Biller, sicher auch einer der Coolen in der Literaturszene, nennt den Prenzlauer Berg abfällig „national befreite Zone“. Ein Reiseführer drückt es anders aus: „Miesmacher werfen Prenzlauer Berg vor, gentrifiziert und spießig geworden zu sein.“ Das Prädikat „einfach hübsch“ wird hinterhergeschickt. Auch der Baedeker stellt nüchtern fest: „Die autonom-alternativen Zeiten von ‚Prenzl. Berg‘ neigen sich auch schon wieder dem Ende zu.“ Netter formuliert könnte man sagen: Hier genießt der moderne Apfelschorle-Biedermeier Milieuschutz. Die Wahrheit ist: Kreuzberger Nächte sind lang, im Prenzlauer Berg sind die Nächte meist kurz – junge Eltern werden das bestätigen; und lang ist meist die Schlange bei Konnopke’s Imbiß an der Schönhauser Allee, wo es seit über achtzig Jahren bekanntlich die beste Currywurst der Welt gibt: Die ist schärfer als jedes Thaicurry und stellt alle Running Sushis in den Schatten. Und hartnäckig hält sich das Gerücht, dass an einer Kneipe im Prenzlauer Berg immer noch das Schild an der Tür hängt: „Kein Milchkaffee.“ Ich antworte: „Hier trink ich Filterkaffee, hier darf ich sein.“

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