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2.4.1. Von der Agenda 21 zum Nachhaltigkeits-Diskurs

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Die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro hat mit der Agenda 21 ein Aktionsprogramm von 178 Staaten unterzeichnet, das die gewünschte »Tagesordnung« für das 21. Jahrhundert enthält. In vier Teilen mit 40 Kapiteln wird ein umfassender Leitfaden für eine nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung der Weltgesellschaft skizziert. Der erste Teil beschreibt die sozialen und wirtschaftlichen Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung, wobei Fragen der Armutsbekämpfung, der Bevölkerungsdynamik, des Gesundheitsschutzes und der Siedlungsentwicklung thematisiert werden. Im zweiten Teil geht es um die Erhaltung und Bewirtschaftung der Ressourcen für die Entwicklung (Schutz der Erdatmosphäre, Maßnahmen gegen die Entwaldung, Bewirtschaftung und Erhalt von Ökosystemen, Schutz der Meere und umweltverträgliche Abfallwirtschaft). In Teil III wird die Frage nach einer möglichen »Stärkung der Rolle wichtiger gesellschaftlicher Gruppen« gestellt, z.B.: Wie kann die Partizipation bisher benachteiligter Gruppen wie der Frauen, der Kinder, indigener Völker und der Bauern gestärkt werden? Neben den nicht staatlichen Organisationen, den Arbeitnehmern und Gewerkschaften, der Privatwirtschaft, der Wissenschaft und Technik werden »Kinder und Jugendliche« und »Initiativen der Kommunen zur Umsetzung der Agenda 21« besonders herausgehoben. Im abschließenden Teil IV geht es um die Möglichkeiten und Instrumente zur institutionellen, organisatorischen und finanziellen Umsetzung, wobei in Kap. 3.6 die Notwendigkeit der »Förderung der Schulbildung, des öffentlichen Bewusstseins und der beruflichen Aus- und Fortbildung« betont wird.

Die in Rio 1992 von den VN eingesetzte Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD) hat 1996 beschlossen, ein Aktionsprogramm in die Wege zu leiten, mit dem die VN-Organisation unter Federführung der UNESCO die nationalen Regierungen und die wichtigen gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere auch die Nichtregierungsorganisationen, die Umsetzung der Agenda 21 koordiniert voranbringen sollen.

In den Jahren 1994/1995 haben Bund und Länder in getrennter Form auf Regierungsebene die Absicht bekundet, die Agenda 21 zur Leitlinie ihrer Politik zu machen (vgl. Umweltbericht 1994 der Bundesregierung, Bericht der Bundesregierung anlässlich VN-Sondergeneralversammlung über Umwelt und Entwicklung 1997 in New York »Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland«, Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 1995, Umweltministerkonferenz im Juni 1996 und im Juni 1997).

Wesentlicher Inhalt des Beschlusses ist u.a. die Weiterentwicklung der Umweltbildung hin zu einer »Bildung für eine nachhaltige Entwicklung«, wobei der neu geprägte Leitbegriff darauf aufmerksam machen soll, dass Umweltaspekte, soziale Gesichtspunkte und Entwicklungsfragen gleichrangig in die formelle und nichtformelle Bildung eingebracht werden.

Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) hat am 8. Juni 1998 den Orientierungsrahmen einer »Bildung für eine nachhaltige Entwicklung« verabschiedet. Dieser Orientierungsrahmen soll als »gedankliches Fundament, als konzeptioneller Aufriß und als Leitlinie für eine zukunftsfähige Gestaltung pädagogischer Prozesse dienen« (BLK 1998, S. 9). Erzieher, Lehrer, Ausbilder, Professoren und Dozenten sind aufgerufen, die üblichen Instrumentarien zur Umsetzung von Innovationen einzusetzen (z.B. Lehrpläne, Ausbildungsverordnungen, Studienordnungen, Richtlinien, thematische Bausteine, Materialienentwicklung) und darauf ausgerichtete Lehr- und Lernprozesse im Sinne des neuen Leitbildes zu verändern.

Mit dem Ziel, die Rahmenbedingungen und Handlungserfordernisse u.a. für solche Umweltbildungskonzeption inhaltlich zu entfalten und zu konkretisieren, hat das Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie im Auftrag von BUND und Misereor im Jahre 1996 die Studie »Zukunftsfähiges Deutschland« als Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung vorgelegt. Da diese Studie für die Rezeption der Agenda 21 in den Folgejahren und für den gegenwärtigen Nachhaltigkeitsdiskurs von Bedeutung war bzw. ist, möchte ich einige wesentliche Strukturmerkmale und Besonderheiten benennen.

Ausgehend von einer Beschreibung der derzeitigen ökologischen Situation im politischen, sozialen und ökonomischen Zusammenhang und orientiert am Maßstab des Sustainable Development – in der Studie übersetzt mit »Zukunftsfähigkeit« – werden drei normative Festlegungen getroffen.

1. Die heutigen und die künftigen Generationen haben das gleiche Recht zur Verwirklichung von Lebenschancen.

2. Jede Generation hat die Verpflichtung, kommenden Generationen eine intakte Umwelt zu hinterlassen.

3. Jeder Mensch hat dieselben (begrenzten) Nutzungsrechte an globalen Ressourcen (BUND/Misereor 1996, S. 24 ff).

Auf diese und andere Werturteile bezogen wird der methodische Ansatz des Umweltraum-Konzepts als normatives Maß formuliert: »Umweltraum bezeichnet den Raum, den die Menschen in der natürlichen Umwelt benutzen können, ohne wesentliche Charakteristika nachhaltig zu beeinträchtigen« (S. 27).

Damit wird ein Handlungsrahmen vorgegeben, der durch die »Neuen Grenzen des Wachstums« bestimmt ist. Dieser Handlungsrahmen ist durch folgende Prinzipien gekennzeichnet: Tragfähigkeit der Ökosysteme, Regenerationsfähigkeit natürlicher Ressourcen, Verfügbarkeit von Rohstoffen, gleiche Nutzungsrechte an den globalen Ressourcen im Rahmen ihrer Tragfähigkeit für alle Menschen.

Bezogen auf diese normativen Festlegungen werden konkrete Ziele formuliert, z.B. der Ausgleich zwischen Nord und Süd bzgl. der Überwindung des Zustands, dass 20 % der Menschheit 80 % des Umweltraums beanspruchen. Für ein zukunftsfähiges Deutschland wird u.a. das Reduktionsziel definiert, Ressourcenverbrauch und Schadstoffemissionen bis 2050 um 80–90 % abzusenken. Auf diesem Hintergrund werden quantitative Bilanzen für den deutschen Umweltverbrauch der letzten Jahrzehnte erstellt, wobei wichtige Indikatoren der Verursachungsseite (Energie-, Material-, Flächen-, und Wasserverbrauch) und der Wirkungsseite (z.B. Emissionen von CO2, SO2, NOx) berücksichtigt werden.

Das Herzstück der ZD-Studie ist nach Meinung vieler Kommentatoren in den formulierten Leitbildern zu sehen, die im Wesentlichen qualitativen Charakter haben. Sie betreffen das rechte Maß für Zeit und Raum, die Zukunft des Marktes (»Grüne Marktagenda«) wie die von Produktions- und Dienstleistungsunternehmen (»zyklische statt lineare Produktionsprozesse«), das Verhältnis von Haben und Sein (»Wohlbefinden statt materieller Reichtum«), die Perspektiven der Städte und des ländlichen Raums (»Stadt als Lebensraum«, »Regeneration von Land- und Forstwirtschaft«) sowie die globale Nachbarschaft mit den Ländern des Südens (»Internationale Gerechtigkeit«).

In einem weiteren Kapitel werden die Übergänge in Form von »Wendeszenarien« nach dem Kriterium der »Zukunftsfähigkeit« skizziert, wodurch die Leitbilder eine empirische Fundierung erhalten. Abschließend werden Zusammenhänge und eine Vorwegnahme von erwarteten Einwänden diskutiert: Der Ansatz sei nicht durchsetzbar, weil Arbeitsplätze und soziale Sicherungssysteme gefährdet würden; weil die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik erheblich beeinträchtigt sei; weil die entworfenen Reduktionsszenarien den Wählern konkrete Einschränkungen in ihrem Lebensstandard abverlangen würden und die dieses Programm offensiv vertretenden Politiker mit Abwahl bestraft würden. Gerade die Länder des Südens seien wegen ihres Rohstofftransfers als Devisenquelle auf weiteres Wachstum der Industrieländer angewiesen.

Eine erste pädagogische Übersetzung von Teilen dieser Studie wurde von einer Arbeitsgruppe am Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Soest/Nordrhein-Westfalen vorgelegt. In einem Handbuch für Schule, Unterricht und Lehrerbildung werden auf der Folie von zehn Leitbildern (Gut leben statt viel haben/Stadt als Lebensraum/Zeit nehmen und Zeit lassen/Regeneration von Land und Landwirtschaft/Von Müllbergen zu Kreisläufen/Lernfähige Infrastruktur/Grüne Marktwirtschaft/Zivilisierung von Konflikten/Gerechtigkeit und globale Nachtbarschaft/Aspekte einer zukunftsfähigen Schule) didaktisch-methodische Entwürfe und Materialien angeboten, die auf verschiedenen Anspruchsstufen der Unterrichts- und Schulentwicklungsarbeit eingesetzt werden können (Landesinstitut Soest 1997).

Einen ersten didaktischen Entwurf hat Jürgen Mayer mit seinem Aufriss »Nachhaltige Entwicklung – ein Leitbild zur Neuorientierung der Umwelterziehung?« in den DGU-Nachrichten vom Oktober 1995 vorgelegt (Mayer 1995). Aktuelle Konkretisierungen für den schulischen (de Haan u.a. 2000, Gärtner u.a. 2001) und außerschulischen Bereich (Buddensiek 2001) übersetzen einzelne Programmelemente und verdeutlichen die Innovationsrichtung.

Um den Transformationsprozess der Rio- und Anschlusskonferenzen in die allgemeinen Bildungsinstitutionen zu gewährleisten, hat die Bund-Länder-Kommission für Bildungsfragen und Forschungsförderung den Nachhaltigkeits-Diskurs gezielt in sein Programm aufgenommen. In seinem Orientierungsrahmen geht er von fünf Fragestellungen aus (BLK 1998, S. 4).

1. Wie kann »Bildung für nachhaltige Entwicklung« in Lernprozessen aufgegriffen und handlungsorientiert umgesetzt werden?

2. Welche fachbezogenen, interdisziplinären und organisatorischen Hilfen müssen entwickelt werden, damit Bildungsinstitutionen entsprechende Lernprozesse initiieren und begleiten können?

3. Wie können Bildungseinrichtungen selbst zu Orten nachhaltiger Entwicklung werden?

4. Wo gibt es Anlässe, sich an einem lokalen Agendaprozess zu beteiligen bzw. diesen zu thematisieren?

5. Wie können Bildungseinrichtungen ihre eigene Arbeit, ihr eigenes Profil in eine lokale Agenda einbringen?

In einer sich anschließenden Expertise mit dem Titel »Förderprogramm für nachhaltige Entwicklung« (Berlin 1999) – veröffentlicht als Gutachten zum oben beschriebenen BLK-Orientierungsrahmen – wird dann auf der Grundlage einer Einschätzung globaler Entwicklungen und deren Verarbeitung in Bildungsinstitutionen die Leitlinien eines pädagogischen Grundkonzepts entworfen. Auf der Basis eines oberen Lernziels, formuliert als »Gestaltungskompetenz für nachhaltige Entwicklung«, werden drei Unterrichts- und Organisationsprinzipien entworfen, die als Module eines zu planenden Förderprogramms Prozess steuernden Charakter haben: »Interdisziplinäres Wissen«, »Partizipatives Lernen« und »Innovative Strukturen« (BLK-Gutachten 1999, S. 59 ff). Als eine wesentliche Legitimationsgrundlage werden in dieser Expertise zwei »Delphi-Studien« zur Erschließung der sogenannten Wissensgesellschaft herangezogen (Fraunhofer Institut 1998, Prognos-AG 1998). Das methodische Vorgehen in »Delphi-Studien« besteht darin, dass jeweils Experten zum Gegenstand einer Studie – in diesem Fall Wissensexperten – in zwei aufeinander folgenden Befragungsrunden die Tendenzen des Themenfeldes und ihre Bewertungen festlegen. Der Zukunftsforscher Klaus Burmeister hat die beiden oben genannten, für die Grundlegung zukünftiger Förderprogramme offenbar maßgebenden, Delphi-Studien einer kritischen Prüfung unterzogen. Er kommt dabei zu folgenden Kritikpunkten: die technologische Grundausrichtung, die von 2453 älteren Männern dominierte Expertenrunde (nur ca. 5 % Frauen), der einseitige durch die Fragestellungen (nach technikorientierten Lösungsbeiträgen) bedingte generelle Optimismus und die fehlenden »Anti-Delphis«, die die nicht berücksichtigten Risiken verarbeiten und Alternativ-Szenarien vorlegen (Burmeister 2000, S. 27 ff). Wenige Monate nach der Veröffentlichung des oben genannten Gutachtens seitens der Berliner »Arbeitsgruppe Umweltbildung« an der FU Berlin wird von derselben Gruppe ein bundesweiter Modellversuch initiiert. In einer vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Auftrag gegebenen Pilotstudie zu einem Förderprogramm »Bildung für Nachhaltigkeit« erfolgt der Auftakt dazu (FU Berlin 1998). Der vorliegende Entwurf der FU-Arbeitsgruppe am Fachbereich Erziehungswissenschaften übernimmt wesentliche Passagen des (selbst erstellten) BLK-Gutachtens und konkretisiert eine Modernisierungsstrategie für die Umweltbildung, die in enger personeller Kooperation zwischen staatlichen Institutionen (BMBF, Länderministerien, FU Berlin etc.) und verschiedenen Organisationseinheiten der Deutschen Gesellschaft für Umweltbildung vorbereitet wurde. Nach einer Skizzierung der Programmatik zur Agenda 21 und dem Konzept der Nachhaltigkeit folgt die unvermittelte Empfehlung vom sogenannten »Bedrohungsszenario« zum »Modernisierungsszenario« überzuwechseln: »Während das ›Dreieck der ökologischen Probleme‹ (Bevölkerungsexplosion, Ressourcenverschleiß, Umweltvergiftung H. B.) ein Bedrohungsszenario zur Basis hatte und damit implizit ein reaktives Handlungskonzept anbot, stellt das ›Dreieck der Nachhaltigkeit‹ ein Modernisierungsszenario dar. Ökologie, Ökonomie und Soziales werden vernetzt gedacht, und die positive Entwicklung in einem der Bereiche gilt als notwendig mit der Entwicklung in den anderen Bereichen verbunden« (S. 4). Die Forschungsgruppe Umweltbildung an der Freien Universität Berlin stellt im weiteren Verlauf des Leitfadens die Strategieschritte dar: Begriffliche Eckpfeiler des Modernisierungsansatzes sollen Effizienz (Input-Output-Optimierung beim Ressourceneinsatz, Konsistenz (Umweltverträglichkeit von Stoff- und Energieströmen), Permanenz (Dauerhaftigkeit von Produkten und Materialien) und Suffizienz (Wandel der Konsum- und Verhaltensmuster) sein, die Nachhaltigkeitsprogrammatik soll auf deren Bildungsrelevanz und Motorfunktion für aktuelle Schulreformkonzepte hin interpretiert, und schließlich sollen länderspezifische Schwerpunkte formuliert werden. Dieser für den Zeitraum der Jahre 1999–2004 konzipierte Modellversuch steht eine typische Plattform für das Verständnis und die Ausgestaltung des Nachhaltigkeits-Paradigmas in den Bildungsinstitutionen dar.

Neben diesen Versuchen einer didaktischen und institutionellen Transformation der Agenda 21-Deklaration zur Rio-Konferenz aus dem Jahre 1992 hat die Forschung diesen Prozess mit Studien und Reflexionen zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und subjektiven Bewusstseins- und Verhaltensdispositionen begleitet.

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