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2.5.2. Neun Thesen zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung

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1. Natur ist die erste und letzte Ressource menschlicher Existenz. Evolutionär ein Natur- und Kulturwesen gerät die Gattung Mensch im Durchgang ihrer kulturellen Entwicklungsstufen zunehmend an die Grenzen ihrer »äußeren« und »inneren« Natur. Im Zentrum der Interpretation des aktuellen ökologischen Krisenzusammenhanges stehen deshalb die historisch veränderlichen und veränderbaren Mensch-Natur-Beziehungen (Reheis 1996, Radkau 2000).

2. Eine der zentralen Ursachen dieser fundamentalen Krise ist die historisch gewachsene Form des Wirtschaftens (globalisierter Neoliberalismus), des Arbeitens (abhängige entfremdete Lohnarbeit) und dazu kohärente Weisen des Forschens, der Technikproduktion, des Kulturbetriebes und der Institutionalisierung von Wissen und Bildung (Forrester 1997, 2001).

3. Umweltbildung in ihrer etablierten Form als institutionell-gesellschaftlich integrierte Veranstaltung zur Produktion von vermeintlich richtigem ökologischen Bewusstsein und Verhalten unterliegt in spezifischer Weise den vorgegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und impliziten Zwängen: Sie folgt in ihrem Mainstream dem »heimlichen Lehrplan« unseres Umgangs mit den ökologischen Risiken und Gefahren.

Sie gestaltet Vorhaben, die einerseits der einfachen (strukturstabilisierenden) »ökologischen Modernisierungslinie« in Ökonomie und Politik folgen, andererseits die alltagsweltlich verankerten populären Angebote des kompensatorischen »Naturerlebens« nutzen. Diese beiden Stränge ergänzen sich wechselseitig, ohne die tieferen Funktionsmechanismen unserer Gesellschaft aufzuhellen und anzutasten.(Diesen Mechanismus nenne ich den stetig reproduzierten »kompensatorischen Verhaltenszirkel« in der Umweltbildung!)

3.1. Die ökologische Krise spaltet sich auf in eine »äußere« Dimension (z.B. Ozongefahren, drohende Klimakatastrophe, Atommüllprobleme, BSE-Krise) und eine »innere« Dimension (z.B. Entfremdung, spezifische Krankheiten und Orientierungskrisen).

3.2. Die Zustände von »innerer« und »äußerer« Krise bedingen einander. Genauso, wie sich der Zustand der äußeren Natur leiblich, psychisch und kognitiv niederschlägt, ist der Zustand der äußeren Natur auch ein Spiegelbild der inneren leiblichen, psychischen und kognitiven Verfassung der Menschen in dieser Gesellschaft (Korrespondenzthese).

3.3. Die äußere Krise spiegelt sich wider im Diskurs zur »Risikogesellschaft«. Ihr systemkonformer Therapieansatz ist die einfache »ökologische Modernisierung« (z.B. die reale Praxis zur ökologischen Steuerreform und Agenda 21).

3.4. Die innere Krise wird als unausweichliche Zeiterscheinung der »Fortschritts-Moderne« hingenommen. Defekte und Mängel werden mit expertenorientierten Dienstleistungsangeboten therapiert (z.B. naturorientierte Medizin, Psychotherapie, asiatische Meditationstechniken, Zeitmanagement, Risiko-Events, Erlebnispädagogik).

4. Reflexionsebenen und Therapieansätze stehen in einem sich wechselseitig verstärkenden doppelten »positiven Rückkopplungsverhältnis« und erzeugen bzw. reproduzieren den »kompensatorischen Verhaltenszirkel« im Umgang mit der ökologischen Krise.


5. Die dominierenden Rezeptionsroutinen in der Agenda 21 und im Nachhaltigkeits-Diskurs sind Beispiele für das Funktionieren dieser Mechanismen. Werden diese Prozesse nicht als solche reflektiert, verbleiben die Programme auf der Ebene einfacher »ökologischer Modernisierung« und verstärken somit die Effekte des »kompensatorischen Verhaltenszirkels«.

6. Die Aufgaben einer kritisch-konstruktiven Umweltbildung liegen auf zwei Ebenen. Alle vermeintlich »zukunftsfähigen« Konzeptansätze und Vorhaben sollten sich in ihren Zielen und Wirkungen an den folgenden beiden Leitfragen messen:

6.1. Welche Chancen der Selbstaufklärung bzgl. der in These 1–5 angedeuteten Zusammenhänge bieten die Kontexte und Prozesse in den umweltpädagogischen Projekten? (Reflexionsfunktion mit dem Ziel einer »Strukturellen Sensibilisierung«)

6.2. Welche Möglichkeiten der Entfaltung subjektiven Vermögens zur Ausarbeitung und schrittweisen Realisierung von Modellen und Beispielen »konkreter Utopie« werden durch die Lernorte, -inhalte und -methoden geschaffen? (Utopiefunktion mit dem Ziel eines Lebenmit-Fähigkeiten)

7. Eine solcherart gestaltete Umweltbildung mit dem Auftrag, im Spannungsfeld von »struktureller Sensibilisierung« und »Utopieentwicklung« einen Beitrag zur Realisierung des Leitbildes einer »Nachhaltigen Entwicklung« zu leisten, benötigt für die Konzeptualisierung und die praktische Ausgestaltung ihrer Bildungsarbeit die Vision eines gediegenen, den Strukturproblemen und Herausforderungen angemessenen Entwurfs personaler Fähigkeitsmuster. Diese Denkfigur müsste die mentalen und qualifikatorischen-Konturen eines homo politicus oecologicus in sich vereinen. Der Doppelcharakter ergibt sich aus den folgenden beiden Notwendigkeiten:

7.1. Die bekannte äußere ökologische Krise wurde von Menschen als Kulturwesen unter konkreten gesellschaftlich-historisch geschaffenen Rahmenbedingungen erzeugt und kann auch nur aufgrund von Einsicht und Willen und der Schaffung veränderter Strukturen und Handlungsrahmen gelöst werden. Diese mutige und voraussetzungsreiche Umgestaltungsarbeit kann wiederum nur von Menschen geleistet werden, die die Gefahren und Ursachen der fundamentalen Mensch-Natur-Krise analysiert, die Ziele und Vorstellungen nicht nur des »Überlebens«, sondern auch des »guten Lebens« für alle Menschen in der Einen Welt fest vor Augen haben und Wege und Mittel des gemeinwesenorientierten Handelns im Kontext von Staat und gesellschaftlichen Subsystemen gemeinschaftlich mitzugestalten wissen. Dieser Aspekt ist in der zu entwickelnden Denkfigur als das Moment eines ökologisch aufgeklärten homo politicus zu interpretieren (Mayer-Tasch 1999).

7.2. Die korrespondierende innere ökologische Krise erschwert die Lösung des Problems in doppelter Weise. Da wir Menschen in unserer gesamten (physischen und psychischen) Konstitution selbst ein Teil des historisch-gesellschaftlichen Krisenzusammenhanges sind, fehlen uns womöglich sowohl die richtigen Vorstellungen von einer gelingenden Zukunft als auch die notwendigen Kräfte für die zwangsläufig langfristig und kontinuierlich anzulegende Umgestaltungsarbeit. Meine Hoffnung: Diese Impulse und Potenziale wird der tätige homo politicus in der aufgeklärten Hinwendung zu seinem gattungsgeschichtlichen Ursprung als Naturwesen suchen und über die gezielte Entfaltung seiner ästhetischen, ethischen und leiblich-natürlichen Konstitutionsschichten die subjektiven Voraussetzungen dafür schaffen. Erst das Zusammenspiel und die kraftvolle Wechselwirkung beider Seiten unserer Denkfigur – das sich selbst reproduzierende und zugleich Natur und Gesellschaft gestaltende Natur- und Kulturwesen – macht uns zum zur Koexistenz fähigen homo politicus oecologicus (Meinberg 1995).

8. Da die angestrebten Verhältnisse erst geschaffen werden müssen und die konstruierte Figur nur so viel Wirklichkeit besitzt, als die konkreten Menschen sich von ihren hinderlichen Entfremdungen und Fesseln selbsttätig befreien und die auf diesen Wegen neu geschaffenen Handlungsspielräume mit konkret-utopischer Fantasie zu füllen wissen, stellt sich für Bildungs-Institutionen die Frage, wie sie das Anliegen fördern und unterstützen können. Will man sich dabei nicht nur um eine sporadische praktische Einmischung in das Alltagsgeschehen bemühen, sondern sich der Aufgabe stellen, institutionell abgesicherte Orte zu schaffen, wo möglichst alle Menschen »allgemeinbildend« und probehandelnd im Sinne des homo politicus-oecologicus von früh an bedeutsame Erfahrungen machen und wichtige Erkenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten sich aneignen können, dann wird man mit der pädagogisch und psychologisch wichtigen Frage beginnen müssen, wie denn der »richtige Anfang« und Start eines konzeptionellen Ansatzes aussehen kann, der den Weg und das Ziel in sich vereint und die Beteiligten selbst zu den Schöpfern ihrer Werke macht: Die Idee des Aufbaus und der kontinuierlichen Weiterentwicklung eines regionalen, an den Grenzen und Möglichkeiten von allgemeinbildenden Schulen orientierten raumzeitlichen Lern-Orte-Netzes und eines in diesen Zusammenhängen selbst erarbeiteten Stufenkonzepts »ökologisch-sozialer Grundbildung« könnte dazu einen hoffnungsvollen Beitrag leisten.

9. Eine im Sinne des Gesamtzusammenhanges und seiner Teile unterstützende Forschung (s. Kap. 9) hätte die wichtigsten konzeptionellen Kernelemente und Prozesse mit den Mitteln hermeneutischer, empirischer und ideologiekritischer Methoden zu erschließen und zu begleiten. U.a. sollten die folgenden zentralen Fragen und Problemstellungen bearbeitet werden:

– Mit welchen Leitkategorien sollten die historisch-anthropologisch gewachsenen Mensch-Natur-Beziehungen analysiert und in ihren Zusammenhängen interpretiert werden? (s. Kap. 3)

– Welche Merkmale charakterisieren unseren gegenwärtigen gesellschaftlich und lebensweltlich geprägten Umgang mit der Naturkrise? Lassen sich die Aussagen zum vermuteten Funktionszusammenhang eines wirksamen »kompensatorischen Verhaltenszirkels« bestätigen und welche Erklärungskraft haben sie (Kap. 4.4)?

– Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Konzeptansätze zur Umweltbildung? Ist das Konstrukt der »Strukturellen Sensibilisierung« bzgl. der Subjekt- und Systemebene eine geeignete Zielformulierung und ermöglicht das »Didaktische Kreuz« als Erschließungshilfe eine ausreichende Konkretisierung dieser Ziele?

– Ist die ganzheitlich konstituierte Denkfigur eines homo politicus oecologicus eine sinnvolle Hilfe bei der Orientierung der Bildungsarbeit? Welche Komponenten sollten dieses Menschenbild auszeichnen? Welche Folgerungen ergeben sich daraus für die Konzeptualisierung einer in diesen Kontext eingebetteten »Natur-Bildung« und einer »politisch-ökologischen Bildung« – insbesondere im Hinblick auf deren jeweilige Eigenlogik und deren mögliche Synthesen (Kap. 8.3.1 und 8.3.2)?

– Welche Konstrukte (z.B. die Frage nach der Entstehung von Elementen eines »co-existenzialen Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmusters«) und welche Zusammenhänge (z.B.: die Frage nach dem Wert und Beitrag intensiver biografisch aufgearbeiteter Naturerfahrungen) sollten die langfristig angelegten Lernprozesse anleiten?

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