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3. DIMENSION DER UMWELTBILDUNG: DAS »DIDAKTISCHE KREUZ« 3.1. Einführung

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Das im Folgenden vorgestellte »Denk-Werkzeug« ist von der Motivation getragen – auf dem Hintergrund der Aussagen in den formulierten neun Thesen aus Kap. 2.5 – den Umgang mit einer stetig wachsenden Komplexität im Kontext der Natur- und Umweltkrise und der damit verbundenen Umweltbildungsintentionen anzuleiten. Dabei sollen mögliche Antworten auf die methodologischen, didaktischen und institutionellen Probleme gesucht werden, wobei dieser Prozess transparent und in überprüfbaren Schritten zu gestalten ist. Die folgenden Überlegungen führen in das didaktische Modell ein:

1. Im thematischen Zentrum einer aufgeklärten Umweltbildung sollten die Mensch-Natur-Beziehungen stehen, deren Aspekte-Vielfalt auf der Grundlage bildungstheoretischer Prämissen im Spektrum der Bezugswissenschaften zu erschließen und in den pädagogischen Handlungsfeldern mit kreativen didaktisch-methodischen Mitteln zu gestalten ist (Radkau 2000).

2. Die Grundformen der Einstellung bzw. der Reaktion auf die Naturkrisenphänomene spiegeln sich zum einen wider in einer kritisch-konstruktiven Grundhaltung, mit der die Thematik erschlossen werden soll. Sie werden in zwei »Momenten« der Herangehensweise gebündelt: Die Anhäufung von Erfahrungen mit Natur- und Umweltkrisenphänomenen kann zu Skepsis, Kritik und schließlich auch zu Widerstandshandlungen gegen die verursachenden Strukturen und die sie verkörpernden Institutionen und Personen führen. Diese Haltung nenne ich das »widerständige« Moment im Umgang mit der Mensch-Natur-Krise. Die dazu polare Haltung – nämlich konstruktiv mit positiven Entwürfen und unter Entfaltung von Imaginationskräften sogar mit ausgearbeiteten Modellen konkreter Utopie zur Lösung der Probleme beitragen zu wollen – möchte ich als das »utopische« Moment in diesem Kontext charakterisieren. Eine andere Prämisse ist in dem folgenden Gedanken ausgedrückt: Momente und Haltungen können nur von konkreten Menschen gestaltet werden, die in unterschiedlichen Situationen, Interessen- und Motivlagen sich mit den Problemen der Welt und ihren Zusammenhängen routine- oder intentional geleitet auseinandersetzen. Ich unterscheide bei diesen Interaktionsprozessen zwischen Mensch und Umwelt (Subjekt und Objekt-Welt) wiederum zwei in wechselseitiger Spannung zueinander stehende Momente, nämlich das »individuelle« und das »universelle« Moment. Damit ist gemeint, dass Menschen bei ihren Entscheidungen und Handlungen – gerade auch im gegebenen Zusammenhang – sich in der Regel zunächst von individuell begründeten Motiven leiten lassen, sich aber unter bestimmten Bedingungen auch für weiterreichende, in letzter Konsequenz als »universell« zu nennende Gesichtspunkte zu öffnen vermögen. Nach diesen Vorbetrachtungen können die anstehenden Aufgaben genauer beschrieben werden. Das hier vorgeschlagene, zur besseren Orientierung als formales Schema skizzierte »Didaktische Kreuz« mit den oben erläuterten zwei Hauptdimensionen als Achsen und mit den vier charakteristischen Momenten als Eckpunkte hat für die weitere Argumentation im Wesentlichen drei Funktionen:

1. In denkmethodischer Hinsicht, d.h. als Erschließungs- und Verstehenshilfe eines didaktischen Modells, wird der Vorschlag gemacht, den grundlegenden Problemzusammenhang der Umweltbildung, nämlich die komplexen Mensch-Natur-Beziehungen, in einem historisch zu interpretierenden Bezugsrahmen auf zwei – oben schon erwähnte – Inhaltsdimensionen zu beziehen. Dessen eine Achse ist fokussiert auf das Spannungsfeld zwischen dem Ich und der Welt aus der Sicht des Individuums. Diese wird bestimmt durch die dialektische Beziehung zweier widerstreitender Momente, dem »individuellen« und dem »universellen«. Es geht um das nach »Identität« und »Geborgenheit« strebende ICH und seiner in »Empathie«-Einstellungen sich ausdrückenden emotionalen Zugehörigkeit zur WELT einerseits und andererseits um deren Herausforderungen bezüglich der Fähigkeit des Individuums zur »Solidarität«, zum Erreichen eines bestimmten Zivilisierungs- und Modernitäts-Zustandes und zur Entwicklung eines Globalitäts-Bewusstseins. Die zweite Achse soll die Antriebs- und Motivkräfte symbolisieren, die grundsätzlich verschiedenen Herangehensweisen, Haltungen und Standpunkte charakterisieren, festgehalten in den »widerständigen« und »utopischen« Momenten. Ausgehend von einer skeptischen Grundhaltung, der Fähigkeit des bedingten »Nein-Sagen-Könnens«, fortgesetzt und begründet mit den Mitteln der »Kritik«, wo Skepsis produktiv wird und ggf. in Formen des »Widerstands« zum Ausdruck kommt, wo kritische (Selbst-)Reflexion aber auch die Notwendigkeit und Möglichkeiten des positiven Engagements erschließt, zur Gestaltung von ersten konstruktiven »Entwürfen« ermuntert, die »Imaginationsfähigkeit« zur Überschreitung des Faktischen anregt und schließlich die Ausarbeitung von kreativen Modellen »konkreter Utopien« herausfordert.

2. In analytischer Absicht wird in den einzelnen Kapiteln dieser Arbeit eine Vielfalt von Aspekten auf den beiden Dimensionsachsen der Mensch-Natur-Beziehung näher beleuchtet. Sie sollen Anregungen geben und Anlässe sein zu differenzierten und kontroversen Diskussionen. Ich gehe bei meinem Entwurf von der Überzeugung aus, dass gerade die Umweltkrisenproblematik und die sich darauf beziehenden Überlegungen zur Umweltbildung mindestens aus der Perspektive der polaren Kategorienpaare betrachtet werden sollten. Insofern stellt das hier vorgelegte Erschließungsinstrument eine Minimalforderung dar, die im Sinne eines pragmatischen Vorgehens reflexiver Wissenschaft und einer entsprechenden Handlungsorientierung eine praktikable Grundlage schaffen soll – eine Konzeption, die offen ist für Kritik, Ergänzungen und Vertiefungen. 3. Im Interesse einer kritisch-konstruktiven und innovatorischen pädagogischen Praxis kann das vorgeschlagene Verfahren in zweierlei Weise genutzt werden:

a. Der Entwurf kann als Anleitung für die Ausarbeitung von Praxisbausteinen genutzt werden. Auf dem Wege der kategoriengeleiteten Erschließung von Mensch-Natur-Aspekten geraten Problem- und Handlungsfelder und Ideenkomplexe in den Blick, die in praktisch-pädagogischer Hinsicht von Bedeutung sein können. (Das DK als generierende Orientierungshilfe für das Auffinden und die Ausarbeitung von Praxiselementen)

b. Das Didaktische Kreuz ist zugleich als Beschreibungs- und Reflexionsrahmen konzeptioneller Entwürfe und Praxiseinheiten zur Umweltbildung gedacht. Die in den Mittelpunkt gerückten beiden Hauptbetrachtungsdimensionen und die ausgewählten zwölf Kategorien, die in den späteren Kapiteln erläutert werden, spielen implizit oder explizit in den meisten umweltpädagogischen Konzeptansätzen mindestens in Ansätzen bereits eine Rolle. Auch wenn diese Annahme erst in einer gesonderten Untersuchung bestätigt werden müsste, soll sie in der vorliegenden Arbeit einer ersten Bewährungsprobe unterzogen werden. (Das DK als inhaltsanalytisches Reflexionsinstrument)


Abbildung 2: Das Didaktische Kreuz als Erschließungshilfe.

Beide Funktionen kommen in den weiteren Ausführungen zur Geltung: Aus aktuellem Anlass wird das zur Zeit dominierende Leitprogramm ökologischer Modernisierung – die auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro proklamierte Formel einer »Nachhaltigen Entwicklung« – unter die »DK-Lupe« genommen und danach gefragt, welche praxisrelevanten bildungstheoretischen Potenziale im Einzelnen in dieser Programmatik verborgen liegen. Dabei verfahre ich so, dass ich jeweils im Kontext der Erörterungen von Typen politisch-ökologischer Modernisierungsstrategien auf die speziellen Entwürfe zur »Nachhaltigen Entwicklung« eingehe und dabei nach den umweltpädagogischen Konsequenzen frage.

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