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3.2.3. Bildungstheoretische Anleihen

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»Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!, ist also der Wahlspruch der Aufklärung! (aus: I. Kant »Beantwortung der Frage: was ist Aufklärung?« 1784.) Leitidee der Aufklärung ist die Vernunft, wobei das vernünftige Handeln im Mittelpunkt steht, das nicht nur dem individuellen Interesse, sondern vor allem dem Gemeinwohl dient. Bildung meint u.a. insbesondere die Fähigkeit des Selberdenkens, die Bereitschaft zuzuhören und »dem besseren Argument« zuzustimmen.

Wilhelm von Humboldt knüpft in seiner »Theorie der Bildung des Menschen« (1793) an den Universalismus Kants an und ergänzt ihn durch die Betonung der Individualität: »Im Mittelpunkt aller besonderen Arten der Thätigkeit nemlich steht der Mensch, der ohne alle, auf irgendeine etwas Einzelnes gerichtete Absicht, nur die Kräfte seiner Natur stärken und erhöhen, seinem Wesen Werth und Dauer verschaffen will … Die letzte Aufgabe unseres Daseyns: dem Begriff der Menschheit in unserer Person … durch die Spuren des lebendigen Wirkens, die wir zurücklassen, einen so großen Inhalt als möglich zu verschaffen, diese Aufgabe löst sich allein durch die Verknüpfung unseres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung« (v. Humboldt 1903, S. 282).

Danach ist Bildung als allgemeine Menschenbildung vor allem formale Kräftebildung. Dabei muss betont werden, dass Humboldt noch den tiefen Zusammenhang von Weltgestaltung und Menschenbildung vor Augen hatte. Humboldt nimmt die Humanitätsidee des neuhumanistischen Bildungskonzepts auf, wenn er von der Entfaltung der Menschheit in uns spricht – eine typische dialektische Argumentationsfigur. Die Idee der Kräftebildung geht von einer Kongruenz von Mensch und Welt aus: Der Mikrokosmos der menschlichen Vernunft entspricht dem Makrokosmus der Welt. Somit umfasst die Entfaltung der menschlichen Kräfte letztlich eine Befähigung zum kompetenten Handeln in der Welt. (Anmerkung: Diesen Gedanken habe ich in meiner »Korrespondenzthese« in Kap. 6 wieder aufgegriffen.) In den meisten heutigen Verwendungsweisen des Begriffs »formale Bildung« fehlt der substanzielle Weltbezug, wie er in dem Humboldt-Zitat zum Ausdruck kommt. In den »formalistischen« Verwendungsweisen sind die Inhalte der »Welt« nur »Mittel« zur Kräftebildung, nicht deren Substanz wie bei Humboldt. (siehe: Wolfgang Klafki: Kategoriale Bildung. Zur bildungstheoretischen Deutung der modernen Didaktik. In: Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim 1963)

Nach Siebert hat der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen 1960 den Versuch unternommen, einen konsensfähigen Bildungsbegriff zu definieren, der zugleich den Anforderungen der modernen Industriegesellschaft gerecht wird: »Gebildet im Sinne der Erwachsenenbildung wird jeder, der in der ständigen Bemühung lebt, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln« (DT. Ausschuss 1960, S. 404). Festzuhalten ist auch hier der wechselseitige Bezug von Mensch und Welt, der in der »Bildungstrias« von Selbstverstehen, Fremdverstehen und Weltverstehen genauer ausgedrückt wird.

In seiner klassischen dialektischen Form hat Wolfgang Klafki diese Wechselwirkung in seiner Erläuterung zur kategorialen Bildung umschrieben: »Bildung ist Erschlossensein einer dinglichen und geistigen Wirklichkeit für einen Menschen … das ist der objektive oder materiale Aspekt; aber das heißt zugleich: Erschlossensein dieses Menschen für diese seine Wirklichkeit – das ist der subjektive oder formale Aspekt« (Klafki 1963, S. 43).

Danach heißt sich bilden, sich ein thematisches Universum zu erschließen und selbst aufgeschlossen zu sein bzw. zu werden für die außersubjektive Welt. Siebert unterscheidet im Hinblick auf die Klafkische »Schlüsselmetapher« drei Bedeutungshorizonte:

– »einen motivationalen: eine ›epistemische Neugier‹, ein Interesse an der Welt,

– einen kognitiven, d.h. eine ›Erschließungskompetenz‹,

– einen aktionalen: eine Bereitschaft zum Engagement für die ›res publica‹, die öffentlichen Angelegenheiten (Siebert 1996, S. 77).«

Siebert versteht »Erschließungskompetenz« sowohl als didaktischen als auch als lerntheoretischen Begriff. Lerntheoretisch umfasst er Schlüsselqualifikationen, die zur Auswahl und Verarbeitung von Informationen unabdingbar sind, also auch Lerntechniken und Techniken wissenschaftlichen Arbeitens. Didaktisch geht es um die Reflexion, welche Themen bedeutungsvoll sind und damit den Stellenwert von »generativen Themen« erhalten. Generative Themen – ein Begriff Paulo Freire’s – sind nicht nur lebensgeschichtlich bedeutsame Themen, sondern auch die »Themen einer Epoche«: »Diese Themen zeigen die Aufgaben an, die erfüllt werden müssen. Epochen erfüllen sich in dem Maß, wie ihre Themen begriffen und ihre Aufgaben gelöst werden. Epochen werden verdrängt, wenn ihre Themen und Aufgaben nicht länger mehr den neu auftauchenden Zielen entsprechen« (Freire 1974, S. 12). Den Bildungsaspekt und die Subjekt-Objekt-Wechselwirkung drückt Freire in folgender Weise aus: »Menschen werden transitiv, wenn sie ihre Kraft vergrößern, die Angebote und Probleme ihres Kontextes zu begreifen und auf sie zu reagieren, wenn sie ihre Fähigkeit verstärken, in einem Dialog nicht nur mit anderen Menschen, sondern mit ihrer Welt einzutreten« (Freire 1974, S. 27). Mit Blick auf die Bedeutung der Vertikalachse im Didaktik-Kreuz mit den Polen »Skepsis/Kritik/Widerstand« versus »Entwurf/Imagination/konkrete Utopie« stelle ich fest: Wolfgang Klafki hat eine ausgearbeitete Konzeption einer kritisch-konstruktiven Didaktik vorgelegt. Was lässt sich zunächst terminologisch bzgl. der weiteren Konkretisierung des methodischen Instruments daraus gewinnen? W. Klafki präzisiert in einem ersten Erläuterungsschritt seine Eckbegriffe folgendermaßen: Kritisch ist sein Erkenntnisinteresse insofern, »als sich diese Didaktik am Ziel der Befähigung aller Kinder und Jugendlichen … zu wachsender Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit in allen Lebensdimensionen orientiert, zugleich aber den Tatbestand ernst nimmt, dass die Wirklichkeit der Bildungsinstitutionen jener Zielsetzung vielfach nicht entspricht …« (Klafki 1993, S. 90). Zum anderen Pol: »Die Bestimmung konstruktiv weist auf den durchgehenden Praxisbezug, auf das Handlungs-, Gestaltungs- und Veränderungsinteresse hin, das für diese didaktische Konzeption konstitutiv ist.« Dabei schließt W. Klafki »Vorgriffe der Theorie, Modellentwürfe für mögliche Praxis, begründete Konzepte für eine veränderte Praxis, für eine humanere und demokratischere Schule« (W. Klafki 1993, S. 90) ausdrücklich ein. Insgesamt basiert die kritisch-konstruktive Didaktik auf zwei inhaltlich-methodologischen Pfeilern:

1. Forschungsmethodisch ist sie durch eine konsequente Integration des historisch-hermeneutischen, des erfahrungswissenschaftlichen (empirischen) und des gesellschaftskritisch- ideologiekritischen Ansatzes gekennzeichnet.

2. Inhaltliche Grundlage ist ein bildungstheoretisches Fundament, insbesondere eine neu interpretierte kategoriale Bildung und eine Allgemeinbildungs-Konzeption.

3. Da in seiner Definition von Allgemeinbildung wesentliche Intentionen meines Vorschlags prägnant ausgedrückt sind, möchte ich abschließend den Text dazu zitieren:

»– Allgemein besagt zum einen, dass Bildung eine Möglichkeit und ein Anspruch aller Menschen der betreffenden Gesellschaft bzw. des betreffenden Kulturkreises, ja letztlich der Menschheit im Ganzen ist.

Allgemein zielt weiterhin auf das Insgesamt der menschlichen Möglichkeiten, sofern sie mit der Selbstbestimmung und der analogen Entwicklung aller anderen Menschen vereinbar sind: auf den Menschen als produktiv arbeitendes und seine Welt handwerklich-technisch veränderndes, erkennendes, ethisch und politisch entscheidendes und handelndes, emotional empfindendes und wertendes, zwischenmenschliche Beziehungen vollziehendes, ästhetisch wahrnehmendes und gestaltendes Wesen.

– Die Bestimmung allgemein im Begriff der Allgemeinbildung meint schließlich, dass Bildung sich zentral im Medium des Allgemeinen vollzieht, d.h. in der Aneignung von und in der Auseinandersetzung mit dem die Menschen gemeinsam Angehenden, mit ihren gemeinsamen Aufgaben und Problemen, den in der Geschichte entwickelten Denkergebnissen und Lösungsversuchen, den Erfahrungen des Menschen als Individuum und als gesellschaftliches Wesen, aber auch den sich abzeichnenden zukünftigen Entwicklungen, Gefahren und Möglichkeiten und mit alternativen, ggf. kontroversen Antwortversuchen auf solche Schlüsselprobleme der Gegenwart und Zukunft. Aneignung des und Auseinandersetzung mit dem Allgemeinen in diesem Sinne – das ist eine Präzisierung des kategorialen Bildungsverständnisses – geschieht nicht, um die Aufwachsenden auf die bisherige Geschichte festzulegen, sondern um sie zum Begreifen und zur Gestaltung ihrer historischen Gegenwart und ihrer Zukunft in Selbstbestimmung freizusetzen« (Klafki 1993, S. 97).

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