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Der Callisto-Zwischenfall

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Sie waren bei der Sonne Aurelia in den Weltraum geglitten, die CALLISTO torkelte um ihre beiden Achsen, während der künstliche Schwerpunkt des Schiffes mit den rutschenden Magnetfeldern sich wie die Luftblase einer Wasserwaage einmal in der Spitze, dann wieder am Heck des Schiffes befestigte. Sie hingen also eine geschlagene Viertelstunde in ihren Seilen und kotzten, bis es dem Ingenieur gelungen war, die letzten Tropfen der magnetischen Schwärze vom Schiff abzuschütteln und sie und das Schiff wieder stabil in Raum und Zeit zu verankern.

Die elektrischen Mäuse summten um ihre Füße und machten sauber, Erbrochenes und Exkremente, und sie zählten die Planeten, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Der Computer spuckte ein Dutzend Meßblätter aus, und so konnten sie die Daten der Planeten lesen. Es wurde bald klar, daß unter den sieben eigentlich nur der sonnenfernste Planet in Frage käme. Die übrigen waren kaum verdichtete Gasnebel oder von schwimmenden Metallmeeren bedeckte Pfützen, die sich in Jahrmillionen von selbst in einem besseren und brauchbaren Zustand präsentieren würden.

Mit zwei Katzensprüngen waren sie bei dem siebten Planeten, schaukelten noch ein wenig im magnetischen Off, bis sie zur Ruhe kamen. Sie durchleuchteten das Innere des Planeten bis zu einer Tiefe von fünfzig Kilometern, so tief eben, wie die Orbitalstrahlung reichte. Die gemessenen Werte übertrafen alle Erwartungen. Der Planet war eine reine Fundgrube an Mineralien, Erzen und anderen Stoffen, die sich, wo sie auftraten, in einer Konzentration und Fülle zeigten, wie man sie noch nirgends angetroffen hatte.

Was aber ihr Entzücken vollends erregte, das waren die funkelnden, gläsernen Konstruktionen, die in regelmäßiger Anordnung ganz in der Nähe der reichhaltigsten Mineralvorkommen errichtet worden waren. Bei diesen Gebilden konnte es sich nicht um zufällige Verwerfungen des Bodens handeln, ganz sicher waren sie von intelligenten Lebewesen errichtet worden.

Sie brachen aus in jubelnde Rufe, die modernen Konquistadoren, und lagen sich vor Freude in den Armen, und die Strapazen der Reise waren vergessen und für den Augenblick auch die Gefahren, die vor ihnen liegen mochten.

Mancher sah schon im Geiste die Energiecontainer durch den Weltraum wirbeln.

Im Prinzip war das Ganze eine einfache und billige Sache, weil sich die neuentdeckten Kräfte des Universums ausnützen ließen. Begonnen hatte es, als sich die Rohstoffquellen der Erde zu Ende neigten und die Umwandlung anderer Materie, über die die Erde in hohem Maße verfügte, ebenso wie die Verwendung der Quanten das Gleichgewicht im Sonnensystem zu stören drohte. In dieser Zeit der Bedrängnis hatte man die Magnetschleuder erfunden, die es erlaubte, rohstoffgefüllte Container auf Magnetfeldern durch den Weltraum zu schleudern. Die ersten Versuche brachte man erfolgreich entlang dem Allison-Gürtel im Pazifik und in der Sahara nieder. Als schließlich das Schleuderprinzip zum Faltmantelantrieb für Raumschiffe reifte, konnte man den Griff mit erhöhter Zielgenauigkeit zu den fernen Sternen und ihren Planeten wagen.

Und so hatte man der CALLISTO, wo sich die Männer in den Armen lagen und mögliche Gefahren verdrängten, den Raumkubus 170 zugewiesen. Er befand sich wie die von ihren Schwesterschiffen zu erforschenden Kubi in einer peripheren Lage der Galaxis. Man begründete diese Wahl damit, daß die Chance, intelligentes Leben zu finden, in den Außenbezirken der Galaxis größer sei als im Zentrum, wo die Strahlungsdichte die Entwicklung intelligenter Bewegungsformen noch auf Jahrmillionen behindern würde und wo erst in einer Abkühlungsphase mit Bewegungsformen, wie sie bereits am Rande der Galaxis auftraten, zum Beispiel mit Menschen, zu rechnen wäre. Zudem waren die Orkane in weniger strahlenintensiven Gebieten schwächer, und man konnte also besser springen und manövrieren.

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Sie gingen in der Nähe eines blauen Sees, am Rande der gläsernen Konstruktionen nieder. Alle Berechnungen und Messungen hatten die Ungefährlichkeit sowohl des Planeten wie seiner Bewohner ergeben, denn man hatte keinerlei Konzentration von Metallen, wie sie unerläßlich für jedes Waffensystem ist, ermitteln können. Die Luft dieses Planeten war so rein und klar, daß schon bald die Luken geöffnet werden konnten und man sich wie daheim auf der Erde fühlte. Nur der Tag währte hier wegen der langsamen Rotation des Planeten wesentlich länger als auf der Erde.

Als sie hinaus auf den Rasen kletterten, fühlten sie sich von den gläsernen Konstruktionen wie geblendet. In einem Abstand von vielleicht hundert Metern waren zwanzig Meter hohe Würfel, die teilweise durchsichtig waren, aufgerichtet worden. Wo man in die Würfel blicken konnte, erkannte man vielfältige bunte Bewegung, die seit er Landung des Schiffes dem Erdboden zustrebte, sich durch blitzende Luken auf den Rasen ergießend, um sich rasch und neugierig, aber völlig unbefangen dem Raumschiff und seiner Besatzung, soweit ausgestiegen, zu nähern.

Die Bewohner des Planeten bewegten sich über Stock und Stein, indem sie auf Luftkissen vorwärts glitten. Ihre Körper waren unter schimmernden Sphären verborgen. Jeder von ihnen glitzerte in einer anderen Farbe, wobei die Farben so sorgfältig wie Fingerabdrücke unterschieden waren, daß sich keine Färbung wiederholte. Dabei war es nicht möglich, Rangunterschiede zwischen ihnen auszumachen, denn sie waren alle gleichermaßen neugierig und diszipliniert und wechselten fortwährend die vordersten Plätze, von denen aus man die Fremdlinge am besten betrachten konnte.

In der Begegnung der beiden Kulturen lag etwas Selbstverständliches, eine freundschaftlich entspannte Atmosphäre, als kenne man sich schon länger; diese entspannte Atmosphäre rührte von den schillernden Sphären, die ja die Gastgeber waren. Um den Erdenmenschen ihre Befangenheit zu nehmen, wurden diese sogleich mit Hilfe eindeutiger Blitze in die kristallene Stadt eingeladen. Man erkannte, daß die Beziehungen der Stadt bis tief ins Erdinnere reichten, was die Bergingenieure in helle Aufregung versetzte. Auch das Prinzip, nach dem die schimmernden Wesen scheinbar leicht und mühelos in der Erde gruben, stieß auf Entzücken und Staunen.

Als man die schimmernden Sphären ein wenig besser kennengelernt hatte, bemerkte man, daß sie ein spielerisches Leben führten und in hohem Maße im Einklang mit ihrer Umwelt standen. Was hier vor allem fehlte, das war der doppelte Boden, der so häufig auf der alten Erde die materiellen Interessen, die sie auch hierhergeführt hatten, verdeckte und den Mund eigentlich verschloß, wenn man redete und aus dem Gehirn einen Kalkulationsapparat machte. Eine der ersten Handlungen der Fremden war eine nette, spielerische und doch überlegte Geste. Nach den Grundsätzen des Universums müssen alle Lebewesen den Stoffwechsel mit ihrer Umwelt in bestimmter Form vollziehen, und so wurden die Menschen oder, da man mißtrauisch war, wenigstens einige, zu einem großen Essen eingeladen, bei dem ihre Gastgeber bald den organischen Zusammenhang der Menschen durchschauten, um ihnen sogleich bekömmliche Speisen vorzusetzen. Es war aber auch typisch, daß die Menschen ihnen im Gegenzug Glasperlen schenkten.

Bald konnte man sich auch mit den schimmernden Sphären verständigen.

Dazu benutzte man Adapter, in denen die Pfeiftöne der Sphären umgewandelt wurden - ihre Musik hatte man als fröhliche und noch nie gehörte Weisen vorher schon genossen. Die Bergingenieure versuchten vorsichtig Einzelheiten über die Produktionsweise der Eingeborenen herauszubekommen, aber es gab auf diesem Gebiet noch beträchtliche Verständigungsschwierigkeiten, da man sich über wesentliche Begriffe wie Arbeit, Reichtum und so weiter, nicht einigen konnte. Die Reaktionen der Eingeborenen waren vielmehr albern und kindisch, ein wenig so, wie die Menschen reagieren würden, wenn die schimmernden Sphären auf der Erde gelandet wären und versucht haben würden, die Menschen über ihr Intimleben auszuforschen.

Die Sonne hatte etwa ein Drittel ihres Weges am Himmel zurückgelegt, und nach irdischer Zeitrechnung waren zwei Tage vergangen. Der Kapitän wurde sichtlich ungeduldig, denn es gab für besonders rasche Arbeit, gewissermaßen für Übererfüllung der Vorgabezeiten, besondere Prämien, die nach vorne, in dem Bereich, in dem sie sich befanden, progressiv ansteigen konnten. Man begann also, den schimmernden Sphären klarzumachen, welche Metalle und geronnenen Flüssigkeiten aus dem Boden man haben wollte, in welcher Reinheit und wie sie in Container abgepackt werden sollten, während die Menschen bereits die magnetischen Leitungsmasten aufstellten, um die kurze Brücke zum Pol zu eröffnen, von wo der Transport automatisch weitergehen sollte.

In der Musik der Sphären ergab sich, als man ihnen die Wünsche eröffnet hatte, eine kleine Störung, als wäre ein elektrisches Gewitter darüber hinweggezogen, doch dann stand die Musik wieder heiter am Himmel, und die Sphären begaben sich zur Produktion nach unten. Ihre Anzahl genügte dem Kapitän freilich nicht. Er wies auf die kristallenen Türme, in denen sich noch viele Sphären, die ihre Neugier über die Fremdlinge befriedigt hatten, tummelten, ohne daß sie Hand mit anlegen wollten. Die Türme leerten sich also, doch war die Freundlichkeit, mit der dies geschah, verhalten, zögernd, so, als wolle man gute Freunde nicht vor den Kopf stoßen, als gedenke man erst einmal, die Wolken verfliegen zu lassen, um die Dinge anschließend in aller Ruhe zu ordnen.

Es war deutlich zu merken, wie die Sphären mit fortdauernder Arbeit unruhig wurden, wie sie zu begreifen versuchten, wie es in ihren Köpfen arbeitete, wie ihnen dieses unbekannte Problem zu schaffen machte. Nach fünf, sechs Stunden begann die Musik zu klirren und kratzte rostig aus den Löchern in der Erde. Wenn man genau hinhörte, so konnte man jetzt immer mehr Lieder hören, die von Pausen und Erleichterungen sangen, der Kapitän indes blieb hart und ließ weiterarbeiten. Wie blinde Mäuse, die ihren Instinkten folgen, krochen einige der Sphären eigenmächtig in die Sonne. Sie wurden von heftigen Energiestößen empfangen, die die Erde aufstieben ließen und ein ungeheures Donnern und Krachen verursachten und die vorwitzigen Sphären wie Murmeln durch die Gegend schleuderten, bis sie reglos liegen blieben.

Wie selbstverständlich versuchten ihre Kameraden ihnen zu Hilfe zu eilen, doch der fremde Donner erfüllte alle Löcher und ließ sie ängstlich unten verharren. Schließlich, als klar war, daß die Sphären sich fügen würden, erlaubte der Kapitän, die Opfer der ersten Rebellion zu begraben. Man versenkte sie in die Erde, wo sie in einem intensiven violetten Licht zu strahlen begannen. Die Musik war jetzt ratlos, gedämpft und traurig. Auch die Beleuchtung der Türme, die die Stadt bildeten, hatte sich geändert. War sie bei der Landung strahlend, funkelnd, von einem unerhörten Glanz gewesen, so warfen die Kristalle jetzt matte Strahlen oder, wo die Sonne sich ihren Weg durch die Strukturen brach, ein gleißendes, grelles Licht, das seine Seele eingebüßt hatte.

Dank der wunderbaren Energien der schimmernden Sphären, von denen man dachte, daß sie nur zum Arbeiten gebracht werden mußten, konnte man schon nach vier irdischen Tagen, die hiesige Sonne hatte zwei Drittel ihres Weges zurückgelegt, die erste Containerbrücke eröffnen. Man benutzte die natürlichen Magnetfelder des Planeten, um die vollbeladenen Behälter, die die Eingeborenen in einem natürlichen Schmelzsee herstellen mußten, über die Leitmasten zur Polkappe zu schleudern und von dort in den breiten Korridor, der himmelsmechanisch ins irdische Sonnensystem führte.

Am Abend dieses ersten Tages auf dem siebten Planeten der Sphärensonne gab es endlich eine Pause, die das ganze Elend, in das man die Eingeborenen gestürzt hatte, schlagartig offenbarte. Matt und müde und nicht einmal zu irgendeiner Form von Dankbarkeit fähig, krochen die Sphären an die Oberfläche ihres Planeten; unfähig, sich ihr Essen zu suchen, blieben sie in der Nähe der Löcher, aus denen sie gekrochen waren, schlaff und nur schwach leuchtend, wie Funzeln, die man vor die rote Sonne gesetzt hatte, liegen. Ihre gesamte verbliebene Energie stieg in ihre klagenden Lieder, die immer lauter wurden, bis sie zum Himmel aufstiegen und den Menschen so unangenehm in die Ohren drangen, daß sie die Adapter abschalten mußten.

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Von der Sonne war jetzt noch die obere Hälfte zu sehen, es war, als habe sie ein halbes, müdes Auge nach oben geschlagen, um ihre Blicke vor dem Elend dieser Welt zu verbergen. Plötzlich stiegen Kugeln vor der Sonne und fast unsichtbar in ihrem roten Leuchten, ein, zwei Dutzend, man konnte es kaum erkennen, über den Horizont herauf, um sich in rascher Fahrt dem Ort, wo wieder einmal Menschen auf fremdartige Intelligenzen gestoßen waren, zu nähern. Die ermüdeten Sphären schienen ihre veränderte Lage als erste zu begreifen, auch unter Tage, wo die neue Schicht produzierte, war die Veränderung registriert worden. Wie auf ein geheimes Zeichen begannen die matten Sphären wieder hell zu leuchten, und die Maulwürfe unter der Erde ließen ihre Arbeit liegen und krochen in einem steten Strom hinauf zur Erdoberfläche.

Die Erdenmenschen waren erstarrt. Gebannt blickten sie dem Horizont entgegen, wo die roten, pulsierenden Kugeln, von der Sonne kommend, nun in Scharen über den Horizont heraufquollen. Einer warf den Adapter an, und der plötzliche Jubel, der die traurigen Gesänge verdrängt hatte, prasselte den Menschen um die Ohren. In allen irdischen Köpfen assoziierte es gleichermaßen. Das waren Abbildungen der Sphären, die unter Tage schufteten, nur weniger glatt, weniger freundlich, nicht so strahlend, von einer unbestimmten Drohung umgeben. Die Menschen wirbelten herum und rannten zu ihrem Raumschiff, der CALLISTO, wo sich die schweren Waffen befanden, und die Sirene heulte auf, um durch die klare Luft die Botschaft zu verkünden, daß alles bereit zum Notstart wäre. Aber der Weg zum Raumschiff war sehr weit für ihre schwachen, weißen Beine, die sich anscheinend nur dafür eigneten, kleine Murmeln zu zertreten.

Donnerwetter! fuhr eine Stimme kraftvoll vom Himmel nieder, was machen sie mit den Kindern!

Und eine andere Stimme rief ebenso wütend: Seht nur, sie haben die Kinder in Maulwürfe verwandelt!

Dazwischen hörte man, wie der Kapitän Kommandos brüllte. Aber weder er noch die anderen, die sich in langen Sprüngen dem Raumschiff näherten, gelangten in sein Inneres, geschweige denn an die Kanonen. Schon waren die roten Sphären über ihnen, und unbeschreiblicher Jubel schlug ihnen entgegen. Rubinrotes Licht langte aus den Wolken und ließ erst den Kapitän und dann die anderen Menschen, mit einer einzigen Ausnahme, verdampfen.

Dieser eine war wie erstarrt stehen geblieben und hatte sich nun auf den Boden geworfen. Er hörte, wie sie untereinander schimpften, wie töricht, daß sie die Kinder einen ganzen Tag ohne Aufsicht gelassen hatten. Späher, die rasch den Planeten umrundeten, kehrten zurück, um zu berichten, daß keine weiteren Reptilien gelandet waren. Währenddessen waren die Gräber geöffnet worden, um den violetten Hügeln frisches Licht und Leben einzuhauchen.

Es folgte eine kurze Debatte, die sie ganz offen vor dem letzten der Reptilien führten. Ihre Überlegungen gingen dahin, daß es nicht schaden könne, einem der tückischen Wesen das Leben zu schenken und es als Zeugen ihrer Niederlage freizulassen, damit sich die anderen genau überlegen konnten, ob es sich lohnen würde, dieses Sonnensystem nochmals zu besuchen. Dabei war auch die Rede von bestimmten Grundsätzen, die angeblich fast überall im Universum gelten sollten, doch der Überlebende konnte davon nicht viel verstehen.

Man versetzte ihm also einen elektrischen Tritt, um ihn an Bord seines Raumschiffes zu befördern, verriegelte von außen die Luken, versiegelte die Kanonen und warf ihn dann entlang den Masten bis hin zum Pol und hinaus ins Universum, daß dem Mann zum Kotzen wurde, wie noch nie in seinem Leben. Was er schon nicht mehr sehen konnte, war, wie man die Containerbrücke zerstörte und die Wunden der Kleinen heilte und ihnen zu erklären versuchte, was sie in sechs irdischen Tagen hatten durchmachen müssen.

Aber dafür fehlten ihnen die treffenden Worte.

Ende

Space Opera Großband September 2018: 1226 Seiten SF Sammelband

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