Читать книгу Space Opera Großband September 2018: 1226 Seiten SF Sammelband - Harvey Patton - Страница 59
1.
ОглавлениеEs war kein natürlicher Körper, sondern ein künstlich geschaffener.
Er war so augenscheinlich auf einen komplexen Zweck hin entworfen, dass er nur das Produkt einer vernunftbegabten Spezies sein konnte.
Er hatte die Form eines Würfels.
Aber ohne einen vergleichenden Maßstab konnte man nicht sagen, ob dieser Würfel riesig war oder nur ein winziges Staubkorn, das sich auf einer Bahn bewegte, die vorbei an glühenden Nebeln und blau-weißen Sternen führte.
Anfänglich war er voller Stimmen gewesen, denen er antwortete.
Irgendwann waren die Stimmen verstummt; und auch der künstlich geschaffene Körper selbst war nicht mehr fähig, Fragen zu stellen.
Es wurde einsam um ihn.
Lange Zeiträume bewegte sich das Gebilde durch die astrale Kälte und unendliche Finsternis zwischen den schweigenden Sternen. Hin und wieder kreuzten Staubwolken und Kometenschweife seine Bahn. Der Würfel überstand Begegnungen dieser Art nahezu unbeschädigt; nur hin und wieder kratzten Sternenschutt und Eisbrocken seine Haut, versuchten größere Brocken, sich ihm in den Weg zu stellen und ihn von seiner Bahn abzubringen.
Doch unbehelligt setzte er seine vorgegebene Route fort.
Anfänglich spiegelte sich noch das Licht unzähliger Sterne in ihm, bis die einst glänzenden Seiten stumpf wurden vom Sternenstaub, den sein schwaches Gravitationsfeld an sich fesselte. Von seinem einstmals silbernen Glanz blieb nichts mehr übrig, und er wurde selbst zu einem verstaubten Kubus unter all dem Sternenschutt.
Es herrschte kein Leben in seinem Innern, zumindest kein organisches Leben.
Er schien tot zu sein und war es doch nicht.
Das einzige Anzeichen von Aktivität in ihm waren die Radiowellen, die aus seinem Inneren in die Tiefen des Weltalls drangen.
Ungehört.
Unbemerkt.
Bis der Tag kam, an dem man ihn fand; und denen, die ihn fanden, wies er den Weg ins Verhängnis.
*
»DA DRAUßEN TUT SICH was.« Claus Rahsus Augen glänzten. Das neueste Signal seiner Funkortung versetzte ihn in Aufregung. Verständlich: Das Einerlei der alltäglichen Routine war auf die Dauer schwer zu ertragen.
Etwa 4000 Lichtjahre von Andaban entfernt bewegte sich die Andorra in einem wenig erforschten Sektor der Galaxis. Sie hatte einen Auftrag, eine genau umrissene Vorgabe, die da lautete, Sonnen und deren Systeme zu kartographieren und zu klassifizieren. Denn das unter dem Kommando von Oberst Roy Cabezas stehende Schulschiff der Terranischen Flotte war auf der Suche nach geeigneten Siedlungswelten für die Menschheit.
Keine sonderlich aufregende Arbeit für den Orbis-Raumer der Venus-Klasse, auf dem neben den regulären 50 Besatzungsmitgliedern stets 200 Kadetten der terranischen Flotte zur Ausbildung einquartiert waren.
Zusätzlich war eine 250 Mann starke Ausbildungseinheit der Rauminfanterie unter dem Befehl von Major Chase McNeal an Bord.
Und als ob diese Besatzungsstärke nicht schon mehr als genug wäre, flogen außerdem noch sechsundfünfzig Flugschüler auf dem Schiff. Unter der Leitung des im April 2065 auf die Andorra überstellten Fliegerhauptmanns Ralph »Ralle« Kowalski sollten sie zu Spaceflash-Piloten ausgebildet werden. Die notwendigen Ausbildungsflüge wurden nach einer internen Anweisung von Henner Malcolm vor Allem dazu genutzt, für eine menschliche Besiedelung geeignete Planeten zu finden.
Das war keine beliebte Arbeit bei den jungen Offiziersanwärtern, denen der Sinn in der Regel nach Abenteuern im Weltall stand.
Der zweite Kadett auf dem Rücksitz des Spaceflash legte den Kopf in den Nacken und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Deckenschirm, der unter der Lichterflut der Sterne zu ertrinken drohte.
»Wo tut sich was?«, fragte er. Rahsu nannte ihm die Koordinaten.
»Ich kann nichts erkennen«, stellte Dolf Bender fest. Seine Stimme klang rau und ungeschliffen, was ganz zu seinem Erscheinungsbild passte. Der junge Offiziersanwärter war etwas über ein Meter achtzig groß, knapp hundert Kilo schwer und hatte grobe Gesichtszüge, die ihm einen Ausdruck von Derbheit verliehen; er wirkte wie jemand, dem man in einer einsamen Gegend besser aus dem Weg ging.
»Ich auch nicht«, sagte Rahsu. »Noch zu weit entfernt für unsere Bordoptik.«
Offiziersanwärter Rahsu war das Gegenteil von Bender und wirkte, als hätte er sich mit gefälschten Geburtsdaten den Zugang zur Raumflotte erschlichen; früher hatte man Typen wie ihn als »Milchbärte« bezeichnet. Er war nicht gerade groß. Seine Gesichtszüge waren weich, und sein weizenblondes Haar spross in alle Richtungen, wenn es nicht gerade von einem Helm gebändigt wurde.
Sein Hintermann schüttelte unwillig den Kopf. »Zu früh?«, fragte er, während er gleichzeitig die Routinemeldungen aus den anderen Spaceflash verfolgte, die über die Funkverbindungen an ihre Ohren drangen; niemand außer ihnen schien bislang die Signale aufgefangen zu haben. »Bist du sicher?«
»Ist so«, bemerkte Rahsu. Er schwieg einen Augenblick, dann präzisierte er: »Es gibt kein Bild, nur kohärente Funksignale.«
»Überlicht-Funk?«
»Negativ. Die Signale werden auf dem UKW-Band abgestrahlt.«
»Lass mal hören.«
»Sekunde ...«
Zunächst kam nichts als ein schwaches elektronisches Prasseln über die Funkphase – das Hintergrundrauschen ferner Sonnen – dann verstummten diese Störungen plötzlich, und ein eindeutig moduliertes Signal trat an ihre Stelle. Es war für die Dauer von exakt fünfzehn Sekunden zu vernehmen. Danach erlosch das Signal, und die Störungen kamen wieder.
»Ich glaube, das ist ...« begann Dolf Bender, doch Claus Rahsu bedeutete ihm mit einer Handbewegung zu schweigen.
Schließlich kamen die Signale erneut für die Dauer von fünfzehn Sekunden. Und so ging es im ständigen Wechsel von Störungen und Signal weiter.
»Was zum Teufel ist das?« Benders Stimme klang verwundert, aber nicht beunruhigt. Er warf einen Blick auf die Instrumente seiner Konsole.
»Scheint eine Endlosschleife zu sein«, sagte Rahsu.
»Möglich«, Bender zuckte mit den Schultern, »aber mit welchem Inhalt?«
»Ein Notsignal?«, schlug Rahsu vor.
Bender grunzte etwas Unverständliches. Dann bequemte er sich zu sagen: »Hm. Ich habe noch nie ein derartiges Notsignal gehört. Lässt es sich entziffern?«
»Nicht mit den Mitteln unseres Spaceflash«, erwiderte Rahsu. »Habe es schon versucht.«
Eine tiefe Falte hatte sich über Benders Nasenwurzel gebildet. Sie ließ ihn älter aussehen, als er es mit seinen 21 Jahren tatsächlich war. »Deine Meinung?«
»Möglicherweise eine Raumboje, die vor einem Asteroidenfeld oder einem gefährlichen Nebel warnt. Wir können es aus dieser Distanz nicht sehen.«
»Schlaumeier«, sagte Dolf Bender in durchaus freundlichem Ton. »Aber vielleicht hast du recht. Doch warum hören nur wir ihr Signal und niemand sonst?«
»Das Glück des Tüchtigen ...«
»Der Tüchtigen«, korrigierte Dolf Bender rasch. »Vergiss das nicht, Partner. Aber beantworte mir meine Frage.«
»Die Andorra ist definitiv zu weit entfernt für das UKW-Signal«, stellte der blondschopfige Kadett klar, »und wir fangen es vermutlich nur deshalb auf, weil wir uns am äußersten Perimeter unseres augenblicklichen Suchrasters befinden. Zwischen uns und dem Objekt operiert kein weiterer Spaceflash. Und weiter als bis zu uns scheinen die Signale bisher nicht zu reichen. Vergiss nicht, dass sich UKW-Funk nur mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet. Und das ist hier draußen im freien Raum praktisch nur Schneckentempo.«
»Deine Erklärung hat was für sich«, sagte Bender anerkennend. »Wir sollten uns das Objekt näher anschauen, was meinst du?«
»Natürlich«, versetzte Rahsu. »Was denkst du denn?«
»Das sage ich jetzt besser nicht«, meinte der andere und grinste dabei, was sein Kompagnon jedoch nicht sehen konnte, da die beiden Kadetten Rücken an Rücken im Spaceflash saßen.
»Würde ich dir auch geraten haben«, erwiderte Rahsu.
Man hätte leicht den Eindruck gewinnen können, die beiden Kadetten seien sich nicht gerade in großer Herzlichkeit zugetan. Doch dieser Eindruck täuschte. Es war nicht mehr als das übliche freundschaftliche Geflachse zwischen zwei jungen Männern, die beide den gleichen Auftrag erledigten.
»Worauf wartest du dann noch? Lass uns einen Blick darauf werfen.«
»Übernimm du die Meldung an den Staffelführer.«
»Bin schon dabei.«
Während Rahsu den Kurs des Spaceflash in Richtung auf das ferne Objekt änderte, rief Dolf Bender die Staffel.
»Spaceflash null-zwo-zwo an Staffelführer Blau. Haben Funkpeilung mit einem Objekt auf ...« Er rasselte die Koordinaten herunter. »Wir werden es uns etwas genauer ansehen.«
»Verstanden«, kam da Silvas Antwort; der Leutnant spanischer Abstammung war kommandierender Offizier von Staffel Blau. »Braucht ihr Unterstützung?«
»Negativ«, erwiderte Rahsu. »Das Objekt ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine Funkboje, ein Notrufsender womöglich. Möglicherweise auch eine verirrte Sonde, die um Hilfe ruft. Jedenfalls zu klein, um uns gefährlich werden zu können, denke ich.«
»Gut. Sollte etwas sein ...«
»Schreien wir um Hilfe«, versprach Rahsu seinem Staffelführer.
»Das wird nicht nötig sein, Kadetten«, drängte sich eine befehlsgewohnte Stimme lautstark dazwischen.
Obwohl er saß, versuchte Claus Rahsu Haltung anzunehmen, als Oberst Cabezas’ Stimme so unvermittelt im Funk erklang.
»Bleiben Sie einfach von dem Objekt weg«, ordnete der Kommandant der Andorra an. »Wir übernehmen und kümmern uns um Ihre Entdeckung. Nehmen Sie Ihren Platz in der Staffel wieder ein. Ist das verstanden?«
»Aye, Sir«, bestätigten die beiden Kadetten über die taktische Funkphase nahezu gleichlautend. »Haben verstanden. Kehren zurück.«
Spaceflash 022 beschleunigte und schloss wieder zum weit gefächerten Verband von Staffel Blau auf.
*
»ICH WERDE IHNEN JETZT den jüngsten Beweis für die Barbarei unserer Feinde liefern, meine Herren.« Der Oberbefehlshaber schob den Datenträger ins Abspielgerät. »Und danach werden Sie mir Vorschläge für eine geeignete Vergeltungsmaßnahme unterbreiten.«
Das Licht wurde gedämpft, der Lichtkegel des Bildwerfers traf die Wand, der Oberbefehlshaber sank in seinen Lehnsessel. Der grelle Lichtfleck an der Wand machte einem Bild Platz. Man sah die Silhouette von Chakran, der zweitgrößten Hafenstadt von Ikbast.
Die Offiziere lehnten sich zurück, einige fummelten verstohlen ihre Augengläser aus den Brusttaschen. Nur Klatoll saß kerzengerade auf der Kante seines Sessels. Der General war mit der Hoffnung ins Hauptquartier gefahren, der Oberbefehlshaber würde mit ihm und den militärischen Befehlshabern von Ikbast Möglichkeiten zur Beendigung dieses sinnlosen Krieges erörtern. Doch seit er das blass-rote, schmallippige Gesicht des Oberbefehlshabers gesehen hatte, fürchtete er, dass diese Lagebesprechung nur ein einziges Ziel hatte: Die Spirale der Gewalt noch ein Stück höher zu drehen.
Die Aufnahme an der Wand blendete zur Strandpromenade von Chakran um. Spaziergänger flanierten unter Palmen, am nahen Strand tummelten sich Tausende, ja, Zehntausende von Badegästen. Auf einmal hörte man schrille Sirenen aufheulen, eine Bewegung ging durch die Menge am Strand. Die Massen rannten schreiend der Promenade entgegen, die Spaziergänger auf der Promenade flüchteten panisch in Richtung der Stadt. Und dann sah man die Maschinen der Taff: Es waren Hunderte, und sie flogen dicht über der Brandung.
»Sie haben unser Radar unterflogen.« Die Stimme des Oberbefehlshabers vibrierte vor kalter Wut. »Eine Stunde vor dem Angriff gelang es den Taff auf noch unbekannte Weise, die Beobachtungssatelliten auszuschalten, die zu diesem Zeitpunkt über die Tagseite von Klisst flogen. Dazu kommt, dass sie eine neuartige Beschichtung für ihre Flugzeuge entwickelt haben. Wahrscheinlich hätten wir sie auch nicht orten können, wenn sie höher geflogen wären.«
Wie Getreidehalme unter den scharfen Walzen eines Mähdreschers fielen, so fielen Tausende Ikbaster unter den Salven der feindlichen Bordkanonen. Regelrechte Schneisen schossen die Angreifer in die flüchtenden Massen. Klatoll schloss angewidert die Augen.
Aus den Lautsprechern krachten die Salven der Bordkanonen, das Feuer der Flugabwehrgeschütze und die Explosionen der neusten Generation feindlicher Megabomben. Klatoll zwang sich, die Augen zu öffnen und das Bilddokument zu betrachten. Es fiel ihm schwer, er hatte schon zu viel gesehen; er hatte genug von diesem Krieg.
Ein paar Minuten lang sah man Rauchpilze aus der Silhouette von Chakran aufsteigen. Flammen schlugen aus Hochhausdächern, Gebäude stürzten ein, und bald wölbte sich eine Kuppel aus Glut und Asche über der Hafenstadt. Dann war es vorbei.
Das letzte Bild verblasste, jemand schaltete den Bildwerfer aus, ein anderer fuhr die Beleuchtung hoch. Der Oberbefehlshaber stand auf und drehte sich um. Vier, fünf Sekunden lang blickte er in die Gesichter der Kommandeure von Ikbast.
Endlich räusperte er sich und sagte: »Jeder von Ihnen kennt die Fakten, meine Herren: Ein Bombardement von knapp zwanzig Minuten, eine zerstörte Innenstadt, fast tausend Tote, über zehntausend Verletzte. Ihre Vorschläge bitte.«
»Ich schlage eine dringende Überprüfung des Geheimdienstes vor«, meldete Klatoll sich sofort zu Wort. »Hätte man dort seine Hausaufgaben gemacht, wären wir vor diesem Angriff gewarnt gewesen und hätten geeignete Verteidigungsmaßnahmen ergreifen können!«
Der stechende Blick des Oberbefehlshabers richtete sich auf Klatoll. Seine blass-rote Haut erbleichte noch mehr, und ihre gelben Flecken wurden dunkel, fast grün.
»Ich habe nicht nach Fehlern in den eigenen Reihen gefragt, General Klatoll. Sollte es derartige Unzulänglichkeiten gegeben haben, werde ich sie in enger Abstimmung mit den entsprechenden Regierungsorganen aufdecken und abstellen.« Der Oberbefehlshaber strich sich nervös über seinen Scheitelwulst. »Meine Frage bezog sich auf geeignete Vergeltungsmaßnahmen.«
»Verstehe«, sagte Klatoll schnell und mit gepresster Stimme. Er senkte den Kopf. Von der Seite spürte er die Blicke der anderen. Er war einer der jüngsten Kommandeure von Ikbast. Die übrigen Generäle und Admirale hörten es nicht gern, wenn er vor ihnen das Wort ergriff.
Klatoll war ein breit gebauter Mann, sein Gesicht war grobknochig und kantig, seine wulstigen Lippen fast schwarz. An der breiten Narbe, die sich quer über seine Stirn zog, war seine Haut dunkelrot und die Gelb-Flecken schmutzig-grau. Wie alle Generäle und Admiräle von Ikbast trug er einen langen schwarzen Mantel über einer silbergrauen weiten Uniform. Goldfarbene Sterne an der Brust des Mantels und des Anzugs wiesen auf seinen Rang innerhalb des Generalstabes hin. Drei Sterne zierten Klatolls Brust. Den Oberbefehlshaber schmückten sieben Sterne. Zum General hatte man Klatoll drei Jahre zuvor befördert, also im Jahr, bevor die Fremden im Grenzgebiet zu Tafft landeten.
»Greifen wir doch ihre Industriestadt Rysum zum Schein mit ballistischen Raketen an«, schlug ein Admiral namens Köllasch vor. Er trug fünf Sterne auf der Brust seines hochgeschlossenen Mantels. »Wenn sie ihre Abwehrkräfte auf Rysum konzentrieren, taucht unsere Dritte U-Bootflotte vor der Ostküste von Tafft auf und legt ihre Hafenstadt Bankin mit schweren Marschflugkörpern in Schutt und Asche!«
Der Oberbefehlshaber neigte den Kopf auf die Schulter und zog interessiert die Brauen hoch.
»Und anschließend bombardieren sie eine unserer Großstädte«, wandte Klatoll ein. »Danach bombardieren wir eine ihrer Großstädte, und irgendwann radieren wir gegenseitig unsere Hauptstädte aus.« Er schüttelte seinen kantigen Schädel. »Es scheint mir nicht zielführend zu sein, wenn wir uns gegenseitig zerfleischen und erschöpfen – von den Leiden der Zivilbevölkerung ganz zu schweigen!«
»Ihr Vorschlag, General Klatoll?«, sagte der Oberbefehlshaber kalt.
»Wir bieten den Taff Verhandlungen an, verbünden uns mittelfristig mit ihnen und vertreiben gemeinsam die Fremden von Klisst.«
Tuscheln erhob sich, missbilligende Blicke trafen Klatoll.
»Abgelehnt«, sagte der Oberbefehlshaber. Er wandte sich an den Admiral, der den Angriff seiner Dritten U-Bootflotte vorgeschlagen hatte. »Ich erwarte Ihre konkreten Angriffspläne noch heute Nacht, Admiral Köllasch. Der Gegenschlag muss spätestens morgen Abend stattfinden!«
*
»DA IST ES.« OLIVER Ormon deutet auf den hellen Punkt in der Bildkugel.
»Sind wir auch richtig?« Cabezas beugte sich in seinem Kommandantensessel vor, als könne er dadurch besser erkennen, was ihm sein Erster Offizier zeigte. Dem Oberst, Jahrgang 1985, sah man sein Alter nicht an, obwohl er bereits 80 war. Der 1,86 Meter große, muskulöse Raumschiffskommandant wirkte vital und vor Energie nur so strotzend. Er hatte dunkelblaue Augen, die einen hellwachen und äußerst aufmerksamen Verstand verrieten. Jetzt waren diese Augen Schlitze und blickten zweifelnd.
»Sind wir«, bestätigte Kharim Abian, Dritter Offizier und Ortungsspezialist an Ormons Stelle. »Die Koordinaten, die wir von Spaceflash null-zwo-zwo erhalten haben, stimmen.« Seine Stimme hatte einen zuversichtlichen Klang, obwohl seine Miene den für ihn typischen Pessimismus trug.
»Entfernung zum Objekt, Mister Abian?«, begehrte Cabezas zu wissen.
»Die Distanz beträgt noch zehntausend Kilometer, Tendenz fallend.«
Roy Cabezas wandte den Blick seitwärts. Er schien noch nicht recht zufrieden.
»Fähnrich Sailer!«
»Ja, Sir?«
»Bringen Sie uns bis auf tausend Meter an das Objekt heran. Schaffen Sie das?«
»Ich werde mein Bestes versuchen«, versprach der Kadett auf dem Platz des Piloten, auf dem er hoffte, sich die ersten Sporen zu verdienen.
Noch ehe sich Girdel mahnend räuspern konnte, sagte Roy Cabezas mit einem bestimmten Unterton in der Stimme: »Sie sollen Ihr Bestes nicht versuchen, Kadett, sondern geben. Verstanden?«
Fähnrich Greg Sailer wurde etwas blass um die Nase, als er die Kritik in der Stimme des Kommandanten vernahm.
»Jawohl, Sir«, beeilte er sich zu sagen. »Ich gebe mein Bestes.«
»Dann los, junger Mann! Werfen Sie den Riemen auf die Orgel!«
»Sir?«
Sailer warf einen hilfesuchenden Blick auf Girdel, der mit unbewegter Miene so tat, als sähe er das Flehen in den Augen des Fähnrichs nicht.
»Na, geben Sie Gas, Kadett!«
»Ach so ... natürlich, Sir. Sofort, Sir.«
Cabezas grinste und wandte seine Aufmerksamkeit der Bildkugel zu.
Im nächsten Augenblick schien das Bild in der Kugel auf den hellen Punkt zuzujagen, und bald konnte man ein merkwürdiges Objekt vor der schweigenden Kulisse des Sternenmeeres erkennen. Die im Leitstand herrschende Aktivität schien für einen Augenblick zu erlahmen.
»Was haben wir denn da?«, ließ sich der Zweite Offizier und Navigator Jay Girdel vernehmen.
»Sieht irgendwie aus, als stamme es aus den Anfängen der irdischen Raumfahrt«, staunte Funkobermaat Kano Archambault.
Roy Cabezas nickte zustimmend.
Die Verwunderung der Männer war verständlich und nachvollziehbar. Was sich da in der Bildkugel präsentierte, hätte in der Tat aus dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts stammen können, als die Menschheit begann, mittels Satelliten ihr Planetensystem zu erkunden. Es war ein würfelförmiges Objekt von rund acht Meter Durchmesser, wie die Messung der Ortung ergab. Wie eine Spinne im Netz saß der Kubus inmitten eines riesigen Sonnensegels.
Die Andorra stoppte und passte sich der Geschwindigkeit des Objektes an. »Befohlene Distanz erreicht, Sir«, meldete Greg Sailer mit markiger Stimme und hoffte, keinen Anlass zur Kritik geliefert zu haben.
»Na, geht doch, junger Mann. Ausgezeichnet!«, lobte der Kommandant und ließ die Bildkugel nicht aus dem Blick, während dem nervösen Fähnrich ein ganzer Planetoid von der Seele purzelte.
»Worum könnte es sich bei diesem Ding handeln?«, fragte Kharim Abian.
»Was wir da vor uns haben, ist vermutlich Teil des Weltraumprogramms einer Zivilisation, die sich gerade anschickt, die Raumfahrt zu entwickeln«, mutmaßte Oliver Ormon mit einem gewissen Zögern.
»Etwa ähnlich dem Satellitenprogramm, wie wir es zur Erkundung unseres eigenen Sonnensystems eingesetzt haben, bevor wir die nötigen Raumschiffe hatten, um uns selbst an die Exploration unserer näheren Umgebung zu machen?«
»Das könnte zutreffen«, beantwortete Cabezas die Frage seines Dritten Offiziers.
»Welche Zivilisation diesen Satelliten auch konstruiert haben mag, ihre Weltraumtechnik scheint erst am Anfang zu stehen«, bemerkte Ron Nozomi.
»Ach ja?« Cabezas wölbte die Augenbrauen. »Wie kommen Sie darauf?«
»Ist doch offensichtlich: Kein erkennbarer Antrieb. Wenn überhaupt, hat der Satellit vermutlich nur einen schwachen Ionenantrieb an Bord, der kaum ausreicht, ihn auf eine vernünftige Geschwindigkeit zu bringen. Er dürfte längst seinen Betrieb eingestellt haben.«
»Oder er schaltet sich immer nur dann ein, wenn es erforderlich ist, um das Gerät auf Kurs zu halten«, ließ sich Derek Giardelli hören.
»Möglich. Jedenfalls lassen sich im Moment keine wie auch immer gearteten Triebwerksemissionen feststellen«, warf der Astrogator ein.
»Und das Sonnensegel?«, wollte jemand wissen.
»Nutzlos im leeren Raum. Wo sollen hier die Photonen herkommen, für die das Segel konzipiert ist?«, versetzte der Erste Offizier. »Es war sicher nur dazu gedacht, den Satelliten innerhalb seines Herkunftssystems mit Strom zu versorgen.«
Cabezas nickte beifällig, während Kharim Abian meinte: »Ich sagte schon, kein hohes technisches Niveau.«
»Da muss ich widersprechen, Mister Abian.« Cabezas sagte das nicht unfreundlich. »So einfach sollten wir es uns nicht machen. Ich erinnere nur daran, dass viele unserer eigenen Weltraumerkundungssatelliten auf Nimmerwiedersehen im All verschwanden und vermutlich einige davon jetzt noch immer irgendwo als Irrläufer ihre Bahnen ziehen. Stellen Sie sich nur einmal vor, eine raumfahrende Zivilisation findet zufällig einen davon. Würde diese nicht aufgrund der relativ primitiven Bauweise darauf schließen, dass er von einem Volk stammte, das erst am Beginn seines technischen Aufbruchs ins All stünde? Und glauben Sie nicht auch, dass die ganz schön große Augen machen würden, wenn sie uns dann wirklich begegneten?«
»Ich verstehe, was Sie meinen, Sir. Sie wollen damit sagen, dass dieser Satellit womöglich schon recht lange unterwegs ist und die Zivilisation, die ihn auf die Reise geschickt hat, mittlerweile längst die Raumfahrt beherrscht. Ist es nicht so?«
Cabezas nickte mit einem ein wenig eingefroren wirkenden Lächeln. »Das meine ich, ja«, antwortete er. »Allerdings wäre es auch möglich, dass sie schon nicht mehr existiert«, schränkte er nach wenigen Sekunden ein. »Zeit ist hier draußen ein relativer Begriff.«
»Vielleicht ist es eine Rettungskapsel«, schlug Hauptmann Kowalski vor.
»Keine Chance«, widersprach der Ortungsoffizier, nachdem er einen entsprechenden Blick des Kommandanten aufgefangen hatte. »Die Signalmuster unserer Nahbereichstaster lassen eindeutig den Schluss zu, dass sich keine biologischen Wesen an Bord befinden.«
»Also keine Rettungskapsel?«
»Nein.«
»Und was ist mit dem wiederkehrenden Funksignal?«
»Ist nur eine Abfolge sich ständig wiederholender Zeichen.«
»Lassen Sie mal hören«, verlangte der Kommandant.
»Sofort, Sir.« Abian berührte eine Taste. »Die Analyse des Hyperrechners hat leider nichts erbracht«, erläuterte er dabei. »Wenn es eine Sprache sein sollte, ist sie völlig unbekannt.«
Ein stakkatoartiges Geräusch ohne jegliche Modulation füllte die relative Stille in der Zentrale. Eine Folge von gleichlautenden Tönen, die für die Dauer von fünfzehn Sekunden anhielt, verstummte, um dann wieder zu beginnen.
Roy Cabezas hob den Kopf. »Ihre Einschätzung, Mister Abian?«, verlangte er von seinem Dritten Offizier zu wissen.
»Eine Art Notruf – Sir?«
»War das eine Feststellung oder eine Frage?«
»Letzteres, Kapitän. Ich lasse gerade eine weitere Analyse durchlaufen. Habe aber nicht viel Hoffnung.«
»Einsicht zeichnet den wahren Mann aus«, versetzte der Oberst ironisch.
Abian, der sich nicht schlüssig war, ob die Bemerkung seines Kommandanten ein Kompliment oder eine versteckte Rüge beinhaltete, entschloss sich, darauf nicht zu reagieren. So konnte er nichts falsch machen.
Cabezas fuhr fort: »Allerdings tendiere ich dazu, dass das Funksignal nichts weiter ist als ein Signal, das jedes vorbeikommende Schiff dazu auffordert, sich um die Sendequelle zu kümmern.«
»Oder so«, nickte Oliver Ormon. »Die Möglichkeiten zur Interpretation sind vermutlich mannigfaltig, Skipper.«
»Hat sich jemand schon mal Gedanken darüber gemacht, ob es nicht auch ein Warnsignal sein könnte, sich von ihr fernzuhalten?«, warf Kowalski ein.
»Wir sollten das Objekt etwas näher in Augenschein nehmen, Sir«, ließ sich jetzt Nozomi vernehmen.
»Was schlagen Sie vor?«
»Bringen wir es an Bord und unterziehen es einer genauen Prüfung.«
Roy Cabezas wandte sich mit skeptischer Miene an seine Nummer Eins. »Was halten Sie davon, Oliver?«
»Hat was für sich. Vernünftiger Vorschlag, Skipper.«
Skipper ...
An Bord gab es nur zwei Personen, die den Kommandanten des Flottenschulschiffes so nennen durften. Die eine war der Erste Offizier, die zweite Major Chase McNeal, Chef der Ausbildungseinheit der Rauminfanterie an Bord.
Eine angestrengt wirkende Falte bildete sich zwischen Cabezas’ Brauen. Schließlich nickte er. »In Ordnung. Kümmern Sie sich darum.«
»Da dürfte es ein Problem geben, Sir«, gab Jay Girdel zu bedenken.
»So? Und welches wäre das?«
»Das Sonnensegel, Kapitän. Es lässt sich in keiner unserer Schleusen unterbringen.«
»Sie haben natürlich recht, Nummer Zwei«, brummte Roy Cabezas. »Ich hatte aber auch nicht vor, es mit zu bergen. Mir geht es nur um den Satelliten als solchen.«
»Natürlich. Verzeihen Sie, Kapitän.« Girdels braungebranntes Gesicht wirkte leicht verlegen, aber diese Anwandlung ging gleich wieder vorbei.
Cabezas wandte sich wieder an seinen Ersten Offizier. »Welche Schleuse schlagen Sie vor, Oliver?«
»Die westliche«, kam Ormons Entgegnung. »Sie ist von den Quartieren am weitesten entfernt. Es dürfte keine Schwierigkeit bereiten, sie hermetisch gegen das restliche Schiff abzuschotten. Sollte der Satellit mit irgend etwas kontaminiert sein, lässt er sich dort am Besten untersuchen.«
Kontaminiert ...
Das Unwort schlechthin an Bord der Andorra, seit die Besatzung auf Jenna’s Star II von der Zombie-Seuche befallen worden war, von der sie sich nur unter größten Schwierigkeiten hatten befreien können – dank den von Lee Kana und Derek Andresen entwickelten Fressviren.
»Gut.« Cabezas fuhr sich mit den gespreizten Fingern seiner Rechten durch das volle graue Haar. »Kümmern Sie sich darum. Instruieren Sie den Chief, er soll mit einem Eindämmungsfeld die westliche Schleuse hermetisch gegen das übrige Schiff abschirmen und die Schwerkraft im Innern aufheben.«
»Wird sofort in Angriff genommen, Skipper.«
Girdel räusperte sich ostentativ.
Der Kommandant warf ihm einen Blick zu. Dann sagte er: »Ich habe es nicht vergessen, Nummer Zwei.« Er betätigte einen Kontakt auf seiner Kommandantenkonsole.
»Halit?«
»Ja, Sir?«
Rafi Halit, der Waffenoffizier von WS-West, blickte vom Arbeitsbildschirm des Kommandanten.
»Haben Sie den Satelliten auf Ihrem Schirm?«
»Ja, Sir.«
»Wir würden ihn uns gern näher ansehen und dafür an Bord nehmen.«
»Sir? Spricht etwas dagegen?«
»Ja. Sehen Sie das Sonnensegel?«
»Natürlich.«
»Das spricht dagegen. Es passt nicht mit in die Schleuse, Mister Halit.«
»Verstehe, Sir.« Über Halits Gesicht huschte ein Grinsen. »Dagegen könnten wir etwas tun, Sir.«
»Das wäre nett«, nickte Cabezas und lehnte sich in seinem Kommandantensessel zurück.
»Ich nehme an, das Sonnensegel wird nicht mehr gebraucht?«
»Es ist nutzlos hier draußen«, bestätigte der Oberst. »Weit und breit keine Sonne.«
In der Bildkugel konnten die Männer in der Zentrale verfolgen, wie aus der Strahlantenne von Waffenstation West olivgrüne Strahlen zuckten und die Verbindungsbolzen zwischen Satellit und Sonnensegeln in amorphen Staub verwandelten, der in einer glitzernden Wolke davonzog.
Für Sekunden geschah scheinbar nichts. Doch dann konnte sich jeder per Augenschein davon überzeugen, dass sich die Sonnensegel langsam aber stetig vom Satelliten entfernten und wegtrieben.
Cabezas nickte anerkennend und wandte sich an seinen Ersten Offizier. »Wie weit ist der Chief mit der Schleuse, Mister Ormon?«
»Sie ist offen. Das Nest ist bereit, Kapitän.«
»Sehr gut.« Cabezas atmete tief durch. »Mister Girdel! Ich denke, Sie übernehmen jetzt besser das Steuer.«
»Aye, Kapitän.«
Kadett Sailer machte mit sichtlicher Erleichterung Platz für den Navigator; die Verantwortung für ein mögliches Scheitern des Manövers wollte er sich zu Beginn seiner Laufbahn nun doch nicht aufladen.
Unter den routinierten Manövern des Navigators näherte sich die Andorra dem Satelliten mit der entsprechenden Vorsicht. Beim Anschweben drehte Girdel den Circulum-Raumer mit weit geöffneter Westschleuse in Richtung des Objekts.
Es sprach für sein Können, dass er kaum Korrekturen ausführen musste.
Wie auf Schienen näherte sich das mächtige Ringschiff dem metallenen Würfel.
Die Bildkugel zeigte alle Einzelheiten des Manövers. Der Satellit wurde größer und größer – dann schaltete die Automatik auf die Innenansicht der Schleuse, in deren Mitte jetzt der Satellit bewegungslos schwebte.
»Schott schließen!«, befahl Cabezas. »Atmosphäre wiederherstellen.«
Seine Blicke wanderten über die Kontrollen seiner Konsolen. Alles war in Ordnung. Nirgends zeigte sich eine Störung im Ablauf. Cabezas richtete seine Aufmerksamkeit erneut auf den kleinen Schirm. In dem von schattenlosem Licht ausgeleuchteten Schleusenraum senkte sich eben der Satellit auf den Boden herab.
»Der Vogel ist im Nest«, meldete Jay Girdel nicht ganz vorschriftsmäßig und nahm die Hände von der Steuerung.
»Schott schließen!«, befahl Cabezas. »Schwerkraft aufbauen. Langsam. Ich möchte nicht, dass der Satellit auf den Boden knallt. Stabilisieren Sie ihn mit einem Magnetfeld.«
»Aye, Kapitän.«
Über den Schirm auf seiner Konsole verfolgte Roy Cabezas, wie seine Anordnungen in die Tat umgesetzt wurden. Dann stellte er eine Verbindung zum Bordlabor her.
»Bingham hier«, meldete sich der Exobiologe der Andorra.
»Harry, nehmen Sie sich ein paar Ihrer Leute und untersuchen Sie die Außenhaut des Satelliten auf etwaige Keime«, ordnete Cabezas an. »Ich will mir nicht noch einmal die Pest an Bord holen.«
»Verstehe, Kapitän.«
Gut und gern dreißig Minuten später meldete sich Harry Bingham aus der Schleuse und gab Entwarnung. »Es hat sich herausgestellt, dass der Satellit völlig keimfrei ist, Kapitän!« Sein etwas gerötetes Gesicht blickte vom Schirm auf Cabezas’ Konsole; das Kopfteil des transparenten W-Anzugs war zurückgeschlagen. »Sie können sich dem Objekt bedenkenlos nähern.«
»Ausgezeichnet«, zeigte sich Cabezas zufrieden; die Erleichterung war ihm anzusehen. »Dann werden wir unseren Fund einmal näher unter die Lupe nehmen. Ich ... ja, was gibt es, Mister Robben?«
Der Chefphysiker der Andorra, der nach Horia Kraetschs Tod 2062 auf Sahara an dessen Stelle gerückt war, ließ sich auf einem Nebenschirm sehen. »Kollege Bingham hat auch herausgefunden, dass der Satellit einen Plutoniumgenerator zur Energieerzeugung an Bord hat«, sagte Tschéky Robben. »Möglicherweise ein Gefahrenpunkt, den es zu beachten gilt.«
Cabezas nickte. »Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. An was haben Sie gedacht, um das Problem in den Griff zu bekommen?«
»Ich schlage vor, alles Nötige zum Einsatz von Abschirmfeldern in die Wege zu leiten, um mögliche Strahlungsausbrüche zu unterbinden. Wir wissen nicht, was geschieht, wenn das fremde Objekt eventuell auf eine Weise geöffnet wird, die nicht vorgesehen ist, Sir.«
Cabezas nickte erneut. Dann befahl er kurz entschlossen: »Sie kümmern sich um die nötigen Vorkehrungen.«
»In Ordnung, Sir.«
»Und noch etwas, Mister Robben.«
»Ja, Kapitän?«
»Doktor Andros soll sich Ihnen anschließen. Einen Metallurgen dabeizuhaben, kann sicher von Vorteil sein. Wir sehen uns dann«, sagte Cabezas abschließend und kappte die Verbindung.
Er stand auf. »Leutnant Giardelli, Sie kommen mit mir.«
»Aye, Sir.«
Der Funk- und Ortungsspezialist aus Kharim Abians Funk-Z beeilte sich, Anschluss an den Kommandanten zu finden, der mit energischen Schritten die Zentrale verließ.
In der Schleuse hielten sich bereits die Wissenschaftler auf, die Cabezas dort hinbeordert hatte, und bauten ihre Messgeräte auf. Sie hatten sogar eine Antigravplattform bemüht, um einen Blick auf die Oberseite des Würfels werfen zu können.
Cabezas ging auf den Satelliten zu, der mit seiner Größe den Schleusenraum dominierte. Die magnetische Verankerung gab ihm eine Position etwa zwanzig Zentimeter über dem Schleusenboden. Die Hände in die Seiten stemmend, blickte der Kommandant auf das fremde Objekt, es von oben nach unten musternd.
An der Hülle haftete ein Belag, der aussah wie Meteoritengrus. Die einst silber-metallenen Seiten – erkennbar nur noch an einigen wenigen Stellen – waren zernarbt vom Partikelbeschuss stellarer und galaktischer Herkunft. Vielleicht war das Gerät auch einmal durch den Schweif eines Kometen geflogen oder durch eine Region mit viel Staub und Gesteinsbrocken und hatte sich dabei Narben, Riefen und kleinere Beulen eingefangen.
»Muss viel erlebt haben auf seiner langen Reise durch den galaktischen Raum«, ließ sich Karl Andros vernehmen, der neben den Kommandanten getreten war.
»Hat ganz den Anschein, Mister Andros«, bestätigte Cabezas nickend. »Wäre interessant zu erfahren, woher der Satellit gekommen ist.«
»Vielleicht erzählt er es uns«, warf Leutnant Giardelli ein.
»Erzählen?« Cabezas’ Augenbrauen hoben sich. »Wie das?«
»Wenn er eine Weltraumsonde ist, ein Erkundungssatellit, trägt er sicher Aufzeichnungsgeräte mit sich. Wir müssen sie nur finden ...«
»Und lesen können«, unterbrach ihn Cabezas mit einem skeptischen Lächeln. »Sie vergessen, dass wir bislang nicht einmal seine Funkzeichen entschlüsseln konnten.«
»Vielleicht werden wir es in Bälde können, wenn dieser Satellit das ist, wofür ich ihn halte«, versetzte Derek Giardelli.
»Sie haben eine Vermutung?«, erkundigte sich Cabezas.
»Die habe ich, Sir. Dazu müssten wir aber etwas ganz Bestimmtes finden ...«
»Ich denke, ich weiß, worauf Sie anspielen, Leutnant«, unterbrach ihn Cabezas. »Aber erwarten Sie sich nicht zu viel. Die Tatsache, dass dies ein Weltraumsatellit auf einer langen Mission ist, bedeutet nicht zwangsläufig, dass er mit einer ähnlichen Ausstattung versehen ist wie beispielsweise unsere Langstreckensonden vom Typ Pioneer oder Voyager. Er erscheint mir doch etwas anders konzipiert. So sehe ich zum Beispiel keine Sendeantennen, um nur einen Aspekt zu erwähnen.«
»Sir?« Leutnant Giardelli wirkte leicht irritiert.
»Die beiden Sonden der Voyager-Baureihe hatten dreieinhalb Meter große Hochleistungsantennen an Bord«, informierte Cabezas den Leutnant, »die für die Datenübertragung zwischen den Sonden und den Kontrollstationen auf der Erde verantwortlich waren. Ich kann allerdings keine solche Antennen erkennen.«
»Sie haben vielleicht eine andere Übertragungsart. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass sie innerhalb der Hülle unter der Außenhaut angebracht sind, bei der Größe durchaus vorstellbar.«
Cabezas blickte zweifelnd. »Wir werden sicher Gelegenheit haben, dies noch herauszufinden«, meinte er dann. »Warten wir auf die Erkenntnisse, die da noch kommen.«
Er hob die Stimme und sagte zu niemand bestimmtem: »Hat sich irgendwer schon an dem Satelliten zu schaffen gemacht, meine Herren?«
Die Wissenschaftler und Techniker verneinten.
»Wir haben ihn nur von außen mit den Diagnosegeräten überprüft«, ließ sich Harry Binghams kraftvolle Bassstimme hören, die so gar nicht zu dem mageren, knochigen Exobiologen passte, »um sicher zu sein, dass keine Keime an ihm haften.«
»Und natürlich wollten wir erst mit unserer Untersuchung beginnen, wenn Sie dabei sind, Kommandant«, versicherte Tschéky Robben mit treuherziger Miene.
»Zu gütig«, sagte Cabezas trocken. »Nachdem ich jetzt hier bin, rücken Sie dem Objekt zu Leibe. Es würde mich interessieren, ob sich tatsächlich alle Ihre Vorstellungen bewahrheiten, meine Herren.«
Er machte Anstalten, näher an den Satelliten heranzutreten. Aber ein Zuruf Robbens ließ ihn davon Abstand nehmen.
»Vorsicht, Sir. Der Plutoniumgenerator strahlt noch. Hören Sie!«
Der Chefphysiker streckte den Arm aus, und der Geigerzähler in seiner Hand begann aufgeregt zu ticken. Cabezas’ Miene verdüsterte sich. »Ich dachte, Sie hätten ihn abgeschirmt«, sagte er mit scharfer Stimme.
»Schon geschehen«, sagte in diesem Moment einer von Robbens Technikern. »Jetzt dürfte es unbedenklich sein, sich hier aufzuhalten.« Robbens Geigerzähler war nun kaum noch zu hören.
Routiniert, aber dennoch mit der nötigen Umsicht, begannen die Wissenschaftler und Techniker dem Satelliten mit ihren Mess- und Prüfinstrumenten auf die Pelle zu rücken; dabei erwartete niemand ernsthaft, auf Schwierigkeiten zu stoßen.
»Wie wird er angetrieben?«, erkundigte sich Cabezas.
»Die Basis des Würfels weist an den vier Ecken gitterähnliche Strukturen auf«, sagte einer von Robbens Assistenten. »Ebenso die Seiten.«
»Verständlich«, nickte Cabezas. »Austrittsöffnungen für den Ionenstrahlantrieb und die Manövertriebwerke.«
»Exakt, Sir.« Der Mann hob anerkennend die Brauen.
Cabezas setzte seinen Rundgang fort.
»Mich würde interessieren, aus welchen Materialien das Objekt gefertigt wurde, Mister Andros«, sagte er nachdenklich, während er zusah, wie zwei Techniker sich bemühten, einen Zugang ins Innere des Satelliten zu finden. »Haben Sie schon eine Analyse durchführen können?«
Der Metallurg wiegte den Kopf. »Bislang habe ich nur herausgefunden, dass die Hülle aus einem Gemisch verschiedener Leichtmetalle von recht hoher Widerstandskraft zu bestehen scheint. Wahrscheinlich molekular verändert. Doch wie genau diese Legierung zusammengesetzt ist ... tut mir leid, unsere Handprüfgeräte sind dafür etwas zu grob. Ich könnte für den Augenblick wirklich nur spekulieren.«
»Was, wie ich Sie kenne, Ihnen widerstrebt, nicht wahr?«, versetzte Cabezas mit einem wissenden Lächeln.
»Spekulationen sind nicht wirklich mein Ding«, bestätigte Karl Andros. »Nur eine Untersuchung im Labor kann uns Aufschluss darüber geben, womit wir es hier exakt zu tun haben, Sir. Wenn Sie es wünschen ...« Andros verstummte, und seine Augenbrauen wölbten sich fragend.
»Ich weiß nicht, ob wir den Satelliten so weit zerlegen sollten«, zögerte Roy Cabezas. »So wichtig scheint es mir nicht zu sein, ob wir wissen, aus welchen Materialien er besteht. Oder erwarten Sie Überraschungen?«
Karl Andros atmete tief durch und schüttelte den Kopf.
»Wir haben es definitiv nicht mit einem uns unbekannten Wundermaterial von schier unglaublichen Eigenschaften zu tun«, versicherte er, »wenn es das ist, was Sie hören wollten.«
»Schade«, erwiderte der Kommandant. »Hätte ja sein können.«
»Wie soll ich das jetzt verstehen?«
»Gar nicht, Mister Andros«, antwortete Cabezas. »Gar nicht.«
Der Metallurg brummte und widmete sich wieder seinen Messungen. Giardelli machte sich bemerkbar. »Eigentlich«, sagte er, »müsste der Satellit angesichts seiner gewaltigen Größe begehbar sein.«
»Bei fünfhundertzwölf Kubikmeter Rauminhalt könnte man das durchaus annehmen«, stimmte ihm Harry Bingham zu. »Da passt ein ganzes Haus hinein.«
»Aber nur ein kleines«, relativierte Robben.
»Gibt es Hinweise auf einen Einstieg?«, fragte Roy Cabezas.
»Negativ, Sir«, antwortete ein Techniker aus Robbens Umfeld. »Nicht auf dieser Seite.«
»Lässt er sich überhaupt öffnen?«
»Das muss er«,versicherte Derek Giardelli. »Kein Satellit ist hermetisch verschlossen. Es gibt mit Sicherheit Mannlöcher oder Serviceöffnungen, über die man Zugang zu den verschiedenen Komponenten bekommt. Oder es existiert eine Art zentrales Modul, in dem alle wichtigen Instrumente und Geräte zusammengefasst sind.«
»Und warum ...«, begann Cabezas. Ein Ruf von der anderen Seite des Kubus unterbrach ihn.
»Kapitän! Hier drüben ist etwas!«
Cabezas sah auf die Wissenschaftler und meinte nur: »Na, bitte.«
Sie gingen auf die andere Seite. Zwei Techniker entfernten gerade eine Platte von der Hülle. Ein schmaler Zugang erschien dahinter, gerade mal einen Meter breit und eineinhalb Mal so hoch. Cabezas spähte durch die freigelegte Öffnung in den dahinterliegenden, größeren Raum. Licht fiel ins Innere und ließ einiges erkennen.
»Schauen Sie sich das an, Leutnant«, meinte er zu Derek Giardelli gewandt, »und sagen Sie mir, um was es sich hier handelt.«
Der Funk- und Ortungsspezialist warf einen kurzen Blick hinein. Dann zwängte er sich mit einem für alle überraschenden »Ich sehe mir das mal genauer an« kurz entschlossen durch die Öffnung.
Dahinter war der Raum groß genug, dass er sich einigermaßen bewegen konnte, wenngleich ihm nicht viel Spielraum blieb.
»Sir!«, drang seine Stimme nach draußen, »dies hier ist so etwas wie ein Funkabteil. Ich erkenne etwas Ähnliches wie einen Normalfunksender ...«
»Aktiv?«, unterbrach ihn der Oberst.
»Abgeschaltet, Sir. Auch die wenigen vorhandenen Messinstrumente sind tot.«
»Ist überhaupt etwas aktiv?«
»Ja, Sir. Der Peilsender arbeitet, aber das wissen wir ja bereits, seit die Spaceflash-Besatzung seine Signale aufgefangen hat.«
Geräusche aus dem Innern des Satelliten zeugten davon, dass sich Giardelli gründlich umsah. Dann ein fast triumphierender Ausruf von ihm.
»Was gibt es, Mister Giardelli?«, verlangte der Oberst zu wissen.
»Sir, wie ich es mir gedacht hatte.«
»Geht das etwas präziser, Leutnant?«, polterte Cabezas. »Ich halte nicht viel vom Rätselraten. Und Gedankenleser bin ich noch immer nicht geworden.«
»Verzeihung.« Giardellis Stimme klang verhalten zerknirscht. Er erschien im Einstieg und kletterte auf den Schleusenboden herab. »Hier.« Er übergab dem Kommandanten eine Metallplatte von der Größe einer Zeitungsseite. »Meine Vermutung hat sich bestätigt«, gab er zu verstehen, und Triumph erhellte seine Miene. »Schauen Sie sich das an, Sir! Was sagen Sie?«
»Gemach, junger Mann«, versetzte Cabezas und lächelte schwach. »Sie sprechen ja ohne Punkt und Komma. Ich verstehe allerdings Ihre Erregung.«
Er blickte einen Moment auf das, was in der Metallplatte eingraviert war.
Irgendwie war die Stille in der Schleuse trotz des unterschwelligen Summens ewig laufender Maschinen fast mit Händen zu greifen. Dann hob er den Kopf.
»Meine Herren«, wandte er sich an die Wissenschaftler. »Hier haben wir eine Art interstellare Visitenkarte.« Er hob die Platte, die im Licht der Schleusenbeleuchtung funkelnde Reflexe warf, in die Höhe. »Wir sehen uns in der Offiziersmesse wieder. Sagen wir in fünfzig Minuten.«