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1935 heiratete der große Bruder von Tata. Die Hochzeit vom ältesten Sohn des »Kaisers« bescherte dem Städtchen eine große Feier und sollte ein gesellschaftlicher Höhepunkt werden.

Die Wiener Verwandtschaft machte sich auf den Weg ins entlegene Transsylvanien. Fabrikanten aus nah und fern sowie siebenbürgische Würdenträger und Freunde tummelten sich neben den vielen Familienmitgliedern im Burghof. Zuerst ging es in die Kirchenburg. Die Herren alle im Frack und Zylinder, die Damen in großer Abendgarderobe. Nach der kirchlichen Trauung begab man sich hinaus in den Kirchhof, wo bereits Kutschen auf die Hochzeitsgäste warteten, die diese nach der Trauung, im Korso, zu den Hochzeitsfeierlichkeiten bringen sollten.

In der Kutsche meines Vaters, so erzählte er später, fand er eine sehr hübsche Dame vor, die man ihm als Begleiterin zugeteilt habe. Diese schöne Dame sollte später meine Mutter werden.

Der Vater meiner Mutter, also mein Großvater mütterlicherseits, ein Italiener, der seinerzeit zur Vervollständigung seiner Weinkenntnisse als junger Mann nach Siebenbürgen kam, sich dort in meine Großmutter Fini verliebte, sie heiratete und fünf Kinder mit ihr zeugte, brachte Exotik in unser Städtchen, und als im Dritten Reich auch die Siebenbürger einen arischen Nachweis erbringen mussten, kam eines Tages meine Großmutter Fini zu meiner Mutter ins Badezimmer gestürmt, wo diese ihre Tagestoilette anlegte.

»Batzi, Batzi, setze dich nieder«, befahl sie außer Atem, aufgeregt meiner Mutter, »stell dir vor, wir sind nicht nur arisch, sondern auch adelig. Dein italienischer Vater kommt aus einem Schloss in der Nähe von Rom«, habe sie mit stolzgeschwellter Brust berichtet. Später sollte sich herausstellen, dass die Familie meines italienischen Großvaters nicht die Schlossherren, sondern die Hausmeister des Schlosses waren.

Meine Großmutter Fini stammte aus einer alten siebenbürgischen Familie, deren Stammbaum bis ins Jahr 1554 zurückverfolgt werden kann, und der heute in meinem Arbeitszimmer hängt. Der Stammbaum weist eine Menge Pfarrer auf, die damals und noch heute die tragenden Säulen der Siebenbürger waren und sind. Die Kirche stand schon immer im Mittelpunkt unserer Gemeinschaft, dessen Kirchenburg Schutz bei Gefahr bot. Die Pfarrer, hemdsärmlige, praktische, lustige Menschen, aus der Mitte der Gesellschaft, die uns ab der Geburt bis zum Tod begleiteten. Die siebenbürgischen Pfarrer waren und sind noch heute Autoritäten, die nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges als Erste die Ausreisegenehmigung der Kommunisten erhielten, in der Hoffnung, die deutsche Minderheit damit austrocknen zu können.

Die größte Macht und Autorität unserer Gemeinschaft besaßen jedoch die Kirchenväter. Ein Kirchenvater wurde von den Gemeindemitgliedern gewählt, der eine hohe soziale Einstellung und einen gewissen Wohlstand besaß, die seine Unabhängigkeit im Amt garantierte. Kirchenväter legten die Abgaben jedes Einzelnen fest und bestimmten, was mit dem Geld zu geschehen habe. Mit der Wahl eines Kirchenvaters schmückten sich jahrhundertelang ganze Sippen.

Meine Großmutter Fini heiratete also einen Italiener und gebar ihm fünf Kinder. Zwei Söhne und drei Töchter. Wobei die Mischung einer Siebenbürgerin und eines Italieners drei wunderschöne und interessante Töchter hervorbrachte. Auch Mongolen wie Tataren scheinen in dieser Linie mitgemischt zu haben, denn immer wieder tauchen Familienmitglieder mit hohen Backenknochen und schrägen Augen aus dieser Sippe auf. Vermutlich konnten vor Hunderten von Jahren einige der Frauen nicht schnell genug die schützende Burg erreichen, als die Horden der Mongolen uns überfielen.

Diese meine Fini-Oma erzählte uns einmal, dass immer wenn sie ein Kind zur Welt brachte, mein italienischer Großvater aus den Weinbergen eilte, das Laken des Säuglings lupfte, das Geschlecht überprüfte und wieder verschwand.

Die zwei ersten Kinder wurden Mädchen, und so war die Freude groß, als der Italiener das männliche Geschlecht der nächsten zwei Kinder erblickte. Zum Schluss kam meine Mutter als Nesthäkchen zur Welt.

B-Onkel, der älteste der Kinder, kam im Zweiten Weltkrieg in russische Gefangenschaft und wurde erst aus Sibirien entlassen, als die ganze Familie bereits geflohen war. Als einziger Zurückgebliebener im kommunistischen Rumänien heiratete er eine Rumänin, die auch die einzige in unserer Sippe bleiben sollte. Aus geschichtlichen Gründen bestand in Transsylvanien das eherne Gesetz, dass Deutsche unter sich heiraten mussten. Denn die Privilegien, die die deutsche Minderheit im Jahre 1224 vom ungarischen König erhielten, waren nur für die Deutschen, die sich auf dem Königsboden angesiedelt hatten, gedacht. Wer also früher gegen dieses Gesetz verstieß, musste die deutsche Stadt verlassen und wurde fortan von allen Deutschen gemieden.

Aus dieser Verbindung besitze ich eine Cousine, die unter Ceau?escu ein Mitglied aus dem rumänischen Königshaus geheiratet hat. Dieser rumänische Adlige, der unter den Kommunisten nicht studieren durfte und Automechaniker wurde, kam nach dem Zusammenbruch des Systems nach Westdeutschland. Hier konnte man Michail, aus dem Königshaus der Romanow, in Bibliotheken finden, wo er all das nachholen wollte, was die Kommunisten ihm verweigert hatten.

P-Onkel, der zweitälteste aus diesem Familienzweig, wurde nach unserer Flucht in Österreich Weinvertreter. Ein fescher, charmanter und geselliger Mann, der den österreichischen Gasthäusern seine Produkte anbot. Auf diesen Reisen verliebte er sich in die einzige Tochter eines großen, wohlhabenden Ländereibesitzers mit traditionsreichem Wirtshaus. Sie heirateten und diese Verbindung sollte die Sippe mit drei Söhnen bereichern. Einer davon übernahm das Wirtshaus und frönte der Großwildjagd, der nächste wurde Professor in Wien und der dritte studierte die Juristerei. Der Vater dieser Kinder, also mein P-Onkel, so erzählte man sich, habe sich zu Lebzeiten besser mit der Schwiegermutter als mit seiner Frau verstanden, so dass alle geschäftlichen Entscheidungen von diesen beiden getroffen wurden, was der Ehe nicht guttat. Eine zusätzliche Ehebelastung sollte werden, dass dieser Onkel, so wie mein Tata auch, dem weiblichen Charme nicht widerstehen konnte.

D-Tante, das dritte Kind aus dieser Familie, heiratete den Prokuristen unserer Lederfabrik. Diese Verbindung bereicherte unsere Familie mit fünf Kindern. H-Onkel sollte später auch mein zweiter Vater werden. Nicht, dass er meine Mutter geheiratet hätte, sondern weil er mich in der Not wie eine Tochter in seinem Haus aufnahm.

S-Tante, das vierte Kind, heiratete einen Rechtsanwalt, der so schlitzohrig war, dass man ihn gerne bei kniffligen Rechtsfragen konsultierte. So erzählte mein Väterchen einmal, habe sich bei einem Mittagessen folgender Dialog zwischen ihm und einem jüdischen Schulfreund entwickelt:

»Weißt du, Beni«, habe mein Onkel dem jüdischen Schulfreund geklagt, »auf die Versicherungen ist auch kein Verlass. Wenn man sie braucht, zahlen sie nicht, und wenn man sie nicht braucht, werden sie teuer. Da ist so eine Freundschaft wie unsere schon etwas ganz anderes.«

Beni habe diese Feststellung bejaht, und so schlug mein Onkel vor: »Wir zwei sollten daher eine Freundschaftsversicherung vereinbaren, so dass, wenn einer in Not kommt, der andere hilft.«

»Ich bin einverstanden«, habe Beni geantwortet, »kannst du deinen Vorschlag präzisieren?«

Darauf mein Onkel: »Natürlich müsste jeder im Verhältnis zu seinem Vermögen einzahlen. Da du viel reicher bist als ich, würde ich sagen, wir stellen das Verhältnis von einem Dollar zu einem Schilling her.«

Darauf Beni um eine Bedenkzeit bat und nach dem Essen antwortete: »Ich habe diesen Vorschlag von dir für mich geklärt. Ich bin sicher, wenn wir in Not wären, würde jeder dem anderen helfen. Wenn dann der zweite Monat kommt, schreibe ich dir: ›Bitte zahle. Ich bin noch immer in Not‹, und wenn der dritte Monat kommt, so schreibe ich dir wieder: ›Ich bin noch immer in Not.‹ So wirst du sagen, das ist ja ein Schnorrer, und wirst mir gar nichts mehr überweisen. Damit würden wir nicht nur unsere Versicherung, sondern auch unsere Freundschaft verlieren.«

Über diesen Onkel munkelte man auch, dass er Yoga betreibe. Yoga war damals für uns so exotisch wie ein Mann vom Mond, so dass die Familie anfing herumzurätseln, was er wohl treibe, wenn er sich in seinem Schlafzimmer einsperre. Um dieses Rätsel zu entschlüsseln, habe sich die Familie durchs Schlüsselloch schlaugemacht und damit die Antwort erhalten. »Ich weiß jetzt, was Yoga ist«, verkündete eines Tages meine Cousine, »mein Vater liegt auf dem Boden und schläft.«

Fürstliche Gemächer wären ein Fliegenschiss gegen das Schlafzimmer dieses Onkels. Über seinem Bett, das von schweren roten Samtvorhängen umrahmt wurde, hing eine große, üppige, nackte Frau, die von einem dicken Goldrahmen getragen wurde.

Auch war dieser Onkel der Meinung, dass ohne Verhandlungen nichts erworben werden dürfe, und als er uns später einmal in Deutschland besuchte, konnte später unser Bäcker ein Lied davon singen, wenn der Onkel stundenlang um den Preis eines Brötchens feilschte.

Die dritte Schwester meiner Mutter heiratete also diesen Rechtsanwalt, die die Sippe mit drei entzückenden Töchtern sowie einem nicht zu überbietend charmanten, wohlgebauten Sohn bereicherten, der ein erfolgreicher Geschäftsmann wurde und heute auf seinem französischen Gut »Hof hält«. Alle seine Kinder wurden von der Natur verwöhnt. Die äußere Schale können sie jedoch nicht von ihrem Vater geerbt haben, der zu Lebzeiten ein kleiner Gnom war, mit einer gedrungenen Figur und einer krummen Nase, den man jedoch als Persönlichkeit nicht übersehen konnte.

Das Elternhaus meiner Mutter lag am Marktplatz. Von dort aus besaß man einen freien Blick über den ganzen Platz, auf dem sich das gesellschaftliche Leben unseres kleinen Städtchens abspielte. Und da meine Großmutter Fini viel Zeit am Fenster verbrachte, war sie bestens über alles informiert. So wurde sie durch diesen Logenplatz zur Chefin des Femegerichtes gewählt.

Die Familien am Marktplatz besaßen ungarisches Personal für die Küche, für die grobe Arbeit Rumänen und für die Erziehung ihrer Kinder deutsche Kinderschwestern, so dass diese Frauen viel Zeit besaßen, um sich der schweren Aufgabe des Sittenwächters zu widmen. Wer also vor diesem Kränzchen »Femegericht« in Misskredit geriet, hatte nicht mehr viel zu lachen.

Tata

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