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So vergingen drei Jahre in gutbürgerlichen Verhältnissen und 1939 kam ich, als Hitler der Welt den Krieg erklärte, als zweite Tochter unserer Familie zur Welt.

»Fritz«, bat eines schönen Tages mein Tata seinen Freund, »da du gerade in unsere Provinzhauptstadt fährst, kannst du auch zum Standesamt gehen und dort die Geburt meiner zweiten Tochter anmelden.« Zurück aus der Provinzhauptstadt meldete Fritz meinem Vater: »Ich habe die Geburt deiner zweiten Tochter, wunschgemäß, am Standesamt angemeldet. Der rumänische Beamte hat jedoch den Namen Hannelore nicht akzeptiert. Er behauptet, dass es den Buchstaben H in der rumänischen Sprache nicht gibt. Deine Tochter heißt jetzt Annelore.«

Die ersten Ehejahre meiner Eltern sollten von einer friedlichen Zeit, den sogenannten »goldenen Zwanzigern« geprägt werden, in einer gesicherten gutbürgerlichen Existenz, umgeben von Familie und Freunden.

In Bukarest besaß die Familie eine Wohnung, in der die Familienmitglieder übernachten konnten, wenn sie sich in die Hauptstadt begaben. Eine zweite Wohnung finanzierte mein Tata einer Mätresse.

Eines Tages, als meine Eltern sich wieder nach Bukarest begaben, nahmen sie mich und die Kinderschwester Maria mit. Als sich nachts meine Eltern bei einem Bankett aufhielten, fing die Erde an zu beben.

Sie bebte vier Minuten und legte Bukarest in Schutt und Asche. Panikartig verließen daraufhin alle Gäste die Veranstaltung, besorgt, was aus ihren Familien geworden sei. Als meine Eltern durch eine verwüstete Stadt nach Hause eilten, fanden sie eine verstörte Maria vor, die sich unter den Türrahmen eines Zimmers geflüchtet hatte und mich, friedlich schlafend, in meinem Kinderbett von einer Ecke des Zimmers zur anderen rollte. Das Kindermädchen, das über Nacht weiße Haare bekam, kündigte und floh am nächsten Tag überstürzt nach Hause, in den Schoß seiner Familie. Nach dieser Naturkatastrophe eilten auch meine Eltern nach Hause, in das erdbebensichere Siebenbürgen.

Von den Folgen dieses Bebens sollte sich Bukarest bis in die heutige Zeit nicht erholen. Der Zweite Weltkrieg und die anschließende kommunistische Herrschaft sollten Bukarest, das »Klein-Paris des Ostens«, den Rest geben.

Die Politik der deutschen siebenbürgischen Volksgruppe war zu dieser Zeit beherrscht vom mächtigen Deutschen Reich unter Hitler. Wie überall auf der ganzen Welt gab es auch in Siebenbürgen Menschen, die diese Politik verneinten, und andere, denen sie zusagte. Selbst in unserer Sippe gab es geteilte Ansichten. Unser Tata sowie mein Großvater verneinten diese Politik und wandten sich der Oppositionspartei zu, wo man »nolens volens« meinen Tata, mit seinen 28 Jahren, zum Chef der konservativen siebenbürgischen sächsischen Jugend wählte. Aber wie überall bekamen die Nazis einen so großen Zulauf, dass die kleine konservative Jugendgruppe nach kurzer Zeit die Segel streichen musste.

Am 1. September 1939 versammelte mein Großvater seine Familie im Wohnzimmer seiner Villa, wo sie vormittags alle zusammen im Radio sich die Rede von Hitler anhörten und damit den Beginn des Zweiten Weltkrieges miterlebten. Die Tragweite dieser Rede konnten die wenigsten Anwesenden begreifen. Nur mein Großvater wurde blass und sagte:

»Dies ist das Ende unseres bisherigen Lebens in Siebenbürgen und das des deutschen Volkes. Was nachher sein wird, weiß nur der liebe Gott.« Wahrhaft prophetische Worte, die keiner der Anwesenden sein Leben lang vergessen sollte.

Der Krieg begann und die Wirtschaft organisierte sich in Verbänden mit Sitz in Bukarest. Die rumänische Industrie für Leder, Schuhe, Pelze, Gerbmittel sowie alle anderen verwandten Zweige organisierten sich in einer riesigen Gesellschaft: »Organizatia Romana de Aprovisionare«, genannt ORAP, an der zur Hälfte der rumänische Staat beteiligt war. Jeden anderen Industriezweig verstaatlichte man, und so wurde zwangsweise der rumänische Staat zur Hälfte an allem beteiligt.

Mein Tata wurde seitens der deutschen Wirtschaft als Wirtschaftsführer in die Firma ORAP delegiert und bekam damit eine immens einflussreiche Stellung. Im Aufsichtsrat, in dem er Mitglied wurde, saß er zusammen mit den sechs größten rumänischen Fabrikanten, einem Günstling des Königs und einem Vertreter der Regierung. Tata erklärte mir den Aufbau dieser Organisation deswegen so gründlich, weil, wie er sagte, diese in unserem weiteren Leben noch eine wichtige Rolle spielen sollte.

Der Aufsichtsrat war das oberste Gremium, wo er Mitglied wurde. Darauf folgten die Administratoren, von denen er einer war. Danach kam der Direktor Hatiegang (ein Bruder des Ministers), und dahinter folgten einige Direktoren.

Da Tata nun in Bukarest eine große Verantwortung übernahm, beschloss er, mit seiner gesamten Familie und einigem Personal, wie Köchin und Kindermädchen, dorthin zu übersiedeln. In Bukarest mietete er eine schöne Villa in der besten Lage der Stadt an und stellte für seinen BMW einen Chauffeur ein.

Im Jahre 1940 rief ihn der rumänische Naziführer Andreas Schmidt zu sich und eröffnete ihm, dass er, Andreas Schmidt, beschlossen habe, meinen Tata zum Parteichef der Auslandsdeutschen in Bukarest zu ernennen. Die Partei erwarte von ihm, dass er eine stramme nationalsozialistische Partei in Bukarest aufziehe.

»Es blieb mir nichts anderes übrig«, erzählte Tata, »als Ja zu sagen.« Eine Verweigerung hätte sowohl für ihn als für die gesamte Familie und unseren Betrieb katastrophale Folgen gehabt. So ergab er sich in sein Schicksal, und um diesem Amt einen würdigen Anstrich zu geben, ließ er sich eine Fantasieuniform anfertigen.

Nach der Übernahme der Naziparteileitung in Bukarest hielt Tata wöchentliche Versammlungen ab, bei denen die Deutschen in Bukarest weniger über Politik, dafür umso mehr über Musik und Kultur sprachen. Mit der Zeit gründeten sie einen Gesangschor, um den Versammlungen einen richtigen Rahmen zu geben.

In diesem Amt rief ihn eines schönen Tages, 1941, der rumänische »Führer « Andreas Schmidt wieder zu sich und teilte Tata mit, dass er, Andreas Schmidt, zu Hitler nach Berlin beordert worden sei, und unglücklicherweise wäre gerade in seiner Abwesenheit von Marschall Antonescu, dem rumänischen Staatsführer, ein wichtiges Staatsbankett anberaumt worden und er, also mein Tata, solle ihn dort für die deutsche Volksgruppe vertreten. Als Tata fragte, was er denn dort sagen und machen solle, habe Andreas Schmidt geantwortet, dass der Abend eine Formsache sei und er nur repräsentieren müsse.

So zog Tata an besagtem Tag seine Fantasieuniform an und begab sich in die geheiligten Räume des Cercul Militar, einem imposanten Gebäude mitten in Bukarest. Dort empfing man ihn gebührend und führte ihn in einen Saal, in dem sich alles versammelt hatte, was Rang und Namen besaß: Regierung, Botschafter, Adlige und Militär.

Nach einem kleinen Stehkonvent begab sich die Gesellschaft in den Hauptsaal, wo ein riesiges Bankett auf sie wartete. Tata kam zwischen einem Admiral und einem französischen Diplomaten zum Sitzen. Beide sprachen nur französisch, was Tata nicht konnte.

Von Zeit zu Zeit erschien ein Zeremonienmeister in goldbestickter Robe mit einem langen Goldstab, den er dreimal am Boden aufschlagen ließ, um den nächsten Redner anzukündigen.

Tata war gerade in seinen Fasan vertieft, als sein Nachbar, der Admiral, ihn anstieß und sagte: »Sie sind eben aufgerufen worden. Sie sollen Ihre Rede halten.« Meinem Tata, so erzählte er, sei der Fasan im Halse stecken geblieben, denn Andreas Schmidt hatte ihm ausdrücklich gesagt, er brauche sich auf nichts vorzubereiten.

Als am Ende seiner Rede applaudiert wurde, meinte Tata selbstkritisch, hätte das sicher nicht seiner Rede gegolten, wohl aber dem Respekt vor dem Vertreter Hitlers.

Der Filialdirektor unseres Betriebes in Bukarest hieß Rogalsky, mit dem sich Tata prächtig verstand. So war es zum Beispiel üblich, dass beide, spätnachts, nach getaner Arbeit, in ein kleines Vorstadtrestaurant gingen. Das Lokal, das den Namen »Dumitru« trug, stellte das beste »Pastrama de capra« her, wobei Tata meinte, dass dies für westliche Gaumen ungenießbar sei, denn es bestand aus getrocknetem Ziegenfleisch, das stundenlang gekaut werden konnte. Bei diesem »Dumitru« aßen beide das Gericht in aufgeweichter und gebratener Art. Eines schönes Tages, es soll März oder April gewesen sein, schmeckte die Pastrama scheußlich und Herr Rogalsky beschwerte sich beim Wirt. Worauf der Wirt erklärte: »Meine Herren, Sie haben recht. Jedoch ist mir das vorherige Pastrama ausgegangen und für das neue sind noch nicht genug Fliegen da, deswegen schmeckt es so fad.«

Das Ende von Tatas Karriere als deutscher Nazileiter in Bukarest sollte sich nach einem Jahr seiner Tätigkeit einstellen. Der rumänische »Führer Andreas Schmidt« bestellte eines Tages meinen Tata wieder zu sich und beschimpfte ihn wüst, dass er aus seiner schönen Partei einen Gesangsverein gemacht habe, und setzte ihn daraufhin, zu Tatas Freude, ab.

Als dann auch noch eine Revolution mit vielen Toten in Bukarest ausbrach, packten meine Eltern ihre Koffer, verließen samt Personal und uns Kindern Bukarest und zogen zurück in unser beschauliches siebenbürgisches Städtchen.

Dort kam 1941 meine kleine Schwester, liebevoll »Dussel« genannt, zur Welt und nun, schrieb Tata in seinen Aufzeichnungen stolz, wären wir bereits zu einer kleinen Familie herangewachsen.

Tata

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