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Pilar

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Alberto lebte im selben Viertel wie wir, in Laureles, drei Querstraßen entfernt, und wir lernten uns an einem Nachmittag in der Osterwoche kennen, als bei der Gründonnerstagsprozession ein Platzregen losbrach. Immer wenn etwas Wichtiges in meinem Leben passiert, fängt es plötzlich an zu regnen. Ich war damals zwölf, und er fünfzehn. Ich war mit einer großen Gruppe von Freundinnen unterwegs, und während wir hinter den Heiligenfiguren her liefen, piksten sie die Jungs mit langen Nadeln, die in ihren Spitzentüchern steckten. Ich nicht, ich sah bloß zu und lachte. Damals und in dem Alter gingen wir vor allem deswegen zur Kirche und zu Prozessionen, weil wir andere Jugendliche kennenlernen und uns einen Verehrer zulegen wollten.

Als der Regen losbrach, stellten meine Freundinnen und ich uns schnell unter einem Vordach unter, schließlich wollten wir nicht nass werden. Ein paar Jungs gesellten sich zu uns, und so stand auf einmal Alberto neben mir. Ich wusste damals nicht, wie er heißt, aber ich sah ihn die ganze Zeit an. Obwohl wir fast Nachbarn waren, hatte ich ihn noch nie gesehen. Er war wunderschön, groß und stark, wie alle Jungs, die viel Fußball spielen, Fahrrad fahren und Sport machen. Er trug Jackett und Krawatte, wie es damals üblich war. Ich sehe ihn noch genau vor mir: Das Jackett war grau, und man merkte, dass er sehr kräftig war – an Armen und Schultern traten die Muskeln unter dem Stoff deutlich hervor. Und er hatte eine göttliche, dunkelblonde Haartolle, richtig hoch und auffällig, wie Elvis Presley. In der Osterwoche trugen normalerweise alle neue Kleidung, ich hatte diesmal aber kein neues Kleid an, und noch dazu war meins vom Regen ganz durchnässt. Da meine Mutter nicht mitgekommen war, hatte ich ein kurzes weißes Kleid mit roten Säumen angezogen, also nicht unbedingt das, was man bei einer Prozession erwartet hätte, schließlich war es nicht gerade unauffällig, im Gegenteil, und erst recht nicht in nassem Zustand. Aber der Junge neben mir schien mich nicht mal wahrzunehmen, er starrte bloß geistesabwesend vor sich hin. Ich dagegen konnte mich an ihm nicht sattsehen, es war, als stünde ich im Museum vor einer wunderschönen Statue. Leise sagte ich einer Freundin von mir ins Ohr – sie hieß Libia Henao:


»Wer ist das denn? Wer ist das denn? Ich glaub, ich sterb gleich.«

Und sie antwortete:

»Nichts da, Schätzchen, das ist Alberto Gil, aber vergiss es, nicht mal Mona Díaz hat ihn rumkriegen können.«

Mona Díaz war das größte und attraktivste und schönste Mädchen aus unserem Viertel. Libia setzte noch einen drauf:

»Keine Chance, gib es auf.«

»Keine Chance?«, sagte ich und zog die Brauen hoch. »Von wegen – den heirate ich mal!«

Als die Prozession und der Regenguss vorbei waren, sah ich schrecklich aus. Ohne meinen Vater und meine Mutter zu fragen, hatte ich mich geschminkt, und jetzt war die ganze Wimperntusche verlaufen. Ich hatte schwarze Streifen im Gesicht, von den Augen bis zum Kragen meines weißen Kleids, ich sah aus wie eine Muttergottes, die unterm Kreuz steht und weint. Der Junge war längst verschwunden, und ich wusste nicht wohin. Bestimmt ist er zur Múltiple, sagte ich mir. Die Múltiple war die einzige Eisdiele bei uns in der Gegend, hier trafen sich alle Jugendlichen aus dem Viertel. Ich überredete meine Freundinnen, dorthin zu gehen, wir hatten zwar kaum Geld, aber wir legten zusammen und konnten so ein Eis kaufen, an dem alle lecken durften. Als ich die Eisdiele betrat, entdeckte ich ihn, er saß an einem Tisch und seine Haare waren bloß ein bisschen feucht, seine Kleidung dagegen überhaupt nicht. Ich sah ihn herausfordernd an, und dann sprach ich ihn auch an – das machte man damals eigentlich nicht, Unbekannte ansprechen, aber ich nahm all meinen Mut zusammen und sagte:


»Das war wirklich nett von dir – schau mal, ich bin pitschnass, und du hast mir nicht mal dein Jackett gegeben, damit ich mir was überziehen kann.«

Alberto sagte natürlich kein Wort. Er sah mich bloß schüchtern an und lächelte. Am nächsten Tag sah ich ihn wieder – beim Kirchenbesuch: Das machte man damals am Karfreitagmorgen, alle möglichen Kirchen besuchen. Er war schon in vielen gewesen, ich hatte ihn aber bloß in zweien gesehen, in Santa Teresa und in der Kirche der Bethlehemitinnenschule. Ich bin immer hinter ihm her und hab versucht, zu erraten, in welche Kirche er als Nächstes gehen würde. Jetzt sah er mich wenigstens an, und ich sah ihn natürlich auch an, aber von weitem. Sprechen konnten wir nicht miteinander, weil man uns noch nicht vorgestellt hatte.

Vier Tage nach Ostern stellte Pompi, ein Freund von Alberto, ihn mir dann vor. Noch heute bedanke ich mich jedes Mal bei Pompi, wenn ich ihm begegne: »Lieber Pompi, dass du mir damals diesen Engel vorgestellt hast …« Und kurz danach erklärte Alberto sich mir, es war der siebte Mai. Vor Glück wäre ich fast tot umgefallen, aber ich ließ mir nichts anmerken. Das machte man damals so, darum hab ich auch nicht gleich ja gesagt, obwohl ich das am liebsten getan hätte, nein, ich hab gesagt, ich muss erst darüber nachdenken, er soll mir bis morgen Zeit geben. In der Nacht habe ich fast nicht geschlafen, weil ich solche Angst hatte, er würde seinen Antrag wieder vergessen und nicht noch mal fragen. Aber am nächsten Tag ist er gekommen, um mich zur Kirche zu begleiten. Und wir sind zusammen zur Siebenuhrmesse gegangen. Beim Rausgehen hat er schließlich gefragt: »Und, was sagst du?« Und ich hab ja gesagt.


Alberto hatte eine Lambretta, und jedes Mal wenn er an unserem Haus vorbeigefahren ist, hat er gehupt. Ich habe dann immer zum Fenster rausgesehen, und mein Herz hat wie verrückt geklopft, ich war so glücklich, wenn er vorbeigefahren ist und zum Gruß die Hand gehoben hat. Ein bisschen später, am Muttertag, also am zweiten Sonntag im Mai, hat er dann Musikanten unter meinem Fenster aufspielen lassen. Bei uns zu Hause sind von der Musik alle aufgewacht, und Cobo hat mich leise gefragt: »Meine Liebe, bist du nicht noch ein bisschen jung für so was?« Und ich hab gesagt: »Ich weiß nicht, Papi, aber ich bin glücklich.« Und da hat er gesagt: »Das ist das Wichtigste.« Beim dritten Lied hab ich das Licht angemacht, damit er merkt, dass ich wach bin und die Musik höre. Gleich danach hab ich das Licht wieder ausgemacht und dafür das Rollo ein Stück hochgezogen, um ihn sehen zu können. Ich erinnere mich noch genau an die kleine Karte, die er mir unter der Tür durchgeschoben hat. Die hatte er aber nicht selbst geschrieben, das hatte sein älterer Bruder Rodrigo gemacht, der konnte nicht nur schöner schreiben, sondern auch gut dichten: »Alles dreht sich für mich nur um dich, / meine Leidenschaft dauert ewiglich. / Quält dich der Schmerz, / tut’s mir doppelt weh. / Nichts fühle ich, / wenn ich dich nicht seh. / Und mein Herz schuf Gott nur für dich.« Unterschrieben hatte er nicht mal mit seinem ganzen Namen, sondern bloß so: Albto.

La Oculta

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