Читать книгу Silvaplana Blue II - Wir Kinder des Grauens - Heide Fritsche - Страница 10
V.
ОглавлениеVom 12. bis zum 30. Januar hatte die Rote Armee die gesamte deutsche Abwehrfront zerschlagen. Das Finale der Götterdämmerung des Dritten Reiches hatte begonnen: Die Marschälle Tscherniakowski und Rokossowski überrannten Ostpreußen, Marschall Zhukow den Warthegau und Marschall Konjew Schlesien.
Am 31. Januar 1945 wurden Kämpfe bei Landsberg an der Warthe gemeldet. Die Rote Armee war jetzt bis Schützensorge vorgedrungen. Da lag der Hof meines Vaters. Eine russische Welle nach der anderen fegte über den Hof hinweg. Alle organisierte Verwaltung brach zusammen, auch das Transportwesen. Millionen von Menschen starben auf den Straßen und in den Wäldern. Das war eine Zerstörung, wie sie Europa niemals zuvor und die Welt niemals danach erlebt hat.
Zerstört wurden in diesem Inferno nicht nur Häuser, Gebäude, Fabriken, Tiere und Äcker, zerstört wurden die Menschen. Alle Menschen, die in diese Hölle hinein kamen, wurden zerstört. Alle Menschen, die aus dieser Hölle heraus kamen, waren zerstört, Sieger wie Besiegte. Die einen verloren ihr Leben, die anderen verloren ihre Seele.
Am 1. Februar wurde in Posen noch immer heftig gekämpft. Die Rote Armee sollte hier gestoppt werden. Trotzdem wurde der Tirschtiegel-Riegel von den Russen durchbrochen. Die Erste Weißrussische Front stieß bis zum Oder-Warthe-Riegel vor. Meseritz und Schwerin wurden genommen. Bei Küstrin wurde gekämpft.
Mein Vater saß in der Festung Frankfurt an der Oder, vorläufig noch sicher.
Am 2. Februar erstreckte sich der Kampf entlang der Oder von Nordosten bis nach Bischofssee. Nordwestlich ging die Rote Armee bei Zielenzig über die Oder.
Die deutsche Zivilbevölkerung flüchtete vor dieser Maschinerie des Mordens. Der Flüchtlingsstrom ging in die Millionen. Er kam aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien. Allein aus Swinemünde wurden 40.000 bis 45.000 Flüchtlinge gemeldet.
Posen, Graudenz und Breslau hatten sich noch nicht ergeben. Um Landsberg an der Warthe wurde gekämpft. Zhukows Einheiten waren dabei, sich im Oderbruch festzusetzen. Sie mussten versuchen, so schnell wie möglich über die Oder zu kommen. Wenn Tauwetter einsetzte, war die Oder ein schwieriges Hindernis, zu schwierig, um hier mit Panzern, schwerer Artillerie und Armeeeinheiten rüber zu kommen.
Die Oder ist ein Urstrom. Je nach Widerstand und Wasserführung bahnt sie sich ihren Weg wie es gerade möglich ist. Einen festen Stromverlauf gibt es nicht, dafür aber mehrere Oder-Arme, kilometerweit Sumpfland und Überschwemmungen.
Die Sümpfe zwischen der Oder und Berlin sollten die größte Katastrophe der Roten Armee werden.
Die Wehrmacht hatte sich auf die andere Seite des Oderufers zurückgezogen. Die Rote Armee hatte sich im Oderbruch etabliert, auch in Schützensorge. In Landsberg an der Warthe wurde das russische Hauptquartier von Marschall Zhukow errichtet.
In Schützensorge war die Familie meines Vaters auf dem Hof versammelt. Meine Mutter war auch da. Während mein Vater in Frankfurt an der Oder in der Falle saß, war draußen auf dem Lande die Bevölkerung der Willkür des Siegers ausgeliefert. Das ging stereotyp nach Schema: Tortur, Massenvergewaltigung, Mord und Tot.
Goebbels schrie sich noch immer das Maul wund. Er forderte die Deutschen auf, gegen dieses Inferno stehen zu bleiben und sich in den ‚Heimatboden einzukrallen’.“
Den Deutschen blieb nicht einmal ein Grab, wo sie sich hätten festkrallen können.
Goebbels sagte, wir müssen uns „Gegen diesen blutdurstigen und rachsüchtigen Feind ... mit allen Mitteln, die uns zu Gebote stehen verteidigen, und mit einem Hass, der keine Grenzen kennt.“
Welche Mittel? Welchen Hass? Keiner wusste, wie viele Minuten, wie viele Sekunden er noch leben konnte. Keiner wusste, unter welchen unmenschlichen Qualen er sterben musste. Der Sieger kannte keine Gnade, kein Mitleid und keine Barmherzigkeit.