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VII.

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Die Geschichte des polnischen Widerstands ist eine Tragödie. Am 1. September 1939 wurde Polen von deutschen Truppen besetzt. Am 27. September 1939 gründete eine Gruppe von polnischen Offizieren unter General Korasievicz-Tokarzewski die „Polnische Sieges Partei“. Der Kampf sollte im Untergrund fortgesetzt werden.

Im November 1939 wurde von der neuen polnischen Exilregierung in London die „Union des bewaffneten Kampfes“ gegründet. Diese beiden Organisationen waren die Grundlage der polnischen Widerstandsbewegung, der „Armia Krajowa“.

Die „Armia Krajowa“ wurde durch rechtsgerichtete Gruppen verstärkt. Dazu gehörten die „Nationale bewaffnete Streitmacht“, die “Nationale Militär Organisation“ und der ehemalige polnische Pfadfinderverein. Die Pfadfinder formten einen eigenen geheimen Sturm-Trupp. Außerdem gab es eine kommunistisch geleitete polnische Widerstandsgruppe, die „Gwardia Ludowa“.

Mehr als fünfundsiebzig Prozent der Widerstandsgruppen gehörten zur „Armia Krajowa“, zur polnischen Heimatarmee. Die Heimatarmee hatte zusammen mit den Bauernbataillonen vierhundert Tausend Mitglieder. Sie bildete damit die absolute Mehrheit. Die „Gwardia Ludowa“ war verschwindend klein und unbedeutend. Zusammen mit den kleineren Widerstandsverbänden und Partisanengruppen kontrollierte sie über zehntausend Mann.

Die „Gwardia Ludowa“ war in Großstädten etabliert. Unterstützung hatte sie bei den Arbeitern. Auf dem Lande hatte die kommunistische Widerstandsbewegung keine sicheren Zufluchtsorte. Sie war hier nicht repräsentiert. Darum ist es unwahrscheinlich, dass die „Gwardia Ludowa“ ihren Hauptsitz in Warta hatte, denn Warta war und ist ein kleines verschlafenes Städtchen auf dem Lande. Das war kein Milieu für die „Gwardia Ludowa“.

Warta lag abseits von den großen Truppentransportwegen nach Warschau und zur Ostfront. Die waren gut bewacht. Hier hatte die deutsche Armee eine totale Kontrolle. Demgegenüber lag Warta strategisch günstig zwischen den großen Truppenansammlungen der SS wie dem Hauptquartiert der SS in Posen, dem Auffanglager der SS in Zdunska Wola und den großen Konzentrationslager von Lódz, Warschau und Konin. Von Warta aus konnte man über das Flüsschen die Warthe kleine, halb zugewachsenen Wasserwege erreichen. Dieses Wasserwegsystem ermöglichte eine geschützte und von den von Deutschen kontrollierten Straßen unabhängige Verbindung nach Posen und Warschau.

Das Haus in der Bruchstraße Nummer eins lag nicht einmal zweihundert Meter von der Warthe entfernt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte die „Armia Krajowa“ ihr Hauptquartiert in Warta in der Bruchstraße Nummer eins.

Die Heimatarmee vertrat in Polen die konstitutionelle Exilregierung in London. Das galt sowohl für das Generalgouvernement als auch für die Reichsgaue. Von London und Washington wurden sie aufgefordert, mit Moskau zusammen zu arbeiten. Moskau weigerte sich, ihre Existenz überhaupt anzuerkennen. Eine Zusammenarbeit war unter solchen Bedingungen unmöglich. Das führte zu katastrophalen Niederlagen für die Heimatarmee.

Am 4. Januar 1944 marschierte die Rote Armee in Wolhynien ein. Die Wehrmacht war im Rückzug. Hier begann die Befreiung Polens. Aber die Sowjetunion betrachtete Wolhynien als sowjetisches Eigentum, denn im November 1943 war auf der Konferenz in Teheran Europa in Ost und West eingeteilt worden. West- und Süd-Europa fielen unter angloamerikanischen Einfluss und Ost-Europa unter russischen. Ganz Ost-Europa schwamm in einem politischen Vakuum. Polen fiel unter russische Okkupation und Kontrolle. Polen gab es per Definition nicht mehr. Die polnische Exilregierung in London wurde hierüber nicht informiert.

Als die Rote Armee in Polen einmarschierte, hatte sie eine eigene polnische Regierung mitgebracht. Sie war nicht von den Polen gewählt. Sie hatte keine Verbindung mit der Exilregierung in London. Diese Regierung war von den Sowjets zusammengesetzt und ernannt worden. Das waren Schaufensterpuppen für die sowjetische Machtübernahme.

1939 hatten die Engländer und Franzosen den Krieg an Deutschland erklärt, weil die Deutschen Polen überfallen hatten. Die Engländer und Franzosen kamen ihren polnischen Freunden zur Hilfe. Sie wollten Polen verteidigen. Das wurde über alle Medien in den Äther trompetet.

Zum Schluss führten die Engländer und Amerikaner den Krieg um des Krieges willen. Zum Schluss wollten sie die absolute Vernichtung, wollte sie Opfer, Rache und Vergeltung. So wurde es in alle Welt hinausposaunt.

Opfer, Rache und Vergeltung für was? Jedenfalls nicht für den Einfall der Deutschen Armee in Polen, denn Polen wurde in diesem Siegesgeschrei vergessen. Vergessen wurde sein Schicksal in Teheran, Jalta und Potsdam. Vergessen wurden die Überlebenden, vergessen wurde die polnische Exilregierung in London.

Nach dem Krieg wurde die polnische Exilregierung in London von den Russen nach Warschau eingeladen. Mit der von den Sowjets eingerichteten provisorischen Regierung sollten sie zusammen eine neue Regierung der Polnischen Republik etablieren. Das versicherten die Sowjets.

Die polnische Exilregierung wurde in London in ein Flugzeug gesetzt und nach Polen abgeschoben. Als die Repräsentanten der polnischen Exilregierung in Warschau landeten, wurden sie verhaftet und nach Moskau transportiert. In Moskau wurde ein öffentlicher Schauprozess inszeniert. Die Presseagenturen der ganzen Welt und alle großen Zeitungen aus England, Amerika und Frankreich waren im Gerichtssaal anwesend. Die Repräsentanten der polnischen Exilregierung von London wurden als Verräter und Kollaborateure mit den Nazis bezeichnet. Sie wurden wie Kriminelle behandelt, auch Jan Stanislaw Jankowski, der ehemalige Präsident der Exilregierung und General Okulicki, der letzte Kommandant der Heimatarmee.

Sechs Jahre lang hatte die polnische Exilregierung mit den Alliierten zusammen gekämpft, sechs Jahre lang hatten die Alliierten durch die Zusammenarbeit der polnischen Exilregierung in London polnische Fallschirmtruppen an allen Fronten eingesetzt, dann wurde die polnische Exilregierung mit dem Segen der Engländer, Amerikaner und Franzosen als Verräter und Kollaborateure der Deutschen nach Sibirien geschickt.

In Polen aber kamen mit dem Einmarsch der Roten Armee auch die Spezialeinheiten der Militärpolizei und des Sicherheitsdienstes. Diese Spezialeinheiten entfernten aus der Bevölkerung alle im Widerstand aktiven Elemente. In den von den sowjetischen Einheiten eroberten Gebieten sollte sowjetisches Recht und sowjetische Ordnung errichtet werden.

Alle Mitglieder der Widerstandsgruppen wurden verhaftet und entwaffnet. Sie hatten keine Wahl, entweder sie arbeiteten mit den Sowjets zusammen oder sie wurden sofort abgeschrieben. „Abgeschrieben“ bedeutete, sie wurden zu Kriegsopfer erklärt und inhaftiert. Die Juden wurden aus den Konzentrationslagern der SS rausgeschmissen. Hier wurden jetzt die Mitglieder der Heimatarmee interniert. Viele verschwanden im russischen Gulag.

Aus den Mitgliedern der Heimatarmee, die mit den Russen zusammenarbeiteten, wurde die „Polnischen Armee“ gebildet. Die „Polnische Armee“ war eine integrierte Einheit der Roten Armee. Die politische Organisation der „Polnischen Armee“ war dem PKWN untergeordnet. Diese Armee stand immer in erster Linie des Kampfes. In Berlin hat sie die polnische Fahne auf dem Brandenburger Tor gehisst.

Wahrscheinlich hat meine Mutter mit der „Polnischen Armee“ den Feldzug nach Berlin als Köchin mitgemacht. Sie wird hier viele alte Bekannte aus Warta wieder getroffen haben. Ob sie mit einem dieser alten Freunde aus Warta zusammenlebte? Ich weiß es nicht. Sicher ist, dass sie mit diesen Truppen bis nach Thüringen marschiert ist.

In Thüringen begann die Auflösung der „Polnischen Armee“. Die Russen hatten keinen Bedarf mehr für das polnische Kanonenfutter. Die „Polnische Armee“ hatte ihre Schuldigkeit getan, „Die Polnische Armee“ konnte gehen. Meine Mutter flüchtete von Thüringen zurück nach Bochum

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