Читать книгу Silvaplana Blue II - Wir Kinder des Grauens - Heide Fritsche - Страница 15
Deutschlands letzte Verteidiger I.
ОглавлениеWas geschah mit meinem Vater als die sowjetische Armee über Deutschland hinweg rollte?
Am Anfang des Krieges musste er einen von der Wehrmacht beschlagnahmten Hof verwalten. Außerdem war er Berater der Neusiedler und Umsiedler in Polen. Das war er auch später in West-Deutschland im Lande Niedersachsen. Das war sozusagen sein Lebenswerk.
Nach der verlorenen Schlacht von Stalingrad wurden alle wehrfähigen Männer in den Kriegsdienst eingezogen, auch mein Vater. Was er in diesen Kriegsjahren gemacht hat, darüber habe ich nur ungenaue Angaben und vereinzelte Andeutungen von meiner Mutter und von den Einwohnern von Warta. Nach diesen Aussagen arbeitete er für Greifelts Dienststelle. Er war damit für die Beschaffung von Lebensmittel für die Wehrmacht und die hierzu gehörenden Dienststellen zuständig.
Genauere Auskunft habe ich von seiner Rolle während der Flucht. Als sich die Verteidiger des Dritten Reiches im Osten in die letzten Festungen verschanzten, landete mein Vater in der Festung Frankfurt an der Oder. Das Gebiet um Frankfurt an der Oder war sein Heimatboden. Hier war er aufgewachsen, hier lag der Hof seiner Vorväter. Mein Vater kannte im Landkreis Landsberg an der Warthe jeden Bauern, jedes Wirtschaftsunternehmen, jeden Hof, jede Klitsche, jedes Huhn und jedes versteckte Schwein im Wald. Darum bekam er die Aufgabe, die nötigen Vorräte für eine längere Belagerung der Festung Frankfurt an der Oder aufzutreiben. Er ging mit Eifer ans Werk, rigoros. Wo was zu holen war, wusste er.
Dieses skrupellose Vorgehen verbitterte meine Mutter. Laut Kriegserlass war sie für die Verwaltung des Hofes in Schützensorge zuständig. Ob sie dazu fähig war oder nicht, spielte keine Rolle. Sie durfte ihre Einsatzstelle nicht verlassen. Aber alle Vorräte wurden nach Frankfurt an der Oder geschaffen, auch vom Familien- und Erbhof meines Vaters. Meine Mutter und die Familie meines Vaters saßen draußen auf dem Lande und hungerten.
Mein Vater verschanzte sich mit seinen Kameraden in Frankfurt an der Oder. Meine Mutter aber war wie alle anderen Menschen gnadenlos der Mordlust der russischen Armee ausgeliefert.
Als die Rote Armee reichsdeutsches Gebiet betrat, veränderte sie ihre Taktik, Moral und Ethik. Es begann ein bestialisches Morden, Plündern und Vergewaltigen. Jeder menschliche Maßstab ging verloren. Die Russen und Polen überfielen die Flüchtlingskolonnen. Sie schossen wild in die Flüchtlingskolonnen hinein. Sie schlugen alle tot, die ihnen in den Weg kamen. Alle Frauen wurden vergewaltigt, gleichgültig, wie alt sie waren, gleichgültig ob das kleine Kinder oder alte Frauen waren.
Alles, was meiner Mutter blieb, waren ihre Angst, ihre Schmerzen, ihr Hunger und ihr Hass
Ihren Hass hat meine Mutter nicht verdrängt. Den hat sie kultiviert. „Die saßen sicher in ihrer Festung. Die hatten genug zu essen. Für ein Butterbrot konnten die jede Frau bekommen.“
Die Rote Armee bereitete sich unterdessen auf den letzten Ansturm von Berlin vor. Marschall Zhukow stand immer noch im Warthebruch und Oderbruch. Am liebsten hätte er sowohl Küstrin als auch Frankfurt an der Oder links liegen gelassen. Er hatte Lust, direkt nach Berlin zu marschieren. Er hätte gerne die Hauptstadt des Deutschen Reiches noch vor Marschall Konjew erreicht. Die beiden Marschälle lagen im Wettstreit miteinander. Stalin wusste dies auszunutzen. Sein Befehl an Marschall Zhukow lautete: Er solle zuerst im Oderbruch aufräumen.
Während dessen saß man in der Festung Frankfurt an der Oder und wartete auf die Russen. Die Verteidigung dieser Festung wurde sorgfältig vorbereitet. Von Frankfurt an der Oder führte eine gut ausgebaute Autobahn direkt nach Berlin. Auf dieser Autobahn hätte die gesamte Rote Armee in ein paar Stunden nach Berlin vorrücken können.
General Busse leitete in Frankfurt an der Oder die deutsche Neunte Armee. Goebbels als Reichsverteidigungskommissar zeigte besonderes Interesse für diese Festung. Er legte im Februar 1945 General Busse einen offiziellen Besuch ab.
Am 3. März 1945 kam Hitler persönlich. Der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht hatte eine Lagebesprechung mit General Busse. Im gewohnten Elan plante Hitler im Oderbruch. Mit wilden Handbewegungen führte er Angriffe mit Armeen durch, die nicht mehr existierten. Er erteilte aberwitzige Befehle, die den örtlichen Gegebenheiten keine Rechnung trugen. Viele Soldaten starben unnötig.