Читать книгу Tödlicher Nebenjob - Heidi Oehlmann - Страница 10
Montag, 26.09.16, 13:48 Uhr
ОглавлениеAmelie saß an der Kasse. Sie zog die Ware der Kunden in ihrer Schlange über das Band und scannte jeden Artikel einzeln. In Gedanken war sie bei Armin. Der Ablauf des Abends geisterte ihr immer wieder durch den Kopf. Jedes Mal versuchte sie, sich anders zu verhalten, als in der Realität. Sie wollte cooler wirken und keinesfalls etwas von sich preisgeben. In ihrer Fantasie klappte das gut, aber in der Wirklichkeit würde sie nie so handeln können.
Amelie nahm die Menschen nur beiläufig wahr. Immer wenn ein Warentrenner kam, sah sie auf und verkündete dem Kunden, der vor ihr stand, wie viel er zu zahlen hatte.
»Amelie!«
Sie zuckte zusammen, als sie die schreiende Stimme hörte. Sie wusste genau, wem sie gehörte. Bevor sie sich in die Richtung drehen konnte, aus der ihr Name gerufen wurde, stand die Person vor ihr. Es war Erik. Amelie konnte es nicht fassen, dass er sich in den Supermarkt traute. Sie hatte keine Erklärung, woher er von ihrer Arbeitsstelle wusste.
»Geht es heute noch mal weiter?«, beschwerte sich der Mann hinter Erik, der seinen Einkauf auf das Laufband legte.
»Ja, natürlich. Entschuldigen Sie bitte!«, beschwichtigte Amelie ihn und zog die Waren über den Scanner. »Was willst du hier?«, widmete sie sich dabei flüsternd Erik zu.
»Du musst mir helfen! Ich brauche Geld!«
»Haha«, Amelie lachte gespielt. »Das brauche ich auch.«
»Bitte, du musst mir helfen!«
»Ganz sicher nicht! Weißt du eigentlich, dass ich deine Schulden begleichen muss, weil du dich einfach aus dem Staub gemacht hast?« Sie drehte sich nach allen Seiten und flüsterte: »Bei mir geht deinetwegen der Gerichtsvollzieher ein und aus.«
»Es tut mir leid! Du bekommst alles wieder. Bitte, ich brauche dringend zweitausend Euro!«
»Wenn du mir die fünfunddreißigtausend plus Zinsen überwiesen hast, können wir gern darüber reden«, antwortete sie und prustete.
»Ich meine es ernst. Es geht um mein Leben.«
»Ach ja? Hast du wieder Spielschulden?«
Amelie musste nicht auf die Antwort warten. Sie wusste genau, dass er zocken war. Immer wenn er angekrochen kam, hatte er Geld verspielt und Schulden gemacht. Das war schon damals, während ihrer Beziehung so. Erik hatte sie mehrere Monate verarscht. Es dauerte eine Weile, bis sie dahinter kam, wie schlimm es tatsächlich war. Erst, als er ihre Sachen verkauft hatte, um an Geld zu kommen, zog sie ihre Konsequenzen. Sie war stinksauer und trennte sich von ihm.
Erik unternahm einige Versuche, sie davon abzuhalten. Er versprach ihr, sich zu ändern und seine Schulden zurückzuzahlen. Amelie glaubte ihm kein Wort.
»Wo wohnst du eigentlich jetzt?«, fragte sie in der Hoffnung, seine Adresse an Maier weitergeben zu können. Er war nicht dumm und konnte sich denken, wofür seine Ex-Freundin nach seinem Wohnsitz fragte. »Mal hier und mal da.«
Amelie rechnete schon mit so einer Antwort. Obwohl sie wusste, dass es nichts brachte, sagte sie: »Melde dich endlich bei diesem Maier, damit er mich in Ruhe lässt!«
»Mache ich. Jetzt musst du mir aber erst mal helfen!«
»Das kann ich nicht. Ich habe kein Geld.«
»Du wirst doch wohl in der Lage sein, zweitausend Euro aufzutreiben, verflucht noch mal!«, schrie er sie an.
»Nein, das bin ich nicht!«
»Dann leih dir was!«
Amelie traute ihren Ohren nicht. Hatte sie sich verhört oder forderte ihr Ex gerade wirklich von ihr, Geld für ihn zu leihen? Sie starrte ihn an und wusste, es war keine Halluzination. Erik besaß tatsächlich die Dreistigkeit, dies von ihr zu fordern. »Nein! Leih dir doch was, aber nicht von mir!«
»Amelie, bitte! Denk doch an unsere gemeinsame Zeit! Es war doch nicht alles schlecht, oder?«
»Was hat das damit zu tun?«
»Ich dachte, wir sind wenigstens noch Freunde.«
»Freunde verhalten sich anders. Sie reiten sich nicht gegenseitig in die Scheiße.«
»Wieso? Was habe ich denn gemacht?«
»Was du gemacht hast? Du lässt mich deine Schulden zurückzahlen und tust so, als ob es dich nichts angehen würde.«
»Ich habe doch gesagt, ich zahle dir alles zurück. Jetzt brauche ich aber deine Hilfe. Komm schon! Lass mich nicht im Regen stehen!«
»Du kotzt mich an! Immer wenn du was willst, kommst du angekrochen. Ich will dich nicht mehr sehen! Verschwinde und lass dich nie wieder blicken!«, schrie Amelie und erschrak sich über die Lautstärke.
Alle Blicke im Supermarkt fixierten sie. Ihr war es unendlich peinlich. Sie sank den Blick und fertigte die Kunden ab.
»Frau Sturm kommen Sie sofort in mein Büro!«, ertönte Sanders Stimme nach einer Weile.
Amelie zuckte zusammen. Sie schaute sich um und war erleichtert, dass Erik verschwunden war.
Dafür stand nun Sander hinter ihr. »Haben Sie gehört, Frau Sturm?«
Sie nickte und erhob sich. Einige der Kunden, die an der Kasse standen, stöhnten. Sie fuhren mit ihren Einkaufswagen an die andere Kasse, an der Rike saß.
Sander ging in sein Büro. Amelie folgte ihm.
Als beide im Raum waren, schloss der Supermarktleiter die Tür und sagte: »Frau Sturm so geht das nicht! Sie können Ihren Privatkram nicht hier vor allen Leuten austragen. So leid es mir tut, ich muss Ihnen Ihre erste Abmahnung erteilen. Ich hoffe, so etwas wie heute kommt nie wieder vor!«
»Aber ich …«, versuchte sie, sich zu verteidigen.
»Kein Aber! Gehen Sie jetzt zurück an Ihren Arbeitsplatz und verhalten Sie sich ruhig!«
Amelie gehorchte. Sie verließ das Büro und ging an ihre Kasse. Nach ihrem Auftauchen kamen einige Kunden zurück zu ihr. Sie schauten die Kassiererin mitleidig an. Am liebsten wäre sie aufgestanden und aus dem Markt gerannt, aber das hätte erneuten Ärger mit Sander bedeutet. Also blieb sie geduldig an ihrem Platz und fertigte die Kunden bis zu ihrem Feierabend ab.